In der Mountainbike-Welt zeichnet sich seit einiger Zeit eine Tendenz zur Kohlefaser ab. Klar: Vor allem von kleineren Herstellern kommen hin und wieder Bikes, die mit Schweißnähten versehen sind, in unsere Redaktion und auf den Markt. Doch vor allem im High End-Bereich ist der Trend klar: Carbon ist das neue Aluminium. Richard Cunningham, ein Kollege von Pinkbike, schaute kürzlich bei der amerikanischen Traditionsmarke Intense vorbei – und wurde Zeuge davon, wie die Schweißabteilung dicht gemacht wurde. Erleben wir gerade den Anfang vom Ende der Schweißnähte am Fahrradrahmen? 

Im Gespräch mit Intense-Gründer Jeff Steber erfuhr unser Kollege Richard Cunningham von einer Neuausrichtung des Mountainbikers. Rahmen würden immer seltener einzeln verkauft. Stattdessen hielten die Kunden Ausschau nach Komplettbikes – und ließen dafür ihr hart erspartes Geld im Fahrradladen ihres Vertrauens. Für gewöhnlich ist die Aufregung in den Kommentaren groß, wenn ein neues Komplettbike mit immer neueren Standards vorgestellt wird. Doch viele unserer Leser sind enthusiastische Schrauber. Gut möglich, dass das Bild, das in den Kommentaren gezeichnet wird, nicht ganz repräsentativ für den Massenmarkt ist.

Ein Bild aus längst vergangenen Tagen?
# Ein Bild aus längst vergangenen Tagen? - In der Vergangenheit stand Intense für spannende Rahmen aus Aluminium, die gerne auch mal von Firmenchef Jeff Steber höchstpersönlich geschweißt wurden. Wohin geht die Reise beim Rahmenmaterial?

Dann ist er aber schon da: Der Unmut darüber, dass man seine Bauteile nicht an einen neuen Rahmen schrauben kann. Vor allem, weil die Kosten für Neuteile schnell so manches Budget sprengen. Hobby-Schrauber können ein Lied davon singen, wie groß der Ärger ist, wenn der alte Laufradsatz oder der Dämpfer, der bislang fleißig seinen Dienst verrichtet hat, plötzlich nicht mehr in den neuen Rahmen passt. Und auch wenn es hier eigentlich nicht die Vor- und Nachteile der Vielfalt von Standards geht: Sie sind eng mit dem schwarzen, leichten, trendigen Rahmenmaterial Carbon verknüpft.

Carbon: Die trendige Kohlefaser

Carbon-Rahmen sind trotz allem – bei sauberer Konstruktion – extrem widerstandsfähig. Selbst gegen Steinschläge und Steinkanten.

Rein aus Gründen des Kraftflusses macht eine Freiform mit weichen Übergängen gegenüber einer eckigen Konstruktion mehr Sinn. In verschiedensten Entwicklungsabteilungen (Stichwort: Automobilbereich) sieht man immer stärker eine Ausrichtung hin zu organischen Formen. Finite Elemente-Berechnungen zeigen genau auf, wo man Material benötigt und wo man welches weglassen kann. Jede Fuge und jede Ecke ist immer (auch) ein Angriffspunkt und somit eine potenzielle Schwachstelle im Gesamtsystem. Hier wird das Material zuerst aufgeben. Also weg mit der Angriffsfläche!

Fließende Formen ohne störende Nähte
# Fließende Formen ohne störende Nähte - Carbon bietet in Punkto Form und Kontstruktionsmöglichkeiten mehr Möglichkeiten als Metall.

Steigen (Fahrrad-)Hersteller tiefer in dieser Berechnungen ein, werden die Formen immer organischer und fließender, als es mit Aluminium möglich wäre. Klopft man in die Mitte eines Carbon-Rohres, bekommt man mitunter ein flaues Gefühl in der Magengegend. Es gibt nach und klingt nicht nur so, sondern ist es auch: Verdammt dünn! Eine beruhigende An-dieser-Stelle-kommt-kaum-Last-auf-den-Rahmen-Aussage des Herstellers mag uns vielleicht ein paar der Bedenken nehmen. Doch wenn das teure Carbon-Bike mal umkippt und unglücklich auf das Pedal des Bikes daneben fällt … Der Rahmen kostet ja immerhin satte … Ich möchte mir das gar nicht weiter ausmalen.

