@dickerbert: Ich habe schon überlegt, ob ich einfach als PN antworten soll, da sich einige ja vor dem Jurakram zu ekeln scheinen. Aber ich antworte trotzdem hier, vielleicht interessiert es ja doch noch den ein oder anderen. Der Rest darf mich gerne ignorieren
Genau so läuft es. Wenn "Materialfehler" jetzt aber Produktionsfehler bedeutet, dann braucht man die Vermutungsregel überhaupt nicht. Denn wenn z.B. durch ein Gutachten nachgewiesen ist, dass alles auf einen Produktionsfehler zurückzuführen ist, ist die Sache ja klar: Dann muss der Mangel schon vor Gefahrübergang (nämlich direkt ab Produktion der Sache) vorgelegen haben.
Das ist so nicht ganz richtig. Die Mängelfrist wird rechtlich nicht ausgedehnt (also es ist nicht wie üblicherweise bei einer Garnatie, bei der auch Mängel erfasst sind, die nach Übergabe auftreten). § 467 ist nur eine Vermutungsregel - diese Vermutung kann wiederlegt werden. Aber je schwieriger etwas zu beweisen ist, desto eher kann das natürlich zu einer faktischen Verschiebung führen, sodass eben (aufgrund Beweisschwierigkeiten) auch Mängel erfasst sein können, die erst nach Übergabe auftreten.
Die Überschrift "Beweislastumkehr" ist nicht amtlich, stimmt aber trotzdem auch mit der BGH-Rechtsprechung überein. Denn auch das kehrt die Beweislast um - halt nur nicht so weit, wie die Literaturansicht.
Man muss ja im Normalfall vor Gericht immer alles beweisen, was für seinen Anspruch relevant ist.
Als Käufer muss ich also u.a. Beweisen, dass ein Mangel vorliegt. Das ist grob gesagt jede Abweishung der Ist- von der Soll-Beschaffenheit eines Produktet.
Zwei Beispiele: Kunde A geht in den Laden, kauft einen Fernseher, packt ihn daheim aus und merkt, dass der Bildschirm gebrochen ist. --> Mangel
Kunde B geht in den Laden, kauft ein Fahrrad, fährt damit, findet es dann doch nicht mehr so toll und schlitzt deshalb die Reifen auf. --> Mangel
Damit der Anspruch durchgeht muss dieser Mangel im richtigen Zeitraum entstanden sein, also beim Gewährleistungsrecht vor der Übergabe.
Bei Kunde A ist das rein tatsächlich der Fall. Vermutlich würde man ihm auch vor Gericht (Beweisfrage) glauben, dass der Mangel schon vor Übergabe da war. Aber der Händler könnte ja trotzdem sagen, der Käufer hat es selbst gemacht. Da hilft dann aber die Beweislastumkehr, die sagt, dass der Mangel vorher schon da war und der Verkäufer gerichtsfest das Gegenteil beweisen müsste.
Bei Kunde B war bei Übergabe alles in Ordnung, also rein tatsächlich ist es kein Gewährleistungsfall. Er wird aufgrund der Gebrauchsspuren auch niemandem klar machen können, dass der Mangel schon immer vorlag. Aber § 476 hilft ihm erstmal und schickt den Verkäufer in die Beweislast. Der kann den Beweis anhand der Gebrauchsspuren des Fahrens aber wohl relativ leicht führen. Kunde B bekommt also nichts ersetzt.
Also das sind zwei paar Schuhe (Mangel + Zeitpunkt). Beim BGH ist es eine Beweislastumkehr für den Zeitpunkt und bei der Literaturmeinung für beides.
