Propain Enduro Prototyp: manche Biker haben aus Überzeugung nur ein Mountainbike im Keller stehen, andere aufgrund der teilweise hohen Anschaffungskosten. Doch beide Varianten haben gemein, dass sie auf einem Rad ein großes Einsatzspektrum abdecken müssen/möchten. Das Rad hält her für Touren, Auf- und Abfahrten sowie kleinere Ausflüge auf Rampen oder Kickern. Grundsätzlich steht also der Spaß auf dem ganzen Berg im Vordergrund.
Specialized hat es für das 2011er Modelljahr mit seinen Evo-Modellen vorgemacht: als Brückenmodelle gedacht, gibt es zwischen den einzelnen Modellen für verschieden harte Gangarten jeweils ein Modell mit einer Geometrie die „slacker“ (flacher, tiefer) daherkommt. Die Aufbauten bieten eine Variostütze und massivere Reifen, die mehr Grip bieten sollen. Auch wenn dem Radler auf dem Weg bergauf wegen des etwas höheren Gewichts durch die stabilere Ausstattung die ein oder andere Träne aus dem Augenwinkel laufen mag, soll er doch bergab mit einem umso breiteren Grinsen belohnt werden.
Verschiedene andere Hersteller (Liteville 601, Cannondale Claymore…) bieten dem bergaborientierten Biker ebenfalls solche Räder an und nun arbeiteten auch die deutschen Entwickler von Propain ganz aktuell an ihrer Definition dieser Art von Mountainbike. Wir warten auch schon gespannt auf die neuen Schubladen die die Marketingschmieden des Fahrraduniversums hierfür aufmachen wird. Mir schwant schon so etwas wie: “Aggressive Allmountain” oder “OverMountainEnduro”…
Aber was zeichnet diese Art von Mountainbike aus?
Das Propain Tyee (Häuptling) kann diese Frage ein wenig klären, denn es ist in jedem Fall Teil dieser Kategorie.
Zusammenfassend lassen sich diese Kategorie und dieses Bike wie folgt beschreiben:
Geometrie:
Eher abfahrtsorientiert, realisiert durch einen flachen Lenkwinkel und ein tiefes Tretlager
Komponenten: Sorglosigkeit und Funktion stehen eher im Focus als das Gewicht (evtl. auch einfach “Form follows funktion”?)
Reifen: Mehr Gummi sorgt für Kurvengrip und Durchschlagschutz.
Federweg: Bewegt sich zumeist um die 15cm
Federungssetup: Eher straff, um Vortrieb und Abfahrtsqualität zu ermöglichen.
Rahmen:
Mit einem Lenkwinkel von 65.5 Grad, was vor einigen Jahren noch für reinrassigen Downhill eingestuft wurde, ist sofort klar wo der Schwerpunkt des Bikes liegt. Das tiefe Tretlager verstärkt diesen Eindruck noch.
Der Federweg lässt sich wahlweise über den Dämpferhub (57 oder 50mm bei 200er Einbaulänge) auf 140mm oder 160mm festlegen. Anders als bei den anderen Modelle von Propain ermöglicht beim Tyee ein durchgängiges Sitzrohr das annähernd komplette Versenken der Sattelstütze (nur bei sehr langen Sattelstützen könnte es Richtung Tretlager durch eine Krümmung eng werden). Der Hinterbau nutzt dennoch das PRO10 Federungssystem, bei dem der Dämpfer schwimmend im Hinterbau aufgehängt ist und beim Einfedern gleichzeitig von oben und unten komprimiert wird. Uns wurde ein Video zur Funktionsweise des PRO10 zur Verfügung gestellt. Stellvertretend zu sehen ist das Spindrift (der Freerider von Propain).
Der Umwerfer wurde direkt am Hinterbau befestigt und behält so seine Position gegenüber der Kette beim Einfedern bei. Ein Abspringen der Kette von oben ist so annähernd auszuschließen. Praktische Details finden sich in der Kabelführung am Oberrohr (für die Remotesattelstütze) und in der Hammerschmidt-kompatiblen ISCG05-Aufnahme.)
Über das tapered Steuerrohr kann man streiten – für Biker, die gerne noch mal den Lenkwinkel anpassen möchten, ist dies mit dem neuen AngleSet von CaneCreek immer noch möglich.
Laut Propain soll es den Rahmen in einer schwarzen und einer hellblauen Ausführung geben.
Ausstattung:
Da es sich hier um ein sehr frühes Stadium von Prototyp handelt, bei dem erst einige grundsätzliche Dinge (Geometrie, Fahrverhalten, Umwerfermontage an der Schwinge usw.) getestet werden sollten, möchte ich hier nicht zu viel dazu verlieren – in der Serie wird sich sicher noch viel ändern.
