Seit einigen Jahren halten sich in der Bike-Branche nur zwei Trends wirklich dauerhaft, und sie folgen beide den gleichen Prinzipien, nämlich denen des kontinuierlichen Wachstums. Da wäre zum Einen, was den Fahrstil der Piloten angeht, das Motto: Höher, weiter, gefährlicher. Zum Anderen, was die Boliden dergleichen betrifft, die Devise: Bigger is better, oder – sagen wir es doch mal auf Deutsch – auf die Größe kommt es an! XXL eben.

Lenkerspezial
# Lenkerspezial

An dieser Stelle werden zwar einige, die möglicherweise einen Kleinen haben, jetzt schreien: „Aber die Technik, die Technik!“, nur im Endeffekt zählt die Größe eben doch. Ganz egal welches Teil eines Fahrrades man sich anschaut – nichts – was über die Jahre hinweg nicht gewachsen wäre: Haben vor zehn Jahren noch 8cm Federweg gereicht, um Downhill zu fahren, müssen es jetzt mindestens 20cm sein; die 1 1/8″ Steuerrohre werden langsam aber sicher durch mehr oder weniger deformierte Coladosen ersetzt und Scheibenbremsen sind von Desserttellerchen zu Pizzageschirr gewachsen. Der Lenkerdurchmesser ist von „schmächtigen“ 25,4mm auf „stattliche“ 31,8mm angewachsen.

Damit wären wir auch schon beim Thema: Lenker.

Lenkerspezial3
# Lenkerspezial3

Ihr wollt es genauer? Okay: Lenkermaße.

Lenkerspezial4
# Lenkerspezial4

Die Entwicklung der Lenkerbreiten

Ein Maß, das über die Jahre fast konstant geblieben ist, wächst seit einigen Monaten förmlich über sich hinaus: die Lenkerbreite. Ich kann mich noch erinnern – gar nicht lange her – da war ein 66cm Lenker als breit einzustufen. Irgendwo verständlich, alle anderen waren ja auch nur 56cm breit, und wer sich einen 70er Lenker ans Rad schraubte, musste schon entweder ein Riese oder eine enorme Kiste sein. Dafür hatten insbesondere Downhill-Lenker viel Rise, was auch logisch erschien, da man sich in dieser Disziplin in der es ja, der Name verrät es bereits, vornehmlich bergab bewegt, mit einem hohen Lenker ein Stück weiter vom Abgrund entfernen kann, was dem Fahrer ein Gefühl von Sicherheit vermittelt.

Lenkerspezial5
# Lenkerspezial5

Doch die Zeiten, in denen Sicherheit sexy war, sind vorbei, heute heißt es: Lebe lieber gefährlich! Draufgänger sucht nicht nur die Frauenwelt, wild und männlich müssen sie sein. Um wild und männlich auf dem Bike zu sitzen und damit in passendem Fahrstil den Bikepark oder auch nur die Flaniermeile zu rocken, bietet die Industrie seit einer Weile die passenden Accessoires für solche Typen. Die Rede ist von Lenkern, die nur auf eine Art und Weise beschrieben werden können: Breit und flach. Die 80cm Marke hat sich schnell als neues Breitenlimit herausgestellt und von der Höhe ist wenig geblieben, man darf sogar sagen: Ist nichts geblieben!

Flatbars nennen sich diese flachen Zeitgenossen, die den Fahrer in eine machomäßig breite Haltung zwingen, oder sollte man sagen, ihm eine solche Haltung erlauben? Die Frage ist doch: Hat es einen Vorteil, enorm breitarmig auf dem Rad zu sitzen? Muss es ja, schließlich kommt der Trend nicht von irgendwo, sondern direkt aus dem World Cup Zirkus. Dort sind sie zuerst aufgetaucht, die extra breiten Lenker ohne Rise. Einfache Überlegung: Was den Profis taugt, kann ja für den Hobby-Sportler nicht schlecht sein, oder? Einfache Frage: Warum haben wir nicht schon viel früher breit gebaut, wenn es doch so gut ist? Wo ist die Grenze der Breite? Was macht wann Sinn und was nicht?

Die Optik der breiten Lenker ist auf jeden Fall heiß, doch ein reiner Optiktrend scheint hier nicht vorzuliegen. Woher also Antworten auf die vielen Fragen nehmen?

