Tag 11 â Der Auftrag
Der Tag beginnt und als ich durch unser Eingangs-WC zum Frühstück auf die Terrasse gehe, weià ich bereits, dass ich heute wieder zurück auf die Petersberger Leger Alm fahren werde. Die Weiterreise ohne mein Handtuch kommt für mich nicht in Frage.
Nach einem leckeren, aber leider recht knappen Frühstück (die Nachschlagmarmelade wurde hart erkämpft) ist es an der Zeit, sich zu trennen. Um kurz nach 9 winke ich meinen Begleitern noch einmal zum Abschied, bevor ich auf der StraÃe den Weg zurück zur Petersberger Leger Alm eine mehr als ungewisse Reise antrete.
Von hier kommen die ganzen Apples
Mein Plan ist eigentlich relativ simpel, ich will die einfachen Stücke fahren und die Strecken, die öde sind und nur Zeit kosten, werde ich versuchen, mich fahren zu lassen. Die Umsetzung meines Plans erweist sich dann allerdings doch viel schwieriger als erwartet.
Anfangs läuft noch alles wie am Schnürchen und ich stehe nach einer knappen Stunde Fahrzeit in Mezzocorona ... und somit vor dem ersten Problem. Die erste Mitfahrgelegenheit des Tages lässt sich einfach nicht auftreiben. Knapp anderthalb Stunde später habe ich immer noch nichts Passendes gefunden und bin zu allem Unglück noch keinen Meter weiter vorangekommen.
Ich entschlieÃe mich also notgedrungen zur Weiterfahrt. Unterwegs halte ich immer wieder Ausschau nach einer günstigen Mitfahrgelegenheit, aber anscheinend soll es heute einfach nicht sein. Oft fehlen mir einfach ein paar Sekunden zur Kontaktaufnahme zu einer guten Mitfahrgelegenheit. So richtig Lust auf fahren habe ich nicht, aber ich kann ja auch schlecht ohne mein Handtuch wieder zurückkehren. Die "wir haben es doch gleich gewusst" Blicke der anderen würde ich nicht ertragen können, auÃerdem habe ich einen Ruf zu verlieren! Also geht es weiter. Und weiter...
Es ist bereits kurz vor 13 Uhr, als ich in Laives eintreffe. Von hier aus muss ich nur noch 1500 hm bergauf und schon bin ich wieder auf der Alm
Ich schaue noch mal auf die Karte und stelle fest, dass alles halb so schlimm ist. Es sind ja schlieÃlich nur noch 15 km. Na wer sagtâs denn... das klingt doch schon viel besser.
Da meine Trinkwasservorräte leer sind, ich an sämtlichen Supermärkten der letzten 30 km nicht angehalten habe, aber die Sonne trotzdem unbarmherzig brennt, halte ich am letzten Haus im Ort noch mal an und frage nach Aqua freddo (kaltem Wasser). Wie sich herausstellt, wohnt in dem Haus die Caritas und die hilft sogar mit frischem Mineralwasser aus der Flasche aus.
Bei der Streckenwahl habe ich mich natürlich für die Entfernungsvariante ohne Berücksichtigung der Höhenmeter entschlossen. Anfangs überlege ich sogar noch kurz, statt dem roten Wanderweg einen alten rot gestrichelten Trampelpfad zu nehmen. Der ist noch kürzer als die "Kurzstrecke", aber dafür wahrscheinlich noch steiler und anstrengender. Die Höhenlinien machen jedenfalls in dem vor mir liegenden Streckenabschnitt treffen sich ausgerechnet alle an der Stelle wo ich hoch will. Wie es aussieht muss ich mich wohl auf einen etwas anstrengenderen Aufstieg gefasst machen.
Wasser ... kann man hier auch baden?
Die (Rest-)âVernunftâ siegt letztendlich und ich nehme den Anstieg über den in der Karte eingezeichneten Wanderweg in Angriff. An fahren ist hier nicht mal ansatzweise zu denken, denn es ist extrem steil und der Weg ist mit riesigen Felsbrocken und groben Schotter überzogen. Jeder Meter ist hier wirklich hart erkämpft.
Wo gehts denn hier bitte zur Rolltreppe?
