pingelchen schrieb:
ps: was soll ich machen, wenn es sich doch genauso wie aus einem bb-munde anhört
irgendwo müssen die adonen ja ihre leitwölfe haben, die sie mit solch verklärungen versorgen
(aber ich schätz mal, es liegt an der interpretationskraft der BB)
So, es wird wieder etwas länger
Ich fasse dann mal kurz die ursprüngliche Fragestellung zusammen:
Sind noch andere Organsysteme im Training und der Regeneration beteiligt? Und lösen Trainingseinheiten, die eine Muskelgruppe platt machen auch systemische Effekte aus?
Neben vielen Organsystemen hat da auch das Immunsystem ein Wörtchen mitzureden! Bei jeder (!) körperlichen Belastung finden Prozesse statt, die man mit einem Infekt vergleiche kann, nur in einem sehr viel geringeren Ausmaß als bei einem Infekt. Diese systemischen Prozesse sind umso größer, je länger, je intensiver und je exzentrischer die Muskelarbeit ist. Diese systemischen Prozesse im Immunsystem nach körperlicher Belastung werden als Akute-Phase-Reaktion (APR) bezeichnet:
Gabriel, H. and W. Kindermann. The acute immune response to exercise: what does it mean? Int J Sports Med. 18 Suppl 1:S28-45, 1997.
Heinrich, P. C., J. V. Castell, and T. Andus. Interleukin-6 and the acute phase response. Biochem J. 265:621-636, 1990.
Gemessen wird diese APR anhand versch. Blutparameter. Und zwar dieselben, die ein Arzt bestimmt, wenn er nach Infekten schauen will. Viele dieser Parameter (z.B. CRP) zeigen erst 24-48 Stunden nach einer körperlichen Belastung ihre höchste Konzentration im Blut. Das zeigt, dass man mit Training Prozesse in Gang gesetzt hat, die einfach länger dauern, um sich wieder einzurenken:
Ostrowski, K., T. Rohde, S. Asp, P. Schjerling, and B. K. Pedersen. Pro- and anti-inflammatory cytokine balance in strenuous exercise in humans. J Physiol. 515 ( Pt 1):287-291, 1999.
Fallon, K. E. The acute phase response and exercise: the ultramarathon as prototype exercise. Clin J Sport Med. 11:38-43, 2001.
Meyer, T., H. H. Gabriel, M. Ratz, H. J. Muller, and W. Kindermann. Anaerobic exercise induces moderate acute phase response. Med Sci Sports Exerc. 33:549-555, 2001.
Ein weiteres Zeichen, dass das Immunsystem auf Training reagiert, ist die Tatsache, dass nach Trainingsperioden geringere Auslenkungen der Zielparameter bei gleicher Belastung gemessen werden.
Hassan ESA, T. Hilberg, HJ Müller, B Dorschner, HHW Gabriel. (2003) Immunologische Adaptationen nach wiederholten körperlichen Belastungen im Abstand von 6 Wochen.
Dtsch Z Sportmed 54: (S7-8) S54
Hilberg T, D Schammne, ESA Hassan, FM Brunkhorst, K Reinhart, HHW Gabriel. (2003) Immunological and muscle cellular changes after different type of exercise: Does a model for SIRS investigations exist. Infection 31: 285
Nach jeder langen und intensiveren Belastung entstehen also Mikro-Infekte, die weitreichende systemische Effekte aufweisen. Die Regenerationszeit beträgt etwa 48 Stunden. Wenn man jetzt noch bedenkt, dass von manchen Forschergruppen ein zu häufiges Auftreten dieser systemischen Zustände als Mitverursacher von Übertraining gesehen werden, dann ist das Immunsystem sehr wohl leistungsbegrenzend!
Urhausen, A., H. Gabriel, and W. Kindermann. Blood hormones as markers of training stress and overtraining. Sports Med. 20:251-276, 1995.
Urhausen, A., B. Weiler, B. Coen, and W. Kindermann. Plasma catecholamines during endurance exercise of different intensities as related to the individual anaerobic threshold. Eur J Appl Physiol Occup Physiol. 69:16-20, 1994.