In den letzten Monaten sind wir dreigleisig gefahren: Im Gespräch mit der Physiotherapie des Krankenhauses Radolfzell haben wir den medizinischen Aspekt abgeklärt; auf dem Papier haben wir uns ein paar physikalische Gedanken gemacht und schlussendlich sind wir viel auf dem Trail unterwegs gewesen, haben ein 24h Rennen gefahren und an einem 4x-Rennen teilgenommen. So haben wir uns fast die gesamte Bike-Saison 2009 mit dem Thema „Lenkerbreite“ auseinandergesetzt.

Lenkerbreite und die Physik

Physikalisch betrachtet steigt bei den breiten Gesellen die Kraft auf Material und Vorbau, da die Lastarme länger werden. Prozentual ist das jedoch nicht erheblich, da der Zuwachs linear verläuft. Und die längeren Hebel sorgen auch dafür, dass der Fahrer einwirkenden Kräften besser gegenhalten kann. Eine weitere Erscheinung könnte mehr Flex im Lenker sein – der will wohl kalkuliert sein, da Alu brechen kann, doch bedeutet mehr Flex auch mehr Dämpfung und würde damit der flotten Fahrt durchaus behilflich sein. Soweit spricht also nichts gegen die breiteren Lenker, so lange die Hersteller wissen, was sie verkaufen. Kommen wir als zu uns, den Bikern. Was resultiert praktisch es den größeren Hebeln?

Was möglich ist zeigen die Weltcup Fahrer immer wieder in beeindruckender Art und Weise. Doch im wirklichen Leben? Hier kann jeder, der gerne entweder auf schnelleren Strecken oder einfach nur für sich schneller unterwegs ist, von dieser neuen Welle profitieren: Sie erleichtern nach unseren Erfahrungen einfach eine aggressivere Fahrweise und bieten mehr Kontrolle. Wer aber nur entspannt die Strecke runterstylen will, ohne um Sekundenbruchteile zu feilschen und ohne das Limit finden zu wollen, kann getrost bei dem bleiben, was er hat. Bigger mag better sein, aber Not tut das nicht.

Ist die breite Haltung gesund

Was jedoch sehr wichtig ist: Man fühlt sich auf dem breiten Lenker deutlich sicherer und diese Sicherheit resultiert zwangsläufig in weniger Stürzen. Sturzprophylaxe war noch nie so einfach und günstig zu bekommen. Womit wir auch schon bei den medizinischen Fragestellungen wären. Ist die breite Haltung gesund? Der Kreis schließt sich – wir sind erneut bei der Frage, warum wir denn schon nicht lange so breit fahren. Schließlich verwenden Motocrosser schon lange Lenker jenseits der 800mm und den Rise (von dem wir uns jetzt wieder verabschieden) haben wir Mountainbiker auch bei den motorisierten Kollegen abgeschaut.

Die Physiotherapeuten sind sich erstaunlich einig und unser Glück ist es gewesen, dass der eine sogar selbst Mountainbike fährt: Mehr Breite ist nicht zwingend gesünder. Wer lange Touren in Angriff nimmt sollte eher einen schmaleren (herkömmlichen) Lenker wählen, da diese auf Dauer Kraft sparen. Nur richten sich diese neuen, breiten Lenker auch nicht an den Genusstourer, sondern an Sportler in den Sprung und Speeddisziplinen, die vornehmlich bergab ausgetragen werden. Und dort sehe es ganz anders aus, ist man sich einig. Beim Downhill ist es das Ziel, von außen einwirkende Kräfte abzufangen und Kontrolle zu gewinnen. Die breiten Lenker helfen bei dieser Aufgabe, indem sie die Schultermuskulatur vordehnen und dadurch die Kraftentfaltung des Fahrers verbessern. Die Vordehnung aktiviert mehr Muskelfasern; zehrt dadurch aber auch viel Kraft. Das ist der Grund gegen den Einsatz auf Touren und für den Einsatz bei allen Sprintdisziplinen. Dirtjump-Lines sind ebenso wie 4x-Strecken eher kurz und auch eine Downhillpiste ist (in Deutschland) seltenst über vier Minuten lang. Außerdem haben wir noch einen weiteren guten Grund für mehr Breite finden können. Die Schultermuskulatur wird in eine minimal günstigere Stellung gebracht, wodurch die vier stabilisierenden Muskeln besser zusammenarbeiten können (Synergismus).

