Ende Januar 2017 startet das europäische Kulturhauptstadtjahr in Paphos auf Zypern. Dort steigt am 28. und 29. Januar eine große Eröffnungsfeier. Dass es auf Zypern nicht nur reichlich Kultur, sondern auch vorzügliche Trails zum Biken gibt, haben Walter Lauter und Gunnar Fehlau auf ihrer Bikepacking-Tour herausgefunden. Hier, exklusiv auf MTB-News.de, ihr Bericht:

Die Eurobike ist zu Ende, die Saison eben auch bald und irgendwie fehlen Sonne, Erholung und Abenteuer schon jetzt. Das ist die Gemengelage, die Walter und mich Anfang September in einen Flieger Richtung Zypern stiegen lässt. Mit dabei: mein 29-plus-Reise-MTB und Walters nagelneuer Finder von Velotraum, unsere Biwak-Ausrüstung und der Plan, in einer großen Schleife einmal über die Insel zu touren.

Erster Eindruck: Überfüllt und unterkühlt

„So ein Scheiß!“, fluche ich leise in mich hinein und weiß, dass Walter genauso denkt. Seit gut einer Stunde zieht unser Flieger nördlich von Zypern über dem Mittelmeer seine Kreise. Irgendwie stockt es. Wir sind hinterm Zeitplan. Mir zuckt es schon seit Stunden in den Waden, ich will los, mit dem Rad rein ins Abenteuer! Stattdessen bremst uns die Durchsage des Piloten weiter. Wir werden wegen eines Sandsturms vor Larnaka in Paphos landen. Statt einem gemütlichem Willkommensbier in einer Strandbar heißt es umsteigen in einen überfüllten und unterkühlten Überlandbus. Ein kurviger Transfer nach Larnaka steht an und nochmals quälende Wartezeit, bevor wir unsere Räder entgegennehmen können. Es ist bereits halb fünf, als wir vom Flughafen rollern, nachdem wir dort die Radkartons von einem Müllsack geschützt in einer Böschung bei den Langzeitparkern versteckt haben.

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Erste Meter: halbstark und halbblind

Die ersten Meter sind zäh, die Glieder steif, die Lunge hat wenig Hub und die Sicht ist trüb. Das ist aber kein Nebel wie wir ihn kennen, sondern feinster Sahara-Sand. Er setzt mir ordentlich zu. Ich fahre als hätte ich nur ein Bein, nur einen Lungenflügel und nur ein Auge: Langsam, keuchend und ein wenig im Blindflug. Zudem garen mich die 39 Grad seit der ersten Minute. Vom Flughafen weg geht es auf großen Straßen. Den Auftakt macht die A3, der wir 300 Meter bis zum ersten Kreisverkehr folgen. Zwei Abzweige weiter sind wir bereits im Städtchen Dromolaxia und die erste Tanke ist meine. Ich ziehe mir zwei eiskalte Dosen Cola rein und es perlt kalt bis in den kleinen Zeh hinunter. Ein klimatisches Gegengewicht zum glühenden Sahara-Sand auf der schweißnassen Haut. Doch die Coke-Kühlung verpufft wie ein Tropfen Wasser auf einer heißen Herdplatte. Mich beschleicht der Gedanke, dass Zypern im September für mich eine ganz ganz dumme Idee ist. Fahrtwind hilft immer! Gegen schlechte Laune, gegen Hüftgold und gegen Hitze. So versuche ich auf den nächsten Metern eine Balance aus Antritt und Kühlung zu finden. Zu dumm, dass es stetig bergauf geht.

