Ein 271 km Ritt über die französischen Seealpen. Sechs Tage Mavic Trans Provence 2016. Das vielleicht schönste, aber mindestens eines der härtesten Mountainbike-Rennen der Welt. Ines Thoma, Max Schumann und Anita & Caro Gehrig, die „Füstlicrew“, haben den Parforce-Ritt in diesem Jahr mitgemacht – hier ist die ganze Geschichte einer denkwürdigen Woche.
Ich treibe mit Strohhut im Meer, trinke eine Dose Bier und das Salz brennt im ein oder anderen Kratzer am Bein. Kaum zu glauben, noch vor einigen Tage konnten wir vor Aufregung kaum einschlafen. Der Regen ist auf unsere Zelte geprasselt, oben in den Bergen glitzerte der Schnee. Über 18.000 Tiefenmeter sollten noch vor uns liegen. Auf dem Weg zum Mittelmeer. Der Start in Embrun vor einer Woche scheint lange her. Seither sind wir durch knöcheltiefen Schnee gewandert, haben bei 38 Grad Celsius geschwitzt und die ein oder andere Freuden- und Enttäuschungsträne vergossen.
Auf den ersten Blick scheinen die gut 9000 Höhenmeter eigentlich easy. Jeder, der schon eine Transalp oder ähnliches bewältigt hat, lacht sich dabei doch ins Fäustchen, oder? Was man allerdings auf keinen Fall machen sollte – die Trans-Provence unterschätzen. Gefühlte 100 km der Strecke wird das Bike geschoben oder geschultert, die Tage sind lang, heiß (oder in diesem Jahr zu Beginn auch sehr kalt) und die Trails verlangen selbst Weltserien-Profis wie Nico Lau alles an Können ab. Steile, lose Geröllrinnen, ausgesetzte Spitzkehren und Stagezeiten bis zu 18 Minuten. Das Ganze natürlich „blind“, das heißt, ohne die Stecken zu kennen.
Um zu erahnen, was einen auf der nächsten Rennstrecke erwartet, kann man lediglich vor dem Start die jeweilige Landkarte mit einer kurzen Stagebeschreibung studieren. 950 Tiefenmeter, 30 Höhenmeter und 5,5 km Länge sollen es hier also sein. Zu Beginn der Stage warnt der Veranstalter „Ash“ in seinem kurzen Infotext vor „moderate exposure on your left“, der Trail folgt einem Bergkamm und fällt dann steil ins rechte Tal ab. Nach sechs technischen Spitzkehren folgt eine unübersichtliche Kreuzung. „Keep your head up and watch out for signs“. Was folgt, ist „steep, technical and loose terrain“ mit einigen „uphill bursts“. „Be sharper than a rock“, steht da noch und „bear in mind the bigger picture!“ Aha.
Im Laufe der Woche lernt man die Informationen aus dem Landkarten immer besser zu verstehen und vor allem zu würdigen. Dabei versteht man so langsam, dass dieses Rennen einfach ein technisch sehr hohes Niveau aufweist. Ein „Attention“-Schild auf dem Trails heißt somit entweder 200 Meter Klippe, nicht-abrollbarer Absatz, Baumstamm oder irgend etwas anderes verrücktes. Spricht Ash von „moderate“, ist es für mich auf jeden Fall schon extrem und bei den „slightly steep uphill bursts“ hat man das Gefühl, sein Rad eine Leiter hochzutragen. Navigation und Konstanz sind das A und O. Lieber mal eine Sekunde an einer Abzweigung zu viel geschaut, als 3 Minuten in die falsche Richtung abzubiegen und somit mindestens 6 Minuten zu verlieren. Man fährt zwar wie bei jedem Rennen so schnell wie möglich, dies entspricht aber auf keinen Fall dem Speed einer EWS-Strecke. Hinter jeder Ecke lauern Überraschungen und Stürze können nicht nur lebensgefährlich sein, sondern kosten wie Defekte am Rad einfach viel Zeit. Am Ende der Woche geht es wie immer um Sekunden, vor allem diesmal.
Das Männerrennen gewinnt wie in den vorherigen Jahren der „König des blind Racing“, Nico Lau. Auch er verlor aufgrund eines recht krassen Sturzes in Tag 3 einige Sekunden, aber keiner fährt so schnell auf unbekanntem Terrain wie er. Francois Bailly-Maitre (ebenfalls Franzose) und Gusti Wildhaber aus der Schweiz ergänzten das stark besetzte Podium. Wie diese Typen in dem ausgesetzten und technischen Gelände unterwegs sind, ist einfach unglaublich!
Max (Schumann) ist bei dieser Art von Abenteuerrennen ebenfalls in seinem Element. Er liebt die langen Tage, die wilden Landschaften und je steiler und technischer die Kehren, desto mehr grinst der Max. Am ersten Tag noch ausgebremst von zwei Navigationsproblemchen (verfahren gehört bei der TP einfach dazu), hat er im Laufe der Woche immer weiter Plätze gut gemacht und fährt am letzten Tag sogar noch ein Top 10 Resultat ein. Chapeau.
