Wieder ein Jahr vorbei, und ich werde ganz still. Die letzte Kolumne des Jahres überlasse ich dem Rene, alias „Trail Surfer“, und seiner Metamorphose zum Winterbiker. Einige kennen und schätzen schon seine wortgewaltigen Ergüsse aus dem Forum. Auch ist er bekannt dafür jeden Reifen testen zu wollen, denn Unwissenheit schützt vorm Fallen nicht.
Ich lehne mich nun zurück, genieße und entlasse euch an die reich gedeckten Gabentische. Muschi am Mittwoch wünscht euch allen ein frohes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins Jahr 2017. Wir lesen uns wieder mit „Des Wahnsinns fette Beute“ am 4. Januar.
Die Stimme kommt aus dem Nichts in meinen Kopf.
„You are injected!“ Warum ich ausgerechnet jetzt an den netten indischen Kollegen denke, der mich vor Jahren als Trainee in Uttar Pradesh fit für meine Tätigkeit in einem global agierenden Pharmakonzern machte – schleierhaft. Genau so, wie die letzen morgendlichen Nebelschwaden, die um die Stollen meines Enduros wabern. Mein Atem würde sich in kleinsten Kristallen fangen, wenn sich das Gesicht nicht hinter einer Sturmhaube verstecken würde. Minus 6 Grad. Der Winter.
Irgendwie ist es auch das, das SEIN. Als Winterbiker.
Alles reduziert sich. Auf das Wesentliche. Trotz der Kälte harrt mein Körper in einer Art Entspannung der kommenden Kurbelfrequenzen. Und da, die ersten Strahlen einer tief stehenden Morgensonne. Serotonine durchströmen meinen Körper…
Wie alles begann…
Ich erinnere mich nicht mehr genau wann es war, vermutlich im Herbst 2014. Damals fuhr ich im Spätsommer mit meiner damaligen Neuerwerbung, einem Trailbike aus UK mit Inbrunst, hatte soviel Spaß wie nie zuvor. Das Feuer, welches sich in mir seit dieser ersten Reinkarnation von Tourendemmler zum Trailbiker entfachte, war wie eine Initialzündung. Bike: „Hey, Du, ich will mehr!“ Ich folgte willig, obwohl ich mir sonst nicht so leicht etwas von anderen sagen lasse. Steinbock…Aszendent Jungfrau….schwieriger Fall…
Das Bike, ein guter Kumpel, mit dem ich Stunde um Stunde bei schönem Wetter draußen in der Natur verbringen konnte. Auch wollte. Denn mein Körper war seinerzeit wieder mal in einer Phase von immer etwas zuviel Arbeit, was abends gerne mit gesellschaftsfähigen Liebdrogungen ausgeglichen wurde.
Ja, Scheizze nochmal, du bist zu fett geworden, Alter!
Das Blöde ist irgendwie nur, die Leute gucken und kriegen es nicht über den Mund, mal eine offene, ehrliche Rückmeldung zu geben. Wahrscheinlich beiße ich. Kann sein. Manchmal schon.
Jetzt beiße ich, aber ohne krankhaften Ehrgeiz. Denn die körperlichen Anstrengungen kosten zwar Kraft, aber es wird auch alles besser, was ich selbst beeinflussen kann. Meine Laune, die schon frühmorgens auf positiv schaltet, meine Gesundheit, die Erkältungen oder anderes Kroppzeug meidet, meine Fitness (ja, es ist auch mal schön, den Bikekumpels in der Serpentine bergan mal zu zeigen, wo der Hammer hängt).
Zu Risiken und Nebenwirkungen
Meine Freundin zieht die Augenbrauen hoch, als ich wieder mal abends, von oben bis unten in Winter gekleidet, von der Arbeit nach Hause kommend, vor ihr stehe: „Der Herr Freak ist da!“ Ja, genau DER Typ. Da isser wieder. Und weil Winter süchtig macht, geht es nach dem Abendessen (und einem gehauchten „Danke, Schatz“) in den Keller.
