AlpX 2009, schon wieder ein Sommermärchen oder nicht alle Wege führen nach Rom

Will67

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17. April 2005
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147
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Berlin
Teil 2, Anreise, erste Berge ….

Auch der letzte Gefährte ist seit einigen Tagen zurück und so ist nun wohl die Zeit gekommen ein bisschen zurückzuschauen, Bilanz zu ziehen und schmutzige Wäsche zu waschen. Man reiche mir geschwind einen Bierkasten. Ich werde mich draufstellen und eine kleine Geschichte erzählen, eine Geschichte von einer Reise in den Süden.

„Wir fahren alle von Garmisch nach Riva“ ist ein so überholtes, starres, in den 90er Jahren verhaftetes Bild von einer Alpenüberquerung mit dem Fahrrad, könnte man postulieren. Veränderungen aufgeschlossen, das Gute bewahrend, wertkonservativ aber nicht strukturkonservativ sollte es diesmal ein Patchwork-Alpencross, welcher viele individuelle Zeitpläne und Interessen vereinte, werden: Drei fuhren los, im Sarntal waren es auf einmal vier, kurz waren es auch mal wieder nur drei, in Riva trennten sich die Wege und ab Rom wurde es eine Soloveranstaltung. Einmal war sogar eine Gondel im Programm, es wurde erstaunlich oft im Restaurant vernünftig gegessen, aber auch viel geschwitzt, gelitten, getragen, gekurbelt. Korrekt, korrekt, jefällt ma, jeht ab, wie der Spandauer sagt. :daumen:

Aber von vorn und mit meinen Teil begonnen: Frisch zurück von der 30.000hm-Tour überraschte mich ein unerwartetes Ereignis und warf erst einmal alle Pläne über den Haufen. In der Folge hatte ich das Vergnügen, die heiße Endphase der AlpX-Planung damit zu verbringen, einem offensichtlich feindlich gesinnten Staat, ein kurzfristiges Visum abzuschwatzen. Der bürokratische Alptraum hatte in letzter Minute ein glückliches Ende und so saßen an einem Sonnabendmorgen im August Schnegge, JPK und Eispickel im Zug nach Garmisch, meine Wenigkeit hingegen im Flugzeug; völlig falsche Richtung. Keine Panik, unsere Wege sollten sich, wie vereinbart und völlig unkompliziert, einige Tage später in Südtirol wieder kreuzen.

Am Abend meiner Rückkehr stand der Rucksack schon gepackt in der Ecke, der Anzug kam wieder in den Schrank und alles war für die Fahrt am nächsten Morgen vorbereitet. Wieder einmal würde es geschmacklos gekleidet in die Berge gehen, das harte Los aller Schwucken.

Seine Anreise selbst zu organisieren hat den Vorteil, alle günstigen -aber auf den Regionalverkehr beschränkten- Spartickets ignorieren zu können und so würde ich um nach Südtirol zu gelangen, nur viermal umsteigen müssen. Die relativ frühe Ankunft gegen 18.00 Uhr würde mich außerdem in die Lage versetzen, noch 700hm Strecke kurbeln zu können um auf 1500m Höhe meine Schlafstatt zu finden. Toller Plan. Leider hatte ich die Rechnung ohne die Bahn gemacht, die Berliner Krankheit hatte anscheinend bereits um sich gegriffen.

Die Abfahrt war noch pünktlich und vor den Fenstern des Intercity stieg die Sonne über die unfassbare Leere kurz hinter Berlin. Schnurgerade strebten die Ackerfurchen sandbraun vom Schienenstrang zum Horizont, in strenger Linie reihten sich die Ähren und selbst die Bäume wirkten zurückgenommen und kärglich. Der Boden staubte, es knirschte schon vom Hinsehen zwischen den Zähnen. Nett, wollte ich hier wirklich weg? Dann stand der Zug 15min auf freier Strecke und ich hatte plötzlich andere Sorgen. Aber der Umstieg gelang, der Anschluss klappte und München wurde planmäßig erreicht.

Die Zeit des längeren Aufenthalts nutze ich um Ballast abzuwerfen; der Versuch ein ausgelesenes Buch zu verschenken. Aber obwohl es kein „Wachturm“ war, gestaltete sich das Unterfangen schwieriger als erwartet. Ein Geschenk von einem Mann mit Helm und kurzen Hosen erregt scheinbar Misstrauen. Mütter nahmen ihre Kinder fester an die Hand und der ein oder andere unverständliche Blick wechselte den Besitzer, das Buch aber schließlich ebenso.

Noch schnell ein neues Buch gekauft und dann den Zug nach Innsbruck geentert und nach 5 Minuten wieder geräumt. Lokschaden! Alle Anschlüsse futsch! Dem Servicepoint fiel nichts Besseres ein, als mir eine Unterkunft in München anzubieten. Ich lehnte dankend ab und steuerte den EC nach Innsbruck ohne Fahrradmitnahme an. Meine Ansprechpartnerin war in den ersten 3 Minuten unseres angeregten Gesprächs davon überzeugt, dass ich ihren Zug entführen wolle. Auch weitere 5 Minuten brachten uns nicht weiter und es gab dann erst einmal wichtigere Probleme, das Catering beispielsweise. Da wir die Sache noch nicht ausdiskutiert hatten, tat ich das, was man in jeder schwierigen Beziehung tut, die Probleme ignorieren.

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Nicht auszudenken, welches Chaos ein Fahrrad hier anrichten könnte ...


Das Fahrrad wurde im letzten Wagen an das Zugende gestellt und Platz genommen. Bei der Fahrscheinkontrolle erntete ich noch einmal einen bitterbösen Blick, hatte aber ansonsten eine angenehme Fahrt im völlig leeren Zug. Merke: Nicht reden hilft manchmal. Im Inntal ging derweil die Welt unter, der Himmel war schwarz, es gewitterte heftig in beiden Fahrtrichtungen.