Das Frauenrennen war wohl spannender als jemals zuvor bei einer Trans Provence. Während die Männer ja oft um Sekunden kämpfen, so hat sich in den letzten Jahren bei den Frauen meist von Beginn an eine klare Favoritin aufgetan.
Dass in diesem Jahr ausgerechnet wir drei um das Podium kämpfen würden, wo wir ja auch sonst so ziemlich jede Minute auf dem Rad zusammen gelitten und gelacht haben, war schon eine besondere Situation. Sowohl Anita, Caro (Gehrig) und ich haben jeweils Tagesbestzeiten eingefahren. Alle drei hatten Höhepunkte und Niederlagen. Anita war zu Beginn der Woche noch durch Antibiotika geschwächt, wurde im Laufe der Zeit immer stärker. Zwar fand sie immer den richtigen Weg, ein Plattfuß blieb aber auch bei ihr nicht aus. Caro kämpfte bis zum vorletzten Tag um die Sekunden mit. Eine schlecht markierte Abzweigung wurde ihr jedoch, wie auch einigen anderen Fahrern, zum Verhängnis und sie verlor fast 3 Minuten an Tag 5. Für Caro somit aus der Traum vom Sieg, nicht jedoch vom Podium, da sie durch einen beachtlichen Puffer immer noch auf Rang 3 lag.
Ich blieb am zweiten Tag leider in einem Sprintstück im hohen Gras mit meinem Pedal an einem Stein hängen und stürzte recht blöd auf den Kopf. Zwar sind hoffentlich mehr Sekunden als Gehirnzellen kaputt gegangen, jedoch plagte mich der Sturz gerade im ausgesetzten Gelände der Folgetage vor allem mental.
Nach 6 krassen Renntagen dann das unglaubliche Finish. Wir hatten es wirklich geschafft, dass die allerletzte Stage entscheiden sollte, wer das Frauenbattle der TP 2016 gewinnt. Während alle anderen bereits Bier und Bikini im Kopf hatten, kam es für Anita und mich noch einmal auf alles an. Die Entscheidung dann bereits nach 100 Metern. Zerbrochenes Glas schnitt mir meinen Hinterreifen auf (erst der 2. Plattfuß in einem großen Enduro-Rennen überhaupt!). Somit war es entschieden. Anita Gehrig gewinnt mehr als verdient die Trans Provence 2016. Ich verdrücke mir eine kleine Pechträne und werde mit 12 Sekunden Rückstand Zweite, Caro verteidigt mit Bravour ihren 3. Platz. Die Füstlicrew auf dem Podium. Beste Sektdusche überhaupt!!
Tops & Flops der „Füstlicrew“
Anita Gehrig
Highlight: Die Atmosphäre unter den Fahrern war einmalig: Es wurde so viel gelacht, dass man die Strapazen und Schmerzen doch fast vergaß, die dieses Rennen mit sich bringt. Eines der Highlights war sicher auch das spontane Bad im Fluss, unglaublich wohltuend.
Flop: Nach fast acht Stunden im Sattel und die Stages des Tages bereits erfolgreich hinter mir, fand ich mich auf einem Transfer plötzlich drei Meter unterhalb des Trails wieder. Einfach nur daher-cruisen gibt es auf den oft sehr ausgesetzten Trails am Trans-Provence nicht, sonst findet man sich ziemlich schnell im Buschwerk wieder, sofern es glimpflich ausgeht.
Beste Stage: Der Transfer zur letzten Stage des Tages war undankbar und beinhaltete einen „Hike a bike“ über 400 Höhenmeter. Was dann aber folgte, liess einen alles vergessen: Ein flowiger Singletrail im Wald, der mit Spitzkehren und Wurzeln gespickt war. Ich konnte nicht anders und hatte von oben bis unten ein Grinsen im Gesicht.
Es ist ein steiniger langer Weg nach Menton, und kaum jemand schafft es, ohne Defekt und Zwischenfälle durchzukommen. Bei mir hat die Defekthexe schon am ersten Tag zugeschlagen, doch hatten auch Ines und Caro über die Woche mit Problemen zu kämpfen. Das Rennen zwischen uns war ultra-knapp. Dass ich aus dem Battle den Sieg mit nach Hause tragen durfte, freut mich natürlich besonders, auch wenn ich jeder von uns dreien den Sieg von Herzen gegönnt hätte. Denn schließlich litten wir miteinander, freuten uns gegenseitig und halfen einander, wenn es nötig war – #füstlicrew for life!
Max Schumann
Highlight: Die ganze Woche war für mich ein einziges Highlight. Mehr Enduro-Spaß und -Abenteuer kann man wohl kaum in eine einzige Woche packen. Viele, lange Trails. Einsame Alpenübergänge. Und alles mit einer feinen Gruppe Gleichgesinnter. Das ist genau mein Stil und meine Interpretation von Mountainbiken.