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Drei K zum Abend: Kornos, Kebab, Krise

Bei den Temperaturen hätten wir fast vergessen, dass die Tage bereits kürzer werden. So überrascht uns die Dunkelheit etwas, als wir über die A1 hinweg in die kleine Ortschaft Kornos radeln. Viel Zeit und Gelegenheit, uns an die mediterrane Atmosphäre zu gewöhnen, hatten wir noch nicht. Was sich bei Reiseprospekten und Mare-Reportagen direkt in die sentimentalen Will-ich-unbedingt-hin-Areale des Hirns einbrennt, entfaltet sich hier frei von durchgepixelter Pseudo-Schönheit in all seiner Ehrlichkeit und damit auch Hässlichkeit, die Walter und mich verstört. Die Finanzkrise Griechenlands ist hier greifbar. Man kann die erdbebengleiche Zerstörung des Alltags für den Durchschnittsgriechen sehen, hören, schmecken und unmittelbar fühlen. Die Hauptstraße ist von kleinen Geschäften, Restaurants und Bankfilialen gesäumt – von denen zwei Drittel offenkundig erst vor Kurzem dicht gemacht haben. Geschäftstreibende, denen die Krise noch nicht den Garaus gemacht hat, haben ihr Angebot und die Warenpräsentation auf die Zahlungsfähigkeit des Publikums angepasst. Tristesse aus Dosenbier, einfachem Döner und selbstgedrehten Zigaretten. Hier werden keine Einhörner geboren, sondern letzter Lebensstolz gebrochen. Schwerverdaulich für uns beide. Was übrigens nicht für den Kebab gilt, der ist herrlich und das zypriotische Bier passt gut dazu. Wir sind satt und froh, diese bröckelnde Zivilisation wieder zu verlassen. Unser Nachtlager schlagen wir auf den großen Tischen einer Picknickanlage nahe eines Pfadfinderlagers und leider unweit der Autobahn auf. Super sind die Wasserhähne und die geräumigen, sowie sauberen, Behindertentoiletten. Ächzend dafür die Lkw. Die Nacht ist kurz, heiß und laut. Urlaubsentspannung sieht anders aus.

Berge, adé! Strandurlaub, wir kommen!

„Heute wird es besser, wir fahren in die Berge, da wird es kühler und die Bäume bieten Schatten,“ meint Walter, als mir beim Frühstück bereits die Schweißperlen über die Stirn rinnen. Wenig später schieben wir einen kahlen Hügel hinauf: Zu steil zum Fahren, zu heiß für jede schattenspendende Vegetation. Es ist kaum neun Uhr, aber das ist egal. Es sind aber schon deutlich über 30 °C, das ist überhaupt nicht egal. Gerade kämpfen wir uns den dritten 500er oder 600er hinauf: Steile und schroffe Anstiege, Schatten Fehlanzeige. Wir erreichen das Kloster Profitis Helias und gewinnen auf dem Wanderweg E4 schnell weiter an Höhe. Und an Einsicht.

Strecke und Temperatur passen nicht zu unserem Zeitplan: 870 Kilometer Gelände in einer Woche sind unter diesen Bedingungen nur im Rennmodus ohne Kultur- und Fotopausen, nur mit Boxenstopps statt kulinarischem Genuss und auch nur mit Fahrten bis in die Dunkelheit machbar. Wollen wir uns diesem Anspruch anpassen oder passen wir die Route den Begebenheiten an? Wir beschließen, die Frage einen Moment sacken zu lassen. Angesichts des schmalen, steilen und schwierigen Trails haben wir keinen Kopf für diese Gedanken. Dass sich die Sache zäher als erwartet gestaltet, hat zu mindestens nichts mit der Technik zu tun. Die dreizölligen Rocket Rons geben den ungefederten Bikes auch auf grobem Schotter überraschend viel Komfort und Kontrolle. Wir haben beide die GX22-Schaltung von Sram mit 24/42 als leichtestem Gang.

