Eispickels Tag der Arbeit
Laut Wikipedia wird ja der Erste Mai als "Tag der Arbeit, Maifeiertag oder Kampftag der Arbeiterbewegung" bezeichnet. Nachdem ich mich am Vorabend des Feiertages kurzfristig dazu entschied in diesem Jahr an der Demo der ESK-Arbeiterklasse teilzunehmen war mir klar, dass es nach meinen vereinzelten Kaffeefahrten mit dem Rad die ich in den letzten Monaten gelegentlich unternommen hatte für mich mehr ein Kampf als ein Feiertag werden sollte.
Im Aufruf hieß es: Abfahrt 8:33 Uhr ab Gesundbrunnen... was für eine Abfahrtszeit das für mich am Hauptbahnhof ergeben würde war mir nicht ganz klar aber da ich zu bequem war es zu recherchieren wollte ich es mal wieder mit dem Bauchgefühl versuchen. Der Plan war recht simpel, einfach etwas früher als 8:30 Uhr am richtigen Gleis erscheinen und dann passt das schon
Da sich manche Dinge wahrscheinlich niemals ändern werden war ich wie immer sehr in Eile. Die Lichtsignalanlage Stromstraße Ecke Turmstraße leuchtete Farbenfroh in kräftigem Rot und da im Gegenverkehr mit dem grünen Licht außer dem blau-weißen Auto mit diesen blauen Leuchten auf dem Dach niemand weit und breit zu sehen war querte ich zielstrebig und ohne zu zögern - natürlich überaus rücksichtsvoll - die leere Kreuzung, denn es zählte jetzt wirklich jede Sekunde....
Am Hauptbahnhof starte ich den ersten Versuch die Tour Ehrenhaft zu verpassen/verlassen. Viel zu spät erschien ich auch noch auf dem falschen Gleis. Die Uhr zeigte bereits Zeiten südlich der 8:33 Uhr und während ich Twobeers telefonisch meine Absage übermittelte musste ich leider feststellen, dass auf dem Nachbargleis der passende Zug noch auf mich wartete. Dank dem modernen Zeitmanagement bei der Deutschen Bahn erreichte ich einen Zug der bereits längst den Bahnhof Gesundbrunnen verlassen hatte. Der Fahrkartenkauf im Zug gestaltete sich angenehm unkompliziert, ein Loblied auf den Schaffner. Die Bahn entdeckt anscheinend pünktlich im Jahr 2013 endlich den Kundenservice. Laut Insiderinformationen gab es passend zum Feiertagskundenservice wohl sogar auch einen zusätzlichen Waggon am Zug. Bahn fahren 2013 fetzt!
In Chorin angekommen zählte ich vier ESK Trikots und noch drei weitere verwegene Mitfahrer. Das Bahnhofsgelände wurde von uns umgehend geräumt und bevor das Rennen auf der gegenüberliegenden Wiese eröffnet werden sollte war allen noch ein Blick auf die Landkarte vergönnt. Jockel beschrieb den ersten Teil der Tour welche in einen wilden Zickzackkurs von unten rechts nach oben links über die gesamte Karte führen sollte. Nach nur knapp 90 Kilometern wäre wohl in Boitzenburg auch schon eine Pause vorgesehen...
Nur wenige Sekunden nach 9:30 Uhr erfolgte der scharfe Start und die Wilde Meute steuerte direkt über die nächste Wiese einen kleinen Hügel an. Ich liebe schnelle Kaltstarts und während ich den ersten Anstieg hochkeuchte und ich auf dem letzten Loch pfiff, pfiffen die anderen fröhlich an mir vorbei und ich hatte Mühe nicht schon am ersten Hügelchen abreißen zu lassen. Mit etwas Glück und ein paar brauchbaren bergab Passagen um Schwung zu holen überstand ich die ersten 5km bevor ich die Irren einfach weiterfahren
ließ lassen musste ...
Kartenstudium, auf die Plätze, fertig?, Los!
