Weil die Frage nach der Physik hier explizit im Raum steht…
…vorab sei gesagt, dass ich das Video gut finde und denke, dass die wichtigen Zusammenhänge richtig rüber kommen und man mit den Erklärungen durchaus was anfangen kann. Wenn das Video für den Betrachter also Sinn macht, muss er nicht weiterlesen…
…wenn man das aber durch die Physik-Brille betrachtet, dann ist das natürlich schon problematisch, wie der Sachverhalt im Video dargestellt wird. Das was der Videomacher da so einzeichnet, sind zunächst mal zum Teil sicher keine „Kraft-Pfeile“. Wenn das nach schräg-vorne-unten eine Kraft wäre, würde der Fahrradfahrer ja nicht
bremsen, sondern beschleunigen. Was er meint (und auch mal irgendwo erwähnt), ist die Massenträgheit. Das ist nun aber keine Kraft, sondern ein Impuls (der aber auch nicht nach schräg unten zeigt, sondern gerade nach vorne). Um zu
bremsen, muss der Impuls verändert werden und dazu braucht es eine Kraft.
Um da physikalisch einen Schuh draus zu machen, würde ich so argumentieren: Beim
Bremsen greift eine Kraft an, die nach hinten wirkt und zwar im Aufstandspunkt des Reifens. Die Kraft - das ist einfach die Reibung - wirkt nun nicht direkt in Richtung des Schwerpunkts, weshalb sich ein Drehmoment um den Aufstandspunkt nach vorne ergibt. Dem wirkt ein Drehmoment entgegen, dass sich aus der Schwerkraft ergibt, die ja in aller Regel vom Schwerpunkt ausgehend hinter dem Aufstandspunkt auf den Boden trifft (falls nicht gibt es OTB). Wenn sich die beiden Drehmomente aufheben, wirkt im Hinterreifen keine Kraft mehr nach unten und entsprechend gibt es keine Reibung und keine Bremswirkung. Am Vorderreifen wirkt dagegen die gesamte Gewichtskraft und daher maximale Reibung. (Da die Reibung - nebenbei bemerkt sowohl am
Reifen als auch an der Bremsscheibe - irgendwann an ihre Grenzen gerät, ist es in der Regel besser, die Bremswirkung auf beide Laufräder zu verteilen, ansonsten würde das eigentlich keinen Unterschied machen für den Radfahrer.)
Ich hoffe, das ist so einigermaßen verständlich. Die Beschreibung ist zwar so auch etwas vereinfacht, aber es trifft die Vorgänge schon ganz gut. Um die Brücke zum Video zu schlagen, könnte man sagen, dass die Richtung des eingezeichneten „Gesamtpfeils“ das resultierende Gesamtdrehmoment bezeichnet: Geht der Pfeil hinter dem Vorderrad in den Boden, wirkt das Gesamtdrehmoment nach hinten - es ist also noch eine Belastung auf dem Hinterrad -, andernfalls nach vorne (was dann den OTB zur Folge hätte).
Bringt man nun zum
Bremsen den Schwerpunkt nach hinten und nach unten, dann wirkt die Bremskraft (angreifend im Aufstandspunkt des Reifens) mehr in Richtung des Schwerpunkts und das Drehmoment nach vorne wird kleiner (da ja der Hebel kleiner wird). Gleichzeitig wird das entgegen wirkende Moment der Schwerkraft größer, da hier der Hebel größer wird (der Schwerpunkt wandert ja nach hinten). Im Extremfall geht das dann soweit, dass auf dem Vorderrad kaum mehr eine Belastung ist und das ganze Gewicht auf den Hinterreifen wirkt (was aber zumindest im steileren Gelände nur sehr schwer zu erreichen ist).
Was bleibt, ist Folgendes: Beim
Bremsen gilt „Gewicht nach hinten“, um die Gleichbelastung der
Reifen beizubehalten. Hört man auf zu
bremsen, sollte man das Gewicht wieder nach vorne bringen (idealerweise ist das ein gleichzeitiger Prozess). Statt Gewicht nach hinten kann man auch Gewicht nach unten machen (Gewicht nach hinten lässt sich dadurch nicht zu
100% ersetzen, aber besser Gewicht etwas nach hinten und etwas nach unten, also nur Gewicht weit nach hinten und gar nicht nach unten.)
Physikalisch bleibt immer zu beachten, dass eine Kraftwirkung - Aerodynamik mal außen vor - beim Radfahren stets durch den Kontakt von
Reifen und Boden zustande kommt, wenn man mal von der allgegenwärtigen Gravitation absieht. Letztere ist allerdings immer gleich und immer stur in Richtung Erdmittelpunkt gerichtet. Betrachtet man also Kräfte, sollte man immer von den
Reifen ausgehen.
Allerdings muss man nicht immer Kräfte betrachten, sondern man kann auch den Impuls (was im Prinzip im Video passiert) oder die Energie betrachten, denn in der Physik gibt es so tolle Konzepte wie Impuls- und Energieerhaltung, die einen oftmals sehr weit bringen im Verständnis.
In diesem Sinne muss ich dann leider auch meinen Vor-Antwortern widersprechen: Die Physik ist im Video nicht richtig wiedergegeben. Die Auswirkungen eben jener Physik allerdings schon, und darauf kommt es beim Fahrradfahren ja vor allem an. Entsprechend muss man das Video auch nicht kritisieren, wenn die Leute verstehen, was ihnen beim Fahrradfahren weiterhilft. Man darf halt nur nicht explizit nach der Physik fragen