Alpine Erfahrung

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Beschäftigt man sich mit dem Thema Alpencross, stolpert man früher oder später über diesen Begriff. Er hat so ein bisschen was mystisches und wenig greifbares. Es wird behauptet, für die schweren Touren, zumal ohne Guide, braucht man "alpine Erfahrung". Und alle nicken. Die, die glauben, sie zu haben. Die, die glauben, sie nicht zu haben. Und die, denen es vielleicht peinlich ist, zu fragen, was denn alpine Erfahrung eigentlich genau ist.
Reicht es aus, in München zu wohnen und bei Föhnwetterlage die Alpen sehen zu können? Wie oft muss ein Ostfriese in den Alpen gewesen sein, um alpine Erfahrung zu bekommen?

Ich versuche mich mal an einer DEFINITION:

Alpine Erfahrung beschreibt die Fähigkeit, den spezifischen Gefahren des Gebirges mit besonderer Wachsamkeit und Vorraussicht zu begegnen.

Die SPEZIFISCHEN GEFAHREN sind:
- Unwegsames Gelände, teils absturzgefährdet
- große Exponiertheit bei Gewitter
- plötzliche Abkühlung mit Schnee, Sturm oder dichtem Nebel auch im Sommer möglich
- extrem langsames Vorankommen (betrifft Bergung oder Proviant- und Wasserbeschaffung)

WACHSAMKEIT bedeutet in erster Linie das Einholen des Wetterberichtes und aufmerksame Wetterbeobachtung während der Tour. WACHSAMKEIT umfasst neben dem Wetter je nach Routenwahl auch die Beurteilung von Steinschlaggefährdung oder des Hochwassergeschehens (offene Bachquerungen).

VORRAUSSICHT meint
- sorgfältige Tourenplanung mit angemessener Schwierigkeit (schwächstes Glied)
- RESREVEN einplanen (Essen, Trinken, warme Kleidung, nicht bis zur vollen Erschöpfung fahren)
- Notfallausrüstung mitführen (Erste-Hilfe-Päckchen, Handy)

Eine Mitgliedschaft im DAV kann ich (nicht nur) wegen der Transportversicherung (Bergung ist SEHR teuer) wärmstens empfehlen.

Alpine Erfahrung ist also, einfach gesagt, den gesunden Menschenverstand zu gebrauchen und sich der Besonderheiten der alpinen Umgebung bewusst zu sein.

Was ist für Euch alpine Erfahrung?
 
Aus meiner Sicht muss ist es nicht nur die "Fähigkeit" sondern auch die "Erfahrung" - angeeignet durch Erlebnisse / Vorhaben, d.h. ich war vorher schon mal in einer "alpinen Situation" - da kommt natürlich das Thema "Henne / Ei" - ich war evt. mal ausgesetzt wandern, habe längere Touren gemacht, war schon mal an der Leistungsgrenze etc und dann radl ich ausgesetzte Wege oder plane Tagestouren mit 2500 hm, oder einsame Etappen weil ich bei Problemen nicht nur auf meine analytischen Fähigkeiten vertrauen kann, sondern weil ich es evt. in einem anderen Kontext schon mal durchlitten habe
 
Alpine Erfahrung in einem Satz:
Die Fähigkeit sich im Gebirge situationsgerecht zu Verhalten.

Grob gesagt, die realistische Einschätzung der eigenen Fähigkeit gepaart mit den eigenen Erfahrungen sowie angehäuft mit Wissen und dem gesundem Menschenverstand.
Wichtig - Und man lernt darin nie aus.

