Innovationen entspringen großen Entwicklungsabteilungen? Weit gefehlt: Immer wieder erleben wir auf MTB-News.de innovative Lösungen in Form von spannenden Diskussionen, einfachen aber effizienten Problemlösungen und nicht zuletzt in der crowd-basierten Entwicklungsarbeit am Internet Community Bike. So steckt in vielen von uns das Potential zum kreativen Querdenker und Lead User, der einen Schritt weiter geht und eine Lösung für latente Probleme findet. Der heimische Keller, durchtüftelte Wochenenden und so mancher Fehlversuch sind hier die Mittel der Wahl. Eine dieser Ideen möchten wir heute vorstellen: Nie wieder Platten am Mountainbike.

Dieser Wunsch ist bisher so verlockend wie aussichtslos gewesen. Platte Reifen ruinieren Feierabendrunden und Rennläufe. Sie führen zu Stürzen und Frustration. Kurzum: Es lässt sich letzten Endes keine Situation darstellen, in der ein platter Reifen als positiv wahrgenommen worden wäre. Und so arbeiten seit der Einführung des mit Luft gefüllten Reifens clevere Köpfe daran, die Luft im Reifen zu halten. In der Entwicklung des Mountainbikes haben wir viele Versuche gesehen. Von speziellen Felgendesigns über verdickte Laufflächen der Reifen, ausgefallene Materialien für die Herstellung der Schläuche und abdichtende Flüssigkeiten.

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# Das ist die Grundidee: eine zweite Luftkammer im Inneren des Reifens schützt den eigentlichen Schlauch vor Durchschlägen.

Felgenglück

von IBC-User Dennis aka Bierschwanger

Die Idee

Ein IBC-User, der immer wieder mit verblüffend einfachen Mitteln zu tollen Lösungen kommt und diese mit allen IBC-Usern teilen will, ist Dennis aka Bierschwanger. Vor einigen Monaten haben wir sein Umbaukit zur Dämpfung von alten Schaltwerkskäfigen vorgestellt und kurz darauf folgte der modulare Elektroantrieb aus dem Bike-Anhänger. Nun teilt Dennis mit uns die Geschichte, wie er ein eigenes Doppelkammersystem entwickelt hat, das ein für alle Mal Schluss mit platten Reifen machen soll.


# Zwei Ventile für zwei Luftkammern: Das Doppelkammersystem zum Selbstbauen!


# Erfindungen von Dennis: Kettenglück 2.0 und Felgenglück.

Doppelkammersysteme zur Verbesserung der Eigenschaften von Reifen sind im Motorradbereich bereits seit einigen Jahren bekannt und Ende letzten Jahres ist uns beim Bike-Check von World Cup Gesamtsieger Steve Smith aufgefallen, dass er ein Hinterrad mit zwei Ventilen fährt. Anfang diesen Jahres hat sich dann die Vermutung erhärtet, dass Schwalbe hier ein Doppelkammersystem entwickelt. Die Idee ist, dass im Inneren des Reifens eine zweite Luftkammer mit hohem Luftdruck sitzt, die ein Durchschlagen verhindern soll und dafür sorgt, dass der Reifen selbst auch bei niedrigem Luftdruck in der Hauptkammer sicher auf der Felge sitzt.

Die Entwicklung

Aktuell wird dieses System in der Enduro World Series und im Downhill World Cup ausgiebig getestet – und ist in Eigenarbeit bei IBC-User Bierschwanger im Einsatz. Konsequent auf Retro getrimmt optimiert er damit sein 26“ Hardtail mit Schlauchreifen… fast schon ein Anachronismus. Mit bestehenden Bauteilen und ohne die Möglichkeiten einer Entwicklungsabteilung mit angeschlossenem Prototypenbau hat er sich Anfang diesen Jahres daran gemacht, dieses Rad gegen platte Reifen abzusichern.

In einem ersten Entwicklungsschritt hat er mit Schaumeinlagen unter dem eigentlichen Schlauch experimentiert. Die Idee war, dass beim Durchschlag der Schlauch nicht zwischen dem Mantel und den Felgenhörnern abgequetscht wird, sondern ein zusätzliches Polster hat und so vor Beschädigungen geschützt werden sollte. In der Praxis war diese Lösung jedoch nicht so erfolgreich wie auf dem Papier. So zeigten die frei kaufbaren Schäume alle Probleme damit, ihre Struktur unter Einwirkung des Drucks im Reifen aufrecht zu erhalten und verloren so über kürzere oder längere Zeit ihre dämpfenden Eigenschaften. Hinzu kam, dass die Einlagen entsprechend schwer gewesen sind. Also musste eine andere Lösung her.