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Gewitter hinter München ...

Die Entscheidung, ob eine Weiterfahrt, über Innsbruck hinaus, sinnvoll wäre, wurde nicht einfacher. Das Wetter im abendlichen Innsbruck war aber schon wieder vertrauenerweckender und so wurde die Bahn auf den Brenner bestiegen; mit dem Wissen, dass es vor 5.00 Uhr in der Früh keinen Anschluss geben würde. Kurz vor Mitternacht war der Pass endlich bezwungen. Der Tag war um, Italien erreicht, aber sonst nix geschafft. Brennero bei Nacht ist nur ein trauriger Nichtort, eine Durchgangsstation, die nicht zum Verweilen einlädt. Das blaue Flimmern der Bildschirme aus den Kabinen der ruhenden Trucker wird nur vom Neonschein des riesigen Brenner-Outlet-Centers übertroffen. Bloß weg hier und in die Abfahrt nach Sterzing gestürzt. Die Temperaturen waren sehr angenehm und ein Positionslicht hatte ich auch dabei. Immerhin.

Dunkel und aufregend war es, wenig bekannt ist auch, dass das Talbecken von Sterzing der Strafort für alle Mädchen die ins Moos gehören, d.h. ledig sterben, ist. Sie kriechen am Tage als hässliche Moosschnecken herum und tanzen des Nachts als Spukgestalten. Mangels Licht bekam ich davon glücklicherweise wenig mit. Mein Nichtlicht ließ mich aber immer wieder Hand an die Bremse legen.

Eine feste Straße über den Brenner gibt es seit 1776. Zehn Jahre später, genauer am 8. September 1786 fährt eine Kutsche durch die Dunkelheit, in entsetzlicher Schnelle zwischen hohen Felsen, an den reißenden Etsch Fluß hinunter, das einem Hören und Sehen vergeht, wie Goethe in seinem Reisebericht an Frau von Stein mit einer Spur Begeisterung vermerkt. Auch dort hätte Licht die Sache sicher vereinfacht, aber wo bleibt der Reiz? Ein weiterer Reisender, der das Licht scheute, war der arbeitslose Holzfäller Otto Henninger, der -zünftig mit Tiroler Hut und Gamsbart- im Mai 1950 aus der Lüneburger Heide auf die italienische Seite des Brenners gelangte. Dort wird er vom hilfsbereiten Sterzinger Pfarrer empfangen, genehmigt sich einen guten Tropfen Südtiroler Rotwein und reist -jetzt in unauffälliger Straßenkleidung- weiter nach Bozen, wo er Unterkunft im Franziskanerkloster findet. Hier nennt er seinen richtigen Namen und bekommt folgerichtig Papiere auf den Namen Ricardo Klement, mit besten Empfehlungen des Roten Kreuzes und des Vatikan. Weiter geht es über Genua nach Argentinien. Die letzte Reise organisiert der MOSSAD nach Tel Aviv, wo ihm der Prozess gemacht und er 1962 als Adolf Eichmann hingerichtet wird.

Ich war unterwegs auf der Klosterroute. Auch -nach der Übernahme durch die Amerikaner- liebevoll Rattenlinie genannt, dem Fluchtweg vieler NS-Größen nach dem Krieg. Nun gut, Sterzing war bald erreicht und ich benötigte so langsam eine Unterkunft. Nicht lange gesucht, auf dem Marktplatz wurde ein Volksfest entsorgt, die letzten Besucher zusammengefegt und ein Gasthof hatte noch ein Bett frei. Beim aufgerufenen Preis überlegte ich kurz, ob ich mit Karte zahlen und als Sean Combs unterschreiben sollte. Ich fügte mich in mein Schicksal und bekam schließlich auch etwas für mein Geld geboten: Der pompös-verspielte Leuchter in meinem Zimmer hatte beeindruckende 18 Kerzen und das Kruzifix im Speisesaal hatte Lebensgröße, so denn der Sohn Gottes 3 Meter maß. Nur die Küche war bereits geschlossen und so streifte ich noch durch die Nacht auf der Suche nach etwas Essbarem. Bereits die dritte Pizzeria war bereit noch einmal den erkalteten Ofen anzuwerfen und alles war gut. Kurz nach 2.00 Uhr war endlich Nachtruhe, ich konnte beinahe sowas wie ausschlafen und so war um 8.00 Uhr die Weltherrschaft zum Greifen nah. Das Tagesprogramm war aufgrund der unfreiwilligen Planänderung auch nicht mehr sonderlich ambitioniert: Rauf aufs Penserjoch und Abfahrt nach Sarnthein, 1400 Höhenmeter, Ankunft gegen Mittag.

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Zahn an der nördlichen Auffahrt zum Penserjoch


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So ich den Überblick nicht verloren hatte, war dies bereits der fünfte Alpenbesuch in diesem Jahr. Ich würde es nicht Gewöhnung nennen wollen, aber möglicherweise stellte sich langsam ein Gefühl der Sättigung ein. Eine Normalität, die Hannah Arendt in einem Essay über ihren Friseur als „Banalität der Schönheit“ charakterisierte. So dachte ich, wurde aber mit jedem bezwungenem Meter, jedem Blick ins Tal, jeder verheißungsvollen Ankündigung der Passhöhe eines Besseren belehrt. Oben angekommen war noch etwas Zeit, ich entfloh den motorisierten Bikern und Reisebussen und radwanderte noch die 300hm zum Penserjochsee. Dort ein Blick zurück und ein Blick ins Sarntal.

