Teil 2, Anreise, erste Berge â¦.
Auch der letzte Gefährte ist seit einigen Tagen zurück und so ist nun wohl die Zeit gekommen ein bisschen zurückzuschauen, Bilanz zu ziehen und schmutzige Wäsche zu waschen. Man reiche mir geschwind einen Bierkasten. Ich werde mich draufstellen und eine kleine Geschichte erzählen, eine Geschichte von einer Reise in den Süden.
âWir fahren alle von Garmisch nach Rivaâ ist ein so überholtes, starres, in den 90er Jahren verhaftetes Bild von einer Alpenüberquerung mit dem Fahrrad, könnte man postulieren. Veränderungen aufgeschlossen, das Gute bewahrend, wertkonservativ aber nicht strukturkonservativ sollte es diesmal ein Patchwork-Alpencross, welcher viele individuelle Zeitpläne und Interessen vereinte, werden: Drei fuhren los, im Sarntal waren es auf einmal vier, kurz waren es auch mal wieder nur drei, in Riva trennten sich die Wege und ab Rom wurde es eine Soloveranstaltung. Einmal war sogar eine Gondel im Programm, es wurde erstaunlich oft im Restaurant vernünftig gegessen, aber auch viel geschwitzt, gelitten, getragen, gekurbelt. Korrekt, korrekt, jefällt ma, jeht ab, wie der Spandauer sagt.
Aber von vorn und mit meinen Teil begonnen: Frisch zurück von der 30.000hm-Tour überraschte mich ein unerwartetes Ereignis und warf erst einmal alle Pläne über den Haufen. In der Folge hatte ich das Vergnügen, die heiÃe Endphase der AlpX-Planung damit zu verbringen, einem offensichtlich feindlich gesinnten Staat, ein kurzfristiges Visum abzuschwatzen. Der bürokratische Alptraum hatte in letzter Minute ein glückliches Ende und so saÃen an einem Sonnabendmorgen im August Schnegge, JPK und Eispickel im Zug nach Garmisch, meine Wenigkeit hingegen im Flugzeug; völlig falsche Richtung. Keine Panik, unsere Wege sollten sich, wie vereinbart und völlig unkompliziert, einige Tage später in Südtirol wieder kreuzen.
Am Abend meiner Rückkehr stand der Rucksack schon gepackt in der Ecke, der Anzug kam wieder in den Schrank und alles war für die Fahrt am nächsten Morgen vorbereitet. Wieder einmal würde es geschmacklos gekleidet in die Berge gehen, das harte Los aller Schwucken.
Seine Anreise selbst zu organisieren hat den Vorteil, alle günstigen -aber auf den Regionalverkehr beschränkten- Spartickets ignorieren zu können und so würde ich um nach Südtirol zu gelangen, nur viermal umsteigen müssen. Die relativ frühe Ankunft gegen 18.00 Uhr würde mich auÃerdem in die Lage versetzen, noch 700hm Strecke kurbeln zu können um auf 1500m Höhe meine Schlafstatt zu finden. Toller Plan. Leider hatte ich die Rechnung ohne die Bahn gemacht, die Berliner Krankheit hatte anscheinend bereits um sich gegriffen.
Die Abfahrt war noch pünktlich und vor den Fenstern des Intercity stieg die Sonne über die unfassbare Leere kurz hinter Berlin. Schnurgerade strebten die Ackerfurchen sandbraun vom Schienenstrang zum Horizont, in strenger Linie reihten sich die Ãhren und selbst die Bäume wirkten zurückgenommen und kärglich. Der Boden staubte, es knirschte schon vom Hinsehen zwischen den Zähnen. Nett, wollte ich hier wirklich weg? Dann stand der Zug 15min auf freier Strecke und ich hatte plötzlich andere Sorgen. Aber der Umstieg gelang, der Anschluss klappte und München wurde planmäÃig erreicht.
Die Zeit des längeren Aufenthalts nutze ich um Ballast abzuwerfen; der Versuch ein ausgelesenes Buch zu verschenken. Aber obwohl es kein âWachturmâ war, gestaltete sich das Unterfangen schwieriger als erwartet. Ein Geschenk von einem Mann mit Helm und kurzen Hosen erregt scheinbar Misstrauen. Mütter nahmen ihre Kinder fester an die Hand und der ein oder andere unverständliche Blick wechselte den Besitzer, das Buch aber schlieÃlich ebenso.