RedOrbiter
www.Trail.ch
 
Ich finde, Du hast es schon ganz gut definiert.
Nur was hilft ne gute Definition, wenns gerade die gar nicht wissen wollen, dies am Nötigsten brauchen (ich rede nicht nur von Bikern sondern "Temporär-Alpinbevölkerern" generell).
Wenn ich so sehe, wer sich heute WIE im hochalpinen Gelände so tummelt, scheint mir allein die Methode: "Aus Fehlern wird man klug" zu helfen. Und es bleibt zu hoffen, daß nicht die heftigsten Fehler als erste begangen werden. Grenzgänger zwischen Leben und Tod, für die alles "cool" und "easy" ist, kriegt man ja leider als "Vorbilder" in diversen Alpinsportarten im TV und Youtube allzuhäufig zu sehen. Erst gestern wieder Outdoor-Filmfestival im TV. Junge Franzosen, die auf schmalsten Gipfeln im Montblancgebiet (ca. 1 m breit) ungesichert Handstände machen bzw. ebenso ungesichert über ne Slackline laufen. Eine Wind-Bö und das wars. Keinerlei Sicherheitsreserve. Ich hab kein Problem damit, daß die das für sich so machen und u.U. die Konsequenzen ziehen müssen. Die kennen die Konsequenzen. Mich stört das unreflektierte Verbreiten durch die Medien an eine, wie mir scheint, zunehmend respekt- und vielleicht auch hirnlose oder extrem naive Klientel, die´s dann auch mal gern probieren wollen. Für die kann man hoffen, daß sie Deinen Rat mit der DAV-Mitgliedschaft wenigstens Ernst genommen haben.
 
Ganz einfach gesagt: Ich habe schon oft die Erfahrung gemacht, dass die Alpen als Sport- und Outdoorregion einfach unterschätzt werden. Man unterschätzt den plötzlichen Wetterwechsel mit den damit verbundenen Gefahren, man unterschätzt die Anstrengungen beim Wandern/Klettern/Biken/etc in den Alpen, man unterschätzt die Gefahr von Verletzungen und schweren Unfällen beim Begehen schwieriger Wegstücke. Und zwar auch wenn man schon darüber gelesen hat.

All diese speziell in den Alpen vorhandenen Risiken lernt man nach und nach richtig einzuschätzen, indem man sich langsam an die Gebirgsregionen herantastet und Erfahrungen sammelt. Das ist es, was ich alpine Erfahrung nenne.

Analytische Fähigkeiten, Intelligenz, vorausschauendes Handeln, körperliche Fitness, Information vorab können natürlich sehr helfen, auch wenn man alpin unerfahren ist. Aber es ersetzt die tatsächliche Erfahrung nicht vollständig.

Weil du das Stichwort "Ostfriese" genannt hast: Ich kannte einen Norddeutschen, der noch nie wirklich in den Bergen war und der beim Wandern auf knapp über 2000 m Höhe höhenkrank wurde.
 
Weil du das Stichwort "Ostfriese" genannt hast: Ich kannte einen Norddeutschen, der noch nie wirklich in den Bergen war und der beim Wandern auf knapp über 2000 m Höhe höhenkrank wurde.
Ich vermute mal kein Lungenödem?
Wenn er über Kopfschmerzen geklagt hat, kanns natürlich auch am ungewohnt großen Fassungsvermögen der Bierkrüge liegen :bier:
 
Erweitere den Ostfriesen um eine Asiatin (ich glaub sie war aus Singapur). Die ist auf 1.200m Meereshöhe in Neuseeland vor meinen Augen kollabiert (kein Schei$$!!!!)

Ansonsten: SEEEEHR sinnvoller Thread mit vielen werthaltigen Argumenten und qualitativ hochwertigen Beiträgen/Aussagen, die ich nur uneingeschränkt unterschreiben kann - Weiter so Forum!!!
 
Dafür, dass der Begriff oft so absolut verwendet wird, ist er ziemlich unbestimmt. Im Forum wird ja oft gefragt "hast du alpine Erfahrung?". Selbst wenn man es für sich ehrlich beantwortet, versteht der Fragesteller vielleicht was ganz anderes darunter. Sinnvoller wäre es zu fragen, ob man sich schon mal in einer vergleichbaren Situation befunden hat und weiß, auf was man sich einlässt.
Doch selbst wenn man das bejaht, ist immer noch nicht sicher, ob man in einer Gefahrensituation intuitiv auch das richtige tut (was ja für viele ein wesentliches Merkmal alpiner Erfahrung ist).
Im Hinblick auf die Gefahr ist dann noch das Thema Risikobereitschaft eine weitere Variable. Zwei Menschen mit vergleichbarer alpiner Erfahrung entscheiden sich in der gleichen Situation unterschiedlich, weil der eine mehr am Leben hängt, mehr zu verlieren hat oder ihm bewusst ist, dass es eben nicht nur sein eigenes Risiko ist (Partner, Kinder, Eltern, Freunde...).
 