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Sandlandbewohnern, diesen missmutigen Kreaturen gebricht es an Erhabenem, fehlt es an Größe, die ihnen jeden Tag aufs Neue den wahnwitzigen Größenunterschied zwischen Mensch und Universum veranschaulichen, wie es die Berge tun, die dem Betrachter mitteilen, dass er ein Nichts ist, ein sinnlos strampelnder Wicht, der jederzeit vom Fuß eines Riesens zermalmt werden könnte, den der Herr, dessen ungeachtet, dennoch liebt, und der seiner sanftmütigen Nachsicht durch putziges Gewölk, gut geformten Stein und würzige Wildblumenwiesen reichlich, überreichlich Ausdruck verleiht. Da nun aber Berlin und, noch schlimmer, Brandenburg platt wie eine Flunder sind, wird die Bevölkerung nicht ausreichend und vor allem nicht kontinuierlich genug gedemütigt, insbesondere ist der Berliner nicht gezwungen seinen Blick gen Himmel zu richten, keine Vertikalen weisen ihm optisch den Weg zu Höherem, daher ist sein Verhalten so schlecht. :cool:

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Die Zeit war gekommen und nach einer langen Abfahrt wurde die Kirche von Sarnthein erreicht. Eine halbe Stunde später traf der Rest der Gruppe ein, deren erstes Wort „platt“ war; womit aber nur auf einen Reifen angespielt wurde. Die längere Reparaturpause gab uns Gelegenheit für den Austausch des an den vergangenen Tagen Erlebten. Der unvermeidliche Aufbruch folgte bald; die Zeit drängte, denn über Rheinswald sollte es an diesem Tag noch zur Stöfflhütte gehen. Verständlicherweise musste nun erst einmal der Neue in der Gruppe getestet werden und so wurde Kette rechts den Berg hochgeknallt. Auch wenn es mir schwer fiel und der Abstand auf einige Radlängen anwuchs, konnte ich diesen ersten Angriff erst einmal abwehren. Durch Pausen entschärfen sich solchen kritischen Situationen ja auch oft von selbst. ;)

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Villanderer Alm


Die letzten Anstiege zum Tagesziel waren so steil, das entgegenkommende Fahrer runterschoben. Die bald erreichte Villandereralm entschädigte mal wieder für alle Anstrengungen. Sanfte, bis zum Horizont erstreckende, Wiesen erfreuten das Auge. Letzte Bäume und kleine Sträucher lockerten das Bild auf und wogen sich leicht im Wind, als bemalten sie eifrig den Himmel in noch strahlenderen Blau. Und wäre das alles noch nicht genug, grüßten die ersten Dolomitenriesen im Hintergrund. Geschmackvoll platzierte Kühe, Pferde, Ziegen und Hühner vollendeten die Komposition.

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Die Nacht im Lager verlief ohne weitere Vorfälle und der Start in den Tag begann mit der Auffahrt zum Latzfonser Kreuz auf 2300m, unserem Übergang ins Eisacktal. Pferde, die schöneren Kühe, standen uns dabei Spalier.

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Die Wallfahrtskirche auf dem Kreuz erregte unsere Aufmerksamkeit schon aus weiter Ferne. Alljährlich wird im Juni der Schwarze Herrgott, ein schwarzes, geschnitztes gotisches Holzkreuz, von der Dorfkirche in Latzfons dorthin gebracht, wo es den Sommer über verbleibt.

Der Sage nach ließ der Latzfonser Pfarrer um das Jahr 1700, nachdem drei Sommer nacheinander Hagel die Ernte zerstört hatte, nach einem Herrgottsbild suchen, das bislang vernachlässigt worden war. In der Totenkapelle fand man dann tatsächlich unter altem Gerümpel den Schwarzen Herrgott, eine mit einem Gemisch aus Ochsenblut und Pech bemalte Holzskulptur des Gekreuzigten. Dieses Kreuz wurde in einer großen Prozession zum sogenannten Kaserbild gebracht, um es zur Abwendung der Unwetter aufzustellen. Nach der Sage schüttelte der Herrgott zum Ausdruck des Missfallens über diesen Aufstellungsort den Kopf. Auch der nächste Aufstellungsort missfiel ihm. Erst weiter oben schien ihm der Platz genehm zu sein bzw. es unwetterte einige Jahre nicht allzu heftig.

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Ein wenig Regen hing, trotz Schwarzen Herrgotts, in den Wolken und wir nahmen zügig die endlose Abfahrt nach Klausen in Angriff. Dort wurde aus einem Reparaturstopp für Hinterbauten ein ausgedehntes Einkaufserlebnis, die Suche nach einem passenden Schuh gestaltete sich kompliziert. Der Kauf war nötig geworden, da sich das mitgeführte Modell aufzulösen begann. Eispickel spielte ein wenig Aschenputtel und probierte beinahe jeden Schuh im Laden an. Eitelkeit war hierbei nicht im Spiel, eher das aberwitzige Größenverständnis der Firma Pearl Izumi.

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Mit drückenden Schuhen ging es in brütender Hitze Richtung St. Magdalena. Über den Berg, der dazwischen lag, möchte ich nicht reden, denn die Erinnerungen sind teils wage, teils nicht die besten. Es war heiß, steil und schottrig, das sollte genügen.

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St. Magdalena

Ein Anblick lockerte die Stimmung auf. Hinter einer Wegbiegung öffnete sich unerwartet der Wald und präsentierte eine Fototapete der Geißler-Gruppe. Die Dolomiten waren nicht mehr fern, das Weiterfahren lohnte also.

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Erste Ausblicke und Belohnung ...