Noch schnell ein neues Buch gekauft und dann den Zug nach Innsbruck geentert und nach 5 Minuten wieder geräumt. Lokschaden! Alle Anschlüsse futsch! Dem Servicepoint fiel nichts Besseres ein, als mir eine Unterkunft in München anzubieten. Ich lehnte dankend ab und steuerte den EC nach Innsbruck ohne Fahrradmitnahme an. Meine Ansprechpartnerin war in den ersten 3 Minuten unseres angeregten Gesprächs davon überzeugt, dass ich ihren Zug entführen wolle. Auch weitere 5 Minuten brachten uns nicht weiter und es gab dann erst einmal wichtigere Probleme, das Catering beispielsweise. Da wir die Sache noch nicht ausdiskutiert hatten, tat ich das, was man in jeder schwierigen Beziehung tut, die Probleme ignorieren.
Nicht auszudenken, welches Chaos ein Fahrrad hier anrichten könnte ...
Das Fahrrad wurde im letzten Wagen an das Zugende gestellt und Platz genommen. Bei der Fahrscheinkontrolle erntete ich noch einmal einen bitterbösen Blick, hatte aber ansonsten eine angenehme Fahrt im völlig leeren Zug. Merke: Nicht reden hilft manchmal. Im Inntal ging derweil die Welt unter, der Himmel war schwarz, es gewitterte heftig in beiden Fahrtrichtungen.
Gewitter hinter München ...
Die Entscheidung, ob eine Weiterfahrt, über Innsbruck hinaus, sinnvoll wäre, wurde nicht einfacher. Das Wetter im abendlichen Innsbruck war aber schon wieder vertrauenerweckender und so wurde die Bahn auf den Brenner bestiegen; mit dem Wissen, dass es vor 5.00 Uhr in der Früh keinen Anschluss geben würde. Kurz vor Mitternacht war der Pass endlich bezwungen. Der Tag war um, Italien erreicht, aber sonst nix geschafft. Brennero bei Nacht ist nur ein trauriger Nichtort, eine Durchgangsstation, die nicht zum Verweilen einlädt. Das blaue Flimmern der Bildschirme aus den Kabinen der ruhenden Trucker wird nur vom Neonschein des riesigen Brenner-Outlet-Centers übertroffen. Bloà weg hier und in die Abfahrt nach Sterzing gestürzt. Die Temperaturen waren sehr angenehm und ein Positionslicht hatte ich auch dabei. Immerhin.
Dunkel und aufregend war es, wenig bekannt ist auch, dass das Talbecken von Sterzing der Strafort für alle Mädchen die ins Moos gehören, d.h. ledig sterben, ist. Sie kriechen am Tage als hässliche Moosschnecken herum und tanzen des Nachts als Spukgestalten. Mangels Licht bekam ich davon glücklicherweise wenig mit. Mein Nichtlicht lieà mich aber immer wieder Hand an die Bremse legen.
Eine feste StraÃe über den Brenner gibt es seit 1776. Zehn Jahre später, genauer am 8. September 1786 fährt eine Kutsche durch die Dunkelheit, in entsetzlicher Schnelle zwischen hohen Felsen, an den reiÃenden Etsch Fluà hinunter, das einem Hören und Sehen vergeht, wie Goethe in seinem Reisebericht an Frau von Stein mit einer Spur Begeisterung vermerkt. Auch dort hätte Licht die Sache sicher vereinfacht, aber wo bleibt der Reiz? Ein weiterer Reisender, der das Licht scheute, war der arbeitslose Holzfäller Otto Henninger, der -zünftig mit Tiroler Hut und Gamsbart- im Mai 1950 aus der Lüneburger Heide auf die italienische Seite des Brenners gelangte. Dort wird er vom hilfsbereiten Sterzinger Pfarrer empfangen, genehmigt sich einen guten Tropfen Südtiroler Rotwein und reist -jetzt in unauffälliger StraÃenkleidung- weiter nach Bozen, wo er Unterkunft im Franziskanerkloster findet. Hier nennt er seinen richtigen Namen und bekommt folgerichtig Papiere auf den Namen Ricardo Klement, mit besten Empfehlungen des Roten Kreuzes und des Vatikan. Weiter geht es über Genua nach Argentinien. Die letzte Reise organisiert der MOSSAD nach Tel Aviv, wo ihm der Prozess gemacht und er 1962 als Adolf Eichmann hingerichtet wird.