Das nächste Mal nehme ich auf jeden Fall den einfach(st)en Weg
Nach einer guten Stunde bin ich so was Ãhnliches wie oben... (hoffe ich) oder zumindest erst mal höher als vorher. Meine Getränkevorräte sind komplett aufgebraucht und Pausen habe ich mir bis hierher auch noch keine gegönnt. Eine kurze Törtchenpause muss jetzt einfach sein und verschafft mir etwas Luft, aber die Zeit drängt. Wenn ich mich ab jetzt richtig beeile und es nicht weiterhin so steil bergan geht, könnte ich gegen 16:00 Uhr auf der Alm sein.
Ich hoffe die hält so lange bis ich drüber bin
Da es trotz der zunehmenden Höhe nicht kühler wird und immer noch weiter bergauf geht, sind die fehlenden Getränke das gröÃte Problem. AuÃerdem macht sich so langsam auch die fehlende Energiezufuhr bemerkbar. Ein Minitörtchen auf 80 km in den Alpen scheint zu wenig zu sein, um im Anstieg auch noch Tempo machen zu können.
Ich durfte das Kloster dann auch nochmal aus der Nähe sehen
Die letzten Meter zur Alm sind wirklich hart, aber ich habe keine Zeit für eine Pause und will unbedingt ohne weiteren Stopp bis zur Alm durchkommen. Es ist bereits kurz vor 17:00 Uhr als ich endlich oben ankomme und sehr erfreut mein Handtuch in Empfang nehmen kann. Das erste Ziel des Tages ist somit erreicht. Ich überlege mir, dass ich es jetzt geschafft habe, bis um 17 Uhr am Ausgangspunkt des gestrigen Tages anzukommen und versuche abzuschätzen, wie lange es wohl noch dauern wird, bis ich am Endziel der heutigen Etappe angekommen bin. Der Denkansatz erscheint mir aber dann doch nicht wirklich zielführend und ich verwerfe diesen schwachsinnigen Gedanken.
Zurück auf der Alm
Zu mehr war ich nicht mehr in der Lage
Eine etwas längere Pause mit ausreichend Wasser und 3 Törtchen gönne ich mir jetzt, denn in der nächsten Etappe muss ich wieder runter bis Bozen. Die Abfahrt führt leider nicht ganz so durchgehend bergab, wie ich dachte und es müssen noch einige Gegenanstiege gemeistert werden.
Unterwegs macht auch noch mein Sensor für den Bikecomputer schlapp und es wird eine Isobandreparatur notwendig. Das Finale runter nach Bozen hat es dann wieder in sich... extrem lange Tunnelabfahrten mit Tempo 60 lassen (warum auch immer ... vielleicht weil es endlich mal schnell voran geht) die gute Laune zurückkehren. Es ist bereits 18:30 Uhr als ich an der Mautstation der Brennerautobahn ankomme.
Jetzt schnell ein Shuttle nach Trento organisiert und alles wird gut. Leider ist es weiterhin nicht mein Tag. Alle Shuttles fahren entweder nach Norden oder nach Meran. Nach Süden will leider niemand. Nach etwas mehr als einer halben Stunde entscheide ich mich dafür, nach Bozen zu fahren und den Zug nach Trento zu nehmen. Als mein Zug gegen 20:00 Uhr in Trento einfährt, bin ich zufrieden und hungrig.
Trento in der Abenddämmerung ...
Da es nun endlich so etwas wie erste Erfolge zu vermelden gibt, kann ich nun auch die restlichen Reisenden vom aktuellen Stand unterrichten. Wie ich höre, wurde bereits Quartier bezogen. Meine Planung sieht weiterhin vor, noch heute zu den anderen zurückzukehren. Wir verbleiben so, dass ich mich wieder melde, wenn ich in der Nähe bin oder etwas Ungeplantes dazwischenkommt.
Nach einer groÃen Portion Pasta frage ich nach dem Weg in Richtung Zuclo. Mit Staunen vernimmt man meine Aussage, heute noch mit dem Rad hin fahren zu wollen. Wenn ich die Leute richtig verstanden habe, sind es nur noch knappe 60 km und viele, dummerweise sogar (geschätzte) vierstellige Höhenmeter bis zu meinem Ziel. Ich lasse mir meine eigenen Zweifel nicht anmerken, denn schlieÃlich ist es bereits deutlich nach 21:00 Uhr, und schalte fröhlich meine Funzel an und verschwinde im Dunkel der Nacht.