Damit ist flüssiges Treten auch in Schrittgeschwindigkeit drin. Als der E4 nach kurzer Liaison mit einem breiten Waldweg wieder in bester Singletrack-Manier steil in die Machairas-Berge verschwindet, ist unsere Entscheidung gefallen. Ich kenne Walter seit vielen Jahren und so kann ich seinen Blick sofort einschätzen. Ohne Worte ist klar: Wir bleiben auf dem breiten Waldweg. Schweigend rollen wir dem kurvigen Weg folgend talwärts. Das Tal wird enger, Bäume säumen den Weg, ein plätschernder Bach stäubt einen Hauch Feuchtigkeit in die flirrende Vormittagssonne. Meine Seele beginnt zum ersten Mal auf der Tour ein bisschen zu baumeln. Ich entspanne mich. Es vergeht eine gefühlte Ewigkeit, in der wir weiter lässig Höhenmeter verlieren. „Strand?“, fragt Walter. Ich nicke und nehme einen kräftigen Schluck Wasser. Walter fährt ein paar Meter freihändig und studiert die Karte. Seine Miene lockert sich auf und ich weiß, sein inneres Survival-Navi hat die Route berechnet. Für den Rest des Tages hat das Garmin am Lenker frei. Wieder holt uns die Abendsonne ein. Statt Strand reicht es nur zu einem Staubecken westlich von Arakapas.

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Westend Trails

In den Staaten würde man die Straße Dirt Road nennen, auf der wir in den Akamas Peninsula National Park hineinfahren. Nachdem wir das Lara Café und die etwas penetranten Wegweiser zum Lara Beach hinter uns gelassen haben, absorbiert uns die Einsamkeit. Die Piste wird zum Forstweg und desto schlechter, je näher wir dem westlichen Zipfel Zyperns kommen. Auf den letzten Kilometern laufen eigentlich nur noch zwei parallele Singletracks. Einmalig: coole Trails entlang jagen und dabei nebeneinander fahren und sich unterhalten können! Dies und die Landschaft machen die Akamas-Halbinsel zum Highlight des Tages.

Auf der Nordseite schlägt uns die fiese Pranke des organisierten Massentourismus ohne Vorwarnung ins Gesicht. An der blauen Lagune gibt es einen ersten Parkplatz, der rappelvoll mit Land-Rover-Gelände-Taxen steht, die die Gäste zwischen Lagune und dem Bad der Aphrodite hin und her chauffieren. Das ist für die Touristen bequem und für uns die Hölle. Die Landys wirbeln Staub auf, können auf der Piste kaum ausweichen und ihre Fahrer haben uns offensichtlich zu Freiwild erklärt.

Aderlass

Die Nähe zum Meer hat mir bei meiner Adaption an die Hitze geholfen. Bei Walter ist es genau andersrum: Er wirkt schwer mitgenommen, als wir in der Parkbucht vor der Aphrodite ankommen. Letztere ist eine kleine Grotte mit Süßwasserbecken, in der sich der Legende nach Aphrodite mit ihrem Liebhaber Adonis vergnügt haben soll, weiß zumindest Wikipedia. Ich besorge Wasser, Cola und Bier. Walter hält sich an diese Reihenfolge. Diese Kombi und ein Mittagsschlaf im Schatten füllen seine Akkus. Wir mäandern auf kleinen Küstenwegen bis zum Campingplatz in Polis. Ein großer Fehler, wie sich am Abend herausstellen soll. Jener beginnt mit lauschigen Absackern im pittoresken Restaurant, das direkt am Strand liegt. Als wir in unsere Schlafsäcke unter den Bäumen ausrollen, geraten wir augenblicklich unter Attacke von Mücken. Die Blutsauger malträtieren uns die gesamte Nacht. „Ganz Transsylvanien hat dieses Jahr Zypern gebucht“, witzelt Walter am Morgen in einem Café in Polis, während ich heftigst meine Arme und Beine kratze.