Ich war unterwegs auf der Klosterroute. Auch -nach der Ãbernahme durch die Amerikaner- liebevoll Rattenlinie genannt, dem Fluchtweg vieler NS-GröÃen nach dem Krieg. Nun gut, Sterzing war bald erreicht und ich benötigte so langsam eine Unterkunft. Nicht lange gesucht, auf dem Marktplatz wurde ein Volksfest entsorgt, die letzten Besucher zusammengefegt und ein Gasthof hatte noch ein Bett frei. Beim aufgerufenen Preis überlegte ich kurz, ob ich mit Karte zahlen und als Sean Combs unterschreiben sollte. Ich fügte mich in mein Schicksal und bekam schlieÃlich auch etwas für mein Geld geboten: Der pompös-verspielte Leuchter in meinem Zimmer hatte beeindruckende 18 Kerzen und das Kruzifix im Speisesaal hatte LebensgröÃe, so denn der Sohn Gottes 3 Meter maÃ. Nur die Küche war bereits geschlossen und so streifte ich noch durch die Nacht auf der Suche nach etwas Essbarem. Bereits die dritte Pizzeria war bereit noch einmal den erkalteten Ofen anzuwerfen und alles war gut. Kurz nach 2.00 Uhr war endlich Nachtruhe, ich konnte beinahe sowas wie ausschlafen und so war um 8.00 Uhr die Weltherrschaft zum Greifen nah. Das Tagesprogramm war aufgrund der unfreiwilligen Planänderung auch nicht mehr sonderlich ambitioniert: Rauf aufs Penserjoch und Abfahrt nach Sarnthein, 1400 Höhenmeter, Ankunft gegen Mittag.
Zahn an der nördlichen Auffahrt zum Penserjoch
So ich den Ãberblick nicht verloren hatte, war dies bereits der fünfte Alpenbesuch in diesem Jahr. Ich würde es nicht Gewöhnung nennen wollen, aber möglicherweise stellte sich langsam ein Gefühl der Sättigung ein. Eine Normalität, die Hannah Arendt in einem Essay über ihren Friseur als âBanalität der Schönheitâ charakterisierte. So dachte ich, wurde aber mit jedem bezwungenem Meter, jedem Blick ins Tal, jeder verheiÃungsvollen Ankündigung der Passhöhe eines Besseren belehrt. Oben angekommen war noch etwas Zeit, ich entfloh den motorisierten Bikern und Reisebussen und radwanderte noch die 300hm zum Penserjochsee. Dort ein Blick zurück und ein Blick ins Sarntal.
Sandlandbewohnern, diesen missmutigen Kreaturen gebricht es an Erhabenem, fehlt es an GröÃe, die ihnen jeden Tag aufs Neue den wahnwitzigen GröÃenunterschied zwischen Mensch und Universum veranschaulichen, wie es die Berge tun, die dem Betrachter mitteilen, dass er ein Nichts ist, ein sinnlos strampelnder Wicht, der jederzeit vom Fuà eines Riesens zermalmt werden könnte, den der Herr, dessen ungeachtet, dennoch liebt, und der seiner sanftmütigen Nachsicht durch putziges Gewölk, gut geformten Stein und würzige Wildblumenwiesen reichlich, überreichlich Ausdruck verleiht. Da nun aber Berlin und, noch schlimmer, Brandenburg platt wie eine Flunder sind, wird die Bevölkerung nicht ausreichend und vor allem nicht kontinuierlich genug gedemütigt, insbesondere ist der Berliner nicht gezwungen seinen Blick gen Himmel zu richten, keine Vertikalen weisen ihm optisch den Weg zu Höherem, daher ist sein Verhalten so schlecht.
Die Zeit war gekommen und nach einer langen Abfahrt wurde die Kirche von Sarnthein erreicht. Eine halbe Stunde später traf der Rest der Gruppe ein, deren erstes Wort âplattâ war; womit aber nur auf einen Reifen angespielt wurde. Die längere Reparaturpause gab uns Gelegenheit für den Austausch des an den vergangenen Tagen Erlebten. Der unvermeidliche Aufbruch folgte bald; die Zeit drängte, denn über Rheinswald sollte es an diesem Tag noch zur Stöfflhütte gehen. Verständlicherweise musste nun erst einmal der Neue in der Gruppe getestet werden und so wurde Kette rechts den Berg hochgeknallt. Auch wenn es mir schwer fiel und der Abstand auf einige Radlängen anwuchs, konnte ich diesen ersten Angriff erst einmal abwehren. Durch Pausen entschärfen sich solchen kritischen Situationen ja auch oft von selbst.
Villanderer Alm
Die letzten Anstiege zum Tagesziel waren so steil, das entgegenkommende Fahrer runterschoben. Die bald erreichte Villandereralm entschädigte mal wieder für alle Anstrengungen. Sanfte, bis zum Horizont erstreckende, Wiesen erfreuten das Auge. Letzte Bäume und kleine Sträucher lockerten das Bild auf und wogen sich leicht im Wind, als bemalten sie eifrig den Himmel in noch strahlenderen Blau. Und wäre das alles noch nicht genug, grüÃten die ersten Dolomitenriesen im Hintergrund. Geschmackvoll platzierte Kühe, Pferde, Ziegen und Hühner vollendeten die Komposition.