Die StraÃe, auf der ich mich bewege, windet sich Serpentine für Serpentine in den Himmel. Ein Ende des Anstieges ist nicht absehbar und wenn ich die Karte richtig in Erinnerung habe. müsste es bis mindestens 1000 hm rauf gehen. Um mich herum ist es stockdunkel und abgesehen von einem Wahnsinnsblick über die Lichter von Trento gibt es weit und breit nichts auÃer Kurven.
Das waren wirklich besondere Momente da mitten in der Nacht hochzukurbeln ...
Zum Glück ist es nicht kalt und das Wetter spielt auch mit. Ich fühle mich gut. Da es bergan geht, ist es angenehm warm und ich bin vollkommen gepusht von dem Wahnsinnsplan, jetzt noch nach Zuclo zu fahren. Ein Nightride mit kurzen Klamotten in den Alpen macht man schlieÃlich auch nicht alle Tage. Ich entschlieÃe mich trotzdem dazu, bei den wenigen vorbeikommenden Autos mal vorsichtshalber den Daumen rauszuhalten. So langsam könnte mich wirklich mal jemand ein Stück mitnehmen, schlieÃlich sind es noch mehr als 50 km und ein Ende des Anstieges ist so schnell nicht zu erwarten.
Da ich in der Dunkelheit nicht sehe, was für ein Auto hinter mir kommt, wird alles angehalten, was vorbeikommt. Als nach einer guten halben bis dreiviertel Stunde dann sogar mal jemand stoppt, hält meine Freude nur kurz, denn es ist ein nagelneuer Corsa. Dass die Italiener aber auch immer so kleine Autos fahren müssen, denke ich, als ich mich dem Fahrer noch einen schönen Abend wünschen will.
Allerdings habe ich nicht bedacht, dass Italien nicht Deutschland ist. Der Fahrer ist ebenfalls Mountainbiker und sein Bike liegt demontiert im Kofferraum. Das Auto ist somit nach deutschen MaÃstäben voll. Er fragt, wo ich hin will, und quetscht mich nach meiner Antwort ohne zu zögern mitsamt meinem Bike noch mit in den Corsa. Schnell und bequem aber deutlich unspektakulärer geht es bergauf. Leider dauert der Spaà nicht lange denn mein freundlicher Fahrer ist bereits im nächsten Dorf zu Hause.
Ich bedanke mich trotzdem vielmals bei ihm und baue rasch mein Bike wieder zusammen. Das ganze dauert nur wenige Sekunden und so schnell wie ich in dem Dorf aufgetaucht bin, so schnell verlasse ich das Dorf und verschwinde wieder in der Dunkelheit der Nacht. Es geht weiter moderat bergan und eine unglaubliche SerpentinenstraÃe bringt mich Meter für Meter sanft weiter nach oben. Autos gibt es jetzt fast keine mehr und es ist genügend Zeit, um die Gedanken ein wenig schweifen zu lassen.
Auf einmal werde ich von einem Polizeijeep überholt... na ja, egal, die werden schon nix sagen... aber eigentlich hätten die mich ruhig ein Stück mitnehmen können... ist Rad-Trampen in Italien eigentlich erlaubt?
Eine gute Viertelstunde später überholen die mich doch glatt noch mal. Ooops, ich dachte, die sind längst zu Hause... woooaah... jetzt halten die auch noch in der nächsten Kurve... und machen jetzt auch noch das Blaulicht an. Na Klasse, das hat mir ja noch gefehlt...
Ich hab natürlich schon wieder vergessen, dass ich in Italien bin, denn da ticken die Uhren anders. Wie sich herausstellt, ist die Polizei gar keine Polizei, sonders es sind zwei Jungs (und das im wahrsten Sinne des Wortes) von der Feuerwehr, die einfach nur in den nächsten Ort fahren wollen, um da ein Bier zu trinken.
Mein Italienisch ist fast so gut wie das Englisch der beiden zusammen und als sie verstanden haben, dass ich noch bis Zuclo will, wird kurzerhand das Vorderrad demontiert und ich finde mich keine zwei Minuten später mit meinem Bike auf der Rückbank des Jeeps wieder. Nach 10-15 min Fahrtzeit erreichen wir den Gipfel. Mit dem Bike hätte ich mindestens noch eine halbe Stunde oder länger gebraucht. Ich bedanke mich und die Jungs bestaunen mich noch ein wenig beim Einbau des Vorderrades, bevor ich mit Blaulicht verabschiedet werde.