Richtig konstruiert sind Carbon-Rahmen trotz aller Bedenken extrem widerstandsfähig – selbst gegen Steinschläge und scharfe Kanten. Wer in seinem Bikeshop mal einen defekten Carbon-Rahmen in die Hände bekommt, sollte mal (Handschuhe und Schutzbrille vorausgesetzt) versuchen, ihn an einer Betonkante zu beschädigen. Dasselbe gilt auch für Rahmen aus Aluminium: Das Zeug hält deutlich mehr aus, als man vermuten würde. Aber dieses seltsame Gefühl bleibt trotzdem …

Foto Jens Staudt Rahmenmaterial-3934
# Foto Jens Staudt Rahmenmaterial-3934

Aluminium: Der schicke Dauerbrenner

Gleichmäßige Schweißraupen sind für mich immer noch eine Art Qualitätsmerkmal.

Wenn ich mir die Bikes anschaue, die sich in meinem Besitz befinden oder befanden, war da bislang nur eines aus Carbon. Neben vielen anderen Punkten ist das auch eine Frage des Budgets. So bin ich ein Mountainbiker der Generation, die sich nach wie vor an gleichmäßigen Schweißraupen mit flacher Schuppenbildung erfreuen. Diese Optik stand für mich immer für eine gewisse Qualität. Und für eine Handwerkskunst. Selbst schweißen kann ich auch. Aber das Ergebnis hier zeigen? Lieber nicht. Es ist optisch um Lichtjahre von dem entfernt, was man zum Beispiel bei Nicolai zu sehen bekommt. Umso höher ist meine Anerkennung gegenüber einem schön geschweißten Fahrradrahmen.

In meiner Laufbahn als Radler hatte ich diverse Aluminium-Rahmen von Cannondale. Und auch mein jetziges Bahnrad kommt von diesem Hersteller. Smooth Welding heißt der Prozess, mit dem die Amerikaner die Schweißnähte glattgezogen und teilweise noch etwas verschliffen haben, damit man einen sehr glatten und ebenen Rahmen mit weichen Übergängen zwischen den Rohren hat. Das entbehrt nicht einer gewissen Eleganz. Und trotzdem umspielt ein verträumtes Lächeln meine Mundwinkel, wenn ich auf schöne Schweißnähte blicke, die Rohre und Frästeile verbinden.

Smooth Welding an einem Cannondale-Bahnrahmen
# Smooth Welding an einem Cannondale-Bahnrahmen - Vereinfacht gesprochen: "Nochmal drüber ziehen und danach verschleifen" lässt Raupen verschwinden.
Bei Nicolai feiert man die Schweißkunst
# Bei Nicolai feiert man die Schweißkunst - Man zeigt stolz, was man hat und kann. Auch die Frästeile sind eine Augenweide.

Stahl und Titan: Spannende Alternativen

Stahl und Titan umgibt in manchen Bereichen fast schon ein Mythos oder eine Art Religion.

Mythos und Religion: In manchen Bereichen unseres Sports wird man vehemente Verfechter dieser Rahmenmateriale finden. Dämpfend, schwingfest und elegant – um nur einige der angepriesenen Eigenheiten zu nennen. Ein Dirtjump-Hardtail aus Aluminium ist zum Beispiel für mich immer noch ein Affront. Darüber hinaus bietet Stahl auch einige Vorteile in der Fertigung. Es benötigt keine Wärmebehandlung, um die Endfestigkeit zu erreichen. Das macht es zum idealen Material für kleine Schmieden oder Tüftler, die so ohne astronomische Kosten alternative Konzepte anbieten können.

Starling Cycles aus England ist beispielsweise so eine kleine Schmiede, die gerade mehr und mehr ins Rampenlicht rückt – insbesondere für große Leute, die nach einem passenden Rahmen suchen. Denn hier ist eine Anpassung der Geometrie sehr einfach möglich.