Die Nacht im Lager verlief ohne weitere Vorfälle und der Start in den Tag begann mit der Auffahrt zum Latzfonser Kreuz auf 2300m, unserem Ãbergang ins Eisacktal. Pferde, die schöneren Kühe, standen uns dabei Spalier.
Die Wallfahrtskirche auf dem Kreuz erregte unsere Aufmerksamkeit schon aus weiter Ferne. Alljährlich wird im Juni der Schwarze Herrgott, ein schwarzes, geschnitztes gotisches Holzkreuz, von der Dorfkirche in Latzfons dorthin gebracht, wo es den Sommer über verbleibt.
Der Sage nach lieà der Latzfonser Pfarrer um das Jahr 1700, nachdem drei Sommer nacheinander Hagel die Ernte zerstört hatte, nach einem Herrgottsbild suchen, das bislang vernachlässigt worden war. In der Totenkapelle fand man dann tatsächlich unter altem Gerümpel den Schwarzen Herrgott, eine mit einem Gemisch aus Ochsenblut und Pech bemalte Holzskulptur des Gekreuzigten. Dieses Kreuz wurde in einer groÃen Prozession zum sogenannten Kaserbild gebracht, um es zur Abwendung der Unwetter aufzustellen. Nach der Sage schüttelte der Herrgott zum Ausdruck des Missfallens über diesen Aufstellungsort den Kopf. Auch der nächste Aufstellungsort missfiel ihm. Erst weiter oben schien ihm der Platz genehm zu sein bzw. es unwetterte einige Jahre nicht allzu heftig.
Ein wenig Regen hing, trotz Schwarzen Herrgotts, in den Wolken und wir nahmen zügig die endlose Abfahrt nach Klausen in Angriff. Dort wurde aus einem Reparaturstopp für Hinterbauten ein ausgedehntes Einkaufserlebnis, die Suche nach einem passenden Schuh gestaltete sich kompliziert. Der Kauf war nötig geworden, da sich das mitgeführte Modell aufzulösen begann. Eispickel spielte ein wenig Aschenputtel und probierte beinahe jeden Schuh im Laden an. Eitelkeit war hierbei nicht im Spiel, eher das aberwitzige GröÃenverständnis der Firma Pearl Izumi.
Mit drückenden Schuhen ging es in brütender Hitze Richtung St. Magdalena. Ãber den Berg, der dazwischen lag, möchte ich nicht reden, denn die Erinnerungen sind teils wage, teils nicht die besten. Es war heiÃ, steil und schottrig, das sollte genügen.
St. Magdalena
Ein Anblick lockerte die Stimmung auf. Hinter einer Wegbiegung öffnete sich unerwartet der Wald und präsentierte eine Fototapete der GeiÃler-Gruppe. Die Dolomiten waren nicht mehr fern, das Weiterfahren lohnte also.
Erste Ausblicke und Belohnung ...
Dann war es auch schon 18.00 Uhr und die Gampenalm war noch zu bezwingen, was noch einmal 800 Höhenmeter Kurbelarbeit zum Abendbrot bedeuteten. Da es mit dem Essen knapp werden könnte, wurde die Bildung einer Speedgruppe beschlossen, welche mit einer halben Stunde Vorsprung und ohne ausgedehnte Essens- und Fotopausen die Gampenalm noch vor Küchenschluss erreichte. Ich möchte an dieser Stelle nicht verheimlichen, und ich tue dies ohne Scham, dass ich mit einem Kollegen die gemütliche Nachhut bildete.
Späte Ankunft ...
Die Hütte war gut gefüllt, eine gröÃere Gruppe englischer Bergsteiger, deutsche Geschäftsleute und eine 20köpfige Delegation des Alpenverein Frascati, eine Stadt südlich von Rom, belebten den Gastraum. Letztere Tatsache wurde uns lautstark durch wiederholte enthusiastische Trinksprüche auf âIl Presidente Organizzazioneâ mitgeteilt. Der Personenkult um Il Presidente fand auch in Liedern seinen sympathischen Ausdruck. Wie zu erfahren war, feierte der Alpenverein seit 6 Tagen sein 25jähriges Bestehen und am letzten Abend war die Stimmung auf dem emotionalen Höhepunkt. Wir lieÃen uns von der guten Stimmung anstecken und fanden erst spät den Weg in die Betten. Morgen steht die Schlüterhütte und vielleicht Heilig Kreuz auf dem Programm, waren meine letzten Gedanken. Der Schlaf kam schnell â¦.