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Dann war es auch schon 18.00 Uhr und die Gampenalm war noch zu bezwingen, was noch einmal 800 Höhenmeter Kurbelarbeit zum Abendbrot bedeuteten. Da es mit dem Essen knapp werden könnte, wurde die Bildung einer Speedgruppe beschlossen, welche mit einer halben Stunde Vorsprung und ohne ausgedehnte Essens- und Fotopausen die Gampenalm noch vor Küchenschluss erreichte. Ich möchte an dieser Stelle nicht verheimlichen, und ich tue dies ohne Scham;), dass ich mit einem Kollegen die gemütliche Nachhut bildete.

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Späte Ankunft ...

Die Hütte war gut gefüllt, eine größere Gruppe englischer Bergsteiger, deutsche Geschäftsleute und eine 20köpfige Delegation des Alpenverein Frascati, eine Stadt südlich von Rom, belebten den Gastraum. Letztere Tatsache wurde uns lautstark durch wiederholte enthusiastische Trinksprüche auf „Il Presidente Organizzazione“ mitgeteilt. Der Personenkult um Il Presidente fand auch in Liedern seinen sympathischen Ausdruck. Wie zu erfahren war, feierte der Alpenverein seit 6 Tagen sein 25jähriges Bestehen und am letzten Abend war die Stimmung auf dem emotionalen Höhepunkt. Wir ließen uns von der guten Stimmung anstecken und fanden erst spät den Weg in die Betten. Morgen steht die Schlüterhütte und vielleicht Heilig Kreuz auf dem Programm, waren meine letzten Gedanken. Der Schlaf kam schnell ….
 
Zuletzt bearbeitet:
Der Auftakt dieses Reiseberichtes verspricht viele großartige Lesefreuden. Was habe ich diese Zeilen gerade genossen. Gegen diese Wortgewalt kann Geothe mit seiner Italienreise einpacken. Und fotografieren konnte Goethe auch nicht so gut.;)
 
Gegen diese Wortgewalt kann Geothe mit seiner Italienreise einpacken. Und fotografieren konnte Goethe auch nicht so gut.;)

Es gibt wichtige Gründe, eher verhalten mit der Verteilung von höchstem Lob und größter Auszeichnung umzugehen: Vielleicht kann Will damit garnicht richtig umgehen, fängt an Drogen zu nehmen, Groupies um sich zu scharen, eine Platte aufzunehmen oder für Prosecco in Dosen zu werben...! Hält die Welt für eine nicht enden wollende Party, vernachlässigt soziale Bindungen, hat auf Facebook mehrere millionen Freunde und schreibt dann schon lange keine Berichte mehr, garniert mit diesen wunderbaren Bildern!!! :eek: Anschließend lebt er vielleicht für eine Weile in der Betty-Ford-Klinik, weil er wiederholt ohne Schlüpper und mit rasiertem Schädel auf offener Strasse anzutreffen war. ;)

Das alles kann man nicht wollen!


Von mir also ein überschaubares, wohl dosiertes "Ganz gut bis hier!" ;)
 
na endlich !!!
Ich warte seit Tagen auf diesen Bericht.
Du bist mein absoluter Lieblings-Schreiberling und ich freue mich auf die 224 Fortsetzungen...

Viele Grüße
S.
 
Es gibt wichtige Gründe, eher verhalten mit der Verteilung von höchstem Lob und größter Auszeichnung umzugehen: Vielleicht kann Will damit garnicht richtig umgehen, fängt an Drogen zu nehmen, Groupies um sich zu scharen, eine Platte aufzunehmen oder für Prosecco in Dosen zu werben...! Hält die Welt für eine nicht enden wollende Party, vernachlässigt soziale Bindungen, hat auf Facebook mehrere millionen Freunde und schreibt dann schon lange keine Berichte mehr, garniert mit diesen wunderbaren Bildern!!! :eek: Anschließend lebt er vielleicht für eine Weile in der Betty-Ford-Klinik, weil er wiederholt ohne Schlüpper und mit rasiertem Schädel auf offener Strasse anzutreffen war. ;)

Das alles kann man nicht wollen!


Von mir also ein überschaubares, wohl dosiertes "Ganz gut bis hier!" ;)

Boerge, Du hast ja so recht. Ich weiß nicht, was mich bei meinem gestrigen Gefühlsausbruch geritten hat - waren es die Hormone, Drogenmissbrauch oder zu viel Sonne.

Ich revidiere also meine Aussage und zitiere Nero Wolfe: "Höchst Zufriedenstellend."
 
@will, einfach nur schön dein bericht und die bilder dazu :love:.

ich sollte mal für längere touren trainieren ......

beste grüße, rahu
 
Ja Super! Hast dir ja richtig Arbeit gemacht. Tolle Zusammenfassung der ersten Tage!:love:
Das wirkt ja direkt inspirierend...vllt find ich ja doch noch'n paar Worte dazu...? ;)



Achso, da ich bis jetz noch nich getan hab, auch von mir noch die Würdigung der literarischen Höhen des Beginns dieses AlpX-Berichts!:daumen:
 
Will, Schnegge, tolle Berichterstattung eurer interessanten Reise, war ein Vergnügen sie zu lesen und zu betrachten, sehr kurzweilig. :daumen: Aber etwas anderes sind wir ja von euch auch nicht gewohnt. :D Von den schönen Erlebnissen werdet ihr noch lange zehren. Freu’mich schon auf die Fortsetzung !!!



Viele liebe Grüße von sprotte. :winken:
 
Ich fordere die sofortige Verschiebung dieses Themas. Einen Bezug zu Berlin/Brandenburg kann ich nicht erkennen. Ansonsten komme ich noch auf doofe Gedanken....

