Schweden ist bekannt für Knäckebrot, Wälder und IKEA. Vielleicht bald auch für Mountainbiken in Åre, Östersund und Storulvån. Die Bikegebiete im Nordwesten Schwedens können sich sehen lassen. Michi Gerber hat sich genau diese Gebiete angeschaut und berichtet von besten Trails und atemberaubender Landschaft:
Reist man aus der schwedischen Hauptstadt Stockholm gut 600 Kilometer Richtung Norden, faltet sich an der Grenze zu Norwegen die Landschaft zu Bergen auf. Die Landschaft um Åre, und Östersund heisst Jämtland. Etwas weiter südlich liegt Härjedalen. Schon seit Jahren ist diese Gegend bekannt für den Outdoorsport: Skifahren, Wandern, Rafting, Langlauf, Gleitschirm und vieles mehr hat hier seinen Platz gefunden.
Seit vielen Jahren reise ich immer wieder in den Norden Schwedens. Was als Wanderliebe begann, hat sich zu einer Suche nach neuen Singletrails entwickelt. Die Suche hat sich gelohnt.
Das Jämtlandfjäll (Fjäll=Berg) ist ein Wanderparadies, welches die naturliebenden Schweden und Norweger viel besuchen um einige Tage draussen in der unberührten Natur und Einsamkeit zu verbringen. Es bietet auf gut markierten Wegen alles: von kurzen Wanderungen bis zu mehrwöchige Trekkings. Einige dieser Wanderwege sind regelrechte Traum-Singletrails.
Im Fjäll gibt es keine Strassen, nur eben diese Trails. Darin verbirgt sich auch die Schwierigkeit des Bikens im Norden Schwedens – bergauf stellt sich jeder Stein, jede Stufe auf dem Trail in den Weg und verlangt eine gute Fahrtechnik und trainierte Beine. Dieses Jahr sind wir zu viert unterwegs und fahren die besten Trails, erleben die Gastfreundlichkeit der Schweden und tauchen ein in eine fantastische Landschaft.
Storulvån
Wir beginnen ganz im Westen. Kurz vor der Grenze zu Norwegen führt eine kleine Strasse nach Handölan und weiter nach Storulvån. Benannt ist der Ort nach dem grossen Fluss Ulvån, der sich hier gemütlich durch die Berge schlängelt.
Storulvån ist eine Station des schwedischen Touristenvereins STF. Der STF betreibt in ganz Schweden Herbergen und Berghütten. Im Winter ist Storulvån ein Paradies für Skitouren und Skiwanderungen – im Sommer ein Ausgangspunkt für viele Wandertouren. Natur, Ruhe und eine tolle Berghütte, welche mehr an ein Hotel erinnert, erwarten die Besucher.
Bei unserer Ankunft herrscht reger Betrieb in der Berghütte. Paare, junge Familien und ganze Reisegruppen machen sich für eine Tageswanderung oder ein längeres Trekking parat und das Haus gleicht einem Bienenhaus. Trotzdem werden wir sehr freundlich begrüsst und willkommen geheissen. In der modernen Hütte prasselt ein Kaminfeuer und viele Sofas laden zum Verweilen ein – mitten im schwedischen Fjäll. Durch die großen Fensterscheiben sehen wir momentan nur grau und Regen, doch außer uns scheint sich niemand daran zu stören – im Gegenteil: fröhlich machen sich die Schwedinnen und Schweden auf den Weg in die Natur. Das ist ansteckend…
Seit ein paar Jahren hat der STF hier begonnen, geführte Biketouren anzubieten. Mittlerweile gibt es ein kleines Netz an Eintagestouren und auch Touren von mehreren Tagen sind möglich. Sogar eine kleine Fatbike-Flotte kann gemietet werden. In den umliegenden Berghütten ist einfach Platz und Verpflegung für eine Nacht zu finden – Gepäcktransport nicht inklusive! In den nächsten Tagen machen wir verschiedene Touren rund um Storulvån.
Bei den meisten Touren müssen wir mindestens einmal die Schuhe ausziehen, um einen Fluss zu durchwaten. Wenn der Boden vom vielen Schmelzwasser aufgeweicht oder morastig ist, sind die Stellen mit Stegen aus Holzplanken befestigt. Diese verlangen zu Beginn unserer Reise etwas Übung und Gleichgewicht, um mit beiden Rädern drauf zu bleiben. Schon nach einigen Tagen sind sie jedoch unsere Freunde und begleiten uns auf unserer gesamten Reise. Northshore heisst das in Kanada – hier „Spåra“. Wobei ein Sturz nicht mit einem Knochenbruch, sondern eher mit einem Bad im knietiefen Schlamm endet.
Åre
Bei Åre läuten dem Wintersportler die Glocken: Biathlon, Ski-Weltcup und Weltmeisterschaften. Hier befindet sich aber auch der grösste Bikepark ganz Skandinaviens.
