Ich muss sagen, ich bin jemand, der selten an Artikeln hier wirklich etwas auszusetzen hat, aber dieser hier greift einfach viel zu kurz.
Er ist zwar grundsätzlich richtig, es ist aber so oberflächlich, dass er selbst sehr viel eigene Aussagen relativiert, ohne zu begründen warum.
Zu gleichem Thema gab es auch schon auf anderen Seiten Artikel, die deutlich mehr in die Tiefe gingen. Und dies ist im Jahr 2018 einfach notwendig. Vor 5-10 Jahren wäre der Artikel absolut in Ordnung gewesen, weil Bike-Geometrien relativ einheitlich waren, Laufradgrößen einheitlich waren, Gabelhersteller einen Offset-Wert anboten, ... . Heute sieht das einfach anders aus und es gibt so viel mehr Einflussfaktoren, die betrachtet werden müssen. Sie werden im Artikel zwar erwähnt, aber nicht erklärt.
Daher sehe ich den Artikel mehr als "Einstieg" ins Thema, der in einer nächsten Ausgabe aber dringend vertieft werden sollte. Der Artikel lässt viel (teilweise heute falschen) Interpretationsspielraum.
Einige Beispiele, die ich meine und Ergänzungen zum Artikel die ich sehe:
- die These, dass mit flachem Lenkwinkel bergauf nicht genug Druck aufs Vorderrad kommt. Grundsätzlich, sinkt der Druck aufs Vorderrad mit flacherem Lenkwinkel, weil das Vorderrad weiter nach vorne wandert. Aber auch nur, wenn man sonst nichts an der Bike-Geometrie ändert! Ein Bike mit flachem Lenkwinkel hat nicht zwangsläufig wenig Druck auf dem Vorderrad als ein anderes Bike. Moderne Geometrien gleichen das durch längere Reach- Werte, steilere Sitzwinkel und auch längere Kettenstreben wieder aus. Die superkurzen Kettenstreben sind bei den meisten Herstellern längst wieder verschwunden. Mit gutem Grund: Weil sie der Bike-Balance schaden. Auch bergauf, wo sie zusätzlich Gewicht nach hinten verlagern und das Vorderrad leicht machen.
- Es wird quasi nicht auf den Gabel-Offset (oder auch Rake) eingegangen. Damit wird ja gerade derzeit sehr viel experimentiert und dieser Wert muss zusammen mit dem Lenkwinkel betrachtet werden. Die 2018er Transition-Bikes, das 2018er Orbea Rallon, oder die Geometron Bikes von Chris Porter sind beste Beispiele für Bikes mit verkürztem Offset. Giant verbaut hingegen 2018 teilweise bewusst längere Offsets als sie der Standard sind.
Grundsätzlich gilt hier: Ich kann bei gleicher Gabeleinbaulänge auf zwei Arten das Vorderrad gleich weit vor das Steuerrohr positionieren: Mit einem flachen Lenkwinkel und einer Gabel mit kürzerem Offset oder einem steileren Lenkwinkel mit längerem Gabel-Offset. Rein vom Druck auf das Vorderrad her gibt es bei beiden Varianten keinen Unterschied. Das Vorderrad wird bergauf genauso viel belastet, auch der Druck in Kurven ist der gleiche. Beide Bikes haben aber ein komplett anderen Nachlauf und ein anderes Lenkverhalten. (Natürlich kann man so auch Räder mit gleichem Lenkwinkel bauen, bei dem das Vorderrad weiter vorne oder hinten ist, etc. . Hier nur mal als Gedanken-Beispiel).
Also wo liegen jetzt bei unterschiedlichem Offset die Vor- und Nachteile?
Die Vorteile kürzerer Offsets:
Nehmen wir ein Bike, dass sich bergab gut fahren soll. Durch flache Lenkwinkel wird ein großer Nachlauf und damit Laufruhe und Sicherheit erzeugt. Aber es gibt Grenzen. Wird der Lenkwinkel zu flach, wandert das Vorderrad so weit vor, dass man kein Druck mehr auf das Vorderrad bekommt. Das Bike steigt bergauf, bergab untersteuert es. Dies kann man beispielsweise durch längere Kettenstreben ausgleichen, oder etwas längeren Vorbau (was aber kontraproduktiv für die Fahrsicherheit bergab ist und auch für das Lenkverhalten). Allerdings wird das Bike dann immer länger und schwerer/träger zu manövrieren. Verkürzt man den Gabeloffset wird der Nachlauf noch größer, was für ein noch stabileres Lenkverhalten sorgt, aber man bringt das Vorderrad wieder näher an den Fahrer und verbessert die Balance des Bikes und verkürzt dabei sogar geringfügig den Radstand, was das Bike gleichzeitig handlicher macht.