Und Alter spielt auch ne Rolle (nicht allen wegen wahrscheinlich größerer Erfahrung). Man spricht nicht umsonst von "jugendlichem Leichtsinn". Ich merke z.B., daß ich heute als Ü60 deutlich risikoscheuer agiere als früher (ärgert mich zwar, aber iss so. Äußert sich z.B. darin, daß ich manche kniffligen Trails ungern allein fahre, um bei eventuellem Sturz Hilfe vor Ort zu haben. Wäre mir früher nie eingefallen).
 
Alles soweit richtig wie du es formulierst - das definiere ich auch so für mich.
Mal in ein schweres Gewitter gekommen oder einen Steinschlag erlebt zu haben, gehört für mich nicht dazu. Zumal - es bewegt sich ja kein normaler Mensch absichtlich in diese Situationen.

Als Wichtigstes in der Definition sehe ich, sich der im "Hochgebirge" allgemein vorherrschenden Gefahren und ev. speziellen Verhältnissen bewußt zu sein und Lösungen, Vorsichtsmaßnahmen etc. zu kennen.

Erfahrungen im alpinen Gelände kann man aber eben nur sammeln indem man sich irgendwann in diese Gebiete begibt. Dies sollte man natürlich Stück für Stück tun, also rantasten genauso wie beim Bergwandern.
 
Moin!

Wenn ich als Hamburger (und damit Flachlandtiroler) was dazu beitragen darf: Die Beschreibungen vor mir sind treffend, insbesondere von RedOrbiter und cschaeff. Ich bin seid Jahrzehnten immer wieder in den Alpen unterwegs, sei es auf Touren oder Rennen. Ganz früher beim Wandern. Da lernt man mit der Zeit die Gefahren kennen und zu bewerten. Dazu gehören auch Fehlentscheidungen, z.B. riskante Schneefeldüberquerungen. Sollte man einmal machen, dann nicht mehr. Lieber ein paar Meter Umweg, denn da wird das Leben wirklich eine "Wackelige Angelegenheit". Aber das muss man wohl selbst erfahren, wenn man nicht hören will. :(

Robert
 
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Moin! Ich bin seid Jahrzehnten immer wieder in den Alpen unterwegs, sei es auf Touren oder Rennen. Ganz früher beim Wandern. Da lernt man mit der Zeit die Gefahren kennen und zu bewerten. Dazu gehören auch Fehlentscheidungen, z.B. riskante Schneefeldüberquerungen. Sollte man einmal machen, dann nicht mehr.

Robert
Es heißt ja: Aus Schaden wird man klug. Bei deiner Schneefeldquerung hast du keinen Schaden genommen, würdest es dennoch nicht wieder tun. Ein anderer wird sich sagen: Ist das letzte mal gutgegangen, also riskier ich es wieder. Bei objektiv gleicher Gefahrenlage.

Alpine Erfahrung hilft lediglich dabei, das Risiko umfassender bewerten/einschätzen zu können. Insofern ist alpine Erfahrung keine Garantie dafür, gefährliche Situationen unbeschadet zu überstehen. Sie lässt einen die Gefahren früher erkennen. Ob man sich den Gefahren dann wirklich bewusst aussetzt, oder lieber den Rückzug antritt, ist auch ganz stark eine Charakterfrage (Spielernatur vs. Vollkaskomentalität).
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich behaupte von mir alpine Erfahrung zu haben und ich bin auch kein Nordlicht.

D.h. aber auch ich bin nicht frei von Höhenkrankheit bzw. massiven Höhenproblemen. Das ist eine Sache der Anpassung, bei den einen gehts schnell, bei anderen sehr sehr langsam. Über mehrere Tage oder ganz langsame Höhensteigerung. Schlechte Anpassung gepaart mit Anstrengung kann Totalausfall bedeuten. Der Umgang damit bedarf Erfahrung und Planung.

