Als jemand ohne bestimmte Vorlieben und mit Standard-Körpermaßen mag das stimmen. Andere hingegen bevorzugen dann z.B. lieber Rahmen mit niedrigen Überstandshöhen, möchten hochwertige Variostützen gerne weiternutzen und auch im neuen Rahmen den maximalen Hub voll versenken können, haben, aufgrund ihres Gewichts bevorzugen sie Räder welchestandardmäßig mit 200er Bremsscheiben kommen, hätten gerne etwas von einem Händler in der Nähe und fragen deswegen gezielt nach bestimmten Marken.
Und dann ist da auch noch der kleine "viel hilft viel!"-Mann, der vielen Leuten im Nacken sitzt und einem zuflüstert "du brauchst den Freerider, sonst stehst du irgendwann mit Bike ganz oben auf der Zugspitze und kommst nicht runter, weil dein Tourenhuschi das nicht mitmacht!!!", obwohl das mit moderner, flacherer Geometrie ausgestattete Marathonbike besser zum alltäglichen Anwendungszweck passt und man sich für das eine Mal im Jahr dann eben ein Bike leiht.
Ich mag mein Capra. Ich hatte mich in's Capra verliebt und freue mich immer noch, wenn ich es einfach mal angucke. Aber spannender macht es die Trails rund um Hamburg nun auch nicht unbedingt, da wäre was kleineres schon angemessen gewesen. Aber auch aufgrund des "man kann ja nie genug Reserven haben und schaden tut es ja auch nicht" ist es bei mir ein Enduro statt Trailbike geworden. Ich bereue es nicht, aber es ist nicht das passende Bike. Dafür habe ich durch das Capra gelernt, was ich mir beim nächsten Rad wünschen würde. Und manchmal ist es halt ganz praktisch, wenn einem andere aus eigener Erfahrung erzählen, dass man nicht zwingend Voll-XT-Ausstattung auf einem 180mm-Fahrwerk braucht, wenn man hauptsächlich über'n Deich rollert und ab und zu mal in den HaBes eine Runde dreht. Die Harburger Berge sind zwar das, was in unseren Breitengraden MTB-Gelände am nächsten kommt, entsprechen aber doch eher einem Sägezahnprofil mit ständigem auf und ab anstatt stundenlang vierstellige Höhenmeter rauf und dann in einer 30minütigen technisch anspruchsvollen Abfahrt voller Wurzeln, Felsen und road gaps wieder runter.
Und was man ebenfalls nicht vergessen sollte: unser Hobby ist so sackteuer geworden, dass ein ordentliches MTB mittlerweile eher Investion als Spontankauf ist und dementsprechend wohlüberlegt wollen viele an die Sache rangehen. Als ich vor nicht einmal 3 Jahren nach meinem Rad gesucht habe, haben Capra AL und Nukeproof Mega AL noch gleich viel gekostet. Nun kostet der 2021er Mega-AL-Rahmen fast genau so viel wie das YT Capra AL Base als Komplettrad. Da kann ich schon verstehen, wenn sich viele nun eher mit Rechenschieber, Exceltabellen und Beratungswunsch dem Thema nähern als mit ausschließlich Emotion und Bauchgefühl.
Andererseits ist es 2021 eigentlich einfacher als jemals zuvor beim Fahrradkauf: nimm, was gerade da ist, sonst ist es weg und du gehst komplett leer aus...