Ich hab das für mich zwei mal ausprobiert. Zwei (eigentlich vier) nahezu identische Rahmen, einmal Kurz, einmal lang. Im Detail heisst das 3 cm Unterschied in der Oberrohrlänge und im Radstand, die durch den Vorbau fast wieder ausgeglichen wurden. In einer weiteren Fahrt wurde der Abstand mit der Sattelstellung komplett ausgeglichen.
Mein Fahrtprofil enthält Tagestouren in dem Mittelgebirgen, im Schnitt mit 45 km 1000 Hm und Alpentouren mit 36 km 1400 Hm, bis maximal 75 km mit 2200 Hm. So manches Mal geht es 4-6 Stunden am Stück im ersten Gang nach oben. Die Touren finden selten auf vorgegebenen Strecken statt, als so eine Art Spontantouren auf Neuland. Ich liebe Singletrails, steil und kurvig, mal langsam, mal schneller. Manchmal lass ich es auch laufen, sehr selten bin ich im Bikepark. Soll heissen: ich mag den Allgäu genauso wie den Coast Trail, liebe die Single-Trails in Sölden genau wie Port de Soleil.
Tja und was soll ich sagen, lang gegen kurz? Gerade in den Mittelgebirgen ist der Unterschied auf Touren marginal.
Das Longbike läuft tatsächlich laufruhiger bergab, aber der Unterschied ist wirklich winzig. Um Hier Vorteile für mich herauszuziehen müsste ich mein Tourenprofil verändern und nur noch fast gerade Strecken ballern. Oder mit Lift und Shuttle. Marketing Juhu oder ich bin einfach zu langsam. Oder gefühlskalt. Oder alles drei.
Ausser in wirklich sehr sehr engen Kurven geht es auch nicht schlechter um eben diese herum. Da müssten es schon aneinander gereihte Haarnadelkurven sein, wie oberhalb der Kuhgehrenalpe. Da muss man stellenweise Umsetzen und dann ist es wieder egal, ob lang oder kurz. Hat man eher selten ist also auch kein Entscheidungskriterium.
Ich dachte für mich wäre die nach vorne verlagerte Radachse in steilen und ruppigen Passagen besser, weniger Überschlagsgefühle, sicherer Fahrweise. Ist es auch, keine Frage.
Im Gegensatz dazu braucht es aber "mehr Druck auf dem Vorderrad", also Schultern mehr über den Lenker und Schwerpunkt nach vorne. Kann man sich dran gewöhnen, nein man muss, denn das VR rutscht gerne in Kurven mal weg. Muss man sich einfach etwas umstellen, kein Problem.
Doch eines hätte ich nicht erwartet: die Entscheidung fällt bergauf!
Durch die modernen Geos mit steilem Sitzwinkel, flachem Lenkwinkel und kurzem Sitzabstand (
Sattel zu Lenker) lenken die Bikes viel kippliger und nervöser. Dazu der kurze Vorbau. Man fährt quasi immer leichte Schlangenlinien, selbst schon mit 60mm Vorbau. Touren, auf denen man sich langsam über unwegsames Gelände und Singletrails nach oben schraubt, verlangen mit langer Geo und Vorbauten unter 40mm schon mächtig Konzentration um die Spur zu halten. Und hier zeigt sich dann der extreme Unterschied: die Forward Geo ist so zappelig, dass es schon nervt. Bei 30 Minuten Auffahrt auf einem Feldweg kann ich damit leben, aber stundenlang auf Karrenwegen oder Singletrails sich nach oben schlängeln, im wahrsten Sinne des Wortes? Nein danke.
Auch das habe ich für mich ausprobiert: 75er, 60er und 50er Vorbau auf dem gleichem Rad (901). 50 ist zu nervös um damit langsam zu fahren, gerade bergauf, 60 geht, 75 ist schön ruhig und ich kann im Donwhill keine Nachteile zu 50 feststellen. Bei der kurzen Geo kann man mit längeren Vorbauten experimentieren, bei der langen Geo ist bei 40-55mm Schluss.
Resümee für mich: ich sehe die Vorteile in der Abfahrt, sind auch sicher angebracht. Spritzige Spassbikes für kurze und schnelle Runden vor der Haustür auf vorher geplanten Routen, Feldweg hoch - Singeltrail runter, sowie gelegentliche Parkeinsätze. Ich kann anscheinend diese Vorteile zu wenig nutzen.
Für lange Enduro / FR Touren stelle ich das mal in Frage, denn dort überwiegen für mich die Nachteile. Ich bin auch nicht auf Zeit unterwegs, brauche daher keine "Race" Geo, ausser es bringt mir Vorteile in der Reichweite.
Sicherlich sieht das gleich jemand völlig anders. Das interessiert mich aber nicht, denn ich habe das für mein jetziges Anwendungsgebiet mit meinem Gewicht und meiner Kondition probegefahren, analysiert und entschieden. Was ich schreibe ist auch kein Gesetz, das für alle ausnahmslos Geltung hat, sondern eine Erfahrung, die ich zu Erfahrungsaustausch mitteile, um bei persönlichen Entscheidung anderer Fahrer zu helfen möglichst alle Eventualitäten zu berücksichtigen.