Gedämpft wurde mit Produkten aus dem Hause RockShox, wobei der Dämpfer (RockShox Monarch) tadellos funktionierte und die (tapered) Lyrik R nur bei wirklich harter Gangart eine einstellbare Druckstufe vermissen ließ. Eine Gabel mit Absenkung wäre für die Serie wünschenswert um bei längeren Uphillpassagen entspannt sitzen zu können. Die montierte Dreifachkurbel fand ich persönlich an so einem Rad – aufgrund der geringeren Bodenfreiheit und der Verletzungsgefahr – für überflüssig. Sinnvoll wären hier in der Serie zwei Kettenblätter + Rockring sowie eine untere Führungsrolle für die Kette. Dreckbeschuss Richtung Dämpfer soll in der Serie mit dem Carbonschutzblech entgegen gewirkt werden, bereits bekannt von den anderen bekannten Modellen Spindrift und Rage.
Uphill:
Pedalieren war mit dem Tyee ein Aha-Erlebnis. Hätte ich vorher nicht gewusst wie viel Federweg es hat, ich hätte mich schwer getan es einzuschätzen. Wirbt zwar jeder Hersteller mit Antriebsneutralität, kommt es dennoch meist zu leichtem Wippen und dem Gefühl, dass man Vortrieb im gefederten Hinterbau verliert. Das Propain Tyee hingegen geht wirklich extrem gut voran und man kommt, trotz des höheren Gesamtgewichts, durchaus entspannt am Gipfel an. In Zukunft soll ein etwas steilerer Sitzwinkel diesen Punkt noch weiter erleichtern.
Downhill:
Auf der Eurobike hatten wir den Entwickler von Propain, Robert Kraus, vor der Kamera. Nach der Produktpräsentation erzählte er uns von seinen Wurzeln innerhalb der deutschen Downhill-Rennszene. Diese Vorliebe scheint weiterhin zu bestehen, denn bergab weiß das Rad zu glänzen. Durch seine Länge und flachen Winkel hat man das Gefühl, auf einem Downhillrad mit reduziertem Federweg zu sitzen. Sensibles Ansprechverhalten und eine starke Progression gegen Ende des Federwegs sorgen dafür, dass man Wurzeln oder Felspassagen wie auf einem Rad mit mehr Federweg attackieren kann, ohne das Gefühl zu haben, sich in den nächsten Sekunden zu überschlagen.
Singletrails:
Ein flacher Lenkwinkel in Kombination mit einer vertretbaren Oberrohrlänge (bzw. Reach) führt zwangsläufig zu einem längeren Radstand. Punktet das Tyee in der gefahrenen Größe M massiv auf Strecken auf denen man es etwas laufen lassen kann, erfordern engere Trails oder gar Spitzkehren einen höheren Fahrereinsatz. Wenn jemand hier Wert auf mehr Wendigkeit in technischem Terrain legt, sollte er vermutlich zu einer Rahmennummer kleiner greifen oder sich nach einem Rad mit einer etwas anderen Ausrichtung umschauen.
Schattenseiten:
Der aktuelle Hinterbau wies einen recht starken Flex auf, welcher dem ein oder anderen Fahrer missfallen könnte. Auf Rückfrage bei Propain handelte es sich hier um ein Vorabmodell und wird in der Serie überarbeitet werden; größere Lager sollen dann eine höhere Steifigkeit erzielen.
Ansonsten löste sich zweimal eine der Schrauben am Hinterbau. Schraubensicherung gibt es dann hoffentlich in der Serie. ;)
Fazit:
Ein Rad für die Abfahrt, die man sich vorher immer noch selbst verdienen kann.
Das Propain Tyee wird mit Anpassungen am Hinterbau sicherlich ein interessantes Bike für Fahrer werden, die ihren Schwerpunkt bei der Ausfahrt über den kompletten Berg auf die schnelle Abfahrt legen. Wer gerne langsamere, technische Trails bevorzugt, sollte eine kleinere Rahmengröße wählen.
Serienstart?
Geplant ist 2012. Wir sind also gespannt auf die Eurobike. :)
Preis?
Der Preis steht noch nicht fest, soll sich aber unterhalb vom aktuellen Freerider Spindrift (1.759,– Euro für das Rahmenkit samt Dämpfer) befinden.
Warum keine Detailaufnahmen vom Rahmen?
Da der Rohrsatz am Bike komplett geändert wird und einige Detaillösungen noch recht roh realisierert waren, wurden wir gebeten keine Nahaufnahmen vom Bike zu zeigen.
Mehr zu Propain gibts auf deren Homepage und Facebook-Seite.
Das Tyee in Aktion (der Fahrer mit orangenem T-Shirt und bei Helmkameraaufnahmen die mit dem blauen Lenker):
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