Twobeers
 
Teil 3: Audienz bei der Königin

Der Morgen auf der Gampenalm begann mit dem üblichen Einsammeln der beinahe getrockneten Wäsche, „Kakao oder Kaffee?“ und dem halblegalen Zubereiten der Trailbrötchen. Il Presidente und die Engländer wurden noch einmal aufs Herzlichste verabschiedet; die Deutschen schliefen noch. Unter unentschlossenem Himmel, Nebel, Wolken und schüchterne Sonne kämpften erbittert um die Vorherrschaft, schob sich die Reisegruppe bald zur Schlüterhütte. Diese thronte unter schweren Wolken auf 2300m Meereshöhe, zwischen Geislergruppe und Peitlerkofel. Unser nächstes Ziel sollte das Kreuzkofeljoch sein; der Weg war klar: Schieben und Tragen standen weiterhin in der Wegbeschreibung. So ging es, nur von kurzen fahrbaren Abschnitten unterbrochen, immer am Hang entlang, weiter in die Höhe.

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Ein -später rekonstruierter- Fehler, der sich vor allem auf „Wir folgen den Massen!“ reduzieren lässt, lies uns hierbei eine falsche Abzweigung nehmen und so ging es bald richtig heftig kletternd in die Berge. Plötzlich war es nicht mehr möglich, das Rad auf dem Rücken zu tragen, da mindestens eine Hand zum Abstützen gebraucht wurde. Es ging steil, verzwickt und ausgesetzt über lockeren Stein in den Berg hinein. Eispickel, mit den neuen Racingschuhen, machte dabei eine besonders gute Figur und stürmte voran. Zwar wurde unsere Unternehmung mit jedem bezwungenem Meter unsinniger, aber man ist inzwischen so einiges gewohnt, wahrscheinlich würde das irgendwann einmal aufhören und wir hingen schließlich nicht als Einzige im Hang. Eine Gruppe Wanderer teilte sich mit uns den komplizierten Aufstieg.

Unter jenen wäre besonders eine junge Frau zu erwähnen, welche angsterfüllt und nicht in der Lage sich zu bewegen, im Berg hing und den Stieg blockierte. Ich bin mir sicher, sie hat die Sache letztendlich gut überstanden; und auch möchte ich mich nicht über sie lustig machen, nur ein wenig die funkelnd groteske Dramatik der Situation schildern. Jenes Häufchen Elend also, an sich gut ausgerüstet, mit Sicherungsseilen im Gepäck, und wohl daher doch mit einiger Erfahrung, stand zitternd im Weg, den Rücken zum Abgrund und war nicht in der Lage, sich auch nur einen Zentimeter zu rühren. Glücklicherweise war ein Kollege zur Stelle und redete beruhigend auf sie ein. Ihre Höchststrafe bestand nun darin, dass eine Gruppe von Radfahrern diese Szene passierte, sich umständlich und zeitraubend einen Weg herum suchte, und wie selbstverständlich mit Rädern im Arm, den Aufstieg fortsetzte. Nicht nur das, einige Minuten später kamen ebenjene Radwanderer wieder vorbei, denn weiter oben im Hang hatte sich die Meinung durchgesetzt, das man hier wahrscheinlich falsch sei. Nicht lustig das Ganze, aber komisch.

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Ted “Ice Pick” Striker: Surely, you can't be serious.
Schnegge: I am serious... and don't call me Shirley.


Wir fanden endlich den richtigen Weg, welcher sich einigermaßen vernünftig zum Kreuzjochkofel schraubte. Die Aussicht war nicht die Beste, aber dramatische Wolkenformationen entschädigten ein wenig für die mangelnde Fernsicht.

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Nun stand die Belohnung an, die epische Abfahrt: Schmale Wege am Hang, gefolgt von schnellen Schotterabfahrten. JPK machte kurz platt. Über Medalges Alm ging es in den Wald; es wurzelte sehr; Gegenanstieg und wieder Fahrt aufgenommen, der Abwärtsdrang wurde erst 1000hm später, in Abtei, gestoppt. Die Ankunft legten wir auf 12:03 Uhr, was nichts anderes wie „Alle Geschäfte zu“ bedeutet. Die Wolken waren auch nicht umsonst gewesen und es setzte erst einmal heftiger Regen ein, welchen wir interessiert beobachteten. Die Stunden gingen ins Land, und schwere Entscheidungen mussten getroffen werden: Regenbekleidung wurde angelegt und es ging erst einmal nach La Villa. Dort begann die Suche nach einer Unterkunft, die örtliche Touri-Info schaffte es Schnegge rasend zu machen und nach einigen weiteren Enttäuschungen verließen wir schnellstens diesen unergiebigen Ort. Nächste Anlaufstelle war San Cassiano, wo JPK und Schnegge auf eine kleine Tagesendtour geschickt wurden und ich mich mit Eispickel um eine Unterkunft kümmern wollte. Mit einem sehnsüchtigen Blick in die Hänge oberhalb des Ortes, wurde beschlossen eine Scheune zu organisieren. Das Vorhaben gestaltete sich zäh und es wurde schließlich eine feine Ferienwohnung.

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Blick aufs nächtliche San Cassiano


Des Abends wollte ich mich endlich der Gewichtsreduzierung widmen und mein Buch, das ich seit Sterzing spazieren fuhr, zu Ende lesen. Zwar war die Geschichte richtig schlecht, ein einziger Reinfall, aber ich konnte mich nicht lösen und wollte wenigstens das Ende mitnehmen. Aber da ging auch schon das Gejammer los; es gibt anscheinend Menschen die beim sanften Schein einer Nachttischlampe nicht einschlafen können. Durch die Wohnung schallten die Stimmen, flogen die Bemerkungen, denn selbst unbeteiligte Leute aus anderen Zimmern mussten unbedingt ihre Meinung kundtun. Es war wie damals bei den Waltons. Aber wie konnte ich auch Verständnis für meine Leichtbaubemühungen von jemandem erhoffen, der tagelang ein halbes Kilo Tiramisu in seinem Rucksack spazieren fuhr. Na gut, einen Versuch war es wert gewesen.:cool: Unter der Bettdecke lese ich nicht; dafür bin ich nicht extra erwachsen geworden und so setzte ich mein Vorhaben halt am Morgen um. Das wirre Buch, dessen Namen ich schon verdrängt habe, blieb auf dem Nachttisch liegen. Sollte sich ab nun jemand anderes damit rumärgern. Nicht nett, ich weiß.