Ein Rennradschlauchreifen ist die Lösung!Dennis hat in der Folge weitergetüftelt und ist auf die Idee gekommen, im Felgenbett einen kleineren Schlauch zu platzieren, der mit hohem Druck den eigentlichen Reifen vor Kontakt mit der Felge schützt. Ein solches Schlauchstück, das sich auf einen hohen Luftdruck aufpumpen lässt, hat Dennis in Form eines Rennradschlauchreifen gefunden. Mit 5 Bar Druck – so die Überlegung – sollte der Reifen in der Lage sein, bei Durchschlägen den geforderten Schutz bieten zu können. Das Problem bei dieser Lösung: Der eigentliche Schlauch muss mit seinem Ventil am Rennradschlauch vorbei oder durch diesen hindurch geführt werden. Nach einigen erfolglosen Versuchen hat Dennis eine relativ einfache Lösung gefunden, bei der das Ventil direkt durch den Schlauchreifen geführt ist und nur im Kraftschluss gedichtet wird. Die Längenanpassung und Montage des Schlauchs erfolgt dabei mit konventionellem Gummikleber.


# Die erste Idee: Der Schlauch wird direkt durch den Schlauchreifen geführt. O-Ring und eine Verschraubung sorgen für die Abdichtung.


# Die Breite des Schlauchreifens entspricht idealer Weise der Innenbreite der Felge. So funktioniert das System bestmöglich.


# Ungewohnter Anblick: Der 22mm breite Schlauchreifen montiert auf der großen Mountainbike-Felge


# Fertig für den Einbau. Selbstverständlich ist eine zweite Bohrung in der Felge anzubringen, um das zweite Ventil durchführen zu können.


# Montageeinheit ohne Reifen: Unten der Schlauchreifen, oben der Schlauch

Die Umsetzung

Weniger Luftdruck, dennoch keine Durchschläge: Experiment geglückt!Die ersten Praxistests mit einem handelsüblichen Continental Sprinter Reifen verlaufen dann sehr erfolgreich. Der Druck von ca. 5 Bar bleibt im Reifen und eignet sich gut, um Durchschläge zu verhindern. Mit 1,7 Bar im eigentlichen Schlauch verlaufen die ersten Testfahrten erfolgreich und der Schlauchreifen erledigt zuverlässig seinen Dienst. Zu diesem Zeitpunkt überlegt sich Dennis, die Idee hier auf MTB-News.de vorzustellen, als er zufällig von einem Bike-Kollegen erfährt, dass Syntace und Schwalbe an einem ähnlichen System arbeiten. Nur Tage später erscheint der erste Artikel zu den Testfahrten mit dem neuen System hier auf MTB-News.de und Dennis nimmt Kontakt mit den Entwicklern auf. Wie sich zeigt, sind die beiden Systeme technisch verschieden und so macht sich Dennis auf den Weg zu einem anderen deutschen Reifenhersteller, um dort seine Lösung vorzustellen. Das Feedback von dieser Seite ist jedoch negativ ausgefallen – kein Interesse. So kommt es, dass wir hier auf MTB-News.de die umfangreichen Zeichnungen zu Gesicht bekommen.

Wer das System gerne selbst nachbauen und in seinen Laufrädern installieren möchte, der findet hier ausführliche Zeichnungen und Beschreibungen:


# Die Beschreibung: So lässt sich das System einfach selbst nachbauen.

Nachdem die Lösung an diesem Punkt bereits wie gewünscht funktioniert hat, hat Dennis einige Biere und Nächte später ein weiteres Manko der Lösung beseitigen können. Im ersten Versuch ist es nämlich noch nicht möglich gewesen, Schlauch und Schlauchreifen unabhängig voneinander zu bewegen, da diese eine feste Einheit bilden. Über eine Hülse durch den Rennradschlauchreifen sollte diese Option nun möglich werden. Mit einer Ventilverlängerung aus Messing, die eigentlich an LKWs Verwendung findet, hat Dennis eine Hülse herstellen können, die durch den Schlauchreifen verläuft und so das Durchführen des Ventils ermöglicht.


