„Nepal mit dem Bike? Könnt ihr vergessen, Nepal ist ein Land, das man erwandern muss.“ Ziemlich überrascht lauschen wir den Geschichten von Sigi, passioniertem Weltreisenden und Inhaber von Magic Bike La Palma, auf der gleichnamigen Kanareninsel. Vor zwei Jahren verbrachten wir dort die Übergangszeit zwischen Herbst und Winter und konnten unseren Ohren kaum glauben, dass uns Sigi tatsächlich davon abrät, das Land am Fuße des Himalaya per Bike zu erkunden. Aber der Gedanke lässt uns nicht los. Zeitsprung. Februar: „Schau mal, die Mustang-Region sieht ziemlich lässig aus. Es gibt sogar ein paar Touren-Anbieter. Ein Spezl war vor ein paar Jahren einmal da und ziemlich begeistert. Und rund um Kathmandu herum geht sicher auch was!“ März: Gesagt, gebucht. Ungefähr so ist der folgende Reisebericht entstanden, den ich euch heute mit einigen Bildern umrahmt präsentieren möchte.
Mit dem Mountainbike in Nepal
Ein Reisebericht von Fabian Gleitsmann
1. November: Knapp 16 Stunden nach dem Abflug in München landen wir in einer anderen Ecke der Welt. Die Größe des Flughafens erinnert an einen Busbahnhof; wir erschrecken etwas, als wir jemanden mit unseren Biketaschen neben dem Gepäckband stehen sehen, aber es stellt sich heraus, dass er nur aufpassen wollte, damit sich niemand mit unseren Taschen aus dem Staub macht. Auf dem Weg zum Hotel die nächste Überraschung: es ist stockdunkel. Straßenlampen gibt es nicht, nur die Scheinwerfer der Autos und – manchmal – Mopeds. Und ist es laut. Die Hupe ist das wichtigste Feature am fahrbaren Untersatz und dient als Lebenszeichen. Hallo, ich bin da – einmal hupen bitte.
Der nächste Morgen startet mit einer Erkundungstour durch Thamel, Kathmandus Touristen-Viertel. Auf dem Weg dorthin passieren wir kilometerlange Schlangen vor den Tankstellen. Auf Nachfrage erfahren wir, dass es aktuell kein Benzin für Privatpersonen gibt und daher jeder sein Auto auf dem Weg zur Tankstelle parkt. Für uns unglaublich, in Nepal nichts Besonderes. Wie leergefegt sind die Straßen trotzdem nicht.
Wir dringen tiefer in das Getümmel ein und sind überwältigt: alles sieht anders aus, riecht anders, schmeckt anders, klingt anders. Gekocht wird am offenen Feuer – in der Wohnung. Eine Kühltheke beim Metzger – Fehlanzeige. Genau so wie nicht-gefälschte Markenklamotten. Nach ein paar Stunden sind wir völlig erschöpft und erholen uns im Garden of Dreams. Eine ruhige Oase inmitten des Chaos, mit österreichischem Einfluss – zumindest auf der Speisekarte: es gibt Wiener Schnitzel und Sachertorte.
Am späten Nachmittag treffen wir den Rest unserer internationalen Reisegruppe, sowie Mandil, unseren Guide, und machen uns auf den Weg zu unserer ersten Unterkunft. Etwas oberhalb von Kathmandu gelegen genießen wir einen traumhaften Blick über die Stadt. Zeit die Bikes zusammenzubauen, fachzusimpeln und Geschichten über erlebte Abenteuer auszutauschen.
Am nächsten Morgen geht es los. Auf einer rumpeligen Forststraße klettern wir durch den Shivapuri Nationalpark. Die Vegetation erinnert an La Palma, nur wilder. Wild unterwegs ist auch der LKW, der uns auf einem Wegstück entgegen kommt, das schon per Bike anspruchsvoll ist. Die Abfahrt enttäuscht ein bisschen. Es ist nicht ganz klar, ob wir auf einem zugewachsenen Jeep-Track unterwegs sind, oder auf einem breiten Trail. Am Ende der Tour steht Bodnath auf dem Programm, eine der größten Stupas der Welt, die zwar schwer von den Erdbeben im April und Mai gezeichnet ist, aber doch ein beliebter Anziehungspunkt für Pilger und Touristen ist.
Die nächsten Tage verlaufen ähnlich: Frühstück, Sport, Kultur. Unser Guide hat einen phantastischen Mix zusammengestellt und so langsam wird uns allen klar, das Nepal so viel mehr ist als nur hohe Berge. Wir sehen Bhaktapur, eine der drei alten Königsstädte Nepals. Ebenfalls schwer vom Erdbeben gezeichnet und trotzdem – oder gerade deshalb – unglaublich beeindruckend.
Im subtropischen Pokhara paddeln wir über den Phewa See, wandern zur World Peace Stupa und erhaschen einen ersten Blick auf die ersten 8000er. Zwischendrin gibt es Trails, leckeres einheimisches Essen, Kultur und noch mehr Trails.
Inzwischen sind alle Teilnehmer an Land und Leute akklimatisiert, und das ist auch gut so. Heute steht der „world’s most spectacular commercial flight“ auf dem Programm: von Pokhara geht es nach Jomsom. Wir fliegen direkt zwischen zwei der höchsten Berge der Welt hindurch, dem Dhaulagiri und der Annapurna, und so langsam beginnen wir, die Ausmaße der Berge zu begreifen. Angekommen in Jomsom sind wir etwas von der Zivilisation überrascht: im Café gibt es WLAN, auf der Straße herrscht reger Verkehr und der Barista hat seinen Namen voll und ganz verdient.