Es muss bereits kurz nach 22 Uhr sein, ich befinde mich endlich in der Abfahrt irgendwo nach nirgendwo... wo bin ich eigentlich? Es kann ja nur in Richtung Zuclo sein... falsch fahren wäre jetzt definitiv nicht gut. Es ist kühl geworden, aber wirklich kalt ist mir nicht, da einem bei Tempo 40-50 km/h in stockdunkler Nacht mit einer
Sigma Power LED auf einer kurvenreichen BergstraÃe niemals kalt wird. Zum Glück kommt ein Auto vorbei, an dem ich mich bis in den nächsten Ort hinein orientieren kann.
Ich fahre ewig bergab und überlege die ganze Zeit, ob ich überhaupt noch richtig bin. Irgendwann an einem Kreisverkehr angekommen, halte ich ein Auto an und erkundige mich. Mir wird sehr freundlich weitergeholfen. Es sind nur noch knapp 40 km, einfach hier die StraÃe den Berg hoch. Da die Sache mit dem Mitnehmen inzwischen deutlich besser als am Tage läuft, versuche ich weiter mein Glück.
Kurze Zeit später hält erneut ein Kleinwagen an. Ich weià inzwischen, dass hier so was noch lange nichts zu heiÃen hat, selbst wenn man ein Bike dabei hat. Die Fahrerin ist wirklich sehr nett und kann nicht glauben, dass ich um kurz vor 23 Uhr noch bis Zuclo will. Sie nimmt mich natürlich nur mit, um mehr darüber zu erfahren. Man braucht hier anscheinend einfach nur ne gute Story, dann passt das schon. Die nächsten 20 km sind gerettet, denn dann ist das Taxi zu Hause und ich muss alleine weiterfahren. Ich bin nicht unglücklich darüber und während ich ihr in einem Kauderwelsch aus deutsch, englisch und italienisch berichte, was ich hier überhaupt mache und wie es dazu gekommen ist, bemerke ich, wie müde und erschöpft ich bereits bin.
Mein Adrenalinpegel fällt wieder auf Normalmaà und mir fällt auf, dass es bis hierher bereits ein wirklich langer Tag war. Die Story mit dem Handtuch verschweige ich besser, um nicht den letzten Funken Glaubwürdigkeit zu verspielen.
Meine Geschichte ist dennoch anscheinend so gut, dass mir sogar angeboten wird, dass ich bis Zuclo gefahren werden könnte. Anfangs lehne ich energisch ab und sage, dass ich die letzten 25 km auf jeden Fall fahre werde, aber je länger wir fahren, desto weniger leiste ich Widerstand. Irgendwann sind es nur noch 5 Kilometer ich sitze immer noch in dem Auto und meine Fahrerin lässt sich nun nicht mehr davon abbringen, mich bis nach Zuclo zu fahren, zumal sie mir erzählt, dass sie selbst noch nie da war.
Es ist kurz vor halb 12, als ich mich mit tausenden Dankesworten in allen möglichen Formen und Sprachen von meiner Fahrerin verabschiede. Wie sehr und warum ich ihr für den Shuttleservice bis vor die Haustür so dankbar bin, wird mir erst eine halbe Stunde später wirklich bewusst.
Jetzt habe ich erst mal andere Sorgen. Wie hieà doch gleich noch mal das Hotel? Will hatte vor über drei Stunden irgendwas von einer Kirche erzählt. Aber was war das doch gleich noch mal?
Ich fahre also erst mal los, komme in dem Dorf natürlich als erstes an einer Kirche vorbei und als die Verwirrung zu groà wird und ich umdrehen will, um in der verlassenen Kneipe kurz vor Feierabend noch schnell neue Informationen einzuholen, höre ich ein leises Pfeifen aus der Dunkelheit. Die AX Brüder und Schwestern stehen vollzählig auf dem Balkon und erwarten mich bereits. Ich war endlich am Ziel und ich war wirklich sehr, sehr froh darüber.
Zehn Minuten nachdem ich mein Bike in einem Gebüsch im Garten mit einem Drahtseil gesichert hatte und in der Unterkunft stand, begann drauÃen ein heftiges Gewitter und ich war überhaupt nicht traurig, dass mein Biketag jetzt bereits vorüber war. Mille, mille gracie again and again an all die Autofahrer, die mich heute Nacht mitgenommen haben.
Ãber meine Nacht auf dem FuÃboden berichte ich vielleicht irgendwann einmal, aber an dieser Stelle ist definitiv Schluss für heute. Morgen gehtâs nach Riva â für mich das Finale Teil 1.