steppenwolf1985 schrieb:
....
Dass es schwer ist die Belastungsspitzen an dem Rahmen zuzuordnen ist mir klar, allerdings sagt mir mein mehr oder weniger gute

Menschenverstand dass die Belastung eigentlich eher auf dem Unterrohr liegen sollte?! ....
Hi Sebastian,
ja, ich bin Ingenieur (Luft- und Raumfahrttechnik)... aber nicht in der Branche tätig...
Hier mein Versuch einer einfachen Erklärung der Kraftverteilung am Rad:
Also im Grundstudium fängst du irgendwann mal an, Fachwerke zu berechnen. Knoten und so weiter....
Dein Rahmen ist nichts Anderes, nur, daß sich auch Biegemomente in deinem Rahmen übertragen, also zu den reinen Druck und Zugkräften noch Biegemomente überlagert werden müssen. Resultierende Kräfte laufen in der Regel entlang der Längsachse der Rohre, besonders bei Unter- und Oberrohr.
Das Unterrohr wird dabei wie du richtig sagst

auf Zug, das Oberrohr dabei auf Druck belastet. Muß aber nicht immer so sein! Warum ?
1. Statisch: Bezugssystem ist der ebene Boden
Krafteinleitung durch dein Gewicht auf dem
Sattel (größter Anteil), Pedale und Lenker.
Härtester Belastungsfall: Du stehst aufrecht auf den Pedalen. Damit wirkt im Tretlager die komplette Gewichtskraft senkrecht nach unten. Die Auflager deines Fachwerks sind die Räder = Radachsen. Es entstehen Normalkräfte, die der Rahmen verdauen muß. Die greifen im Falle des Unterrohres schräg zu dessen Längsrichtung an (=Querkraft) und werden in den Rohren weitergegeben.... Sie treffen sich in den Knoten '(= Schweißverbindung der Hauptrohre).
Dann gibt es noch das besagte Drehmoment, das sich aus dem Abstand von Tretlager zu Radachse x Normalkraft an der Radachse ergibt. Dieses Drehmoment will quasi deinen Rahmen von vorne und hinten um das Tretlager 'zusammenfalten'.
Das Oberrohr erfährt damit also eine Druckspannung, die unter ungünstigsten Umständen größer sein kann als die Zugspannung am Unterrohr:
2. Dynamisch: nur so zur Verwirrung
Zu den statischen Kräften kommen während der Fahrt folgende Faktoren:
2.1. Tretlager:
Drehmoment durch Abstand Pedalmitte zu Rahmenmitte, der Rahmen hat die Tendenz sich zu verwinden. Das führt zu weiteren Querkräften in den Rohren, wobei die schwächer werden, je weiter du dich vom Tretlager entfernst, (es gilt ja: Drehmomment = Kraft x Hebel....)
2.2. Analog am Lenker:
Auch hier ziehst Du mit halber Lenkerbreite (Abstand zur Rahmenmitte) und leitest ein Drehmoment im Rahmen ein...
2.3. Bremsmanöver:
Die Gabel leitet durch die am Rad angreifende Bremskraft entgegen der Fahrtrichtung ein Dremoment in den Rahmen ein, das eigentlich die - durch das Drehmoment in 1 - erzeugten Druckkräfte im Oberrohr wieder etwas abbauen wird. Durch
Bremsen will ja die Gabel nach 'hinten', also den Rahmen oben 'auseinanderziehen'. (daß die Scheibenbremse nur jeweils an einer Seite angreift, und damit im Starrahmen ein Drehmoment einleitet, lass ich mal außen vor... Die Rahmen sind ja konstruktiv dafür ausgelegt.)
Gleichzeitig wird im Unterrohr eine Druckkraft aufgebaut, die der Zugkraft aus der statischen Situation ebenfalls entgegenwirken kann.
2.4. Kurvenfahrt:
Es entstehen Kurvenkräfte, die der Rahmen aufnehmen muß. Zum einen steigen die Normalkräfte an (stell dir vor, du fährst einen engen Anlieger sehr schnell durch - dann federt die Gabel mehr ein, weil du durch die Kurvenbeschleunigung 'schwerer' wirst, oder denk mal an Drops....). Zum anderen wird bei der Auslenkung der Gabel das Rad aus der Rahmenmitte ausgelenkt und es entsteht dadurch wieder ein Drehmoment, das den Rahmen - ähnlich wie am Tretlager die Pedale - verbiegen will.
2.5. Kurvenfahrt und Bremsmanöver:
Einfach mal 2.3. und 2.4. von oben überlagern...
2.6. Bergauffahren:
Durch die Zugkraft der Kette wird die Unterstrebe auf Ritzelseite druckbelastet. Da ja Lager vohanden sind, wird hier ausnahmsweise mal kein Drehmoment durch die Kette erzeugt.
u.s.w.
Im dynamischen Fall überlagern sich die verschiedenen Kraftvektoren und führen unter Berücksichtigung des an der jeweiligen Stelle vorhandenen Materialtyps, der Wandstärken, der Querschnittsform und -größe zu Spannungen, die der Rahmen aufnehmen können muß.
Deswegen sind bei einigen Rennrädern z.B. Oberrohre und Unterrohre nicht mehr durchgängig rund, sondern laufen oval aus, um die Biegemomente besser aufnehmen zu können. Gerade bei Rennrädern geht es ja um Steifigkeit der Rahmen bei möglichst geringem Gewicht (z.B: Schlußsprint...).
Den gleichen Effekt erreichst du auch durch unterschiedliche Wandstärken, was aber herstellungstechnisch -imo- die teurere Variante ist.
Gruß Matze,