Auch der letzte Gefährte ist seit einigen Tagen zurück und so ist nun wohl die Zeit gekommen ein bisschen zurückzuschauen, Bilanz zu ziehen und schmutzige Wäsche zu waschen. Man reiche mir geschwind einen Bierkasten. Ich werde mich draufstellen und eine kleine Geschichte erzählen, eine Geschichte von einer Reise in den Süden.
âWir fahren alle von Garmisch nach Rivaâ ist ein so überholtes, starres, in den 90er Jahren verhaftetes Bild von einer Alpenüberquerung mit dem Fahrrad, könnte man postulieren. Veränderungen aufgeschlossen, das Gute bewahrend, wertkonservativ aber nicht strukturkonservativ sollte es diesmal ein Patchwork-Alpencross, welcher viele individuelle Zeitpläne und Interessen vereinte, werden: Drei fuhren los, im Sarntal waren es auf einmal vier, kurz waren es auch mal wieder nur drei, in Riva trennten sich die Wege und ab Rom wurde es eine Soloveranstaltung. Einmal war sogar eine Gondel im Programm, es wurde erstaunlich oft im Restaurant vernünftig gegessen, aber auch viel geschwitzt, gelitten, getragen, gekurbelt. Korrekt, korrekt, jefällt ma, jeht ab, wie der Spandauer sagt.
Aber von vorn und mit meinen Teil begonnen: Frisch zurück von der 30.000hm-Tour überraschte mich ein unerwartetes Ereignis und warf erst einmal alle Pläne über den Haufen. In der Folge hatte ich das Vergnügen, die heiÃe Endphase der AlpX-Planung damit zu verbringen, einem offensichtlich feindlich gesinnten Staat, ein kurzfristiges Visum abzuschwatzen. Der bürokratische Alptraum hatte in letzter Minute ein glückliches Ende und so saÃen an einem Sonnabendmorgen im August Schnegge, JPK und Eispickel im Zug nach Garmisch, meine Wenigkeit hingegen im Flugzeug; völlig falsche Richtung. Keine Panik, unsere Wege sollten sich, wie vereinbart und völlig unkompliziert, einige Tage später in Südtirol wieder kreuzen.
Am Abend meiner Rückkehr stand der Rucksack schon gepackt in der Ecke, der Anzug kam wieder in den Schrank und alles war für die Fahrt am nächsten Morgen vorbereitet. Wieder einmal würde es geschmacklos gekleidet in die Berge gehen, das harte Los aller Schwucken.
Seine Anreise selbst zu organisieren hat den Vorteil, alle günstigen -aber auf den Regionalverkehr beschränkten- Spartickets ignorieren zu können und so würde ich um nach Südtirol zu gelangen, nur viermal umsteigen müssen. Die relativ frühe Ankunft gegen 18.00 Uhr würde mich auÃerdem in die Lage versetzen, noch 700hm Strecke kurbeln zu können um auf 1500m Höhe meine Schlafstatt zu finden. Toller Plan. Leider hatte ich die Rechnung ohne die Bahn gemacht, die Berliner Krankheit hatte anscheinend bereits um sich gegriffen.
Die Abfahrt war noch pünktlich und vor den Fenstern des Intercity stieg die Sonne über die unfassbare Leere kurz hinter Berlin. Schnurgerade strebten die Ackerfurchen sandbraun vom Schienenstrang zum Horizont, in strenger Linie reihten sich die Ãhren und selbst die Bäume wirkten zurückgenommen und kärglich. Der Boden staubte, es knirschte schon vom Hinsehen zwischen den Zähnen. Nett, wollte ich hier wirklich weg? Dann stand der Zug 15min auf freier Strecke und ich hatte plötzlich andere Sorgen. Aber der Umstieg gelang, der Anschluss klappte und München wurde planmäÃig erreicht.
Die Zeit des längeren Aufenthalts nutze ich um Ballast abzuwerfen; der Versuch ein ausgelesenes Buch zu verschenken. Aber obwohl es kein âWachturmâ war, gestaltete sich das Unterfangen schwieriger als erwartet. Ein Geschenk von einem Mann mit Helm und kurzen Hosen erregt scheinbar Misstrauen. Mütter nahmen ihre Kinder fester an die Hand und der ein oder andere unverständliche Blick wechselte den Besitzer, das Buch aber schlieÃlich ebenso.