Flop: Ehrlich gesagt war meine Woche erstaunlich floparm. Keine Stürze, keine Defekte, keine minutenschweren Orientierungslücken. Am nervigsten und transferzeit-raubendsten war ein verlorener Kamera-Akku. Der Weg zurück zum letzten Fotostandort war mühsam, aber für mich als „Tourist“ trotzdem wichtig.
Beste Stage: Es fällt mich schwer, eine konkrete Stage zu wählen. Zu viele waren zu gut. Je länger und technischer, desto besser. Aber fast noch besser als so manche Stage waren teils die Transfer-Trails. Auch hier ist überverhältnismäßig viel Fahrspaß geboten.
Bester Moment: Die beste Spitzkehre meines bisherigen Radlerlebens bin ich wohl auf Stage 4 des dritten Tages gefahren. Die war wirklich perfekt. Da hat alles gepasst. :) Ansonsten gilt auch für mich, trotz aller genialen Trailmomente: Der beste Moment der Woche ist der Sprung ins Meer mit dem Bier in der Hand.
Ines Thoma
Eine der genialsten Bikewochen meines Lebens und das spannendste Frauenbattle, seit es die Trans Provence gibt. Die Mischung aus Abenteuer, atemberaubender Landschaft, fröhlicher Stimmung in unserer Gruppe und Rennfieber bis zur letzten Stage hat mich total umgehauen.
Highlight: Trotz härtestem Konkurrenzkampf gemeinsam lachen und leiden und sich helfen wo es nur geht, wahrer Teamgeist und echter Spirit of Enduro bei den Girls.
Flop: nach 5 Tagen Führung durch einen Plattfuß auf der allerletzen Stage eine Minute verlieren.
Beste Stage: die „Grey Earth“ Stage in Varberg ist pures Freeride-Vergnügen mit freier Linienwahl und unglaublich viel Grip auf dem grauen Sandstein.
Bester Moment: nach dem härtesten vierten Tag mal kurz am Ende der letzten Stage mit der ganzen Crew in den Fluss gehüpft.
Caro Gehrig
Highlight: Die dritte Etappe von Villars Colmars nach Valdeblore war mein absolutes Highlight. Nach einem langen, anstrengenden, aber superschönen Transfer kamen wir auf eine Hochebene, auf welcher wir eine Riesen-Aussicht auf die umliegenden Berge hatten. Die Stimmung an diesem Tag war, obwohl wir alle schon ziemlich müde waren, super und ausgelassen, von Race-Stress keine Spur. Die Stage, die danach folgte, hat es sehr weit vorne in meine Top 10 Trails auf der Welt geschafft. Ein schneller Singletrail, der sich kilometerlang und durch verschiedene Vegetationsstufen Richtung Tal schlängelte. Einfach nur geil!
Flop: Nach dem ich mich die ersten vier Tage schon fast gefragt habe, warum ich bis jetzt die einzige in unserer Crew war die noch keinerlei technische Defekte sowie Stürze hatte, wurde ich am vorletzten und letzten Tag so richtig auf die Probe gestellt. Am Tag 5 habe ich eine Abzweigung übersehen und ich landete irgendwo im Nirgendwo, mit diesem über 3 min Umweg habe ich meine Chancen auf den Sieg verspielt. C’est la vie…
Bester Moment: Weil ich die letzten zwei Tage mit Pleiten, Pech & Pannen zu kämpfen hatte war ich einfach nur erlöst, endlich in Menton ins Meer springen zu können. Das diesjährige Trans Provence war die beste Woche auf einem Bike in meinem bisherigen Leben, einfach ein unglaublich cooles Abenteuer mit super Freunden, das ich nicht so schnell vergessen werde. Zusammen lachen, leiden, helfen und sobald die Uhr läuft, auf den Stages Schalter umlegen, racen und alles geben. Wir konnten es am Abend, wenn die Timing-Chips ausgelesen wurden, jeweils selbst kaum glauben, wie eng unsere Zeiten beisammen waren. Dass unsere #füstlicrew am Ende das erste Mal ein Podium komplett einnehmen konnte, nach einem harten Battle die ganze Woche lang, war definitiv die Krönung einer unglaublichen Woche.
Alle Fotostories zur Trans Provence 2016
- Trans Provence 2016: Tag 0 – es geht los! Ankunft im Regen
- Trans Provence 2016 – Tag 1: Unterwegs im Schnee!
- Trans Provence 2016 – Tag 2: Von Monsteranstiegen und steilen Abhängen
- Trans Provence 2016 – Tag 3: Graue Erde und 3 Stunden-Uphills
- Trans Provence 2016 – Tag 4: Mitten auf dem Mars
- Trans Provence 2016 – Tag 5: Königsetappe mit 4000 Tiefenmetern
- Trans Provence 2016 – Tag 6: Finale am Meer
- Von Schnee zu Strand. Die Mavic Trans Provence 2016
Bilder: Sven Martin, Sam Needham, Duncan Philpott, Max Schumann
Text: Ines Thoma
Bildunterschriften: Max Schumann
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