Bei KH-verarmter Muskulatur sind diese immunologischen Effekte viel größer!
Pedersen, B. K., A. Steensberg, C. Fischer, C. Keller, K. Ostrowski, and P. Schjerling. Exercise and cytokines with particular focus on muscle-derived IL-6. Exerc Immunol Rev. 7:18-31, 2001.
Intensives Krafttraining, v.a. mit exzentrischen Belastungkomponenten, schädigen das Muskelgewebe, es tritt ein Muskelzellschaden auf, den manche als Muskelkater empfinden. Im Englischen wird dieses Missempfinden DOMS genannt: delayed onset muscle sorness, also verspätet eintretender Muskelschmerz.
Friden, J. Muscle soreness after exercise: implications of morphological changes. Int J Sports Med. 5:57-66, 1984.
Kuipers, H. Exercise-induced muscle damage. Int J Sports Med. 15:132-135, 1994.
Als Folge eines Muskelschadens startet die oben erwähnte APR zum Aufräumen und Reparieren. Sogar Bewegungsabläufe sind dann stark gestört. Bewegungen werden unökonomisch und verbrauchen mehr Energie. Und das soll die Leistungsfähigkeit nicht beeinflussen?
Kyrolainen, H., T. Pullinen, R. Candau, J. Avela, P. Huttunen, and P. V. Komi. Effects of marathon running on running economy and kinematics. Eur J Appl Physiol. 82:297-304, 2000.
Pearce, A. J., P. Sacco, M. L. Byrnes, G. W. Thickbroom, and F. L. Mastaglia. The effects of eccentric exercise on neuromuscular function of the biceps brachii. J Sci Med Sport. 1:236-244, 1998.
Ein Zellschaden hat weitreichende metabolische Auswirkungen. Die ATP-Produktion ist geringer. Und ATP brauchen wir jetzt wirklich zum Sporttreiben!!! Eine schlechtere Durchblutung und geringere KH-Aufnahme runden das Bild ab. 24 Stunden nach einer solchen Belastung ist eine im Vergleich zu moderateren Belastungen deutlich geringere KH-Konzentration in der Arbeitsmuskulaur messbar!!! Das an dieser Stelle vermehrt arbeitende Immunsystem benötigt dann auch noch zusätzlich KH, was dem Betriebsstoffwechsel fehlt!
Meulen, J. H. v. d., H. Kuipers, F. R. Stassen, H. A. Keizer, and G. J. van der Vusse. High energy phosphates and related compounds, glycogen levels and histology in the rat tibialis anterior muscle after forced lengthening and isometric exercise. Pflugers Arch. 420:354-358, 1992.
Friden, J., P. N. Sfakianos, A. R. Hargens, and W. H. Akeson. Residual muscular swelling after repetitive eccentric contractions. J Orthop Res. 6:493-498, 1988.
O'Reilly, K. P., M. J. Warhol, R. A. Fielding, W. R. Frontera, C. N. Meredith, and W. J. Evans. Eccentric exercise-induced muscle damage impairs muscle glycogen repletion. J Appl Physiol. 63:252-256, 1987.
Widrick, J. J., D. L. Costill, G. K. McConell, D. E. Anderson, D. R. Pearson, and J. J. Zachwieja. Time course of glycogen accumulation after eccentric exercise. J Appl Physiol. 72:1999-2004, 1992.
Costill, D. L., D. D. Pascoe, W. J. Fink, R. A. Robergs, S. I. Barr, and D. Pearson. Impaired muscle glycogen resynthesis after eccentric exercise. J Appl Physiol. 69:46-50, 1990.
Del Aguila, L. F., R. K. Krishnan, J. S. Ulbrecht, P. A. Farrell, P. H. Correll, C. H. Lang, J. R. Zierath, and J. P. Kirwan. Muscle damage impairs insulin stimulation of IRS-1, PI 3-kinase, and Akt-kinase in human skeletal muscle. Am J Physiol Endocrinol Metab. 279:E206-212, 2000.
etc...
Und das soll die Leistungsfähigkeit nicht verschlechtern??? Gerade die letzte Literaturstelle belegt die geringere Insulinsensitivität der Arbeitsmuskulatur!
