Normalerweise fährt man ein Rennen, regeneriert und wird danach fitter. Normalerweise. Bei mir war das diesmal etwas anders. Nach dem letzten Rennen in Dabo werde ich von Tag zu Tag müder und meine Lymphknoten in der Leiste schwellen an. Aufmerksam geworden, entdecke ich einen Stich samt großem Vorhof. Ab zum Arzt. Diagnose: Borreliose. Dankeschön, du Kack-Zecke! Folge: zwei Wochen Antibiotika, kein Sport, Sonne meiden. Zum Glück fühle ich mich danach wieder besser und entschließe mich, in Mollau zu starten. Es ist mein zweiter Tag ohne Antibiotika, ein Ok vom Arzt habe ich. Der Plan ist, locker zu machen und möglichst viel Spaß zu haben. In anderen Worten: fehlende PS berghoch mache ich durch Wahnsinn bergab wett.
Heute kann ich schon auf der Hinfahrt nach Westen eine coole Sonnenbrille anziehen und den Ellbogen aus dem Fenster halten. Auch zum Radfahren scheint das Wetter geeignet, blauer Himmel und staubtrockener Boden. Mollau ist ein kleines Dorf mit 427 Einwohnern, wunderschön gelegen mitten in den Vogesen. Der Tag kann also nur gut werden.
Zusammen mit Daniel Gottschall rolle ich zu Stage 1. Während ich möglichst viel Kraft sparen möchte, fährt sich Mr.-Wadenmuskel-Daniel mit Intervallen warm. Motto: ich glühe härter vor, als du Party machst. Mit etwas schlechten Gewissen treffe ich oben angekommen den Rest der Freiburger Enduro Jungs. Wir entschließen uns, auf unsere privilegierten Startplätze zu verzichten und fahren hintereinander. Einer der großen Vorteile der französischen Serie, denn so kann man sich einen schönen Biketag mit allen seinen Kumpels machen.
Die erste Stage zeigt einem gleich mal wieder, warum man öfters in die Vogesen fahren sollte. In frischen Kurven zirkelt sich ein genialer Trail steil durch den Wald. Vor lauter Freude lass ich es ganz gut laufen, zumindest so lang bis ich eine enge Kehre zu spät erahne und in die Botanik rausche. Ansonsten bringe ich aber einen zufriedenstellenden Run herunter.
Zu sechst pedalieren wir hoch zur zweiten Stage. Schon jetzt macht mir die Sonne etwas zu schaffen, bin ich diese doch noch gar nicht gewöhnt. Super für uns Deutsche: am Start von Stage zwei steht ein fast zwei Meter großes Hühnchen. Da dieses nur gockt, verstehen auch die dem Französischen nicht mächtigen Kumpels, wann sie starten sollen. Die Stage beginnt mit einem schnellen Stück durch den Wald, wieder im losen Boden und mit einigen Sprüngen. Ich bin gefühlt gut unterwegs und habe eine Riesen-Gaudi. Etwas übermutig ziehe an einer Stufe voll ab und merke, dass ich die hinter der Stufe befindliche Kehre schon überflogen habe. Leider bremst es sich in der Luft so schlecht und ich zünde mal wieder voll ins Unterholz, knalle mit dem Vorderrad gegen einen Baum und verabschiede mich von meinem 301.
Lachend über meine Dummheit renne ich den Berg wieder hoch und heize weiter. Nach etwa der Hälfte der Stage kippt der Trail und führt in wunderschönen Spitzkehren den Hang hinunter. Eigentlich mein absolutes Lieblingsterrain. Randvoll mit Adrenalin verlässt mich aber wieder mal die Vernunft und dann geschieht, was ich schon lange nicht mehr hinbekommen habe: in einer Kehre dreht sich mein Vorderrad ein und katapultiert mich schön über den Lenker. Sah anscheinend sogar so spektakulär aus, dass es die vielen Zuschauer zum Verstummen bringt. Mir passiert, auch dank meines Rucksacks, zum Glück überhaupt nichts. Kurz sammeln, und weiter geht es.
Dann heißt es, Verpflegung aufnehmen, bevor es zu Stage 3 und 4 wieder hochgeht. Schon begeistert von den ersten beiden Trails, übertrifft der Dritte alle Erwartungen.
Erst schnell und offen, dann ein sehr steiles Stück mit Kehren (sogar so steil, dass es die sonst sehr abgebrühten Franzosen zu einer Warnung veranlasst hat), bevor es mit Wellen und Sprüngen weiter geht. Alles auf Sicht machbar. Aus dem Augenwinkel sehe und höre ich Arne, der sich am Freitag leider das Schlüsselbein gebrochen hat. Netterweise ist er – ebenso wie sehr viele Franzosen – zum Anfeuern gekommen. Mit dieser Stage geht eine der schönsten Rennstrecken zu Ende, die ich bisher gefahren bin. Mittlerweile sitzen wir doch schon sehr lang im Sattel, die Sonne brennt und ich habe klugerweise mit meinem Wasser den beiden dehydrierten Daniels ausgeholfen. Jetzt habe ich auch keines mehr und meine Zunge hat die Konsistenz eines geräucherten Schinkens.
Dementsprechend matschig in der Birne starte ich in Stage 4. Mit Highspeed rausche ich in aerodynamisch perfektionierter Position über einen Grad und schaffe es tatsächlich, die erste Kehre irgendwie im Two-Wheel-Drift (Entschuldigung für den Anglizismus, aber „Zwei-Rad-Rutscher“ klingt ziemlich blöd) zu nehmen. Dann folgt leider eine Trail Hangquerung. Ich eiere irgendwie weiter, bevor die Strecke zum Glück abkippt und steil in Kehren weitergeht. Die eigentlich zum Auffangen gedachten Minianlieger sind zum Teil schon weggebrochen, was für mich mal wieder eine Laufeinlage von 30 Meter den Berg hoch bedeutet, da heute die Schwerkraft irgendwie öfters mal stärker als meine Fertigkeiten ist. Apropos Fertigkeit: Nach Stage 4 bin ich schon ziemlich im Eimer und kann mich zum Glück an der letzten Verpflegungsstation mit Sauccisson und Schokolade für die letzte Stage stärken. Ein Hoch auf meinen Saumagen!
Die letzte Stage wird zusammen gestartet. Daniel Gottschall fährt vor, ich jage ihn, während der andere Daniel hinter mir für Stimmung sorgt. Gibt nichts lustigeres als zusammen Rennen zu fahren!
Am Ende stehe ich bei den 400 Startern auf dem 24. Platz. Immerhin auf den Stages ohne grobe Schnitzer mit Top 20 Zeiten. Den Umständen entsprechend ist das in Ordnung für mich, bin ich doch eher froh, überhaupt wieder auf dem Rad gesessen zu sein. Dass ich damit leider schon wieder schnellster Deutscher bin, zeigt, wie hoch das Niveau hier ist bzw. wie langsam wir sind. Verdeutlicht wird dies auch durch das Starterfeld: Absalon, Lau, Oton, Bailly-Maitre, Trabac, Charles-Georges… Alles Leute, die auch bei der EWS um das Podium mitfahren können. Sehr erfreulicher Lichtblick: Veronika Brüchle gewinnt bei den Damen und Jörd Heydt wird dritter bei den Masters, Glückwunsch!
Fazit: eines der bisher schönsten Rennen! Konditionell fordernd und technisch anspruchsvoll, doch mit genialen Strecken, top Organisation und einem sehr hohen Niveau an Fahrern. Ein absolutes Muss!
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