Die Vorfreude, nach einer einjährigen Pause wieder ins italienische La Thuile zurückzukehren, ist bei allen Fahrern groß. Der Austragungsort verspricht mit Etappenstarts weit über der 2000-Meter-Grenze schier endlos lange Abfahrten. Dank viel Liftunterstützung werden über das zweitägige Rennen rund 4.800 Tiefenmeter im Renntempo vernichtet.
Nicht, dass wir besonders gerne Auto fahren, aber trotzdem sind wir froh, dass wir mit unserem Auto nach La Thuile reisen können. Denn die Packerei gestaltet sich viel stressfreier, wenn man sich mal nicht auf einen Bike-Koffer und eine Sporttasche einschränken muss.
Dort angekommen, treffen wir nach fast zwei Monaten EWS-Pause wieder auf unsere Team-Kollegen. Nebst der Wiedersehensfreude kommt damit auch die Rennatmosphäre wieder auf. Caro und ich fühlen uns, nach den Strapazen des Trans Provence, nun auch wieder bereit, ins Renngeschehen einzugreifen. Die vielen Stunden auf den Bikes haben uns viel Selbstvertrauen gegeben.
Für einmal verzichten wir auf den Trackwalk und ersetzen ihn mit Cappuccino und Gelato – die Downhills sind uns schlicht zu lange, um sie abzugehen. Dank den Bergbahnen haben wir zudem die Möglichkeit, die Strecken zweimal zu fahren. Etwas verunsichert sind wir am Abend trotzdem, als wir von anderen Fahrern hören, wie steil und technisch anspruchsvoll die Strecken sind. Naja, ändern können wir nun auch nichts mehr.
Der erste Trainingstag steht an: Ganz schön kalt ist er, der Donnerstag Morgen – wir sitzen fröstelnd auf dem Sessellift. Der Regen vom Vortag kam weiter oben als Schnee herunter. Der Stimmung tut dies keinen Abbruch. Während des Trainings hört man keine einzige unzufriedene Stimme, wirklich jeder ist happy über die Strecken. Jede Stage ist physisch und technisch sehr anspruchsvoll und die vielen Anstiege geben der Sache noch etwas mehr Würze – oder eher Säure (in den Beinen).
Racing Time!
Der Start ins Rennwochenende erfolgt nicht über die Bergbahn, sondern über einen fast zweistündigen Anstieg zum Cole de la Croce hoch. Auf fast 2.400 m.ü.M. befindet sich der Start der ersten Stage und es herrscht eine überwältigende Aussicht auf den 4.808 Meter hohen Mont Blanc. Die Etappe startet hochalpin und erinnert mich stark an die Trails zu Hause in Flims. Weiter unten tauchen wir in Lärchenwald ein und der Trail führt über Nadelboden sauschnell am Hang entlang. Auf der langen Geraden vor dem Ziel höre ich die Rufe meines Papas. Ich gebe mir vor dem begeisterten Marathon-Fahrer keine Blösse und trete so schnell wie ich nur kann ins Ziel. Das Lungenbrennen erreicht schon nach einer Stage den ersten Höhepunkt. Das nehme ich nach einem Blick auf die Resultate gerne in Kauf: Dritter Platz. Auch Caro startet spitze und reiht sich auf Platz fünf ein.
Gefühlsmässig richtig in Fahrt kommen wir erst auf der letzten Stage des Tages. Der obere Teil führt über steile Felsplatten, weiter unten ist die Strecke Bikepark-mässig angelegt. Ganz zum Schluss folgt ein richtig mieser Anstieg, wo man sich schön die Lichter ausschießen kann – was wir auch getan haben. Auch das hat sich wiederum gelohnt, denn wir liegen nach Tag eins auf den hervorragenden Plätzen drei (Anita) und fünf (Caro).
Sunday „Fun“-Day
Zum Glück startet das Rennen heute eine Stunde später, denn wir beide fühlen uns wie durchgekaut und ausgespuckt. Mit den Hoffnungen aufs Podium gesetzt, schlief es sich etwas weniger gut wie sonst schon. Die kalte Dusche weckt uns wieder auf, doch das Frühstück bringen wir trotzdem fast nicht runter. Wir sind richtig nervös! «Eyes on the price» ist das Motto des Tages – wir wollen unsere Positionen unbedingt behalten.
Stage vier startet wild und wir kommen beide nur schlecht in den Rhythmus. Ab der Mitte fühle ich mich wieder wohl, denn diesen Streckenteil kenne ich von den vergangenen Rennen sehr gut. Wohl trotzdem nicht gut genug. Ich fahre zu schnell in eine schräge Felsplatte, bremse ruckartig ab und stürze. Mein Bike fliegt nur knapp nicht die Böschung hinunter. Ich fahre beherzt weiter und der Schaden hält sich in Grenzen.
Die anstehende fünfte Etappe macht mich etwas nervös. Diese wird gegen unten immer technischer, und der sehr lose Waldboden verändert die Strecke durch die vielen Fahrer bereits während dem Training schon ordentlich. Wir nehmen uns vor, die Stage locker anzugehen, um nicht im Staub unterzugehen. Beide verzeichnen zwar keine groben Zwischenfälle, aber dennoch verlieren wir richtig viel Zeit. Wir haben es schwarz auf weiss: Ich rutsche auf den vierten, Caro auf den siebten Platz ab – einfach zu viel in den Bremsen gehangen!
Ich bin wütend auf mich selbst. Da kommt mir die kurze Pause im Fahrerlager gerade recht. Nach einem doppelten Espresso und Keksen sieht unsere Welt wieder besser aus, und wir sind bereit, die letzte Stage zu rocken. Der Zuschauerauflauf ist immens. Die Italiener verbreiten wieder eine grandiose Stimmung. Die letzte Abfahrt hat es in Sich: Sehr steil, viele hängende Kurven, ein Rockgarden fast schlimmer wie der auf der Downhill-Worldcup-Strecke von Val di Sole und sehr enge Spitzkehren noch dazu.
Die Fahrt gelingt uns in wahrer Zwillingsmanier – in der gleichen Sekunde überqueren wir die Ziellinie. Vierte und Dritte sind Caro und ich auf der letzten Stage, doch freuen mag ich mich vorerst nicht darüber. Der Speaker verkündet Andréanne Lantheau als Dritte – der Traum vom Podium ist vorerst geplatzt und ich bitter enttäuscht.
Ein kleiner Trost bleibt unser erstes Teampodium mit dem zweiten Rang. Nun geht es Schlag auf Schlag weiter, bereits am Freitag fliegen wir in die USA, wo in knapp zwei Wochen das nächste EWS Rennen und die nächste Chance folgt.
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