Noch schnell ein neues Buch gekauft und dann den Zug nach Innsbruck geentert und nach 5 Minuten wieder geräumt. Lokschaden! Alle Anschlüsse futsch! Dem Servicepoint fiel nichts Besseres ein, als mir eine Unterkunft in München anzubieten. Ich lehnte dankend ab und steuerte den EC nach Innsbruck ohne Fahrradmitnahme an. Meine Ansprechpartnerin war in den ersten 3 Minuten unseres angeregten Gesprächs davon überzeugt, dass ich ihren Zug entführen wolle. Auch weitere 5 Minuten brachten uns nicht weiter und es gab dann erst einmal wichtigere Probleme, das Catering beispielsweise. Da wir die Sache noch nicht ausdiskutiert hatten, tat ich das, was man in jeder schwierigen Beziehung tut, die Probleme ignorieren.
Nicht auszudenken, welches Chaos ein Fahrrad hier anrichten könnte ...
Das Fahrrad wurde im letzten Wagen an das Zugende gestellt und Platz genommen. Bei der Fahrscheinkontrolle erntete ich noch einmal einen bitterbösen Blick, hatte aber ansonsten eine angenehme Fahrt im völlig leeren Zug. Merke: Nicht reden hilft manchmal. Im Inntal ging derweil die Welt unter, der Himmel war schwarz, es gewitterte heftig in beiden Fahrtrichtungen.
Gewitter hinter München ...
Die Entscheidung, ob eine Weiterfahrt, über Innsbruck hinaus, sinnvoll wäre, wurde nicht einfacher. Das Wetter im abendlichen Innsbruck war aber schon wieder vertrauenerweckender und so wurde die Bahn auf den Brenner bestiegen; mit dem Wissen, dass es vor 5.00 Uhr in der Früh keinen Anschluss geben würde. Kurz vor Mitternacht war der Pass endlich bezwungen. Der Tag war um, Italien erreicht, aber sonst nix geschafft. Brennero bei Nacht ist nur ein trauriger Nichtort, eine Durchgangsstation, die nicht zum Verweilen einlädt. Das blaue Flimmern der Bildschirme aus den Kabinen der ruhenden Trucker wird nur vom Neonschein des riesigen Brenner-Outlet-Centers übertroffen. Bloà weg hier und in die Abfahrt nach Sterzing gestürzt. Die Temperaturen waren sehr angenehm und ein Positionslicht hatte ich auch dabei. Immerhin.
Dunkel und aufregend war es, wenig bekannt ist auch, dass das Talbecken von Sterzing der Strafort für alle Mädchen die ins Moos gehören, d.h. ledig sterben, ist. Sie kriechen am Tage als hässliche Moosschnecken herum und tanzen des Nachts als Spukgestalten. Mangels Licht bekam ich davon glücklicherweise wenig mit. Mein Nichtlicht lieà mich aber immer wieder Hand an die Bremse legen.
Eine feste StraÃe über den Brenner gibt es seit 1776. Zehn Jahre später, genauer am 8. September 1786 fährt eine Kutsche durch die Dunkelheit, in entsetzlicher Schnelle zwischen hohen Felsen, an den reiÃenden Etsch Fluà hinunter, das einem Hören und Sehen vergeht, wie Goethe in seinem Reisebericht an Frau von Stein mit einer Spur Begeisterung vermerkt. Auch dort hätte Licht die Sache sicher vereinfacht, aber wo bleibt der Reiz? Ein weiterer Reisender, der das Licht scheute, war der arbeitslose Holzfäller Otto Henninger, der -zünftig mit Tiroler Hut und Gamsbart- im Mai 1950 aus der Lüneburger Heide auf die italienische Seite des Brenners gelangte. Dort wird er vom hilfsbereiten Sterzinger Pfarrer empfangen, genehmigt sich einen guten Tropfen Südtiroler Rotwein und reist -jetzt in unauffälliger StraÃenkleidung- weiter nach Bozen, wo er Unterkunft im Franziskanerkloster findet. Hier nennt er seinen richtigen Namen und bekommt folgerichtig Papiere auf den Namen Ricardo Klement, mit besten Empfehlungen des Roten Kreuzes und des Vatikan. Weiter geht es über Genua nach Argentinien. Die letzte Reise organisiert der MOSSAD nach Tel Aviv, wo ihm der Prozess gemacht und er 1962 als Adolf Eichmann hingerichtet wird.
