24 Stunden am Ring. Das ist und bleibt mein Lieblingsrennen. Es gibt kaum eine Sache, über die ich jeden Tag nachdenke. Diese Quälerei gehört aber dazu. Der Plan war ähnlich wie letztes Jahr. Wieder würde ich bei den Solostartern auf die MTB Strecke gehen und wieder würde mich unser 8er versorgen. Das Ziel war vorrangig meinen eigenen Rekord von 45 Runden zu schlagen und in meiner Altersklasse vorne mitzufahren.
Radsportler sind ja immer ein etwas abergläubisches Völkchen und so machte ich mir auch Gedanken über meine Statistiken. Als ich meine Altersklasse vorletztes Jahr gewonnen hatte, war ich Anfang Juli krank. Auch das passierte dieses Jahr wieder. Nach dem letzten Marathon vor der Sommerpause fing ich mir einen Magen-Darm-Virus ein. Also schon mal ein gutes Omen. Auch war ich, wie vor zwei Jahren bei der Tour de France zuschauen. Zweites gutes Omen. Naja um die Sache „perfekt“ zu machen hätte das Wetter wie in allen ungeraden Jahren am Ring schlecht sein müssen. Der Wetterbericht sagte jedoch gutes Wetter voraus. Gut immerhin zwei von drei Treffern und das gute Wetter versprach gute Streckenbedingungen, um mich selbst zu schlagen.
An meiner Taktik änderte ich im Vergleich zu den Vorjahren nur wenig. Alles war durchgeplant. Unser 8 er Rennradteam hatte sich wieder bereiterklärt mich zu betreuen. 24 h als Solofahrer zu bestreiten ist und bleibt ein Teamsport, auch wenn nur immer der gleiche Kadaver auf dem Kohlfaserhaufen hockt.
Die Mengen an Essen und Getränken waren wie jedes Jahr auf einem Plan notiert … das gleiche galt für die Pausenzeiten und so weiter und sofort. Sobald der Startschuss fallen sollte, mussten wir den Plan nur noch „abarbeiten“.
Am Samstagmorgen war eigentlich alles perfekt. Alle hatten eine Bombenlaune, das Material war in Topzustand und ich hatte gut geschlafen.
Meine Aufregung war viel schlimmer als in den letzten Jahren. Kurzum: Alle hatten alle Hände voll zu tun mich zu beruhigen. Die letzten Jahre hatte ich eigentlich alles in dieses Rennen gesteckt. Sowohl was meine freie Zeit, als auch mein kleines Studentenbudget angeht. Da war die Aufregung eigentlich kein Wunder.
Die legte sich dann aber zum Glück nach dem Startschuss. Die ersten Runden liefen wirklich gut und ich lag etwas unter den Rundenzeiten vom Vorjahr.
Nach guten drei Stunden im Rennen wurde es langsam drückend. Das war nicht wirklich mein favorisiertes Klima … Ich lief schlichtweg aus. Zum Glück war es gegen kurz vor sieben Zeit für den ersten Boxenstopp. Immerhin standen schon 127 km und 2555 hm auf der Uhr. Mit einer ordentlichen Portion Nudeln gefüttert und neuen Sponser Riegeln in der Rückentasche ging es dann weiter.
Langsam setzte die Dämmerung ein und die Strecke wurde merklich leerer.
Foto by Niko
Es war an der Zeit die Beleuchtung einzuschalten. Ich konnte die Abfahrten genießen und auf dem Pedal war ordentlich Zug.
Dann war es mal wieder Zeit für eine meiner Kaffeepausen. Die werden selbstverständlich während der Fahrt durchgezogen. In der Anfahrt auf den Tiergarten und auf der Start-/Zielgeraden ist immer genug Zeit für einen Activator mit Kaffeegeschmack und einen Creamy Caramel Riegel.
Es ist immer wieder unglaublich, wie solche Kleinigkeiten die Stimmung aufrechterhalten. Die folgenden Runden verliefen genau nach Plan. Um mich etwas frischer zu fühlen kaute ich zwischendurch das ein oder andere Kaugummi. Logistisch ist das mit dem Zähneputzen auf dem Rad dann doch etwas komplex.