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Der 600-Höhenmeter-Balken

Am Morgen flach die Küstenstraße entlangfahren, das gefällt uns. Dafür bräuchte man zwar keinen B-plus-Boliden, dafür wäre ein Rennrad sogar besser. Aber unsere Bikes rollen wie auf Schienen und wir ziehen wie ein IC-Zug durchs Land. Es läuft, die Kilometer fliegen dahin. Wir passieren Pachiammos und urplötzlich wandelt sich die Atmosphäre. Immer öfter tauchen Militärfahrzeuge auf und in den südlichen Hügeln sind Wehranlagen zu erkennen. Schließlich stehen wir vor einem Schlagbaum. Das Militär bedeutet uns wortkarg, aber mit einer Eloquenz, die durch die umgehängten Maschinengewehre deutlich an Überzeugungskraft gewinnt, dass hier kein Fortkommen ist. Ohne es zu wissen, sind wir in einen Hotspot der Weltgeschichte geradelt. Hier trifft die EU auf die Türkei. Und damit das nicht wieder eskaliert, sind UNO-Blauhelm-Soldaten in einer Pufferzone stationiert. Sie umranken den alten Ort Erenköy/Kokkina, der nun mehr „nur“ noch eine türkische Militärenklave ohne ziviles Leben ist. Vor diesem Drohgebilde flüchten wir lieber in die Berge. Der Schlagbaum an der Küstenstraße sorgt nicht nur für Unmut in der internationalen Diplomatie, sondern bringt uns auch satte 600 Höhenmeter Umweg ein. Ein knackiger kleiner Passanstieg bis zu ersten Kreuzung, dann biegen wir links ab und fahren östlich der Enklave wieder talwärts bis zum Meer. Große Politik, herzlichen Dank für diese Geschichtsstunde in den Beinen!

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Gewachsene Armut statt Krise

Am Grenzübergang Yeşilırmak fahren wir erstmals auf dieser Tour in den türkischen Teil Zyperns. Binnen weniger Meter wandelt sich die Atmosphäre komplett. Kirchen weichen Moscheen und die Mienen der Menschen ändern sich. Aufrecht, stolz und zufrieden blicken uns die meisten an. Geblieben sind die Beulen der Autos, mancher Leerstand und spärliche Auslagen in den Shops. Doch hier im türkischen Teil wirkt es wie ein langsam gewachsener Lebensstandard, mit dem sich die Menschen arrangiert haben, dessen punktierte Vorzüge und Fortschritte sie zu würdigen wissen. Ganz anders als im griechischen Teil Zyperns, dort hat es in den letzten Jahren einen herben Niedergang des Lebensstandards gegeben. Das sieht man deutlich in den Gesichtern und es fühlt sich direkt menschlich wärmer an. Wir kullern bis nach Güzelyurt, dessen historischer Stadtkern uns beim späten zweiten Mittagessen verzückt. Auf der Fahrt aus der Stadt heraus machen wir Bekanntschaft mit Horden frei streunender Hunde und diese mit unseren Sprinterfähigkeiten: Kittel-gleich haben wir uns den ganzen Tag unauffällig verhalten, um im entscheidenden Moment alle Körner rauszuhauen! Die Waden sind kurz danach alle, aber immerhin nicht von Hundezähnen perforiert.

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Nikosia

Auf unserem sonntäglichen Weg nach Nikosia überholen uns auf einer riesigen Einfallstraße erstmals andere Radfahrer. Die velophilen Grußzeichen und Konkurrenzspielchen funktionieren über alle kulturellen und sprachlichen Grenzen hinweg. Walter zieht an und – was soll ich sagen – das Ortsschild ist meins! Damit hat sich’s dann aber auch schon mit den schönen Seiten von Nikosia. Die suburbane Straße ist von Autowerkstätten, Bordellen und Brautmodegeschäften gesäumt. Und je näher wir dem Zentrum kommen, desto mehr wähnen wir uns in einer mediterranen Version Berlins der 1980er-Jahre. Nikosia ist nicht nur eine geteilte Stadt, sondern zudem doppelte Hauptstadt, nämlich des türkischen und des griechischen Teils von Zypern. Wir sehen mehr Armeepatrouillen als Radfahrer, mehr Maschinengewehre als Kinderwagen und wann immer wir achtlos vom Hauptverkehrsfluss abbiegen, stehen wir unversehens vor der Mauer, die die beiden Teile der Stadt voneinander trennt. Hier, in der nachmittäglichen Hitze, an einem für die Weltgeschichte völlig unbedeutenden Septembersonntag, wird mir die zivilisatorische Bedeutung der deutschen Wiedervereinigung klarer als je zuvor. „Walter, ich muss hier weg, dieses Gockelgetue mit scharfer Munition halte ich nicht länger aus!“, schreie ich durch den Verkehrslärm. Wir suchen einen velotauglichen Hinterausgang aus einer Stadt, deren Haupteingänge verrammelt sind. Alles ist besser, als in die Mündung der Grenzerwaffen zu schauen.