Åre ist in rund zwei Stunden einfach mit dem Auto oder Zug von Östersund (von Storulvån aus in ca. 30 Minuten) zu erreichen. Wir quartieren uns für drei Tage in der schmucken Jugendherberge ein und wollen dem Bikepark ein paar Besuche abstatten. Wer hier nach Integralhelmen und Protektoren Ausschau hält, sieht diese vielfach. Man muss sein Bild von einem Bikepark aber etwas revidieren: Es vergnügen sich hier Eltern mit ihren Kindern, absolute Anfänger und Profis aus dem Downhill-Weltcup. Ein manchmal beängstigendes Bild geben die „Polterabend“-Gruppen, welche die komplette Bike Ausrüstung mieten und sich wie Profis fühlen, jedoch technisch noch am andren Ende der Skala fahren.
Die Trails sind vielfältig und bieten eine grosse Auswahl an unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden. Auch wir mit unseren Allmountain-Bikes finden schnell Spass am flowigen, sprungbeladenen „Shimano“ am technischen „Flinbanan“ oder am endlos scheinenden „Easy Rider“. Ein Park für jedermann, jede Frau und fast jedes Kind. Suchtpotential.
Åre ist uns aber nicht nur wegen dem Bike-Park sehr sympathisch. Im kleinen Städtchen verstecken sich viele hübsche Kaffees oder Bars. Wer auf Outdoorklamotten steht, findet hier ein paar exklusive Shoppingmöglichkeiten. Auch um einen Defekt am Mountainbike zu beheben, ist man hier ebenfalls richtig. Åre ist wohl der Ort mit der grössten Dichte an Bikeshops in ganz Schweden.
Lofsdalen
Etwa drei Autostunden südlich von Åre entfernt befindet sich ein weiterer Bike-Park für den abfahrtsorientierten Biker. Etwas kleiner als Åre, mit sechs Pisten und einem Sessellift ist Lofsdalen noch ein Geheimtipp, welcher praktisch nur von lokalen Bikern besucht wird.
Vålådalen
Vålådalen ist nicht weit von Åre entfernt, aber das pure Gegenteil der Skisport-Metropole. In Vålådalen trainiert die schwedische Langlauf-Nationalmannschaft ganzjährig und doch bleibt der kleine Ort weit hinten im Tal idyllisch und ruhig. Wir übernachten hier, um eine der schönsten Touren der Gegend zu fahren. „Pyramiderna“ heisst die etwa fünfstündige Runde über Issjödalen. Auf dieser Tour durchfährt man dichte Nadelwälder, Landschaften mit kleinen Birken und Büschen, grosse Moorgebiete und gelangt so in das alpine und steinige Hochland.
Auf dem Weg nach oben halten wir immer wieder Ausschau nach leckeren Moltebeeren und Pilzen. Das Ausschauhalten vertreibt uns die Zeit und wir bringen plaudernd den anspruchsvollen Uphill hinter uns – gute Fahrtechnik ist hier gefragt. Oben auf dem Plateau angekommen, bietet sich eine wunderbare Aussicht über den Fluss Vålån und die „Pyramiden“. Diese „Pyramiden“ entstanden aus einem See, der vor Jahrtausenden sein Wasser verlor und an dessen Abfluss sich die drei Pyramiden aus Sediment und Gestein bildeten. Die Abfahrt ist flowig und führt an einer verlassenen Siedlung der Samen (den Ureinwohnern Nordschwedens) vorbei.
Am Abend bereiten wir mit den gesammelten Zutaten ein leckeres Nachtessen zu und könnten uns vorstellen, noch lange hier zu verweilen.
Östersund und Frösön
Um vom westlichen Jämtland ins etwas südlichere Härjedalen zu kommen, fahren wir wieder zurück nach Östersund, wo wir vor etwas mehr als einer Woche gelandet sind. Hier unterbrechen wir die Fahrt, denn die Gegend um Östersund bietet tolle Möglichkeiten mit dem Bike. Es sind gut beschilderte Wege, die von Wanderen und Bikern genutzt werden können. Dass die Trails für Biker immer beliebter werden, zeigen die Pneu-Abdrücke im sandigen Boden.
Die Gegend um Östersund ist bekannt für grosse und malerischen Seen. Im Winter verwandeln sich die Seen in veritable Autostrassen, im Sommer lädt das Wasser zum Baden ein, doch heute ist es einfach zu kalt! Wir entscheiden uns für die Singletrail -Umrundung der nahe gelegenen Insel Frösön. Die Trails sind eher flach, doch macht dies die Runde nicht weniger anstrengend. Die technische Schwierigkeit auf dem mit Wurzeln gespickten Trail ist groß und wir merken bald, dass die gut 40 km uns einiges an Fahrgeschick und Kondition abverlangen. Da die Gegend hier um die größte Stadt Nordschwedens etwas dichter besiedelt ist, kommen wir an traumhaft schönen Häusern vorbei. Wie wäre es wohl hier zu wohnen? Kurz bevor wir wieder bei unserem Auto sind, treten wir noch einmal kräftig in die Pedalen und werden auf einer Anhöhe mit fantastischer Aussicht und einer leckeren Waffel in einem Waffelcafe belohnt. Trotz dem kühlen Wetter ein perfekter Biketag!