# Die Hülsenkonstruktion ermöglicht die Trennung von Schlauchreifen und Schlauch – praktisch für die Montage.

Hier wird Hand angelegt: Die Messinghülse stammt aus dem LKW-Bedarf und muss für die Verwendung im Felgenglück nachbearbeitet werden.
# Die Messinghülse stammt aus dem LKW-Bedarf.
Aufbohren - gut, dass Messing einfach zu bearbeiten ist.
# Aufbohren – gut, dass Messing einfach zu bearbeiten ist.


# Alle Einzelteile für die Hülse im Schlauchreifen.

Die Hülse in montiertem Zustand:
# Die Hülse in montiertem Zustand
Sollte der schlauch kaputt gehen, kann so einfacher für Ersatz gesorgt werden.
# Sollte der schlauch kaputt gehen, kann so einfacher für Ersatz gesorgt werden
Die montierte Hülse im Schlauchreifen.
# Die montierte Hülse im Schlauchreifen.
Genau an dieser Stelle bietet der Reifen keinen zusätzlichen Schutz. An allen anderen Stellen hingegen schon.
# Genau an dieser Stelle bietet der Reifen keinen zusätzlichen Schutz. An allen anderen Stellen hingegen schon.


# Unten der Schlauchreifen, oben der Schlauch. So kann das System montiert werden.

Ein weiterer Punkt, der Dennis zunächst noch Ärger gemacht hat, ist der Rundlauf des Systems gewesen. So hat zu Beginn der Mantel an der Stelle, an der das Ventil durch den Schlauchreifen geführt ist, stets einen Seitenschlag gehabt. Mit einiger Fummelei sieht der beste Montageprozess nun so aus:

  1. Mantel wie gewohnt einseitig aufziehen
  2. Schlauchreifen unaufgepumpt einlegen
  3. Schlauch leicht aufgepumpt einlegen
  4. Sicherstellen, dass der Schlauch überall sauber und möglichst mittig auf dem Schlauchreifen liegt
  5. Schlauchreifen leicht aufpumpen (max. 0,5 Bar, bis runder Querschnitt erreicht ist aber noch weich)
  6. Mantel auf der zweiten Seite aufziehen (Reifenheber wegen des RRSR ggf. nötig)
  7. Laufrad in Rahmen einbauen, es erleichtert die Ausrichtung
  8. Mantel bezüglich Seitenschlag per Hand ausrichten
  9. Schlauchreifen auf 5 Bar aufpumpen, am Seitenschlag sollte sich nichts ändern
  10. Schlauch schrittweise aufpumpen, zwischendurch Seitenschlag prüfen und ggf. per Hand ausrichten
  11. fertig!

Dauereinsatz

Mittlerweile hat Dennis über 1000km mit seinem System zurückgelegt und dabei nur einen einzigen Durchschlag beim Treppenspringen in der Innenstadt erlitten. Nach eigenen Angaben ist das eine deutliche Verbesserung, da er trotz höherem Luftdruck früher wesentlich mehr platte Reifen gehabt hat.

Als einzige sichtbare Verschleißerscheinung zeigen sich aktuell leichte Abriebspuren am Schlauch, die von einer Relativbewegung zwischen Mantel und Schlauch kommen müssen. Bislang hat der Schlauch sich davon jedoch unbeeindruckt gezeigt und hält die Luft. Der einzig echte Nachteil ist, dass an der Stelle, an der das Ventil durch den Schlauchreifen geführt ist, kein zusätzlicher Durchschlagschutz zur Verfügung steht. Dieses eine Prozent des Reifens bleibt also effektiv ungeschützt – wer es trifft, kann nach wie vor einen Durchschlag erleiden.

