Rosenmontag, Nordbaden, alle Umzüge abgesagt, die Leber in Rekonvaleszenz. Draußen, eine Herausforderung für Drei-Wetter-Taft – also ab in die Werkstatt und ein paar Eindrücke des Steppenwolf LTD Pro gesammelt.
Vorab: Ich war ja eigentlich auf der Suche nach einem Touren-Fully in 27,5“. Ich sah vor mir endlose Weiten, aber durch intensives Nicht-Training drang ich mittlerweile gewichtsmäßig in Galaxien vor, die ich als Mensch nie zuvor gesehen hatte. Also sollte das Bike zu guten Vorsätzen Anreiz bieten, tourenorientiert und stabil sein. Da ich aus dem Motorradsport komme, ist Schrauberei nicht das Problem und somit der Versender per se kein abschreckendes Argument bei einer Kaufentscheidung. Nach Sichtung des Angebots im direkten Vertriebsweg kam mir aus grauer Erinnerung die Marke Steppenwolf in den Sinn, die doch eigentlich die von mir gesetzten Vorgaben von je her bestens erfüllt hatte. Ohne Wissen über Insolvenz-MiFa-Insolvenz-… fragte ich bei Google nach und fand besagtes Tyler LTD Pro, über das ich kurz das berichten möchte, was nicht in der offiziellen Spezifikation steht:
Optik: Bisher vertrat ich den subjektiven Standpunkt, daß es zwei Sorten 29er gibt: die hässlichen und die besonders hässlichen. Da das Fahrrad jedoch für Feierabendrunden taugen soll, große Räder gut rollen und der oberrheinische Grabenbruch jetzt nicht unbedingt aufgrund seiner alpinen Erhebungen Furore macht, finde ich das Tyler nun subjektiv doch ganz gelungen. Die Formensprache ist stimmig, das heruntergezogene Oberrohr fließt mit Versatz in die Kettenstreben des Hinterbaus. Farben sind Geschmackssache, aber der Lack ist sauber und gleichmäßig aufgetragen. Einzig die Umlenkung kann man auch bei größtem Wohlwollen nicht als filigran bezeichnen – dafür ist sie hoffentlich verwindungssteif. Dennoch habe ich insgesamt schon weit weniger Ansprechendes gesehen. Ich hab´s gekauft, was soll ich auch anderes schreiben.
Rahmen: Dieser besteht, abgesehen von Steuer- und Sattelrohr, aus mehrfach geformten Kastenprofilen mit soliden Querschnitten und wurde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht von einem Schüler Kalle Nicolais verschweißt. Die Schweißraupen sind teils ungleichmäßig in Führung und Materialauftrag. Sie schwanken zwischen Lehrmeister und erstem Lehrjahr. Aber das ist kein Custombike - für den Einsatzbereich ist das unkritisch und in Anbetracht von wahrscheinlicher Herkunft und Preis des Bikes zu verschmerzen und einigermaßen normal, aber halt nicht hübsch. Die verbauten Gelenklager sind, soweit ersichtlich, allesamt gedichtete Industrielager mit ordentlicher Dimensionierung. Über die Dauerhaltbarkeit gibt’s hier noch keine Aussage. Steuerlager und PressFit-Innnenlager kommen von FSA. Abgesehen von
Reverb- und Dämpferfernbedienung sind alle Züge im Rahmen verlegt. Die Außenzüge sind mit Scheuerschutz versehen und ein Kettenstrebenschutz ist serienmäßig.
Zur Steuerzentrale: Schaltung und
Bremsen sind mit i-Spec-Schellen verschraubt, und das ist gut so. Erstens sind die Hebel so griffgünstig positionierbar und zweitens bleiben die Remoteschalter für Dämpfer und Sattelstütze gut erreichbar. Die verbauten Schraubgriffe bieten guten Halt, sind für große Hände aber etwas dünn. Der Easton-Lenker ist reichlich breit, ohne Erhöhung, aber mit Backsweep und bietet eine gute Kontrolle über das Tyler. Der Vorbau ist typischerweise kurz und setzt den Fahrer kompakt ins Bike. Zusammen mit den langen Kettenstreben erwarte man nicht unbedingt einen Ausbund an Agilität. Der
Sattel ist von SDG-U.S.A. - diese Firma sagte mir bisher überhaupt nichts. Aber das große Netz sagte mir, daß die halbe Gravity-Weltelite ihre Hintern darauf bettet (so sie denn jemals sitzt). Wir werden sehen… ähm fühlen was die ersten Ausfahrten an eindrücklichem hinterlassen.
Üppigeres als die verbauten 2,25“ Nobby-Nic´s ist wohl nicht zu verbauen. Die Hinterbauschwinge bietet kaum mehr Freiheit für breitete
Reifen.
Anbauteile: Da eine komplette XT-Gruppe verbaut ist, muß man sich a.) keine Sorgen über Haltbarkeit und Qualität machen, b.) ist das ein Kaufargument in Anbetracht des aufgerufenen Preises und c.) braucht man eigentlich keine weiteren Worte verlieren - oder finden - oder was? Nur ganz kurz: es sind normale Sinterbeläge, keine IceTech verbaut.
Bezüglich des Fox-Fahrwerks bedarf es wohl auch keiner Erläuterung. Man sollte jedoch erwähnen, daß die Talas mehr Aufwand in Service und Pflege bedeutet. Bisher habe ich Gabeln selbst gewartet, aber hier lasse ich wohl die Finger davon. Der Dämpfer verlangt (je nach Körpergewicht) hohen Druck.
Die Runden, Gespeichten liefert
DT Swiss. Sie haben 6-Loch Bremsaufnahmen, sind geöst und Schraubachsen vorn wie hinten. Und das Beste: deren Freilauf klingt einfach wunderbar, wie ein Gruppe-A-Sportauspuff unter den Laufradsätzen. Für einen ähnlichen schönen, aber weit dezenteren Sound brauchte mein 26“-Fulcrum-LRS mehr als 600km. Für Haftung sorgen zwei
Schwalbe Nobby Nic in EVO-Ausführung.
Alles in allem ist das Tyler ein stabiles, sehr gut ausgestattetes Touren-Fully für einen günstigen Preis, das m. M. n. eine Probefahrt verdient. Ich denke genau das soll es auch sein - und das war auch genau das was ich wollte. Nur das angegebene Gewicht glaube ich denen von Steppenwolf nicht, aber geringes Gewicht und Leichtbau hat ja, soweit ich erinnere, auch keinerlei Tradition bei Steppenwolf. Und schon passt´s wieder zu mir.