Der BGH hat das glaube ich 2004 irgendwann zum ersten mal entschieden, sich danach selbst immer mal wieder auf das Urteil berufen, so wie auch in dem Urteil von Anfang 2014. Das ist dann die sog. "ständige Rechtsprechung". Daran kann sich etwas tun, ist aber unwahrscheinlich. Die Literatur kritisiert das schon die ganze Zeit, kommt aber mit ihren Argumenten wohl nicht durch. Aber so ist das in der juristerei, da ist oft ein Kampf zwischen der BGH-Rechtsprechung und der (teilweise absolut) herrschenden Lehre in der Literatur. Für den Rechtsanwender sind dann die Literaturstellen blöd, die ihre (vielleicht auch goldrichtige) Meinung sehr groß darstellen und vielleicht mal am Rande die entgegenstehende Meinung des BGH erwähnen. Denn das hilft natürlich in der Praxis wenig, wenn der BGH 99% anders entscheiden wird, als es in dieser Literaturquelle suggeriert wird... Also in Jura ist es also zumindest nicht unbedingt so, dass die Literatur immer blind dem hochrangigen BGH hinterher rennt
Finde es übrigens gut, dass du dich als BWLer (das schließe ich jetzt mal aus deinem BWL-Beispiel) so dafür interessierst. Ich finde es ist wichtig, da auch fächerübergreifend zu denken, denn mit Jura hat jeder zumindest mittelbar zu tun. Und wenn man es in der Wirtschaft immer nur so macht, dass man am Ende mal die Juristen (die von der dahinterstehenden technischen Materie etc. keinen Plan haben) drüberschauen lässt, kostet das unnötig Geld und führt häufig zu Problemen...
So, das war jetzt mal wieder sehr viel - aber zumindest dickerbert und micht interessiert das Thema ja...
Im Ergebnis: Der Käufer ist immer in der Beweislast! Die Beweislastumkehr betrifft den zeitlichen Rahmen und "funktioniert" folgendermaßen:
Reißt die Karkasse im 12. Monat nach Kauf und kann der Käufer nachweisen, dass der Riss auf einen Materialfehler (Grundmangel) zurück zu führen ist, der spätestens sechs Monate nach Kauf aufgetreten sein muss*, so wird gemäß 476 BGB davon ausgegangen, dass der Grundmangel (Materialfehler) bereits bei Gefahrübergang vorgelegen haben muss.
Das ist die Beweislastumkehr nach BGH Rechtsprechung.
Genau so läuft es. Wenn "Materialfehler" jetzt aber Produktionsfehler bedeutet, dann braucht man die Vermutungsregel überhaupt nicht. Denn wenn z.B. durch ein Gutachten nachgewiesen ist, dass alles auf einen Produktionsfehler zurückzuführen ist, ist die Sache ja klar: Dann muss der Mangel schon vor Gefahrübergang (nämlich direkt ab Produktion der Sache) vorgelegen haben.
Wie du schon anmerkst, die Literatur und auch der Wortlaut des 476 BGB widersprechen dieser Auffassung. Andererseits beruft sich der BGH auf Urteile von 2005, was dafür spricht, dass diese Praxis auch nichts neues ist und vom BGH nur bestätigt wurde. Ich bin kein Jurist, aber im BWL-Bereich verbreiten sich selbst in angesehenen Journals manche Sachverhalte wie ein Lauffeuer, ohne dass die Autoren über die Richtigkeit der Aussage nachdenken, sobald ein hochrangiger Name zitiert wird. Hier könnte der Ursprung des Fehlers in der (vielleicht inoffiziellen) Überschrift des Paragrafen 467 liegen? Denn eine Beweislastumkehr in dem Sinne wie sie in der Literatur vertreten wird, entspricht nicht der Rechtsprechung. Die Beweislast betrifft nach wir vor den Käufer und ist demnach keine Beweislastumkehr im Wortsinne. Der 476 stellt für Verbraucher lediglich eine erweiterte Mängelfrist von 6 Monaten dar anstatt rein auf den Gefahrübergang abzuzielen (wie im B2B).
Das ist so nicht ganz richtig. Die Mängelfrist wird rechtlich nicht ausgedehnt (also es ist nicht wie üblicherweise bei einer Garnatie, bei der auch Mängel erfasst sind, die nach Übergabe auftreten). § 467 ist nur eine Vermutungsregel - diese Vermutung kann wiederlegt werden. Aber je schwieriger etwas zu beweisen ist, desto eher kann das natürlich zu einer faktischen Verschiebung führen, sodass eben (aufgrund Beweisschwierigkeiten) auch Mängel erfasst sein können, die erst nach Übergabe auftreten.