Ich war unterwegs auf der Klosterroute. Auch -nach der Ãbernahme durch die Amerikaner- liebevoll Rattenlinie genannt, dem Fluchtweg vieler NS-GröÃen nach dem Krieg. Nun gut, Sterzing war bald erreicht und ich benötigte so langsam eine Unterkunft. Nicht lange gesucht, auf dem Marktplatz wurde ein Volksfest entsorgt, die letzten Besucher zusammengefegt und ein Gasthof hatte noch ein Bett frei. Beim aufgerufenen Preis überlegte ich kurz, ob ich mit Karte zahlen und als Sean Combs unterschreiben sollte. Ich fügte mich in mein Schicksal und bekam schlieÃlich auch etwas für mein Geld geboten: Der pompös-verspielte Leuchter in meinem Zimmer hatte beeindruckende 18 Kerzen und das Kruzifix im Speisesaal hatte LebensgröÃe, so denn der Sohn Gottes 3 Meter maÃ. Nur die Küche war bereits geschlossen und so streifte ich noch durch die Nacht auf der Suche nach etwas Essbarem. Bereits die dritte Pizzeria war bereit noch einmal den erkalteten Ofen anzuwerfen und alles war gut. Kurz nach 2.00 Uhr war endlich Nachtruhe, ich konnte beinahe sowas wie ausschlafen und so war um 8.00 Uhr die Weltherrschaft zum Greifen nah. Das Tagesprogramm war aufgrund der unfreiwilligen Planänderung auch nicht mehr sonderlich ambitioniert: Rauf aufs Penserjoch und Abfahrt nach Sarnthein, 1400 Höhenmeter, Ankunft gegen Mittag.
Zahn an der nördlichen Auffahrt zum Penserjoch
So ich den Ãberblick nicht verloren hatte, war dies bereits der fünfte Alpenbesuch in diesem Jahr. Ich würde es nicht Gewöhnung nennen wollen, aber möglicherweise stellte sich langsam ein Gefühl der Sättigung ein. Eine Normalität, die Hannah Arendt in einem Essay über ihren Friseur als âBanalität der Schönheitâ charakterisierte. So dachte ich, wurde aber mit jedem bezwungenem Meter, jedem Blick ins Tal, jeder verheiÃungsvollen Ankündigung der Passhöhe eines Besseren belehrt. Oben angekommen war noch etwas Zeit, ich entfloh den motorisierten Bikern und Reisebussen und radwanderte noch die 300hm zum Penserjochsee. Dort ein Blick zurück und ein Blick ins Sarntal.
Sandlandbewohnern, diesen missmutigen Kreaturen gebricht es an Erhabenem, fehlt es an GröÃe, die ihnen jeden Tag aufs Neue den wahnwitzigen GröÃenunterschied zwischen Mensch und Universum veranschaulichen, wie es die Berge tun, die dem Betrachter mitteilen, dass er ein Nichts ist, ein sinnlos strampelnder Wicht, der jederzeit vom Fuà eines Riesens zermalmt werden könnte, den der Herr, dessen ungeachtet, dennoch liebt, und der seiner sanftmütigen Nachsicht durch putziges Gewölk, gut geformten Stein und würzige Wildblumenwiesen reichlich, überreichlich Ausdruck verleiht. Da nun aber Berlin und, noch schlimmer, Brandenburg platt wie eine Flunder sind, wird die Bevölkerung nicht ausreichend und vor allem nicht kontinuierlich genug gedemütigt, insbesondere ist der Berliner nicht gezwungen seinen Blick gen Himmel zu richten, keine Vertikalen weisen ihm optisch den Weg zu Höherem, daher ist sein Verhalten so schlecht.
Die Zeit war gekommen und nach einer langen Abfahrt wurde die Kirche von Sarnthein erreicht. Eine halbe Stunde später traf der Rest der Gruppe ein, deren erstes Wort âplattâ war; womit aber nur auf einen Reifen angespielt wurde. Die längere Reparaturpause gab uns Gelegenheit für den Austausch des an den vergangenen Tagen Erlebten. Der unvermeidliche Aufbruch folgte bald; die Zeit drängte, denn über Rheinswald sollte es an diesem Tag noch zur Stöfflhütte gehen. Verständlicherweise musste nun erst einmal der Neue in der Gruppe getestet werden und so wurde Kette rechts den Berg hochgeknallt. Auch wenn es mir schwer fiel und der Abstand auf einige Radlängen anwuchs, konnte ich diesen ersten Angriff erst einmal abwehren. Durch Pausen entschärfen sich solchen kritischen Situationen ja auch oft von selbst.
Villanderer Alm
Die letzten Anstiege zum Tagesziel waren so steil, das entgegenkommende Fahrer runterschoben. Die bald erreichte Villandereralm entschädigte mal wieder für alle Anstrengungen. Sanfte, bis zum Horizont erstreckende, Wiesen erfreuten das Auge. Letzte Bäume und kleine Sträucher lockerten das Bild auf und wogen sich leicht im Wind, als bemalten sie eifrig den Himmel in noch strahlenderen Blau. Und wäre das alles noch nicht genug, grüÃten die ersten Dolomitenriesen im Hintergrund. Geschmackvoll platzierte Kühe, Pferde, Ziegen und Hühner vollendeten die Komposition.