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Hinter dem Ortsausgang wurde erst einmal gefrühstückt und dann die Auffahrt zur Pralongia-Hütte in Angriff genommen. Steile Schotterwege brachten uns schnell und direkt ans Ziel. Die erreichte Hochebene präsentierte die ganze Schönheit der Dolomiten. Der abrupte Wechsel zwischen sanft gewellten Almenwiesen und den darauf thronenden steinernen Riffen macht diesen Landstrich vor allem aus. Die Blicke richteten sich in eine überzeichnete Landschaft hinein: windschiefe Hüten, wogende Flecken von hellgrünem Gras wechseln sich mit spiegelnden Flächen und glühenden Brocken ab. Dunkle Büsche durchbrechen die silbrig-grüne Tonalität, und über dem Horizont stehen schräg die Rauchwolken. Die Erregung kriecht aus jedem Winkel dieser Landschaft hoch; und beruhigt doch auf eine angenehme Art und Weise.

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Die erste Abfahrt des Tages sollte uns nach Arabba tragen. Es ging wunderbar zügig und rumplig gen Tal. So oft und heftig wie es am Hinterrad knallte, rechnete ich ständig mit Durchschlägen, aber der Schlauch sollte noch sehr lange halten, so viel sei gesagt. Für die Weiterfahrt hatte JPK den Schwung und schlechten Einfluss der 30.000hm-Tour mitgenommen und etwas ganz Verwegenes geplant. Zum Porta Vescovo sollte es per Seilbahn gehen. Wir hatten Glück, die Bahn stand bereit, es blieb wenig Zeit zum Überlegen. Nur zehn Minuten später waren die 1.000hm geschafft und eine lange Pause war möglich, denn Schnegge war im Tal zurückgeblieben. :eek:

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Sella-Gruppe

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Uns hatte es also bei schönstem Wetter auf einen Vorkamm des Marmolata-Massivs verschlagen, die Königin der Dolomiten im Angesicht, im Hintergrund die majestätische Sella-Gruppe. Fantastico, um mich mit Superlativen zurückzuhalten. Man könnte nun diese geschenkte Zeit, in der Sonne liegend genießen. Aber eine bizarre Angst vor der Leere, dem Stillstand, überkommt anscheinend jeden Alpenüberquerer des Mittags auf dem Berggipfel. Es ist nicht leicht dagegen anzukommen, besonders im Urlaub.;) Forstarbeiter zum Beispiel, leben mit dieser schrecklichen Urangst, dass sie eines Tages entdecken müssen, das alle Bäume auf der Welt ein Raumschiff gebaut und unsere Galaxie verlassen haben. Diese Angst hält sie in Bewegung, der drohenden Apokalypse wird versucht mit Harvestern zuvorzukommen. Aber das ist schon wieder eine andere tragische Geschichte.

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Die Königin. Ihr zu Füßen: der Fedaiasee.

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Wir waren nicht ganz oben angekommen. Es gab noch die Möglichkeit, eine verlockende Erhebung -mit sicherlich noch beeindruckender Aussicht- zu erklimmen. Der Widerstand war bald gebrochen, Eispickel macht keine halben Sachen und schulterte auch gleich noch das Rad. Der Aufstieg war nicht ohne, aber ohne Rad sehr angenehm und am Gipfel angekommen öffnete sich der vollständige Blick auf die Königin: Die Marmolata ist ein stolzer Zauberberg, ein Traum von einem Berg, dessen schartige Kämme das Blau des Firmaments zersägen. Das dumme Auge des postmodernen Schönheitsurlaubers mästet sich an der leuchtend weißen Pracht auf vernarbtem Stein, das melancholisch auf Weltuntergang fokussierte Öko-Auge erkennt bedauernd das Rückzugsgefecht des geschwächten Gletschers.

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Ich habe da mal etwas vorbereitet ...


An der südlichen Spitze unseres Hügels waren Reste eines Bauwerkes zu sehen. Sicher mal wieder Überbleibsel aus dem Gebirgskrieg; Artilleriebeobachtung, Kommunikation oder so etwas in der Art. Die Marmolata war vor dem 1. Weltkrieg die Grenze zwischen Italien und Österreich gewesen und mit der Kriegserklärung Italiens befand sie sich plötzlich im Herzen des Kriegsgebiets. Eine Abteilung von Alpini, italienische Gebirgsjäger, erkletterten 1916 die südliche Wand der Marmolata und eroberten den Serautakamm. Dadurch gerieten die österreichischen Stellungen, auf der damals noch nahezu vollständig vergletscherten Nordwand, zwischen Undici und Dodici, in dauerndes Artilleriefeuer. Die Österreicher begannen eine „Eisstadt“, mit kilometerlangen Kampf-, Versorgungs- und Unterkunftsstollen, die bis zu 40 m unter der Gletscheroberfläche lagen, zu bauen. Der Höhenunterschied zwischen unterem und oberem Gletschertor betrug über 1.000 m. Zwei Jahre lang fanden, ohne nennenswerte Geländegewinne, heftigste Kämpfe unterhalb Serautakamm und Fessurascharte statt. Das unentwegte Ächzen und Knarren des Gletschers gab den wenigen Kampfpausen die richtige Untermalung. Der Gletscher war bald vom stetigen Granateneinschlag schwarz gefärbt. Die Haare der Österreicher dagegen, gingen ins Grüne; eine der Nebenwirkungen der Wassergewinnung aus dem vergifteten Gletschereis. Am 13. Dezember 1916 löste sich von der Punta Penia auch noch eine gewaltige Lawine und verschüttete das Nachschublager Gran Poz. Viele der über 300 Toten fand man erst im folgenden Sommer.