Die Überschrift "Beweislastumkehr" ist nicht amtlich, stimmt aber trotzdem auch mit der BGH-Rechtsprechung überein. Denn auch das kehrt die Beweislast um - halt nur nicht so weit, wie die Literaturansicht.
Man muss ja im Normalfall vor Gericht immer alles beweisen, was für seinen Anspruch relevant ist.
Als Käufer muss ich also u.a. Beweisen, dass ein Mangel vorliegt. Das ist grob gesagt jede Abweishung der Ist- von der Soll-Beschaffenheit eines Produktet.
Zwei Beispiele: Kunde A geht in den Laden, kauft einen Fernseher, packt ihn daheim aus und merkt, dass der Bildschirm gebrochen ist. --> Mangel
Kunde B geht in den Laden, kauft ein Fahrrad, fährt damit, findet es dann doch nicht mehr so toll und schlitzt deshalb die Reifen auf. --> Mangel
Damit der Anspruch durchgeht muss dieser Mangel im richtigen Zeitraum entstanden sein, also beim Gewährleistungsrecht vor der Übergabe.
Bei Kunde A ist das rein tatsächlich der Fall. Vermutlich würde man ihm auch vor Gericht (Beweisfrage) glauben, dass der Mangel schon vor Übergabe da war. Aber der Händler könnte ja trotzdem sagen, der Käufer hat es selbst gemacht. Da hilft dann aber die Beweislastumkehr, die sagt, dass der Mangel vorher schon da war und der Verkäufer gerichtsfest das Gegenteil beweisen müsste.
Bei Kunde B war bei Übergabe alles in Ordnung, also rein tatsächlich ist es kein Gewährleistungsfall. Er wird aufgrund der Gebrauchsspuren auch niemandem klar machen können, dass der Mangel schon immer vorlag. Aber § 476 hilft ihm erstmal und schickt den Verkäufer in die Beweislast. Der kann den Beweis anhand der Gebrauchsspuren des Fahrens aber wohl relativ leicht führen. Kunde B bekommt also nichts ersetzt.
Also das sind zwei paar Schuhe (Mangel + Zeitpunkt). Beim BGH ist es eine Beweislastumkehr für den Zeitpunkt und bei der Literaturmeinung für beides.
Der BGH hat das glaube ich 2004 irgendwann zum ersten mal entschieden, sich danach selbst immer mal wieder auf das Urteil berufen, so wie auch in dem Urteil von Anfang 2014. Das ist dann die sog. "ständige Rechtsprechung". Daran kann sich etwas tun, ist aber unwahrscheinlich. Die Literatur kritisiert das schon die ganze Zeit, kommt aber mit ihren Argumenten wohl nicht durch. Aber so ist das in der juristerei, da ist oft ein Kampf zwischen der BGH-Rechtsprechung und der (teilweise absolut) herrschenden Lehre in der Literatur. Für den Rechtsanwender sind dann die Literaturstellen blöd, die ihre (vielleicht auch goldrichtige) Meinung sehr groß darstellen und vielleicht mal am Rande die entgegenstehende Meinung des BGH erwähnen. Denn das hilft natürlich in der Praxis wenig, wenn der BGH 99% anders entscheiden wird, als es in dieser Literaturquelle suggeriert wird... Also in Jura ist es also zumindest nicht unbedingt so, dass die Literatur immer blind dem hochrangigen BGH hinterher rennt
Finde es übrigens gut, dass du dich als BWLer (das schließe ich jetzt mal aus deinem BWL-Beispiel) so dafür interessierst. Ich finde es ist wichtig, da auch fächerübergreifend zu denken, denn mit Jura hat jeder zumindest mittelbar zu tun. Und wenn man es in der Wirtschaft immer nur so macht, dass man am Ende mal die Juristen (die von der dahinterstehenden technischen Materie etc. keinen Plan haben) drüberschauen lässt, kostet das unnötig Geld und führt häufig zu Problemen...
So, das war jetzt mal wieder sehr viel - aber zumindest dickerbert und micht interessiert das Thema ja...