Im Übrigen tragen nicht nur Medien ihren Teil zur Überschätzung bei, auch örtliche Wanderwegsklassifizierungen oder Zeitangaben stelle ich manchmal sehr in Frage.
Aktuelles Beispiel Wanderung Dammkar in Mittenwald als Ersatz wegen Nichtdurchführung eines AX wegen Verletzungen. Steil, größtenteils lose und tief schottrig, Rinne... Abwärts stark begangen, da Auffahrt mit Bergbahn möglich ist. Ausgezeichnet als mittel bis einfacher Weg, leichtere (unten) und kürzerere Variante ca. 1200hm Abstieg. Für aufwärts Laufende stellenweise nicht ungefährlich, da durch Ungeübte, unsichere, leichtsinnige Wanderer oder auch durch Ausrutscher Steinrutsche ausgelöst werden können. Begegnet einem dann fast oben eine Gruppe, ausgerüstet mit weißen Plastikturnschuhen, offenen Wanderstiefeln etc. :eek: die auf dem besseren Teil des Weges bereits nur mit Hängen und Würgen vorwärtskommt :confused: kommt der Gedanke auf "wie wollen die da runter kommen" :spinner: es war ca. kurz vor 15Uhr

Die konnten überhaupt nicht abschätzen was auf sie zukommt, weder von der Wegbeschaffenheit, der Weglänge und der damit verbundenen benötigten Zeit, Kondition und Kraft, Gefährdung von anderen, Wetter und und und
Oben im 400m langen Verbindungstunnel zur Bergstation kam ein Vater mit Kind entgegen und fragte "Wo kommt man denn da raus?" :anbet::anbet:

Zur alpinen Erfahrung gehört auch dazu zu entscheiden

"wann kehre ich um" bzw.
"wann gehe ich nicht mehr weiter"
 
Ich will jetzt ja nicht korinthenkacken: Aber Erfahrung ist schlicht Erfahrung - siehe Wikipedia:
"Als Erfahrung wird zweierlei bezeichnet: im Einzelfall ein bestimmtes Erlebnis eines Menschen in Form eines von ihm selbst erlebten und damit selbst wahrgenommenen Ereignisses, oder allgemein – und dann im Sinne von „Lebenserfahrung“ – die Gesamtheit aller Erlebnisse, die eine Person jemals gehabt hat (ggf. einschließlich ihrer mehr oder weniger realitätsadäquaten Verarbeitung).[1]"

Was ich daraus mache - wie ich entscheide (analytisch, aus dem Bauch), was ich daraus mitnehme - die Transferleistung - hat nichts damit zu tun,
Welche Körperlichen Voraussetzungen habe ich - hat nichts damit zu tun,
Sonstige Charaktereigenschaften - hat nichts damit zu tun,
Wie "schlau" bin ich - hat nichts damit zu tun

"Oktoberfesterfahrung" - da gibt es Leute die waren da schon 100-mal und stürzen beim 101-Mal wieder ab. Die Erfahrung ist da....
 
D.h. aber auch ich bin nicht frei von Höhenkrankheit bzw. massiven Höhenproblemen. Das ist eine Sache der Anpassung, bei den einen gehts schnell, bei anderen sehr sehr langsam. Über mehrere Tage oder ganz langsame Höhensteigerung. Schlechte Anpassung gepaart mit Anstrengung kann Totalausfall bedeuten. Der Umgang damit bedarf Erfahrung und Planung.
Wird hier bei diesem Thema nicht etwas übertrieben? Es geht ja um Alpencross mit Pässen zwischen ca. 2000-3000m, da wird normalerweise niemand Höhenkrank. Skigbiete liegen auch oft in dem Bereich, mit tausenden Urlaubern aus dem Flachland. Die geringere Leistungsfähigkeit durch geringeren Sauerstoffgehalt der Luft in der Höhe sollten man natürlich bei der Tourenplanung beachten.

Mögliche alpine Probleme sehe ich durch ungewohnte Wetterbedingungen bzw. -änderungen und auch der Lichtverhältnisse. Wichtig sind auch eine realistische Tourenplanung und Übung in der Navigation/Kartenlesen; 1000Hm in ein falsches Tal abgefahren können zu einem großen Problem (Erschöpfung, Uhrzeit) werden.
 
