Systemintegration hat viele verschiedene Gesichter. Während die einen Hersteller versuchen, durch Eigenentwicklungen das ideale Bike zu bauen – ein zweifellos ehrgeiziges, vielleicht auch deshalb oft scheiterndes Ziel – , versuchen andere, in Zusammenarbeit mit den Herstellern das Beste aus allen Welten zu vereinen.

Zur zweiten Gruppe zählt auch Scott. Vor mittlerweile einigen Jahren haben die Schweizer angefangen, Kompletträder zu entwickeln, die in sich perfekt abgestimmt sind. Angefangen von den Farben und Decals bis hin zu speziellen Komponenten für spezielle Bikes.

Es ist Anfang Mai und langsam aber sich nimmt der Raum bei Scott im schweizerischen Givisiez Form an. Rad für Rad wird abgestellt und rechtzeitig für die ersten Presseveröffentlichungen steht die komplette 2010er Produktpalette in den Startlöchern. Wir haben Mai. Ende Juni bin dann auch ich an der Reihe – zusammen mit vielen anderen Pressevertretern aus Europa, darunter Andreas Sawitzki vom Pedaliéro, wandle ich durch die schick gestalteten Hallen von Scott und begutachte, was es alles an Neuigkeiten zu verkünden gibt. Und Scott hat sich nicht lumpen lassen.

Das Programm für die drei Tage vom 24. bis zum 26. Juni ist vollgestopft und bietet einerseits Präsentationen und Vorträge, andererseits jedoch auch die Gelegenheit mit den verschiedenen Mitarbeitern und Teamfahrern in Kontakt zu kommen und was am wichtigsten ist: Scott hat die größten Neuheiten für 2010 als große Flotte zusammengestellt und es gibt Touren, Bikeparkausflüge und einen Shuttleservice, Donnerstag Abend dann auch noch ein Open Air Kino und um alles herum schönstes Schweizer Bergpanorama. Perfekte Grundvoraussetzungen liefert darüber hinaus die geniale Dirtjump- und Pumptrackanlage direkt auf dem Firmengelände, sowie die Mechanikerteams von Sram, DT Swiss und Fox sowie das World Cup Team Scott 11 um Nick Beer.

In diesem ersten Teil des Berichts dreht sich alles um das Scott Genius. Als innovative Kreuzung eines CC-Bikes mit dem Federweg, Reserven und Komfort eines Allmountain Bikes geboren geht das Bike erneut verfeinert ins Jahr 2010. Die Veränderungen für den neuen Jahrgang haben dabei vor allem im Detail stattgefunden – der Rahmen bleibt weitestgehend, wie er ist. Zugelegt hat Scott jedoch bei den Federgabeln.

Fox stellt die bekannte 150mm Version der 32er Serie bereit und Rock Shox hat mit der neuen Revelation genau die passende Gabel im Programm, um mit den 150mm Federweg am Hinterbau gleichzuziehen. Nach wie vor gibt es auch die DT Swiss EXC150. Selbstredend sind alle drei Gabeln absenkbar und vielfältig blockierbar. Und genau hier versteckt sich die größte Veränderung: Scott bringt den Twinlok-Hebel.

http://videos.mtb-news.de/videos/2/2/0/4/3/_/video/TwinLockmp4.m4v: im IBC TV ansehen

Lock ist klar – eine Blockierung. Wofür Twin steht? Im Sinne einer konstruktiven Systemintegration wird es ab dem Modelljahr 2010 an den Scott Bikes möglich sein, den Hinterbau und die Gabel gemeinsam entweder komplett offen, in einem Traction Mode, oder aber komplett blockiert zu fahren. Wer Scott kennt, weiß, dass diese Funktion schon seit längerem für den Hinterbau zur Verfügung stand und die langen Federwege Spark und Genius kontrollierte – der Fahrer bei der Gabel jedoch immer noch selbst Hand anlegen musste. Nun kann mittels eines Hebels das gesamte Fahrwerk verstellt werden und das sehr präzise und leichtgängig, vor allem aber zuverlässig. Bei den Rock Shox und DT Swiss Gabeln kann die standardmäßige Zuganlenkung verwendet werden, während Fox ein komplett gekapseltes, sehr kompaktes System bereitstellt.

Wie sich das ganze auf dem Trail fährt? Noch nie zuvor bin ich ein Scott Genius gefahren und war vom ersten Augenblick an sehr überrascht. Absolut untypisch ließ ich mir von den Scott Mechanikern meine Flatpedals montieren, da ich vorhatte, das Bike auf Herz und Nieren zu prüfen. Zum Vergleich: Ein Cannondale Prophet hat 140mm Federweg und steckt auch kernige Downhills mit beeindruckender Lässigkeit weg und rein nominell habe ich von 150mm eine nochmals besser Performance erwartet. Doch schön der Reihe nach. Mein Bike in Größe M hatte nicht nur die brandneue Rock Shox Revelation Air U-Turn 2010 im Steuerrohr stecken, sondern auch an jeder erdenklichen Stelle die ebenso neue Sram XX Gruppe, die als 2×10 Gang Schaltung die neue Referenz im Racesegment werden soll. Bereits in der Hand fällt das extrem niedrige Gewicht auf und auf dem Weg zu den ersten Trails vermittelt das komplette Bike den Eindruck, keine Grenzen zu kennen.