Der größte Boxenstopp war dann für ca. 00:30 anberaumt. Ich kam an die Box und das Team werkelte wie bei der Formel 1. Ich wechselte schnell die Hose und verleibte mir dann Haferflocken mit Banane und Wheyprotein ein. Mein Vater wechselte den Akku von meiner Lampe, ölte die Kette und checkte den Reifendruck, während Christian die Griffweite der Bremse etwas nachstellte. Niko war unterdessen damit beschäftigt, meine Startnummer an einem neuen Trikot zu befestigen und die Rückentaschen wieder mit Nachschub aufzufüllen. Mampfend behauptete ich: „Ich lieg glaub ich ganz gut…müsste auf Rekordkurs sein…“
Das führte bei allen zu einem leichten Grinsen. Wie immer war die Ansage gewesen mir keine Platzierungen zu sagen, damit ich mich nicht verrückt machte und womöglich überdrehte.
Sprich alle, die das Rennen verfolgten wussten, dass ich schon seit 22 Uhr meine Altersklasse wohl sicher gewonnen hatte…nur ich wusste von nix. Wie auch immer… gut aufgetankt ging es dann in die Friedhofsschicht.
Jetzt war es nicht nur ziemlich, sondern eher verdammt leer auf der Strecke und so langsam meldete sich mein Magen… Langsam aber sicher begann der Gute Probleme zu machen. Ich brauchte irgendetwas Salziges… am besten ohne Zucker. Ich hielt in den nächsten zwei Runden jeweils kurz an der Verpflegungsstelle und stopfte mir die Rückentaschen voll mit Salzbrotsticks (heißen die so?). Das behob mein Problem ziemlich gut. Kurzerhand wurde der Plan für das Frühstück, dass für gegen halb sieben angedacht war von Haferflocken, Banane und Wheyprotein auf Vollkornnudeln mit Bolognesesauce umgestellt. Das schien mir für meinen Magen in der Situation etwas besser.
Mit verhältnismäßig gutem Druck auf dem Pedal ging es dann um kurz vor 7 an die Box. An dieser Stelle geht ein ganz GROßES Dankeschön an Christian, der den Stint von meinem Vater im 8er kurzerhand übernahm, damit er mich versorgen konnte. Er ging dann kurz danach auf seine Runde.
Ich kann es gar nicht oft genug sagen. Das ist ein Teamsport! Jetzt war es Zeit sich nach der Platzierung zu erkundigen. Noch lag ich auf Rang vier in der Gesamtwertung, erst jetzt erfuhr ich von dem Sieg in der Altersklasse. Jetzt hieß es durchhalten. In der Gesamtwertung waren die Abstände kleiner als eine Runde und das Rennen sollte noch fünf Stunden gehen. Das
Garmin wurde wieder gewechselt, weil der Akku leider bei den Dingern keine 24 Stunden hält. Mit 332,8 km und 6890 hm auf der Uhr ging es in die letzten Rennstunden, die sich als ein absoluter Krimi herausstellen sollten.
Eine Runde nach der Pause lag ich plötzlich auf Rang 3 in der Gesamtwertung. Genau in dem Moment bekam ich massive Probleme. Meine linke Wade begann bei jedem Tritt zu krampfen. Ich konnte dem Muskel von oben beim Zumachen zuschauen.
Mit richtig Druck weiterfahren ging nicht und ich verlor jede Runde etwas Zeit. Dirk vom Team Northwave erkundigte sich bei mir und versuchte mich etwas aufzumuntern. Er bot mir sogar etwas Cola an!