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Die A-Team-Momente im eigenen Leben

Unsere Flucht aus Nikosia bringt uns auf kleinen Pfaden durch das Mia-Milia-Industriegebiet. Wir ignorieren hier ein Schild, dort einen winkenden Fußgänger, um uns schließlich in der ländlichen Einsamkeit wieder wohler zu fühlen. Mit der Karte und dem Navi manövrieren wir entlang der innerzypriotischen Grenze ostwärts. Durstig und hungrig gelangen wir über staubige Pisten in eine Ortschaft. Die erste Theke wird unsere sein, denke ich mir, oder die erste Tanke, da hat Walter schonen einen Freisitz entdeckt. Der Kellner ist verdutzt, als wir in Radklamotten zwei Bier und Kebab bestellen. Wir schieben das auf die Mamil-Optik und unsere verdreckten Arme und Beine. Kurze Zeit später, von den Speisen fehlt noch jede Spur, fährt mit quietschenden Reifen ein Militär-Jeep vor. Ihm entspringt die türkische Ausgabe von Colonel Lynch aus dem A-Team. Wie von der Tarantel gestochen, rennt er auf unseren Kellner zu.

Zwar verstehen wir kein Wort, aber anschließend ist die Rangordnung klargestellt und der Kellner schaut mächtig zusammengefaltet aus. Er kommt zu uns rüber und bringt nichts als ein „No!“ heraus. Wir verstehen nur Bahnhof und harren des Kebabs. Ein feinerer Militärwagen fährt vor und ihm entsteigen zwei Angehörige der Militärpolizei. Sie kommen direkt auf uns zu: „Where do you come from?“, „How did you get into the military base?“, „Why are you sitting here?“ fragt der Größere uns in bestem Englisch, aber nur semi-freundlichem Tonfall. Das ist kein Theken-Talk, sondern ein Verhör. Mir schwant Böses. Kein Mensch auf dieser Welt weiß, dass wir hier lang fahren wollten, dass wir hier sind. Ich schaue mich unauffällig um. Nur unsere an den Zaun gelehnten Räder zeugen von uns. Doch etwas beruhigt mich: Auf meiner Satteltasche blinkt der Spot-Tracker grün. Er sendet unsere GPS-Koordinaten. Sollte unser Gespräch in einem feuchten Kellergefängnis bei Wasser, altem Brot und Elektroschocks enden, so werden diese Signale der internationalen Diplomatie den Weg weisen. Wir müssen dann nur durchhalten, bis die Hilfe uns erreicht. „Your passport, please!“, werde ich von Colonel Lynch aus meinen Gedanken geweckt. „Nicht gut“, zischt Walter mir zu. Auch in diesem Moment ticken wir wieder ähnlich. Ich spüre seine Sorge, er meine Angst. Der Militärpolizist lässt sich unsere Pässe geben und greift zum Mobiltelefon. Sein Mienenspiel in den nächsten Minuten schwankt zwischen Kellerverlies und Ehrenbankett. Ich spüre weder Hunger noch Durst, bin paralysiert. Er steckt das Handy weg, reicht uns die Ausweise und bedeutet uns, zügig weiterzufahren. Schnurstracks lassen die beiden Biere halbvoll und unbezahlt stehen und schwingen uns auf die Räder. Noch immer beschleunigend nähern wir uns dem Ausgang der Militärbasis und beobachten, wie einfahrende Autos durchsucht und mit Bodenspiegeln kontrolliert werden. Ich hätte nicht gedacht, dass unsere Bike-Tour eine Sicherheitslücke in der Grenzsicherung bedeuten könnte.