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Eine (sehr liebenswerte aber auch sehr sehr unerfahrene) Person erzählte mir mal, dass sie unglaublich gerne mal auf den Mount Everest steigen würde. Sie würde schon nach Reiseverantstaltern suchen, die sowas anbieten. Auf meine Frage hin, ob sie denn überhaupt schonmal im Gebirge war, meinte sie "na klar doch, ich bin im doch im Weser Bergland aufgewachsen". Ob sie denn schonmal in den Alpen war, vielleicht mal zum Wandern auf über 1000müN? Nö. Ob sie denn wenigstens sonstige Erfahrungen mit Bergwanderungen habe? Nö. Ob sie denn vorhat, sich auf dieses Vorhaben gründlich vorzubereiten in den Alpen? Nö. Wäre auch gar nicht notwendig. Sie habe gehört, dass es da Sherpas gibt, die das Gepäck tragen und sich um alles kümmern. Und um den Rest kümmert sich ja der Reiseveranstalter. Daraufhin musste ich mal kurz den Raum verlassen, um meine Kinnlade wieder vom Boden zu kratzen und einzurenken.
Das ist leider kein Witz, das ist wirklich so passiert. Seitdem wundert mich sehr wenig von dem, was man in den Bergen in der Nähe von Parkplätzen und Liften beobachten kann.

Alpine Erfahrung würde ich auch aufgrund solcher "menschlicher" Erfahrungen schon bei ganz grundsätzlichen Dingen sehen:
- überhaupt mal in den Bergen gewesen sein. Es ist etwas vollkommen anderes, eine Filmdokumentation oder Postkarte von einem Berg zu sehen, oder davor zu stehen.
- aufgrund von eigenen Erfahrungen wissen, was ein "leichter" und was ein "schwerer" Wanderweg ist.
- die eigenen Fähigkeiten einschätzen können in Bezug auf "welche Art von Gelände kann ich mir zutrauen?", "wo bekomme ich Schwierigkeiten?", "(wie) kann ich mit für mich problematischen Situationen umgehen?"

Das sind zwar alles für die meisten hier Kindergarten-Theman, aber leider gibt es nicht zu wenige Menschen, die noch nicht mal solche einfachen Dinge abschätzen können. Wenn jemand nie draußen in der Natur ist, fehlt da einfach die ... Erfahrung.
Für die üblichen Insassen dieses Forums (zum Großteil Fahrrad-Nerds die mindestens einmal im Jahr in den Alpen sind) wird eine Standard AlpenX-Route und die alpinen Gefahren, die darauf zu erwarten sind, kein Problem darstellen. Geht es um Lieschen Müller, die normalerweise den Mainradweg mit ihrem Trekkingrad entlangfährt, und nun ihr erstes Mountainbike gekauft hat und bei einem kommerziellen Anbieter einen AlpenX bucht, schaut das wahrscheinlich schon ganz anders aus. Man muss einfach immer die Zielgruppe betrachten.

Danach kommen natürlich die etwas "fortgeschritteneren" Themen wie im Eingangspost angesprochen: unwegsames Gelände, Wetterumschwünge, Tourplanung, Wasserversorgung, etc.

Ich würde sagen, die praktische Erfahrung zählt umso mehr, umso grundlegender die Fragestellung ist. Einmal überhaupt in den Bergen gewesen zu sein und dort einen Wanderweg betreten zu haben kann man nicht mit Menschenverstand ersetzen. Wenn ein gewisser Erfahrungsschatz vorhanden ist, kann man viel mehr über den Verstand regeln. Beispielsweise Wasserversorgung: jemand, der nur im Pfälzerwald wandert geht davon aus, dass hinter jeder Ecke eine bewirtschaftete Hütte lauert. Jemand, der zumindest schon mal in den gut erschlossenen Teilen der Ostalpen war, weiß die Höhe der Berge einzuschätzen und dass man halt von einer Hütte zur anderen schon mal etliche lange Kilometer und Höhenmeter vergehen können. Sagt man jetzt demjenigen, der nur den Pfälzerwald kennt, dass es in abgelegenen Gegenden der Westalpen sehr eng werden kann mit dem Wasser, wird er einen auslachen, "geht schon" denken und trotzdem ohne Wasser loslaufen. Sagt man es dem Ostalpenkenner, wird er aus Erfahrung wissen, wie dumm das ist auf einem Berg weit entfernt von der Zivilisation zu stehen und Durst zu haben, und ausreichend zu Trinken einpacken.