Was? Ja, klar. Sie vertieft sich wieder in ihr E-Book. Nochmal Bike checken, gucken ob alle Schrauben noch genug Drehmoment haben, Kette ölen, Bremsbeläge prüfen, Akku-Beleuchtung aufladen. Irgendetwas ist ja immer zu tun.
Aber, das sind alles nur Spirenzchen, Makulatur. Genau so, wie alternativ die freie Zeit vorm Internet zu verbringen und abzuchecken, welches Zubehör oder Verschleißteil mit dem Austausch nicht bis zum Frühjahr warten kann…neue Reifen? Klar, und mit wintertauglichem Gummi bitteschön. Mindestens!
Da kann man ja Stuuunden vor diesem Teil hier verbringen und rauf und runter diskutieren und persiflieren. Reifen erst im August gewechselt? Pillepalle!
Und als die Apothekerin tags darauf freundlich nachfragt, wofür ich denn 1 Liter Isopropanol brauche, deute ich mit meinem Daumen hinter mich auf meinen Rucksack und meine: „Kommt in die Trinkblase“.
However, wie schon gesagt, Spirenzkulatur…oder so. Denn die HAUPTSACHE, die liegt da draußen und – glaub es oder nicht – du brauchst weder Racer und auch recht kein Tretschwein oder Stakkato-24-Stunden-Masochist zu sein. Alles was es braucht ist ein BIKE und DICH.
Hey, und kein IBC und die Laufradgröße ist auch vollkommen Hupe. Trööööt…lass sie tröten, die selbsternannten Huperiche in der sakralen Welt der Unterforen.
Der Winterpokal
Huuuiiii….schwieriges Thema…sag ich jetzt mal so. Denn, was ich so hier und da lese, und ihr wisst ja, lesen soll bekanntlich bilden, es ist ein Reizthema. Die, die nicht STRAVA machen sind eh meist Bescheißer und die die STRAVA machen sind irgendwelche Nerds, die nicht mal in der Lage sind, ihre Schnürsenkel selbst zu binden. Aber, Hauptsache, ne Bestzeit aufgestellt. Ja, ist klar…
Und die, die nicht mitmachen? Alle doof! Also, alle die, die mitmachen.
Wenn ich so in mich höre, und ehrlich bin (da keiner meine Gedanken lesen kann, bin ich mal so frei, es zu sein): Ich bin es. SCHULDIG! Schuldig im Sinne der Anklage! Jawoll, es gibt mir einen Push, allerlei Bembel zu sammeln. So eine kleine extern getriebene Selbstbefriedigung, manchmal – hier und da – wohl bekomms, Ego.
Aber nicht alle Bembel sind gleich, denn es gilt die Herausforderung, dem inneren Schweinehund Paroli zu bieten. Und aller Anfang ist schwer, jeden Winter. Aber nicht gleich schwer. Eigentlich ist es nämlich wie mit DEM Berg. Der ist auf einmal DA. Irgendwie DA. Von seiner Existenz war Dir bisher nichts bekannt und jetzt steht er DA. Unverrückbar und omnipotent. Du schaust zu ihm empor, dem Regenten über deine bereits müden Beine, vom Laktat zerschossen oder einfach weil es heute nicht so wirklich dein Tag ist. Und trotzdem, du fährst ihn, unter Strapazen und Befriedigung schleicht sich von hinten heran und klopft an die Tür. Herein?! Und das erste Mal war das schwerste Mal. Und jedes Mal danach wird er immer flacher, der Regent. Warum weiß kein Mensch (beim Schreiben dieser Zeilen muss ich an den Scheinriesen bei Jim Knopf denken).