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Großes Finale

So recht einschlafen kann ich am Abend nach unserer konspirativen Kasernen-Kurbelei nicht. Walter hat zwar in weiser Voraussicht beim Verproviantieren an der Tankstelle die abendliche Bierration eigenmächtig und beträchtlich erhöht. Hilft aber nichts! Die Gedanken im Kopf kreisen wie ein Keirin-Fahrer auf der Bahn. Haben wir heute schlicht eine Menge Schwein gehabt oder haben unsere Ängste eine eigentlich belanglose Situation einfach nur hochgeschaukelt? Ich komme in der Sache zu keiner Entscheidung, bleibe noch lange aufgeregt und gleite irgendwann dann doch in den Schlaf. Dass wir am nächsten Tag auf dem Weg zum Flughafen an zwei nicht besetzten Grenzübergängen unser Glück vergeblich versuchen, eine Reifenpanne haben und ich wegen eines entzündeten Stichs noch kurz in der Notaufnahme vorbeischaue, bevor wir gen Heimat fliegen, verdauen wir irgendwie besser als den nicht einmal servierten Kasernen-Kebab.

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Über

Walter Lauter und Gunnar Fehlau sagen von sich, dass sie auf Tour wie ein altes Ehepaar sind: blindes Vertrauen, bedingungsloser Zusammenhalt und ein Meer an gemeinsamen Erfahrungen. Sie sind mit Fatbikes durch den norwegischen Winter gefahren, haben auf Zypern Sandstürmen aus der Sahara getrotzt und konnten auf Mallorca mit dem Mountainbike völlige neue Routen entdecken. Sie biwakieren wild, wann immer möglich, am liebsten mit Lagerfeuer. Tagsüber auf dem Rad wird mächtig Laktat in die Beine gemeißelt. Walter ist hauptberuflich ein „IT-Mann“ (sein Blog: www.walter-lauter.de), Gunnar arbeitet an verschiedensten Stellen schreibend zum Thema Fahrrad und bloggt unter http://overnighter.de.

Ausrüstung

B-plus Finder von Velotraum mit GX22-Schaltunggruppe, Rocket-Ron-Reifen von Schwalbe, Sommerschlafsack, leichte Isomatte, dünner Biwaksack.

Text & Fotos: Gunnar Fehlau
  1. benutzerbild

    Steve Style

    dabei seit 06/2006

    Ja, sehr plastisch geschildert und man radelt gedanklich mit.

    Hat Spaß gemacht. Danke.smilie

  2. benutzerbild

    n18bmn24

    dabei seit 10/2013

    Schön geschriebener Bericht, danke für's mitnehmen.

    Ich war im Juni mit dem WoMo in Ελλάδα unterwegs, das HT war eigentlich nur zum Brötchen-holen hinten drauf. Ein Tag ernsthaften Fahrens auf Ιθάκη bei 40° im Schatten hat mir dann trotz den wirklich tollen Trails dort gereicht.

    Ich bin dann doch lieber kiten oder freitauchen gegangen....

    Respekt vor eurer Leistung.

  3. benutzerbild

    wartool

    dabei seit 08/2007

    Vielen Dank fürs teilen!
    Ich hoffe, wir sehen uns mal wieder beim SIS ;-)

  4. benutzerbild

    Bloodhound

    dabei seit 04/2006

    Schön geschrieben.

    Man spürt förmlich den Sand im Mund. smilie

  5. benutzerbild

    roundround

    dabei seit 05/2011

    Ein schöner Bericht.

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