Und ganz am Ende kommen natürlich noch die sehr fortgeschrittenen Themen:
- Gelände lesen können. Bei "nicht angelegten" Wegen auf Sicht bereits aus der Ferne gründlich überlegen, wie man durchkommt.
- Schneefelder oder Gletscher sicher queren bzw. wann lieber bleiben lassen.
- Material richtig auswählen. Wo brauche ich richtig festes Schuhwerk, wo reichen "5.10 Turnschläppchen"? In Bezug aufs Biken, wo sollte ich darauf vorbereitet sein, mein Fahrrad zerlegt an den Rucksack binden zu können? etc

Natürlich hilft das alles nicht, wenn man sich auf falsche Karten verlässt, die einem einen "leichten Wanderweg" und einen "flachen Übergang" neben einem kleinen Gletscher suggerieren, und dann steht man plötzlich kurz vor dem Übergang direkt im Randbereich eines steilen eisigen Gletschers, den man nur mit Steigeisen betreten könnte, und muss den gefährlichen weglosen Umweg über ein loses und noch steileres Geröllfeld wählen. Dummer Weise letztens passiert.
Auch das trägt nun zu meiner persönlichen alpinen Erfahrung bei: verlasse dich nicht nur auf Karten sondern recherchiere gründlich!

Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch immer diejenigen, die es gnadenlos übertreiben. Was besonders in der Nähe von Hotspots oder Aufstiegshilfen an teuerstem und gröbstem Material rumrennt ist schon teilweise lustig anzusehen. Da werden teils die steigeisenfesten 3kg Hochgebirgsstiefel auf dem Spazierweg vom Parkplatz zum Aussichtspunkt ausgeführt, am besten noch ungelenk mit den Wanderstöcken stochernd. Allerdings ist übertreiben meistens deutlich besser und gesünder als untertreiben. Besser so, als sich in Flipflops am nächsten Stein die Zehen blutig zu rempeln.

Ganz allgemein würde ich behaupten: es ist immer besser, wenn etwas übertrieben wird, in Hinblick auf notwendige Erfahrungen oder in Hinblick auf zu erwartende Gefahren. Vor allem bei Vorträgen über Veranstaltungen wie einen AlpenX. Dort sitzt eben oft auch Lieschen Müller, die nur den Mainradweg kennt.
Erfahrene Leute mögen das vielleicht lächerlich oder übertrieben finden.
Aber letztendlich ist es einfach stressfreier und gesünder für alle Beteiligten, wenn sich die Teilnehmer vor einem AlpenX zu gut vorbereiten. Ich glaube für einen Guide oder Anbieter gibt es nichts schlimmeres als mitten auf einer "anspruchsvollen" Route feststellen zu müssen, dass ein Teilnehmer absolut überfordert ist, und sich dadurch schlimmstenfalls in eine dumme Situation gebracht hat, aus der er weder vor noch zurück kann.
 
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Als ich das Thema eröffnet hab, dachte ich, dass wird bestimmt ein Rohrkrepierer.
Jetzt lese ich hier schon etliche sehr interessante und tiefgründige Beiträge, vielen Dank dafür!
 
@cschaeff Ich finde das Thema auch interessant, weil mich die ständigen Hinweise auf "alpine Erfahrung" schon immer nerven. Als ob jemand aus dem Flachland per se nicht geeignet für die Berge wäre.
Da wird ein bisschen übertrieben, denn den gesunden Menschenverstand sollte man auch im Alltag benutzen und nicht nur in den Bergen.

Da ich mit Touren in den Alpen begonnen habe, als es dieses Forum und auch 99% des übrigen Internets noch nicht gab, bin ich ganz froh, dass mich keiner verrückt machen bzw. verängstigen konnte.
Heute würde ich mir alpine Erfahrung natürlich zusprechen, obwohl ich mich für Ausnahmesituationen (schwerer Sturz mit Bergrettung) immer noch nicht genug vorbereite (z.B. mit den entsprechenden Tel.nummern).

Ich empfehle für Einsteiger, wenn mich jemand fragt:
Erst mal ein bis zwei fertige mittelschwere Touren aus den Bikebravos oder anderen seriösen Quellen nachfahren. So sammelt man Erfahrung und lernt seine Leistungsfähigkeit einschätzen. Dann kann man auch anfangen die eigenen Touren zu planen und sich die passenden Wege selbst zusammenstellen.
Eine geführte Tour ist kontraproduktiv, weil da alles fertig vorgekaut ist.