Also nix is mit BB-Thesen!!! Alles belegbar!!!
Man kann also aus obigen Literaturstellen folgern, dass ein stark mechanisch gestresster Muskel weniger KH zur Verfügung hat!!!
Eiweiße werden doch verstoffwechselt!!! Spezielle Eiweiße, sog. BCAA, werden im Laufe langer Trainingseinheiten vermehrt in der Leber im sog. Prozess der Glukoneogenese zu Glykogen verarbeitet. Diese Effekte treten erst dann auf, wenn die Muskulatur KH entleert ist. Unter KH-Verarmung werden also vermehrt BCAA verstoffwechselt. Manche Forschergruppen diskutieren sogar, dass BCAA ohne Umwege über die Leber direkt in der Muskulatur verstoffwechselt werden können (letzten beiden Literaturstellen)!!!
Castell, L. M., J. R. Poortmans, R. Leclercq, M. Brasseur, J. Duchateau, and E. A. Newsholme. Some aspects of the acute phase response after a marathon race, and the effects of glutamine supplementation. Eur J Appl Physiol Occup Physiol. 75:47-53, 1997.
Mero, A. Leucine supplementation and intensive training. Sports Med. 27:347-358, 1999.
Blomstrand, E., F. Celsing, and E. A. Newsholme. Changes in plasma concentrations of aromatic and branched-chain amino acids during sustained exercise in man and their possible role in fatigue. Acta Physiol Scand. 133:115-121, 1988.
MacLean, D. A., L. L. Spriet, and T. E. Graham. Plasma amino acid and ammonia responses to altered dietary intakes prior to prolonged exercise in humans. Can J Physiol Pharmacol. 70:420-427, 1992.
Wagenmakers, A. J. Muscle amino acid metabolism at rest and during exercise: role in human physiology and metabolism. Exerc Sport Sci Rev. 26:287-314, 1998.
Wagenmakers, A. J. Protein and amino acid metabolism in human muscle. Adv Exp Med Biol. 441:307-319, 1998.
Also: mit intensivem, ungewohntem und v.a. exzentrischem Krafttraining kann man dafür sorgen, dass weniger KH in der Muskulatur vorliegen! Das verschlechtert die Ausdauerleistungsfähigkeit!!!
Und jetzt kommt das Interessante: ein solch metabolisch gestresster Muskel kann Botenstoffe ausschicken, die die Leber dazu anregen, dort gespeichertes Glykogen abzubauen und somit in die Blutbahn abzugeben. GLEICHZEITIG werden aber von der Leber Entzündungsstoffe ausgeschüttet! Und schon haben wir wieder ein gestresstes Immunsystem!
Yudkin, J. S., M. Kumari, S. E. Humphries, and V. Mohamed-Ali. Inflammation, obesity, stress and coronary heart disease: is interleukin-6 the link? Atherosclerosis. 148:209-214, 2000.
Pedersen, B. K., A. Steensberg, C. Fischer, C. Keller, K. Ostrowski, and P. Schjerling. Exercise and cytokines with particular focus on muscle-derived IL-6. Exerc Immunol Rev. 7:18-31, 2001.
Und all diese Vorgänge spielen sich sowohl lokal als auch systemisch ab ! Alles ist schön belegbar und hat nichts mit BB-Thesen zu tun! Im Gegenteil! Die (Hypo)Thesen wurden anhand der gezeigten wissenschaftlichen Studien belegt. Es ist wohl gemerkt nur eine kleine Auswahl der Literatur zu dieser Thematik! Das Immunsystem hat also doch was mit der sportlichen Leistungsfähigkeit zu tun, auch wenn man nicht krank ist!!!
Hört sich das jetzt immer noch nach BB-Mund und BB-Leitwolf an?
Und ich sage es noch mal: Man darf in Sachen Regeneration und Wiederherstellung nicht das Immunsystem vergessen!
Gruß,
Dominik
p.s.: sorry für die langen Ausführungen, aber bei solchen verbalen Angriffen muss man sich ja verteidigen dürfen