Dafür grüßt der Schweinehund nun weniger spontan, manchmal vergehen Wochen, bevor ein „Hallo, jemand zuhause?“ über einen Nieselschauer oder feuchte Frostkälte zaghaft herein hallt…
Die Wahl der “Waffe(n)”
Waffennarr? Ich?? „Bombe hin und Bombe her, den letzten holt die Bundeswehr …“ ein Schmachtfetzen der örtlichen Punkrockband meiner Jugendzeit. Ich glaube, die sind mittlerweile Anwälte oder etwas anderes, in der Art…
Wie ich weiter oben schon schrub, es ist ja so etwas von herzlich egal, mit welchem Bike du dich auf deinen Weg machst. Bei mir stehen jetzt drei im Keller, gut, das vorhin erwähnte UK-Trailfully weilt mittlerweile im Karton und harrt des Frühjahrs, wo es wieder hergerichtet werden soll um jemand anderem mit glücklichen Stunden zu beschenken.
Und weil ich ein durchaus toleranter Mensch bin, musst du, lieber Lesen/liebe Leserin, es jetzt mal so schlucken, ich fahre nämlich nicht nur mit Begeisterung mein noch ziemlich frisches Enduro.
Im Winter fahre ich darüber hinaus vor allem gerne FATBIKE.
Schneeschippen mit dicken Pellen. Herrlich! Und, danke, ich bedarf auch keiner Aufklärung, denn es ist klar wie winterlich gefrorenen Pfützen (die man selbstverfreilich am schönsten und lautesten mit dem Fatty krachen lassen kann) dass die erstens ein Nischenprodukt sind und zweitens schon lange nicht mehr trendy.
Kann es mir herzlich egal sein? Ja, denn ich bin Winterbiker und kein Trendybiker.
Und da schließt sich auch wieder der Kreis, der Flow kreist in mir und ich lausche den winterlich gedämpften Geräuschen. Selbst Tiere nehmen mich anders war und ich sie. Ein Reh und sein Kitz überqueren in Ruhe und Gelassenheit den asphaltierten Feldweg, als ich in der ersten Nacht, in der ersten Stunde des Winterpokals eine Runde drehe. Mein Licht stört sie nicht. Das sind schöne Momente. Und das die Nacht sternenklar war, tat ihr übriges.
Am Ende des Tages
Es ist Samstag. Ich hatte heute frei. RICHTIG frei. Denn mein Schatzi musste heute arbeiten, bis 14 Uhr. Also hatte ich Zeit, zusätzlich zur sonntäglichen Runde noch eine samstägliche einzulegen.
Ich war allein mit mir, keine Mitstreiter. Auch wenn die aus meinem Team sehr angenehme, lieb gewonnene Typen sind, mit denen es viel Spaß macht einfach eine Runde zu drehen!
Ich wurde verwöhnt, und ein spätnachmittägliches Abendessen, Lammlachs mit Kartoffelgratin und Feldsalat, hat mich träge gemacht. Unmerklich ziehe ich weg, der Fernseher läuft nebenbei (den hab ich doch garnicht angemacht!?) und während im Hintergrund die Bilder schwirren, umfluten mich im Halbschlaf Gedanken….was ist das? Alle elf Sekunden verliebt sich ein Singlespeeder im Paarshop oder wechselt den Partner über den dreiundfünfzigfachen Testsieger Bike-Chick24. Schnickschnack, Kokolores. Partner, brauch ich nicht! Denn ich hab ja meine Kumpels, die im Keller auf mich warten, mich rufen … ein Lächeln huscht über mein Gesicht … „woran denkst du gerade?“
Die Frage hallt wie ein Knall aus dem OFF. Ich drehe meinen Kopf zu ihr und schaue meine Freundin an. Dabei schließe ich wieder leicht die Augen und deute ein Kopfschütteln an.
Sie würde das nicht verstehen. Ich wähne mich in meiner eigenen Winterwelt. Der, zwischen Wahn und Wirklichkeit. I am injected…
euer Rene alias „Trail Surfer“
Anmerkung: Für den Inhalt der Artikel aus der Serie “Muschi am Mittwoch” ist der benannte Autor verantwortlich. Die in den Artikeln vertretenen Ansichten und Meinungen spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider. Für Anregungen und Kritik steht der Autor hier themenbezogen in den Kommentaren und allgemein per privater Nachricht zur Verfügung.
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