Wenn jemand ohne Vorbereitung auf den Mount Everest will, dann fehlt dem ein bisschen mehr, als nur alpine Erfahrung!
 
Wird hier bei diesem Thema nicht etwas übertrieben? Es geht ja um Alpencross mit Pässen zwischen ca. 2000-3000m, da wird normalerweise niemand Höhenkrank. .....

Höhenkrank nicht, aber hattest du schon mal Höhenprobleme? Das kann ausreichen
Morgens daheim starten auf 200m ü.NN, lange Autofahrt, am AX-Startort auf 1000m nach Mittag losfahren in knallender Hitze bis zum Rifugio auf 2400. Am andren Morgen aufstehen mit super starken Kopfschmerzen, Kreislauf ganz unten, schlecht, Durchfall........was machst du dann mit deiner Gruppe, ihr wolltet doch heut unbedingt wieder 2500hm fahren, ihr habt ja nur 5 Tage Zeit, da müßt ihr unbedingt weiter fahren :eek: und jetzt ist auch noch der Trail sehr verblockt und ausgesetzt......
 
Die erste Übernachtung auf 2.400 Metern ist sicher nicht empfehlenswert.
Da fehlte wohl etwas Erfahrung ...

Der kranke Kandidat kann dann vielleicht eine einfachere Alternative nehmen oder öffentliche Verkehrsmittel. Wenn das nicht geht muss insgesamt umgeplant werden. Sowas kommt immer mal vor aus verschiedenen Gründen (Pannen, Wetter, Krankheit).
 
Wenn jemand ohne Vorbereitung auf den Mount Everest will, dann fehlt dem ein bisschen mehr, als nur alpine Erfahrung!

Doch, dem fehlt genau das: Erfahrung in den Bergen. Einfach mal da gewesen sein und vor einem Berg gestanden haben. Das würde wahrscheinlich schon ausreichen, solche Flausen ganz schnell ad acta zu legen und ein wenig Respekt zu haben. Deswegen meine ich ja auch, dass meiner Meinung nach das Thema "alpine Erfahrung" mit ganzganz grundsätzlichen Dingen anfängt.
Wenn man sich immer mit den richtigen Leuten aufhält, die sich gerne in der Natur bewegen, glaubt man solche Geschichten kaum, ging mir auch so. Kein vernünftiger Mensch, der mal einen Berg live gesehen hat, würde auf solche Ideen kommen. Aber es gibt leider genug Leute, die Berge nur aus Fernsehen und Internet kennen. Auf dem Sofa schaut alles so easy aus. Diese Person, die auf den Everest wollte, ist ansonsten überhaupt nicht gaga im Kopf sondern ein intelligenter, studierter Mensch, und in allen anderen Bereichen des Lebens total übervorsichtig.
Und genau deswegen halte ich den Hinweis eines AlpenX Anbieters auf "alpine Erfahrung" selbst bei Pillepalle-Einsteiger-Touren eben nicht für übertrieben :)

Die erste Übernachtung auf 2.400 Metern ist sicher nicht empfehlenswert.

Pauschal nicht ganz richtig. Das ist sehr individuell und außerdem auch eine Sache der Gewöhnung und der Fitness. Ich bekam bei meinen ersten Alpentouren ab 2500 Meter immer Schnappatmung und konnte mich nur noch im Schneckentempo fortbewegen (Flachlandtiroler halt). Mittlerweile latsche ich ohne Probleme am ersten Tag in den Alpen auf ü3000 Meter hoch und merke davon... genau garnix. Aber nur, wenn ich fit bin. Wenn meine Fitness zu wünschen übrig lässt, bekomme ich Kopfschmerzen (aber keine Schnappatmung mehr).

Du hast aber Recht: mit Erfahrung könnte man sich selbst besser einschätzen. Aber selbst wenn man es vorher weiß: Die meisten Alpencrosser nehmen sich halt keine Zeit, da muss in einer Woche über die Alpen gehastet sein. Wo sollte man sich da akklimatisieren. Am besten ist die Veranstaltung dann halt auch noch kommerziell gebucht und die (große) Gruppe muss weiter, weil keiner einen Urlaubstag zu verschenken hat.