Er war ebenfalls als Einzelfahrer unterwegs, aber in dem Moment deutlich schneller als ich. Ich ließ ihn ziehen und betete, dass die Krämpfe verschwinden würden. Ich kam mir vor wie ein Hase, den man gefesselt und mit Steaks behangen in ein Löwengehege geworfen hatte. Reagieren war nicht möglich… ich schlich nur so dahin und wartete eigentlich nur darauf, dass ich vom Viertplatzierten überholt werden würde. Auf der Start-Zielgeraden kommentierte Holger, dem wir diese tolle Veranstaltung zu verdanken haben, und er merkte, dass ich amtliche Probleme hatte: „Komm Philipp, jetzt nicht aufgeben!“, schallte es durch die Lautsprecher. Meine Mutter war inzwischen auch an der Strecke um mich zu unterstützen. Auch Muschi, den hier wohl ALLE kennen, stand in paar Meter weiter einfach mitten auf der Strecke und feuerte mich an! Das alles half extrem.
Bei der nächsten Flaschenübergabe brüllte mein Vater mir förmlich zu: „20 min Vorsprung…gleichbleibend!“ Das konnte ich erst nicht richtig glauben.. Genau in diesem Moment erholte sich meine Wade etwas, und ich konnte wieder richtig Druck aufs Pedal bringen. Ab jetzt hieß es nur noch drücken. In die Flaschen wurde nur noch Cola gefüllt und ich spürte meinen eigenen Körper nicht mehr. Ich wollte jetzt den Sack zumachen und es nicht auf eine Entscheidung in der letzten Runde ankommen lassen. Ich hoffte, dass das Rad die letzten Kilometer noch ohne Defekt durchhalten würde.
Mein Vater hatte mir die Startnummer vom Viertplatzierten mitgeteilt und kurz nach Ausfahrt von Trail Nummer zwei konnte ich ihn überrunden. Eigentlich hätte ich jetzt rausnehmen können, aber irgendwie knallte ich weiter und fuhr die letzten vier Runden genau so schnell wie die ersten Runden. Dann kam der Zieleinlauf. Ich war so grau, konnte nicht mehr denken und hatte so eine Angst, dass mich noch irgendjemand irgendwie hätte überholen können, dass ich immer noch wie von einer Tarantel gestochen über die Zielgerade knallte, meinem Vater in die Arme fiel und nur noch am Schreien war… und er am heulen… Die erste Frage von mir war dann, ob wir wohl zusammen ein Eis essen gehen könnten.
Foto by Niko
Ich war einfach überglücklich. Es hatte alles perfekt geklappt und die ganze Mühe hatte sich am Ende gelohnt und ich hätte nie damit gerechnet mit 24 eine Chance zu haben auf das Overallpodium zu fahren, das eigentlich der Masters 1 und 2 Kategorie vorbehalten bleibt. Kurzum: Es ist ein ganz großer Traum in Erfüllung gegangen. Es hat ja auch bis dahin nur sechs Soloteilnahmen am Ring gedauert…
Für die Datenliebhaber unter euch habe ich noch einige Sachen ausgewertet.
Offizielle Rennzeit: 23:25 (kommt durch die Startblöcke usw zustande)
Zeit im Stand: 36min
Distanz: 420 km
Höhenmeter: ca. 8500
Gefüllte Flaschen: 46 a ca 300ml
Pausen in Runde: 15; 27; 38 (Die Rundenzeiten könnt ihr euch hier anschauen:
http://radamring.r.mikatiming.de/20...h[age_class]=%&search[sex]=M&search_event=M4E, wenn ihr mögt…alles Weitere findet ihr auch auf Strava
https://www.strava.com/athletes/6828480)
Materialmäßig war dann auch ein kleiner Service fällig.
An dieser Stelle geht ein RIESEN DANKESCHÖN an meine Eltern, an den Rennrad 8er „Die Acht“ und an ALLE die mich sowohl Online als auch am Ring angefeuert haben. Ohne euch wäre das nie möglich gewesen! Ganz herzlich bedanken möchte ich mich außerdem bei MyTinySun für die optimale Beleuchtung, bei Sponser Sportfood für die beste Versorgung für Leib und Seele und bei Holger und seinem Team, die jedes Jahr diese Wahnsinssveranstaltung auf die Beine stellen!!!
Für mich geht es am Samstag und Sonntag dann zu den 24h von Duisburg. Da spiele ich dann mal Betreuer und hoffe, dass unsere Fahrer ganz vorne landen! Vielleicht sieht man sich ja!