Helags/Ljungdalen
Die Touren um Ljungdalen und den Helags sind kurz und flüssiger zu fahren. Die Gegend um den höchsten Berg der Region bietet auch für nicht Biker tolle Ausflüge: So kann man von der STF Berghütte am Fuße des Helags Polarfuchs-Expeditionen oder Wanderungen auf die umliegenden Gipfel unternehmen. Die Hütte bietet wie alle STF Unterkünfte eine wunderbare Sauna mit Blick ins Fjäll. Nichts entspannt nach einem anstrengenden Tag auf dem Bikesattel mehr als eine „heimelige“ schwedische Sauna. Der STF setzt bei allen Übernachtungsmöglichkeiten auf lokale Produkte. Essen ist ein wichtiges Thema bei den Schweden und kulinarisch lohnt sich die Reise deshalb ebenfalls. Wie in allen anderen Hütten bekommen wir hier ein erstklassiges dreigängiges Menu mit lokalem Fisch, Rentier, Gemüse und Beeren aus der Region.
Die Rückfahrt von Helgas zurück nach Ljungdalen am nächsten Morgen geht vorwiegend abwärts, aber auch das ist auf den technischen und flowigen Trails ermüdend. Immer wieder gibt es Gegenanstiege, welche einem am Abend die Beine spüren lassen. Zum Glück erreichen wir kurz vor Mittag eine Waffelhütte. Waffeln geben Energie und eine gute Laune. Was wir in Schweden ungemein schätzen.
Funnäsdalen
Bis anhin ist mir der südlichste Ort unserer Reise noch nicht bekannt. Dennoch habe ich immer wieder davon gehört – wir hoffen, dass es einen Stopp wert ist.
Mit unbeschreiblichen 500 km Singletrail wirbt Funnäsdalen als Trailparadies für sich. Leider wird uns nun aber rasch klar, dass die Trails im Sommer über die Loipen der Langläufer führen. Im Winter spielt es für die Langläufer keine Rolle, ob unter den Skis ein beinhart gefrorenes Moor liegt. Im Sommer ist dieses Detail für den Biker entscheidend. Die Topographie wäre ideal und würde eine Entwicklung in Richtung Bike Eldorado im hohen Norden zulassen, doch irgendwie scheint diese Sache nicht fertig gedacht zu sein. Nach zwei Tagen im Moor und Dreck verlassen wir die Region gerne für unser nächstes Ziel: Ramundberget.
Ramundberget
Wenn man Ramundberget mit drei Worten beschreiben kann: Waffeln, Traumtrails und Landschaft. Zwar wirkt die einstige Bergbausiedlung auf den ersten Blick etwas verschlafen, doch die Trails sind vom Feinsten. Ramundberget hat nur eine Unterkunft und wen wundert es – STF! Die Angestellten hier treiben alle aktiv Sport und geben gerne Auskunft, welche Trails befahren werden können und welche sich eher weniger eignen. Die zwei Tage in Ramundberget genießen wir in den umliegenden Hügeln. Wir unterbrechen die Touren gerne für einen Stopp, um die Tierwelt zu beobachten oder in den Waffelhütten im Fjäll unserer neuen Liebe zu frönen. Neben Wiesel und Kranichen bekommen wir nun endlich einen Elch zu Gesicht.
Marieby
Die Zeit vor unserem Rückflug von Östersund in Richtung Zürich nutzen wir für einen Besuch bei meinen Freund Johan. Eine Biketour und ein Nachtessen auf dem Hof von ihm ist ein toller Plan für den letzten Tag in Schweden. Ich kenne Johan, der als Schriftsteller, Outdoorguide und nun als Kleinbauer arbeitet, seit ein paar Jahren und genieße die Touren mit ihm und vor allem auch seine Kochkünste immer wieder gerne. Mit ein paar Freunden hat er Land um Marieby gekauft und verwirklicht den Traum der lokalen Bikecomunity – das erste Trailcenter in Schweden. Die Trails des Centerssind zum Teil noch weich und erst vor ein paar Tagen gebaut, die älteren Strecken aber sind lustige, flüssige Singletrails und schlängeln sich über Kilometer durch die Wälder, sodass man nach kurzer Zeit die Orientierung und die Sorge über den einsetzenden Regen vergessen hat. Johan erzählt, dass er vor zwei Tagen besucht des schwedischen Fernsehens hatte – das Interesse und die Freude am Biken wird auch bei den Schweden immer grösser.
Wir genießen unser letztes Nachtessen auf dem Hof von Johann, hier wohnt er gemeinsam mit seiner Familie und Freunden. Alle hier scheinen irgendwie Biker zu sein und können spannende Geschichten von überall auf der Welt erzählen. So geht eine gelungene und gesellige Reise hier in Marieby zu Ende.
Zusammenfassung
Wer die Natur liebt und vor technischen Trails bergauf und bergab nicht zurückschreckt, ist hier im schwedischen Jämtland und Härjedalen genau an der richtigen Adresse! Man muss sich die Kilometer hart verdienen, doch bietet die Gegend einiges an Flora und Fauna … und nicht zuletzt an Abenteuer.
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