Für mich haut ein geführter AlpenX in dieselbe Kerbe wie die Sache mit der Everest Besteigung nur halt nicht ganz so krass. Heute ist alles ein "Event", den man "buchen" kann. Sich selber damit beschäftigen? Planen? Routen ausarbeiten? Schwierigkeiten abwägen? Eventuell sogar seinen eigenen Kram auf dem Rücken schleppen? Nö. Dafür gibt's ja Sherpas... ähm... einen Reiseveranstalter.
Auf diese Art und Weise kann man zehnmal über die Alpen fahren ohne ein Stück alpine Erfahrung gewonnen zu haben. Ist ja alles in kleine Häppchen geschnippelt, vorgekaut und auf dem Silbertablett serviert.
 
Das war jetzt ein fiktives Beispiel ;)
soll ja zeigen, dass auch ne ganze Gruppe von Erfahrung bzw. Einschätzung eines Einzelnen abhängig ist und zu ungeplanten Entscheidungen führen kann.

Meine Höhenprobleme passen immer so, dass ich auf der Hütte pausieren kann, bzw. wenn ich mich vom Gipfel runtergeschleppt habe, reicht mir die Höhe von der Hütte, damit es mir allmählich wieder besser geht. Allerdings sind meine Ambitionen auf höhere Gipfel nicht mehr so groß. Leider fehlts doch meist an der Zeit vorher für die Anpassung.
 
Hi,
in der heutigen Volkasko- und Spassgesellschaft, die gleichzeitig gerne noch leistungsorientiert daherkommt, werden natürlich Dinge wie "Alpine Erfahrung" gerne analysiert bzw. definiert.
Ich persönlich halte davon wenig und (bin seit über 50 Jahre intensiv in den Bergen unterwegs) meine, dass es heutzutage immer schwieriger wird, tatsächlich soetwas wie eine "echte Bergerfahrung" zu erreichen.
Ohne jemals wirklich an seine Grenzen gekommen zu sein (meine damit natürlich nicht, dass dies zum Alltag werden muss) ist es halt schwierig, einen intuitiven Umgang mit allen möglichen Unwegbarkeiten zu erlangen.

In der Gruppe ist das Ganze (war früher auch Jugendgruppenführen beim Alpenverein) natürlich durchwegs schwieriger, als wenn man nur für sich allein (habe einige hundert free solo Begehungen bis hin zum guten 6. Grad im Gebirge hinter mir) verantwortlich ist.
 
Für mich haut ein geführter AlpenX in dieselbe Kerbe wie die Sache mit der Everest Besteigung nur halt nicht ganz so krass. Heute ist alles ein "Event", den man "buchen" kann. Sich selber damit beschäftigen? Planen? Routen ausarbeiten? Schwierigkeiten abwägen? Eventuell sogar seinen eigenen Kram auf dem Rücken schleppen? Nö. Dafür gibt's ja Sherpas... ähm... einen Reiseveranstalter.
Auf diese Art und Weise kann man zehnmal über die Alpen fahren ohne ein Stück alpine Erfahrung gewonnen zu haben. Ist ja alles in kleine Häppchen geschnippelt, vorgekaut und auf dem Silbertablett serviert.

Das beobachte ich genau so! Viele wollen nur noch konsumieren und bitteschön das volle Programm minutiös ausgearbeitet bis in die letzte Sekunde. Und erleben ironischerweise wegen diesem Anspruchsdenken genau das nicht, weswegen sie eigentlich auch gebucht haben: Ein wenig Abenteuer, maximaler Abstand zum hektischen Alltag, Entschleunigung.
Ich will kommerziell organisierte Touren generell gar nicht verteufeln. Für Leute, die bislang einfach keine Gelegenheit hatten, die Berge selber kennenzulernen, sind geführte Touren eine super Möglichkeit, unter fachkundiger Anleitung erste Erfahrungen zu sammeln. Und derjenige, der fest entschlossen ist, beim nächsten Mal auf eigen Faust loszuziehen, wird vermutlich auch viel neugieriger und aufmerksamer dabei sein und nicht nur passiv konsumieren.
Das trifft jedoch leider für einen größer werdenden Teil nicht zu. Geld auf den Tisch legen und verlangen. Trophäen sammeln. Abends gleich bei facebook posten und der Welt verkünden: Ich hab alles erlebt (und nix begriffen...)
 
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