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Schnegge trifft ein.

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Nur geschlagen von dieser Gruppe, welche 10min eher eintraf.

Den Blick vom Irrsinn der Vergangenheit gelöst, zurück zur Gegenwart: Schnegge hatte inzwischen den Berg bezwungen und sich ihre Pause verdient. 90min war die Zeit für 1.000hm gewesen, wenn ich mich richtig erinnere.

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Wir nahmen nicht den Bindelweg zum Lago Fedia, sondern tasteten uns am Hang entlang, einen Dolomiten-Höhenweg nutzend, zum Passo Fedaia und dann auf Schotter weiter zum See. Der Fedaiasee, ein kilometerlanger Stausee mit zwei Staumauern, gestattete uns einen letzten Blick auf die Königin. Es folgte noch eine heftige Abfahrt, mit allerlei lustigen Stufen, Treppen und Wurzeln. JPK steuerte souverän das Führungsfahrzeug und scheute kaum eine Schwierigkeit.

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Schnegge hatte bei ihrer Auffahrt zum Porta Vescovo Muße zur Kommunikation gefunden, und die Kunde vernommen, dass man auf dem Zeltplatz in Campitello di Fassa kostenlos übernachten könne. Wer es sich einfach im Fernsehraum bequem macht, hat wohl nicht mit Schwierigkeiten zu rechnen, so die Legende. Die Skepsis der übrigen Reisegruppe überwog deutlich und die Zweifel stiegen durch Schilderung der Zustände im gefliesten Fernsehraum eher noch. Unsere Pizzeria hatte auch Zimmer im Angebot und so griffen die drei Herren zu. Schnegge hingegen war nicht zu überzeugen und reinschmuggeln stand schon mal gar nicht zur Debatte.

Wir verabschiedeten unsere Abenteuerin in eine ungewisse Nacht und nahmen die Unterkunft in Beschlag. Die hochwertig ausgestatteten Zimmer existierten in einem ästhetischen Niemandsland, irgendwo zwischen den 70er und 80er Jahren, wobei Eispickels futuristische orangefarbene Suite eindeutig die Krönung darstellte. Man stelle sich einfach vor, Achim Mentzel hätte sich 1990 vom ersten Westgeld bei Luigi Colani ein Liebesnest in den Bergen bestellt. An den Wänden tummelten sich, in Bilderrahmen dem Zugriff entzogene, nackte Frauen, die der Künstler als so heiß darstellen wollte, dass er ihre Körper mittels Airbrushtechnik in lavaspeiende Vulkane übergehen und mit Drachen kämpfen ließ, und gewisse Körperpartien zudem mittels erhabenen Glitzerstaubes betonte.

Auf den folgenden gesunden Schlaf hatte dies alles überhaupt keinen Einfluss. Ein Blick vom Balkon am nächsten Morgen, sah Schnegge auf dem Parkplatz vor dem Hotel frühstücken. Ihre Nacht hatte auf zusammengestellten Tischen, unterm Weihnachtsbaum, stattgefunden. Armes Hascherl, aber sie hatte es so gewollt und zeigte auch keine Reue.

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Sofort ging es mal wieder rauf, wen wundert es wirklich, über Moena, Richtung Karerpass. Dort stand einst ein florierendes Bergwerk. Die Knappen wurden sehr reich, aber auch so übermütig, dass sie sich ein Kegelspiel aus purem Golde herstellten und den Sinn des ganzen Almvolkes auf das Spiel lenkten, so dass Gott nicht mehr für sie existierte. Auf einmal brach ein Gewitter los und fegte die ganze Alm hinunter und lies so den Karersee entstehen. Das Wasser des gar nicht so großen Bergsees schimmert in prächtigen, beinahe künstlich wirkenden, türkisgrünen Farben und in seinen kristallklaren Fluten spiegeln sich die Bergmassive des Latemar und des Rosengartens. Die belebte Straße und der Parkplatz hingegen, sind nicht so schön anzusehen. Damit die zahlreichen Reisebusse ihre Fracht nicht einfach in den See kippen, ist dieser umzäunt und man hat Schilder aufgestellt, welche den Besuchern den Weg zu besonders lohnenden Fotomotiven weisen. Dort ist der Boden ganz ausgetreten, denn man folgt den Anweisungen sehr genau. Beleibte Familienväter bannen den See mit schnellen Schwenks auf Video. Anschließend geht es, immer in Sorge um Kamera und Handtasche, zum Eisbein oder Kaffee mit Kuchen essen. Wo bleibt der Zorn Gottes, wenn man ihn mal braucht, das klassische Theodizeeproblem.

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Unser Weg führte uns weiter zum Kloster Weißenstein. Das Kloster steht seit dem 16. Jahrhundert am Ort einer Marienerscheinung. Unter den Religionsreformen Josef des II., Ende des 18.Jahrhunderts, welche die Alleinherrschaft der Katholischen Kirche brechen sollten, mussten Klöster und kirchliche Einrichtungen plötzlich Wirtschaftlichkeit nachweisen oder ihre Tätigkeit einstellen. Dies gelang selten und so wurden die Türme des Barockbaus geschleift und das Kloster aufgelöst. Eine Besserung der Lage verdankt Maria Weißenstein u.a. auch unseren Freunden und Veranstaltern der Salzkammergut-Trophy. Das Salzkammergut, eine Hochburg der Reformation, nutzte die neugewonnenen Freiheiten und so trat beispielsweise nahezu die gesamte Gemeinde Gosau aus dem Schatten der Illegalität und wechselte zum evangelischen Glauben über. Diese Entwicklungen gingen den Reformern dann doch zu weit und so konnten Klöster bald wieder ihren gewohnten Beschäftigungen nachgehen.