Federleicht lässt sich das Bike auch mit voll aktivem Fahrwerk den Berg hinauf bewegen und mit ebenso großer Leichtigkeit geht es auch bergab. Die Sitzposition ist sehr ausgewogen und der breite Lenker vermittelt viel Kontrolle. Diese Kontrolle wird auch dadurch erreicht, dass alle Rahmen ein relativ kurzes Steuerrohr mit integrierten Steuersätzen haben, was auf angenehme Art und Weise die Front tief hält, obwohl eine lange Gabel verbaut ist. Vom Gefühl her ist klar, dass hier kein aufgeblasenes CC-Fahrwerk seinen Dienst tut, sondern ein genau abgestimmtes System. Hier spürt man sinnvolle Systemintegration, denn vor jedem Anstieg verwandelt sich das Bike per Twinlok Hebel in ein effizientes Racebike und schluckt doch bergab im offenen Modus fast alles, was sich im in den Weg stellt.

In Anbetracht der Gesamtauslegung und des Gewichts muss dabei aber auch klar sein, dass das Bike mit den schwereren Federwegsgenossen kaum zu vergleichen ist. Die Sitzposition ist nach wie vor sportlich und man kann das Genius zwar auch durch Steilkurven und über Jumps manövrieren, ohne sich vollkommen deplatziert zu fühlen – der eigentliche Einsatzbereich ist das jedoch nicht. Viel mehr will das Genius ein komfortabler Gleiter sein, den Bergauf kaum einer schlagen kann und der trotzdem bergab all jenen, die bergauf noch folgen konnten, das Hinterrad zeigt. Somit definiert das Bike eine vollkommen neue Zielgruppe, einen Biker, der sich nicht zwischen Up- und Downhill festlegen will. Im Gegensatz zu vielen anderen Zwittern beherrscht das Rad jedoch den Spagat zwischen zwei Welten, ohne sich zwischen die Stühle zu setzen.

Bilder vom Scott Genius LTD:

Optisch setzt sich die Systemintegration bei der gesamten 2010er Palette weiter fort. Rock Shox und Fox liefern die Gabeln mit passenden Decalsätzen und die DT Swiss Laufräder sind farblich perfekt auf den jeweiligen Rahmen abgestimmt. So wirkt die gesamte Produktfamilie sehr stimmig und edel, was sich bei den neuen Produkten fortsetzt. Besonders das Genius Limited mit einem rekordverdächtigen Seriengewicht von 10,5kg (ohne Pedale) zeigt hier die Grenzen des derzeitig möglichen.

Was bedeutet also sinnvolle Systemintegration? Mit Sicherheit ist dieser Punkt strittig, doch gibt es einige grundlegende Annahmen, die für jeden, der sich auch nur etwas näher mit der Thematik auseinandersetzen wird, einleuchtend sein dürften. Es gibt momentan keinen Hersteller in der Bikewelt, der das Rad neu erfinden kann. Wohl aber gibt es viele Hersteller, die in ihren speziellen Produktbereichen deutliche Fortschritte erzielen. Und genau hier setzt die „sinnvolle Systemintegration“ an. Sie behält die bekannten Standards bei und bündelt die Kompetenzen von verschiedenen Unternehmen in einem sehr gut abgestimmten Produkt. So steuert jeder das angepasst Produkt, dass er am besten herstellen kann, bei und trägt so seinen Teil zu einem besseren Fahrrad bei. Warum eigene Laufräder bauen, wenn die von DT Swiss schon hervorragend sind? Warum eigene Antriebskomponenten entwickeln, wenn Sram ohnehin den Trend vorgibt? Kann die eigens entwickelte Federgabel wirklich besser arbeiten als eine Fox oder Rock Shox Gabel? Könnten nicht also einfach diese Firmen die passende Gabel mit ihrem Fachwissen bereitstellen? In diesen Schemen funktioniert Systemintegration und bietet allen Herstellern außerhalb des Systems, an den Fortschritten und Entwicklungen Teil zu haben, ohne wiederum alles selbst entwickeln zu müssen.

Natürlich ist mit dem Twinloc-System noch lange nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Interessant wäre noch eine Erweiterung des Systems zum Triloc-System, dass auch noch die Höhe der Variosattelstütze an den Federweg anpasst… nur so als Denkansatz.