Die Nacht im Lager verlief ohne weitere Vorfälle und der Start in den Tag begann mit der Auffahrt zum Latzfonser Kreuz auf 2300m, unserem Ãbergang ins Eisacktal. Pferde, die schöneren Kühe, standen uns dabei Spalier.
Die Wallfahrtskirche auf dem Kreuz erregte unsere Aufmerksamkeit schon aus weiter Ferne. Alljährlich wird im Juni der Schwarze Herrgott, ein schwarzes, geschnitztes gotisches Holzkreuz, von der Dorfkirche in Latzfons dorthin gebracht, wo es den Sommer über verbleibt.
Der Sage nach lieà der Latzfonser Pfarrer um das Jahr 1700, nachdem drei Sommer nacheinander Hagel die Ernte zerstört hatte, nach einem Herrgottsbild suchen, das bislang vernachlässigt worden war. In der Totenkapelle fand man dann tatsächlich unter altem Gerümpel den Schwarzen Herrgott, eine mit einem Gemisch aus Ochsenblut und Pech bemalte Holzskulptur des Gekreuzigten. Dieses Kreuz wurde in einer groÃen Prozession zum sogenannten Kaserbild gebracht, um es zur Abwendung der Unwetter aufzustellen. Nach der Sage schüttelte der Herrgott zum Ausdruck des Missfallens über diesen Aufstellungsort den Kopf. Auch der nächste Aufstellungsort missfiel ihm. Erst weiter oben schien ihm der Platz genehm zu sein bzw. es unwetterte einige Jahre nicht allzu heftig.
Ein wenig Regen hing, trotz Schwarzen Herrgotts, in den Wolken und wir nahmen zügig die endlose Abfahrt nach Klausen in Angriff. Dort wurde aus einem Reparaturstopp für Hinterbauten ein ausgedehntes Einkaufserlebnis, die Suche nach einem passenden Schuh gestaltete sich kompliziert. Der Kauf war nötig geworden, da sich das mitgeführte Modell aufzulösen begann. Eispickel spielte ein wenig Aschenputtel und probierte beinahe jeden Schuh im Laden an. Eitelkeit war hierbei nicht im Spiel, eher das aberwitzige GröÃenverständnis der Firma Pearl Izumi.
Mit drückenden Schuhen ging es in brütender Hitze Richtung St. Magdalena. Ãber den Berg, der dazwischen lag, möchte ich nicht reden, denn die Erinnerungen sind teils wage, teils nicht die besten. Es war heiÃ, steil und schottrig, das sollte genügen.
St. Magdalena
Ein Anblick lockerte die Stimmung auf. Hinter einer Wegbiegung öffnete sich unerwartet der Wald und präsentierte eine Fototapete der GeiÃler-Gruppe. Die Dolomiten waren nicht mehr fern, das Weiterfahren lohnte also.
Erste Ausblicke und Belohnung ...
Dann war es auch schon 18.00 Uhr und die Gampenalm war noch zu bezwingen, was noch einmal 800 Höhenmeter Kurbelarbeit zum Abendbrot bedeuteten. Da es mit dem Essen knapp werden könnte, wurde die Bildung einer Speedgruppe beschlossen, welche mit einer halben Stunde Vorsprung und ohne ausgedehnte Essens- und Fotopausen die Gampenalm noch vor Küchenschluss erreichte. Ich möchte an dieser Stelle nicht verheimlichen, und ich tue dies ohne Scham, dass ich mit einem Kollegen die gemütliche Nachhut bildete.
Späte Ankunft ...
Die Hütte war gut gefüllt, eine gröÃere Gruppe englischer Bergsteiger, deutsche Geschäftsleute und eine 20köpfige Delegation des Alpenverein Frascati, eine Stadt südlich von Rom, belebten den Gastraum. Letztere Tatsache wurde uns lautstark durch wiederholte enthusiastische Trinksprüche auf âIl Presidente Organizzazioneâ mitgeteilt. Der Personenkult um Il Presidente fand auch in Liedern seinen sympathischen Ausdruck. Wie zu erfahren war, feierte der Alpenverein seit 6 Tagen sein 25jähriges Bestehen und am letzten Abend war die Stimmung auf dem emotionalen Höhepunkt. Wir lieÃen uns von der guten Stimmung anstecken und fanden erst spät den Weg in die Betten. Morgen steht die Schlüterhütte und vielleicht Heilig Kreuz auf dem Programm, waren meine letzten Gedanken. Der Schlaf kam schnell â¦.
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