Einen knirschenden Schotteranstieg später, war die Petersberger Leger Alm erreicht. Die Lage war traumhaft, der Preis fair und da keine Klarheit darüber bestand, wie die Unterkunftssituation auf dem Jochgrimm sein würde … ja, wie soll ich diese überraschende Wendung nur angemessen wiedergegeben … so wurde also beschlossen, den fahrenden Teil des Tages bereits am Nachmittag zu beenden. Ich war so überrascht, dass ich einfach mal das "Hoooahhh" vom Anfang von "I Just Died In Your Arms Tonight" gemacht habe. Schnegge und JPK waren mal wieder nicht ausgelastet und nutzten die verbliebenen Stunden für eine Tour.

[ame="http://www.youtube.com/watch?v=6fD5YcFmke4"]YouTube - Cutting Crew - (I Just) Died In Your Arms Tonight[/ame]

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Wir fahren nochmal los ...

Es gibt diese Gerücht, diese Legende (probably more of a “rural” than an “urban” kind), man könne auf Almwiesen gehen und die Kühe umwerfen. Es ist eine Geschichte, wie sie die Leute aus ländlichen Gegenden gern den Städtern erzählen um sich für alle erduldeten Demütigungen und den ertragenen Spott zu rächen. Es gibt sogar Studien und Musterberechnungen für die Dynamik des cow tipping. Die Ergebnisse variieren, aber die Forscher sind sich einig, dass ein einzelner Mensch keine Kuh umwerfen kann. Die Zahl der benötigten Schubser schwankt je nach Quelle zwischen zwei und fünf. Schön, dass das mal geklärt wurde. Ohne immer neue Studien, in denen nachgewiesen wird, das Schokolade romantisch macht, Rotwein den Blutdruck senkt, und das Automatikschaltungen die sexuelle Potenz gefährden, wären die Vermischtes-Seiten der Zeitungen leerer und unsere Welt ärmer.

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Da wir für den Tag mit körperlicher Betätigung abgeschlossen hatten, ließen wir sowieso der Natur ihren Lauf. Es war später Nachmittag und die Kühe begannen sich langsam zur Ruhe zu legen. Eine nach der anderen stellte die Fressorgie ein und legte sich ganz von alleine hin. Wir taten es ihnen gleich und spielten Kuhbingo. Die Regeln dieses Spiels sind einfach und schnell erklärt: Jeder Mitspieler sucht sich zwei Favoriten auf der Alm heraus. Es gilt jene Kühe zu benennen, die sich als nächstes hinsetzen werden. Wenn ich jemanden wirklich verstehe, dann sind es Kühe, sie sind meine Brüder im Geiste, und so überrascht es nicht, das ich bald 2:0 in Führung lag. Diesen Vorsprung konnte ich aber nicht weiter ausbauen, da unser gepflegtes kleines Spiel jäh unterbrochen wurde, als der einsetzende Sonnenuntergang Bewegung in die Alm brachte. Diese gefleckten Milchmonster waren nämlich auch nur Gäste. Sie kommen jeden Morgen aus dem Wald in den Bergen hinunter. Wenn die Sonne sinkt, brechen sie von selber wieder auf und streben in ungezwungenen Gruppen, mit einigem Lärm und unter vielen kleinen Spielereien, aber mit jener Selbstverständlichkeit, die Entenküken in den Teich gehen lässt, ihren Schlafplätzen unter den Bäumen entgegen. Bald war die Alm leer, es bimmelte und muhte noch lange im Wald.

Die Tourer kamen zurück, das Essen war hervorragend und das Nachtlager in der Scheune wurde vorbereitet. Am Ende des Tages musste sich das Auge noch einem ganz besonderen Zweifrontenkrieg stellen. Im Westen gab die Silhouette des Klosters die richtige Kulisse für den Sonnenuntergang und im Rücken präsentierte sich der Mond über dem Weißhorn. Mein ganz persönlicher Schlieffen-Plan war so einfach, wie wirkungslos: Einfach beides gleichzeitig im Auge behalten und genießen.

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Im Stall war nicht mehr genügend Heu und so wurden es nur Matratzen. Zwei Decken sollten mich über die kühle Nacht bringen, morgen stand der Grand Canyon Südtirols auf der Liste, Gute Nacht ….
 
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Hey Will ,schön das Du außer Radfahren keine weiteren Hobbys hast und so genügend Zeit bleibt für klasse Fotos und so herrliche Prosa!!!

Gruß Toni

Danke:daumen:
 
@MTB-news.de: ich vermisse den Knopf "dieser Fred gefällt mir" :love:

ED: Ja ich weiß, dass man die Freds auch bewerten kann ....
 
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Ted “Ice Pick” Striker: Surely, you can't be serious.

Mann, Mann, diese Reini-Huldigung wächst über alle Grenzen hinaus!

Dort begann die Suche nach einer Unterkunft, die örtliche Touri-Info schaffte es Schnegge rasend zu machen
Muss mal die Touri-Info in Schutz nehmen: sie war nicht das, was wir gewohnt waren, ok. Aber so schlimm dann auch wieder nicht.

Ihre Nacht hatte auf zusammengestellten Tischen, unterm Weihnachtsbaum
Eine Tisch musste reichen. Und ja, der Fernsehraum war noch... oder schon... weihnachtlich geschmückt. :p
 
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