Ich entledigte mich meiner Flatterhose und genoss die warme Frühlingssonne. Es dauerte nicht lange und mein Puls hatte sich von gefühlten 230 auf ein angenehmes Level beruhigt und so hatte ich ausreichend Resourcen den blauen Himmel und das erste frische grün welches sich an den Bäumen und Sträuchern zeigte und die fröhlich zwitschernden Vögel wahrzunehmen. Ich fühlte mich ein wenig wie im Paradies.
Zufrieden rollte ich in aller Seelenruhe einfach durch die Landschaft und dachte darüber nach in welche Himmelsrichtung ich mich als nächstes treiben lassen könnte. Es war herrliches Fotolicht und auch das zarte grün versprach in Kombination mit dem blauen Himmel tolle Bilder. Meine Glücksseeligkeit hielt jedoch nicht sehr lange an, denn während ich vor mich hinträumte klingelte unverhofft mein Telefon im Rucksack und Twobeers erkundigte sich wo ich denn sei? Ich versuchte ihn mit "Fahrt einfach ohne mich weiter, es ist alles in Ordnung, wir sehen uns später bestimmt irgendwo nochmal" abzuschütteln doch er fragte und fragte und ich erzählte was von Stop-Schildern und Imbissbuden die ich vor mir sah. Wir einigten uns darauf, dass wir getrennte Wege fahren würden und beendeten das Gespräch. Ich hatte es geschafft. Von nun an konnte ich gemütlich durchs Unterholz schaukeln und endlich den Feiertag so richtig genießen.... ich lullere die letzten 200m vor zur Straße und werde dort bereits von den anderen Rennteilnehmern grinsend erwartet.
Auf den nächsten Kilometern verschwinde ich im Schorfheidetunnel, alles um mich herum verschwimmt und fliegt nur noch an mir vorbei und jede Gelegenheit Schwung zu holen muss genutzt werden um nicht am nächsten Hügelchen gleich wieder aus dem Gruppetto zu purzeln.
Spätestens jetzt war klar es ist kein Rennen, nein, es ist eine Treibjagd... trotzdem eine wunderbare Gelegenheit mal 34 Sekunden intensiv Luft zu holen
Noch wird gelacht....
Auf den folgenden 50 Kilometern fliegen wir durch die Wälder und über verlassene Feldwege. Nur hin und wieder kreuzen wir eine verlassene Landstraße, Menschen scheint es in der Gegend nicht zu geben. Sehenswert ist allerdings das frische grün, wunderschöne Buchenwälder, im Sonnenlicht glitzernde Seen und tausende blühende Buschwindröschen und Veilchen wie mir Twobeers unterwegs erzählt.
Der Tempo-Papst tritt an, jetzt aber schnell hinterher sonst wird es wieder unschön...
Nach gut 45km gibt es einen kurzen Stop an einer alten Scheune und eine historische Bierflasche wird bestaunt. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass es sich bei dem Fundstück sowas wie um einen Franz-Jäger Berlin der Bierflaschen handeln muss. Die Flasche scheint unendlich alt und selten zu sein. Um den Tempogeplagten F-Lizenz Mitfahrern noch eine kleine Pause zu gönnen sucht und findet Jockel doch tatsächlich noch ein Loch in seinem Mantel und wir dürfen uns während einer Energieriegelpapierreparatur noch ein wenig in der Sonne erholen.
Ein guter und plausibler Grund für 1 Minute mehr Pause muss her
Während die Jungs vom ESK über den heiligen Gral fachsimpeln überleg ich, ob diese verlockenden roten Früchte mich bis an Ende der Tour in der Spitze des Feldes halten könnten oder vielleicht doch eher das Rennen direkt für mich beenden würden. Ich entscheide mich letztlich dafür doch besser auf das Biodoping zu verzichten.