Die kühlen Temperaturen und die dünne Luft lässt aber keinen Zweifel aufkommen, dass wir uns auf 2.800 m befinden. Dementsprechend langsam kurbeln wir los, vorbei an Yak-Karawanen und Trekkern, die gerade die Annapurna-Runde hinter sich haben.
Trotz der kargen Landschaft gibt es überall kleine Dörfer, die Bewohner leben vom Apfelanbau und inzwischen natürlich auch dem Tourismus. Kagbeni, unser Basislager für die nächsten Tage, liegt an der Grenze zu Upper Mustang, ein noch abgelegenerer und weniger vom Tourismus heimgesuchter Teil Nepals. Wir bleiben den Touristenpfaden treu und fahren weiter bergauf nach Muktinath.
1000 Höhenmeter stehen auf dem Programm. Zu Hause brauche ich dafür eine knappe Stunde, heute sind wir fast 4 Stunden unterwegs und ich kurble von Anfang an im kleinsten Gang. In Kathmandu hatten sich alle über das 36er Kettenblatt an meiner XX1 lustig gemacht, jetzt weiß ich warum. Aber die Abfahrt entschädigt heute für alles: über bestens ausgelaufene Wege geht es durch kleine Dörfer immer bergab. Die Einheimischen sind fasziniert vom dem, was wir da tun, und die Kinder freuen sich über Kekse und Gummibärchen.
Am nächsten Tag fahren wir wieder hoch nach Muktinath, diesmal allerdings per Shuttlebus. Ganz ehrlich: lieber würde ich noch mal mit dem Bike hochkurbeln, als mein Leben dem Bus und seinem Fahrer anzuvertrauen! Die Straße ist teilweise irre ausgesetzt und gefühlt gerade einmal ein Fahrzeug breit. Gegenverkehr gibt es trotzdem, für unseren Fahrer allerdings kein Grund, auf die Bremse zu steigen. Einfach hupen und es wird schon gut gehen… Von Muktinath geht es per Bike noch etwas weiter bergauf zum Lupra Pass. Der Weg ist irre steil und wir quälen uns irgendwie hoch, bis es nicht mehr weiter geht und wir freie Sicht auf den Dhaulagiri haben. Wieder einmal fällt es schwer, die Dimensionen zu begreifen. Wir sind auf 4000 m, der Gipfel ist noch mehr als doppelt so hoch! Wir schießen ein paar Fotos und machen uns bereit für die Abfahrt. Und ganz ehrlich: der Trail ist sicherlich unter den Top 5, die ich jemals gefahren bin! Der Untergrund besteht nur aus feinstem Staub, der nicht nur auf Fotos eine gute Figur macht, sonder sich auch genialst fährt. Einfach das Bike in die Kurve legen, entspannt über beide Räder driften bis sie irgendwann wieder Grip finden und das Rad durch die Kurve ziehen. Könnte ewig weitergehen, und zum Glück tut es das auch – mehr als 1000 Tiefenmeter stehen am Ende auf dem Tacho.
Inzwischen sind wir auf dem Rückweg in die Zivilisation. Es geht konstant bergab und wir sind fast durchgängig auf der Hauptstraße unterwegs. Hauptstraße? Eher Downhillstrecke. Trotzdem sind überall Busse, Jeeps und Motorräder unterwegs – die wir alle überholen. Wir sind mit Abstand die schnellsten Verkehrsteilnehmer, was aber auch Gefahren birgt: heute ist „prime chicken day“ – immer wieder geht es durch Dörfer, wo Hühner und andere Viecher auf der Straße herumlaufen. Ein plattes Huhn kostet 9 Dollar, zum Glück erreichen wir ohne Treffer Beni, das Ende unseres Bike-Trips.
Für die meisten Teilnehmer ist die Tour an dieser Stelle beendet, wir fliegen noch weiter in die Everest-Region. Eine Woche wollen wir durch den Sagarmantha-Nationalpark trekken. Eine ganz andere Landschaft, viel grüner und natürlicher, als die Hochwüste eine Woche zuvor. Leider machen uns gegen Ende die Höhe und die langen Tagesmärsche etwas zu schaffen, und wir müssen die Besteigung des Island Peak abbrechen. Stattdessen begnügen wir uns mit dem Chukung Ri, einem kleinen, unbedeutenden Hügel vor der Südwand des Lhotse, dem dritthöchsten Berg der Erde. Auf dem Gipfel wird uns einmal mehr bewusst, wie riesig die Berge hier sind: wir sind auf über 5.500 m, zum Gipfel des Lhotse geht es noch einmal 3 km senkrecht nach oben. Diesmal nicht, denken wir uns, und machen uns auf den Rückweg.
Unser Fazit? Nepal ist ein großartiges Land und das Bike ist ein großartiges Werkzeug, um es zu erkunden. Vor allem in Mustang und den Bergen rund um Kathmandu. Aber auch während der letzten Trekkingwoche habe ich mir oft genug einen fahrbaren Untersatz gewünscht. Ein Grund mehr, wiederzukommen.
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