Alles verstanden? In einem Satz zusammengefasst: Dieser Trend hat Substanz, nur sollte man ihm nicht blind hinterherlaufen. Besonders die Damenwelt sollte sich nicht blenden lassen. Da immer alle eine kleine Empfehlung mit auf den Weg bekommen hier einige unverbindliche Werte.

Empfehlungen Lenkerbreite Damen

In der Regel haben die Damen die schmaleren Schultern und schlankere Schultern wollen, zumindest in den meisten Fällen, auch einen schlankeren Lenker greifen. Für Touren empfiehlt sich hier eine Breite von 640 bis 660mm, für den Downhilleinsatz die altbekannten 711mm.

Empfehlungen Lenkerbreite Herren

Bei den Herren gilt:

  • für Downhill, 4x, Dirt, Slopestyle und Freeride: machts euch so breit, wie ihr wollt. Trotzdem ein kleiner Hinweis: Die World Cup Stars Sam Blenkinsop und Brendan Fairclough fahren um 735mm Breite, Josh Bryceland von Santa Cruz ist ebenfalls kein Riese und fährt noch ein bisschen weniger. 780 und mehr mm sind also nicht zwingend notwendig, um am Trend teilhaben zu können.
  • Für Touren, Allmountain, Long-Travel-XC oder wie man diese Enduro-Kategorien auch immer nennen mag darf es nach wie vor schmaler zugehen, je nach Statur machen 660-700mm Lenkerbreite Sinn.
  • Zu guter Letzt sollten sich auch die XC-Racer überlegen, was sie vom Downhill lernen können. Mehr kann auch für sie besser sein, denn weiter geöffnete Lungen, mehr Kontrolle und Traktion im Uphill können auch sie gebrauchen. 620-660mm sind hier empfehlenswert, das 24h Rennen in Finale Ligure bin ich sogar mit 685mm gefahren, da die Abfahrtspassagen einfach zu schön gewesen sind, als das ich mit dem schmalen Lenker Kontrolle zu verschenken bereit gewesen wäre.

Um zu diesen Ergebnissen zu kommen, haben wir für euch, Männer wie Frauen, die verschiedensten Lenker ausprobiert: Breit und flach, normal und flach, breit und hoch, hoch und schmal, ganz schmal… hier die schönsten Exemplare aus der schier endlosen Vielfalt der Lenker, die uns in die Hände gekommen sind:

Reverse Fli-bar XXL Flatbar [Bericht]: 760mm breit, in schwarz und weiß, 278g leicht und keinerlei Erhöhung – das perfekte Werkzeug für Racer auf der Suche nach Druck auf dem Vorderrad und Sekundenbruchteilen auf der Strecke. Sicher nicht für jeden das richtige, aber wer sich mit ihm anfreundet, wird ihn lieben! www.reverse-components.com

Syntace Vector Carbon 31,8 [Bericht + Details]: „Nur“ 700mm breit, leicht erhöht und mit 9° bzw. 12° recht stark gekröpft, dadurch sehr ergonomisch und durch Carbon-Hightech nur 197g leicht! Dank endlosen Tests auf dem VR3-Prüfstand trotzdem haltbar – ideal für Gewichtsfetischisten und Freerider, unsere erste Wahl für 4x. Sichtcarbon unter einer robusten Klarlackschicht aus den bayerischen Voralpen zu einem hohen aber angemessenen Preis – 10 Jahre Garantie gibt’s obendrauf. www.syntace.de

Truvativ Noir World Cup Carbon [Bericht]: 640mm „schmal“, 164g leicht und bocksteif – hervorragender Lenker für XC-Rennen mit flachen 15mm Rise. www.sram.com

Reverse Style 76 Lenker [Bericht + Test]: Wie der Bruder satte 760mm breit, 0,75″ oder 1,5″ Erhöhung und 308g – ideal für alle, die es breit mögen, aber nicht ganz so knapp über dem Vorbau schweben wollen. Ein sehr stylisch beschichteter Lenker für den Bikepark- und Freeridepiloten. Der Name sagt es – Style-Tip: Breit und schön anzuschauen. www.reverse-components.com