Ein weiterer Vorteil hat gar nichts dem Nachlauf zu tun, sondern ist nur dem Offset geschuldet: Ein Bike mit geringerem Offset stellt das Vorderrad beim Einlenken weniger stark nach innen. Ist der Offset länger wird die Radachse nach innen gestellt, dass Vorderrad will stärker nach innen ziehen und wird wackliger, gerade, wenn das Bike gleichzeitig ja in die Kurve gelegt wird. Das ist der Grund weshalb eigentlich alle Tester bei Testfahrten mit Bikes mit geringerem Offset feststellten, dass sie weniger kleine Lenkkorrekturen machen mussten und sich das von Kurve zu kurve Kippen sehr wie "carven" anfühlt.
Die Nachteile von kürzeren Offsets (und damit Vorteile von längeren):
Eigentlich gibt es nur einen einzigen. Das Lenkverhalten wird träger und abkippender. Der Effekt, den nuts im Artikel beschrieben hat, dass sich das Bike absenkt und die Lenkung ab einem gewissen Grad abkippt, verstärkt sich. Zwar ist die Lenkung bei geringen Einschlag noch stabiler und versucht ehr gerade zu ziehen, ab einem gewissem Punkt, kippt sie aber zusätzlich ein. Ein Effektt an den man sich gewöhnen kann, jeder mit einem DH-Bike kennt ihn. Auch muss man sagen, dass dieser Effekt nur bei wirklich sehr geringen Geschwindigkeiten bemerkbar ist, so bald das Bike etwas Geschwindigkeit hat, ist nichts mehr davon zu spüren. Möchte man aber ein Bike mit einer sehr leichtgängigen Lenkung, dass sich auch bei geringer Geschwindigkeit wendig anfühlt, muss man auf steilere Lenkwinkel und längere Gabeloffsets gehen. Auch dadurch kann das Vorderrad weit genug nach vorne kommen um beispielsweise Sicherheit zu schaffen, nicht über den Lenker zu gehen.
Ergänzend: Dem abkippenden Lenkverhalten (bei flachen Lenkwinkeln insbesondere mit geringen Offsets) kann man mit sehr kurzen Vorbauten entgegenwirken. Es fühlt sich weniger unangenehm an bzw. merkt man den Effekt weniger, wenn der Vorbau kürzer ist.
Überhaupt spielt auch die Vorbaulänge eine entscheidende Rolle für das Lenkverhalten, den Druck auf das Vorderrad und "Überschlagsgefühle". Ich bin inzwischen ein Anhänger (wie auch z.B. Greg Minnaar) der These (und meine Erfahrungen decken sich damit), dass die Vorbaulänge mit dem Gabeloffset korrelieren sollte. Das macht auch absolut Sinn. Mit Vorbauten, deutlich kürzer als der Gabeloffset, wird es in Kurven schwer Druck aufs Vorderrad zu bekommen. Ist der Vorbau deutlich länger als der Gabeloffset, gibt es auch leichter Überschlagsgefühle.
Chris Porter (Erfinder der Geometron bikes) meint, dass ihre Tests klar gezeigt haben, dass Leute auf bikes mit flacherem Lenkwinkel und kürzerem Gabel-Offset schneller bergab sind. Chris fährt bikes mit 59° Lenkwinkel und 30mm Offset. Übrigens auch 30mm Vorbau.
Die neuen Transition bikes fahren genau in diese Schiene (Lenkwinkel, Offset, Vorbaulänge; und wegen lürzerem Vorbau längerer Reach).
Wer dazu mehr lesen will, dem seien auch englischsprachige Foren zum Thema Geometron zu empfehlen, Tests von bikes wie dem Orbea Rollon, oder den Transitions (bible of Bike 2018 z.B.; auch der direktvergleich Rallon vs. Sentinel), oder auch das hier:
http://www.bikeradar.com/mtb/gear/article/pushing-the-limits-of-fork-offset-an-experiment-45343/
Aber nur isoliert das Thema Lenkwinkel zu behandeln, fand ich jetzt etwas seicht. Oder sollte da noch mehr kommen?