Stahlrahmen entbehren nicht einer gewissen Klassik
# Stahlrahmen entbehren nicht einer gewissen Klassik - Kleine Schweißraupen fügen Rohre mit niedrigem Durchmesser zusammen.
Titan im additiven Fertigungsverfahren
# Titan im additiven Fertigungsverfahren - Man könnte fast von einer Wiedergeburt des Werkstoffes reden.

Wohin geht die Reise beim Rahmenmaterial?

Beantworten kann das vermutlich niemand so genau. Auch wenn „die Großen“ mehr und mehr auf Rahmen aus Kohlefaser setzen bleibt die Frage, ob der Preis dafür in Zukunft so attraktiv wird, dass er Aluminium komplett verdrängen mag. Meine Sorge ist, dass es letztendlich dazu führt, dass wie jetzt bei Intense Wissen und Möglichkeiten verloren gehen könnten. Über kurz oder lang wird man vielleicht nicht mehr wirklich die Option auf einen Rahmen aus Aluminium haben – aus welchen Gründen auch immer man ihn bevorzugen mag. #Nostalgie

Was ich begrüße, ist die Herangehensweise der kleinen Schmieden wie Nicolai und neuerdings Starling oder auch Robot. Einmal Aluminium, einmal Stahl und einmal ein neuartiges Fertigungsverfahren aus Titan und Carbon. Alle drei Firmen befinden sich in Europa und trotz unterschiedlichster Rahmenmaterialien kann man bei allen drei Firmen innovative Bikes kaufen, die weit auf die Wünsche der Kunden im Bezug auf Geometrie eingehen.

Auf welchem Material seid ihr im Wald unterwegs? (Fast schon) nostalgisch auf Metall oder auf einem Kohlefaser-Raumschiff und auf was hat man mehr Freude an der Ausfahrt?


Anmerkung: Für den Inhalt der „Meinung“-Artikel ist der benannte Autor verantwortlich. Die in den Artikeln vertretenen Ansichten und Meinungen spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider. Für Anregungen und Kritik steht der Autor hier themenbezogen in den Kommentaren und allgemein per privater Nachricht zur Verfügung.

  1. benutzerbild

    MrBrightside

    dabei seit 03/2017

    @Grinsekater :
    Du sprichst vom ausführlichen Probefahren. Das ist echt was besonderes, wenn man mal die Möglichkeit hat zwischen Rädern/Sportgeräten zu wechseln und die Unterschiede erfährt.

    Ich hab als mittelmäßig bis guter Skifahrer mal bei einer Testskifahrt teilgenommen. Hätte nicht gedacht, dass die Unterschiede zwischen Skiern so groß sind.

    Der Race Ski fuhr wie auf Schienen, keinerlei Rutschen auf Eis. Bei Rücklage wurde er unkontrolliert schnell. Allgemein hat man gemerkt, dass es am besten läuft, wenn man schnell und mit viel Kraft fährt. Langsam und gemütlich war ne Tortour.
    Dagegen ein normaler Ski mit leichter Freeride-Note (breit,wendig) fuhr sich im mittleren Geschwindigkeitsbereich super angenehm und drehte ohne Mühe. Der halt auf Eis war deutlich schlechter.

    Was ich sagen will:
    Testen kann (fast) jeder. Man merkt die Unterschiede.
  2. benutzerbild

    fone

    dabei seit 09/2003

    Das einzige was ich bei einer Testfahrt in Sölden auf dem für meine Freundin (-25kg) geliehenen Bike in Größe S wirklich gemerkt habe: Der Lenker ist für mich zu weit nach hinten gedreht - damit war alles andere eigentlich egal.

  3. benutzerbild

    adrenochrom

    dabei seit 08/2015

    meine Freundin (-25kg)
    smilie
  4. benutzerbild

    fone

    dabei seit 09/2003

    smilie

    A-dings.jpg

    25kg leichter als ich.
    25kg Gewichtsunterschied.
    Dämpfer war für 25kg weniger Gewicht eingestellt.
    Die Differenz aus meinem Gewicht und dem Gewicht meiner Freundin beträgt 25kg.

    Die 25 kg sind geschätzt.


    edit: geh weg, ist kein ktwr hier!

  5. benutzerbild

    adrenochrom

    dabei seit 08/2015

    smiliesmilie

    edt: du bist weder elektriker noch graficker

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