Bei Kilometer 60 gibts den nächsten kurzen Stop, der erste Windhund ist erlegt und die Liste der Anwärter für einen der 5 Plätze auf dem Wochenendticket für die Rückfahrt wird um eine Person kürzer. Ich nutze die Gelegenheit zum vierten Foto des Tages allerdings bezahle ich dieses Vergnügen mit einer elend langen und kraftraubenden Aufholjagd. Wenn nur nicht immer diese kleinen verkac**** Anstiege wären... der Ausflug könnte so schön sein.
Mich abgezogen verbleiben jetzt noch 6 Anwärter für die 5 Plätze auf dem Wochenendticket. Ab hier heißt es mehr denn je Kopf runter und treten was die Beine noch hergeben
Bei Kilometer 70 bin ich dann fällig, die Reserven sind aufgebraucht und ich krieche auf Notstrombetrieb durch die Landschaft. Die Rennleitung ist gnädig und mir wird mitgeteilt, dass ich nur noch bis zur Zwischenzeit in Boitzenburg durchhalten muss. Angeblich sind es nur noch 15km bis zur Klosterschänke. Während ich mich Meter für Meter durch den Prenzlauer Stadtforst quäle rauscht ein traumhaftes Fotomotiv nach dem anderen an mir vorbei. Nur leider ist keine Zeit zum anhalten. Aussteigen iss erst ab Boitzenburg angesagt und ich will niemanden unnötig warten lassen.
Kurz nach 14 Uhr erreichen wir die Schänke und ich fühle mich als wurde mir bereits mehr als ausreichend eingeschÄnkt. Nach einem reichlich oppulenten und sehr schmackhaften Mahl welches auch die Liebhaber der veganen Küche zufrieden stellen konnte trennten sich unsere Wege. Touren- und Tempodiktator Jockel pumpte am ersten sprechenden Mülleimer der Uckermark noch einmal die
Reifen seines Rennfahrzeugs während ich mich bereits in der Sonne liegend unter den 800 Jahre alten Eichen im Klostergarten liegen sehe... ein kleines Verdauungsnickerchen erscheint mir jetzt überaus reizvoll und absolut verdient.
In der Klosterschänke gibts nicht nur Getränke... lecker wars
Nach dem Durst ist vor dem fahren... ich glaub es geht gleich weiter - allerdings ohne mich
Ich hätte noch viel länger in der Sonne liegen bleiben können.... aber wie so oft war die Zeit mein schlimmster Feind
Kloster & Klostermühle, die Klosterbrüder waren bereits über alle Berge äähm Hügel
Nach einer viel zu kurzen Pause setze ich meine Fahrt in Richtung Süden alleine fort. Zu meinem Glück, wie sich später herausstellen sollte, zieht sich der Himmel kurze Zeit später zu und es ist vorbei mit dem herrlichen Sonnenschein und dem traumhaft blauen Himmel. Über verlassene Nebenstraßen und wunderbar sandige Feld- und Waldwege gelange ich nach Milmersdorf. Nach einem kurzen Stück Straße nehme ich den Weg durch den Wald nach Joachimsthal wo die örtliche Tankstelle das Geschäft des Tages mit mir macht. Der Usedom Radweg bringt mich ab hier wieder zurück in Richtung Berlin. Leider ist in Bernau endgültig das Licht alle und ich wähle für die weiterreise die S-Bahn, da ich, warum auch immer, kein Licht eingepackt habe.
Fazit: so ein Feiertag mit Sonnenschein ist ne wirklich tolle Sache. Davon sollte es mehr geben. Auch wenn wir ein wenig hastig angefahren sind so war es trotzdem (bis auf die letzten km vor Boitzenburg) ein sehr schöner Ausflug ins Umland. Vielen Dank für die Einladung und bis zum nächsten Mal.
EP
Abschließend möchte ich mich bei allen bedanken, die diesen Tag in dieser Form überhaupt erst möglich gemacht haben. Danke Berliner Polizei, Deutsche Bahn, Twobeers & Co fürs einladen, töten, schinden und immer wieder geduldige warten