Zusammenfassung

Felgenglück nennt Dennis seine jüngste Erfindung und wir müssen sagen: Hut ab. Sich über bestehende Probleme am Mountainbike aufzuregen ist die eine Sache, doch sie in Eigenarbeit und mit großer Ausdauer effizient zu beheben ist die andere. Dennis hat für sein Hardtail den Durchschlagschutz verbessern wollen und das ist ihm mit seinem Doppelkammersystem gelungen. Im Gegensatz zu dem in Kürze (wohl zur Eurobike) zu erwartenden System von Schwalbe / Syntace ist sein System für konventionelle Schläuche ausgelegt und kann problemlos nachgebaut werden – die Zutaten sind frei verfügbar. Als Mehrgewicht fällt lediglich die Masse des Schlauchreifens ins Gewicht. Wer hier eine bessere Lösung findet (beispielsweise ein Faserschlauch ohne Lauffläche), kann nochmals Gewicht einsparen. Wer Interesse daran hat, die Hülse von Dennis zu bekommen, der kann sich direkt per privater Nachricht an ihn wenden – er hat gegebenenfalls noch ein paar übrig ;).

Das Beste an Dennis’ Lösung ist jedoch, dass sie ungeachtet der Laufradgröße und sowohl am Hardtail als auch am Fully funktioniert. Unser Tüftler versichert, dass er die Lösung unabhängig von der von Schwalbe / Syntace vorgestellten Schlauchloslösung entwickelt hat und das glauben wir ihm gerne – warum auch nicht?

Deine Erfindung!

Du hast selbst eine Problem gelöst, das für viele Bikerinnen und Biker interessant sein könnte? Du hast einen Weg gefunden, um dein Rad besser zu machen? Du willst deine Erkenntnisse und Lösungen mit der gesamten Community teilen? Dann teile uns hier deine Idee mit: Link. Wir sind gespannt!

  1. benutzerbild

    Berioldir

    dabei seit 04/2014

    Ziemlich ruhig geworden hier ...
    Verwenden jetzt wohl die meisten Schaumstoffeinlagen wie Pepi&Co?

    Meine Felgen haben eine Maulweite von 35 mm - ich vermute, dass die Lösung mit den Schlauchreifen damit ausscheidet, da zu breit? Das "original" ProCore ist für mich keine Option, da ich schon zu oft gelesen habe, dass dieses System die Speichenspannung verändert bis hin zur nicht mehr fahrbaren Felge.

  2. benutzerbild

    sp00n82

    dabei seit 07/2013

    Ja, die Speichenspannung verringert sich mit Procore etwas. Aber wenn sie dadurch zu gering wird, dann war das Laufrad scheiße aufgebaut.
    Ich hab das mal nachgemessen, die Speichenspannung verringert sich mit Procore ungefähr so sehr, wie wenn man den Reifen mit dem zulässigen Maximaldruck der Felge fahren würde (also so ca. 2,5-3 Bar).

  3. benutzerbild

    duc-mo

    dabei seit 05/2011

    Ich bin auf schwerere Reifen umgestiegen und habe irgendwie keinen Bedarf mehr. Weder für eine Doppelkammer noch für eine Poolnudel im Reifen.
    Ich habe inzwischen aber auch kein Enduro Hardtail mehr sondern fahre nur noch Fullys... smilie

  4. benutzerbild

    TAILor

    dabei seit 06/2004

    fahre jetzt seit einem halben Jahr Rimpact und hatte seither keinen Platten oder irgendwelche Probleme. Auch der Rollwiederstand ist nicht merklich gestiegen. Montage war schon n Krampf, jedoch zu zweit machbar. Muss zugeben, dass ich nicht extrem wenig Druck fahre und das Insert dient wirklich als Durchschlagschutz im Extremfall. Bin also zufrieden mit dieser Lösung. Bin gespannt wie das Ding dann von innen aussieht, wenn ich im Winter Milchwechsel mache...

  5. benutzerbild

    Felger

    dabei seit 05/2007

    fahre jetzt seit einem halben Jahr Rimpact und hatte seither keinen Platten oder irgendwelche Probleme. Auch der Rollwiederstand ist nicht merklich gestiegen. Montage war schon n Krampf, jedoch zu zweit machbar. Muss zugeben, dass ich nicht extrem wenig Druck fahre und das Insert dient wirklich als Durchschlagschutz im Extremfall. Bin also zufrieden mit dieser Lösung. Bin gespannt wie das Ding dann von innen aussieht, wenn ich im Winter Milchwechsel mache...

    Bin auch top zufrieden damit. Mal sehen wie es halt. Meine DIY Isolierungsinserts sehen ja immer ziemlich kaputt aus smilie

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