Einziger Haken wäre, dass wohl irgendwann dann das Kabelgewirr nicht mehr kontrollierbar ist. Schon jetzt ist an einem neuen Scott Rad so mancher Meter Zug verlegt. Andererseits schlummert hier dann auch ein enormes Gewichtssparpotential…

Im Zuge der kontinuierlichen Verbesserungen wurden bei Scott auch die Softgoods überarbeitet. Nach wie vor ist der Fuga Helm das Topmodell für sowohl Rennradfahrer als auch Mountainbiker. Persönlich habe ich noch keinen Helm gesehen und vor allem nicht gefahren, der den Wind freier unter den Helm strömen lässt und trotzdem vermittelt der Helm einen soliden Eindruck. Wie gehabt kommt er darüber hinaus mit magnetischem Visier, dass sich in zwei Positionen arretieren lässt und im Falle eines Unfalls weder brechen noch ausreißen kann. Kleinere Verbesserungen gab es auch bei den Schuhmodellen, wo besonders eine neue Einlegesohle erwähnenswert ist, die den Mittelfuß spreizt und so die Durchblutung fördert und Verspannungen vorbeugt. In dieser Einlegesohle ist auch die Fußgewölbestütze verstellbar, was es dem Fahrer ermöglicht, den Schuh nachhaltig auf die eigenen Bedürfnisse einzustellen. Wie gehabt verwendet Scott bei den Topmodellen eine X-Förmige Sohle, die für besonders viel Grip sorgt sowie zwei Gummimischungen, um sowohl im Nassen, als auch auf Steinen nicht aus dem Tritt zu kommen.

Selbstredend wurden bei Scott auch die Bekleidungslinien einer Modellpflege unterzogen, doch habe ich mich eher auf die Bikes konzentriert, vor allem auf das neue Scott Voltage FR, dem sich der zweite Teil dieses Berichts widmen wird. Auffällig war schon hier die sehr gute Qualität der verschiedenen Artikel. Feine, angenehm zu tragende Stoffe in Verbindung mit guten Schnitten sind charakteristisch für die Kleidungsstücke.

Damen:

Herren:

Neue Farben und Ausstattungen gibt es in jedem Fall auch für Spark, Scale und den Rest der Genius Palette:

Scale:

Spark:

Genius:

Die Preise dieser Schönlinge sind mir leider nicht bekannt, doch das Preisniveau von Scott dürfte allseits bekannt sein. Interessant ist die Preisgestaltung beim neuen Voltage FR, doch dazu morgen mehr.

Die Bilder stammen von Hansueli Spitznagel, Will Walker und Tobias Stahl. Das Video ist direkt von Scott.

Teil 2 des Beitrags

  1. benutzerbild

    eiri

    dabei seit 01/2008

    Das ist leider nicht billiger (gleicher Preise als in 2009) für einer Limited dan in 2009:

    * Talas Gabel für den DT Swiss in 2009
    * Keiner Pedalen (Crankbrothers 4Ti in 2009)
    * 10,55kg (10,20kg in 2009)

  2. benutzerbild

    sven1

    dabei seit 04/2002

    Das ist leider nicht billiger (gleicher Preise als in 2009) für einer Limited dan in 2009:

    * Talas Gabel für den DT Swiss in 2009
    * Keiner Pedalen (Crankbrothers 4Ti in 2009)
    * 10,55kg (10,20kg in 2009)

    Na ja, soweit ich weiß hatte das Limited 2009 aber auch eine UVP von 8800 Euro. Insgesamt ist Scott mit den Preisen zum Teil schon deutlich runtergegangen (Spark Limited 1000 Euro günstiger bei vergleichbarer Ausstattung, Spark RC 100 Euro günstiger bei besserer bzw. teurerer Ausstattung)
  3. benutzerbild

    Deleted 68079

    dabei seit 12/2015

    Die Begründung für die Preisreduzierung bei Scott ist doch ganz einfach: in Zeiten einer weltweiten Wirtschaftskrise verkaufen sich Räder über 5000 Euro ganz einfach nicht mehr so wie früher. Dafür müssen die zukünftigen Scott-Besitzer mit einer "geringfügig" minderwertigeren Ausstattung leben. Ein Genius 10, Spark 10 und Scale 10 wird im Jahre 2010 beispielsweise "nur" noch mit einer XT-Kurbel ausgeliefert....

  4. benutzerbild

    Groudon

    dabei seit 09/2008

    Weiß jemand, ob es den Scott Scale 40 Rahmen aus OHNE Cantisockel einzeln geben wird? Würde mir gerne den Rahmen einzeln kaufen - jedoch ohne diese hässlichen Cantis.

  5. benutzerbild

    flowbike

    dabei seit 10/2005

    Kann eventuell jemand etwas zu den an den Genius des Jahres 2010 verbauten LRS sagen? Mich würde insbesondere der DT Swiss XR 15 am Genius 10 interessieren. Irgendeine Ahnung, ob die Bezeichnung "15" eventuell ein Hinweis auf des Gewicht (1500 Gramm?) sein könnte?
    Der thread hier ist zwar schon etwas älter, aber vielleicht fängt ja noch jemand was mit meiner Info an. Ich hatte selber die Gelegenheit einen LRS aus dem Genius MC 10 zu erwerben.
    folgende Komponenten sind verbaut (offizielle Info von Scott):
    Felgen Dt Swiss XR400, Naben Dt Swiss 340 Classic (vorne mit 15er Steckachse)
    Speichen Dt SuperComp, Nippel DT Pro Lock Alu, Gewicht im Set 1700 gr. ohne Spanner.

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