Sorry Robin, aber nach dem was ich neulich gelesen habe, was Bosch und BMW sich einen abgebrochen haben um ein ABS am Motorrad hinzubekommen, und wie kompliziert das ist, ist es am Fahrrad niemals drin.
War ein dicker Artikel in der Motorrad mit einem Vergleich der Systeme von BMW, Ducati und Yamaha.
Also ich spiel jetzt mal den advocatus diaboli:
Physik:
Die Crux ist die große Spanne der Radlasten (von null bis max bzw. Wheelie bis Stoppie), die aus der Kombination hoher Schwerpunkt - kurzer Radstand resultiert, und die Schräglagen-Problematik (in Schräglage rollt das Rad auf einem kleineren Durchmesser, deswegen geht die Drehzahl hoch). Da bist Du mit Raddrehzahl vorne und hinten, und einem dreiachsigen Gierraten-Sensor noch nicht fertig. Du musst auch noch den Lenkeinschlag mit berücksichtigen.
Und Schlupf ist nicht gleich Schlupf - ein bisschen Querschlupf erfordert ja nicht gleich einen Eingriff des ABS.
Und Schlupf muss ja noch nicht mal das Problem sein: Wenn man einen Überschlag drehen kann war ja offensichtlich genug Grip vorhanden, aber trotzdem zuviel Verzögerung.
Bauraum / Packaging:
Das Problem die Blackbox unterzubringen, die Verdrahtung, die Energieversorgung. Das Gewicht der zusätzlichen Komponenten.
Funktion:
Die Modulation hast Du ja selbst schon angesprochen.
An einem passiven geschlossenen Niederdruck-System kannst Du zwar den Kreis kurzschließen, um den Druck wegzunehmen, aber wie wird er wieder aufgebaut?
Und dann die Regelfrequenz: Wir reden hier nicht über Millisekunden, aber wenn Du in einer Zehntelsekunde Dein System zum Reagieren bringen willst, müsstest Du mindestens mit 20 Hz regeln - und mit mind. 100 Hz Daten samplen.
Rechtliches:
Was ist mit Produkthaftung, Zulassung, Zertifizierung?
Regelung:
Allein die Programmierung der Regelung würde ein Vermögen verschlingen, was Du dann auf die verkauften Einheiten umlegen müsstest. Denn je mehr Input-Parameter Du überwachst, desto komplexer wird Dein Kennfeld (die Anzahl der möglichen Input-Output Kombinationen). Dann noch Failsafe-Modus, Erkennung von Sensorausfall / Kabelbruch, Redundanz, Backup-Funktionalität bei Energieverlust... die Liste ist schier endlos.
Markt:
Der Produktmanager hat schon den Rotstift in der Hand, wenn er nur das Wort "Ausstattung" hört.
Eine Chance, das unterzubringen, hast Du nur im hochpreisigen Segment. Das macht zwar viel Umsatz, ist aber von den Stückzahlen eher klein. Schlecht wenn man Fixkosten umzulegen hat.
Der Durchschnittsbürger kauft ein Rad für 300 Euro, meckert da schon über den Preis, und fährt damit im Jahr zwei Mal: Einmal auf Vatertags-Tour und einmal zum Schützenfest, und beide Male besoffen.
Wir Vielfahrer haben da einen verzerrten Blick auf die Realität! Das sehe ich immer wieder wenn meine Kollegen über Details meiner Räder schwärmen, aber Schnappatmung kriegen wenn ich ihnen verrate was sowas kostet.
Ist ABS ein Kaufargument? Für den E-bike Rentner vielleicht, aber welchen Aufpreis ist er bereit auf sein 2000 Euro 20 Kilo-Bike zu zahlen?
Und ganz ehrlich, ich bin mit der Schleuder meiner Frau ein paar Mal unterwegs gewesen, die hat eine 180er XT-Bremse vorne, aber bei dem Gewicht des Motors und des Akkus relativ zentral am Tretlager kriegt man das gar nicht aufs Vorderrad, und ich habe mich wirklich bemüht.
Also beim Pedelec ein Fall von "die Fahrräder bei denen man es kalkulatorisch unterbringen könnte brauchen es nicht".
Für den Rest könnte man sagen: "Ein geübter Vielfahrer braucht kein ABS, ein Gelegenheitsfahrer will es nicht bezahlen"
Sinnhaftigkeit:
Ich will gar nicht sagen dass ein ABS (oder nennen wir es besser ASS für Anti-Stoppie System) nicht einige Stürze vermeiden helfen würde.
Aber die meisten Radfahrer haben im Straßenverkehr Unfälle, weil sie übersehen wurden, nicht weil sie vorne überbremst haben.
Und die meisten alten Leute, die ich sehe, laufen eher Gefahr von ihrem Fahrrad runterzukippen, weil sie nicht genug Kreiselkräfte aufbauen um sicher geradeaus zu fahren -> die schleichen durch die Gegend.
Bei Motorradfahrern ist das was Anderes. Ein nicht unwesentlicher Teil der Unfälle ist selbst verschuldet, vor allem bei älteren Wiedereinsteigern sind es häufig einfach Fahrfehler. Der populärste davon ist das Wegrutschen übers Vorderrad beim
Bremsen in Schräglage. BMW hatte da eine schöne Analyse, und dass ABS zur Pflicht gemacht wird ist gut - wird sicher viele Leben retten. Aber da reden wir auch über ganz andere Geschwindigkeiten und somit Gefahren.
Man kann sich nicht vor allem schützen.
Ein Gefühl für die Bremse erlernen und Gewichtsverlagerung sind das ABS des Radfahrers.
Als ich meine erste Vierkolben-Grimeca am Rad hatte, hat's mich auch an der ersten Ecke übers Vorderrad gehauen. Das kannte ich so nicht.
Heute mache ich an Ampeln Stoppies mit dem Bike, weil ich es kann - und weil es gut ist, in kontrollierten Situationen mal den Grenzbereich auszuloten, damit man von ihm in unkontrollierbaren Situationen nicht völlig überrascht wird.
Insofern viel Glück bei Deinem Projekt, ich halte es für nicht umsetzbar und auch nicht für sinnvoll (im Sinne von "bringt zu wenig für den Aufwand den man betreiben muss").
Und jetzt habe ich mich müde geschrieben und kann schlafen gehen