Burgtec Ride Wide Bar [Bericht] – 750mm breit, 31,8mm, 325g und 19mm Rise in schlichtem Schwarz für das BigBike. Der Lenker, der den Trend zu mehr Breite bei niedrigem Gewicht ausgelöst hat und der einzige, der in den Pranken von Chris Kovarik nicht in die Knie geht . Direkt aus dem Vereinigten Königreich. www.burgtec.co.uk

Truvativ BooBar: 780mm Breite und 31,8mm Klemmmaß. Dazu ein Gewicht von minimal 270g. Der Lenker auf den Greg Minnaar, Steve Peat und Josh Bryceland und viele weitere Sram Fahrer schwören. Auch bei Dirtjumpern beliebt – fragt mal Joscha Forstreuter. www.sram.com

Die optimale Lenkerbreite – Fazit

Wie immer hilft also auch hier: Ausprobieren! Wen der Artikel neugierig gemacht hat, der schaue sich nach einem Bike mit breitem Lenker um und probiere das Ganze einfach aus. Und die gute Nachricht: Wie seit eh und je kann man jeden Lenker kürzen, falls er sich als zu Breit herausstellen sollte. Das spart dann auch noch mal Gewicht, womit ein weiterer wichtiger Trend bedient werden kann.

Tobias & Stefanus Stahl aka nuts

Nachtrag: Im Anhang findet ihr die genaueren medizinischen Überlegungen.

  1. benutzerbild

    pgs

    dabei seit 01/2013

    [...]Imperativ ist die positive Ergonomie der Handgelenksstellung, da ein zu breiter Lenker in Kombination mit zu schmalen Schultern bei heftigen Einschlägen zu Verletzungen (Handgelenksbrüche/Verrenkungen oder Folgeverletzungen durch Verlust des Lenkers) führen kann. [...]

    Kannst du da noch ein bischen mehr dazu sagen?

    Danke, pgs
  2. benutzerbild

    Alex233

    dabei seit 06/2008

    Hat mir ein befreundeter Sportmediziner mal erklärt. Wenn das Handgelenk beim Halten des Lenkers weit aus der geraden Achse gekippt ist (Also deutlich zu breiter Lenker, zu wenig oder zu viel Backsweep etc.) und dann einen sehr harten Schlag von Vorne bekommt können Verletzungen and der Handgelenksinnen- oder Aussenseite auftreten. Schlag mal mit zu lockerem Handgelenk in einen Boxsack, ist der selbe Effekt. Wenn man gerade trifft passiert nix, aber whe du kommst schief...

    Ach ja ausserdem hebelts dir halt bei schlechter Stellung und starkem Schlag auch einfach den Lenker aus der Hand.

  3. benutzerbild

    FR33DOM.COM

    dabei seit 01/2009

    ... nur dass die Stellung der Handgelenke auch davon abhängt, wie der Rest der Körperposition aussieht. Wenn Du z.B. dazu neigst mit dem Oberkörper viel zu arbeiten und Deine Schultern in technischen Passagen oder bei Landungen stark nach unten/vorne verlagerst, verändert sich dadurch auch die komplette Armhaltung bis hin zu den Handgelenken. Deswegen muss man das ganze ausprobieren wenn man mal in einer realsitischen Position auf dem Rad ist und fährt.

    Aber prinzipiell hast Du vollkommen recht, gerade Handgelenke ist wichtig!

  4. benutzerbild

    berkel

    dabei seit 05/2002

    Meiner Meinung nach ist die Schulterbreite weniger wichtig, entscheidend ist denke ich die Stellung des Unterarms in Fahrhaltung. Da sollten Unterarm und Handgelenk in einer Linie sein (also sowohl seitlich als auch frontal). Da spielen dann die individuelle Armhaltung und die Armlänge eine Rolle.

  5. benutzerbild

    Alex233

    dabei seit 06/2008

    Stimmt natürlich, alle Faktoren sind wichtig, die Schulterbreite halt dahingehend dass sie die Basis bildet. Entscheidend ist natürlich die Handgelenksstellung in Fahrposition...

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