Aus dem Nähkästchen geplaudert #3: Vernetzung
Damit im FE-Programm eine Berechnung stattfinden kann, muss die Geometrie erst einmal vernetzt werden. Meist ein zeitraubendes und eher langweiliges Prozedere (Aus Ozeans 13, Al Pacino: „Die Wehen interessieren mich nicht, ich will das Baby!“). Die meisten hier im Forum werden sich auch nicht wirklich für die Vernetzung interessieren – und diejenigen, die es interessieren könnte, wissen selbst wie es geht.
Damit es wenigstens ein bisschen spannend wird, erzähle ich für ein paar ausgewählte Elemente, was im Hintergrund abläuft und welche Tools die Arbeit erleichtern. Und vielleicht ist ja auch für die Freaks der eine oder andere interessante Aspekt dabei.
Bar-Elemente (1D)
Fangen wir mit etwas einfachem an: Bar-Elemente. Ein einfacher Stab, in der normalen Visualisierung nur zwei Knoten und ein Strich dazwischen. Über die Eigenschaften können verschiedene Querschnitte zugewiesen werden: Rundstab, Rundrohr, Rechtecke, …, individuelle Querschnitte.
Für gleichmäßige (auch gekrümmte) Stäbe und Rohre erkennt das FE-Programm die Querschnitte und nimmt viel Arbeit ab:
- Die importierte 3D-Geometrie
- Das System hat Mittellinien und -kurven erzeugt und die Querschnittsdaten sind als Information angehängt.
- Die Kurven werden mit finiten Elementen vernetzt und das System greift auf die erzeugten Querschnittsdaten zurück.
- Eine Visualisierungsfunktion zeigt die Querschnittseigenschaften der finiten Elemente und man kann die Übereinstimmung mit den CAD-Daten prüfen.
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Bar-Elemente können Kräfte und Momente übertragen und es werden an ausgewählten Stellen Spannungen berechnet. Allerdings sind die Querschnitte in sich starr und die Möglichkeiten für eine Spannungsauswertung daher begrenzt. Bei einem Fahrradrahmen verwende ich sie gerne, um mit wenig Aufwand die Steifigkeit anzunähern.
Plate-Elemente (2D)
Dünnwandige Bauteile sind häufig zu finden: herstellungsbedingt oder aus Gewichtsgründen sind Wandstärken dünn im Vergleich zu den Bauteilabmessungen. Hier bieten sich 2D-Elemente für die Vernetzung an.
Und auch hier unterstützt das FE-Programm die Modellierung:
- Die importierte 3D-Geometrie
- Tangentenstetige Oberflächen werden erkannt. Das System erzeugt Mittelflächen (halbe Wandstärke als Offset) und merkt sich die Wandstärke.
- Die Mittelflächen werden mit finiten Elementen vernetzt und das System greift auf die Wandstärke als Parameter zurück.
- Eine Visualisierungsfunktion zeigt die (flachen) finiten Elemente inklusive der zugewiesenen Wandstärke und man kann die Übereinstimmung mit den CAD-Daten prüfen.
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Tetraeder-Elemente (3D)
Komplexe Fräs- und Schmiedeteile vernetzt man üblicherweise mit 3D-Elementen. „Schöne“ Netze aus Hexaedern benötigen weniger Rechenzeit - aber dafür meist viel Handarbeit bei der Vernetzung. Eine automatische Tetraeder-Vernetzung ist in der Regel effektiver. Lineare Tetraeder sind zu steif, daher werden hier parabolische Elemente mit Mittelknoten verwendet.
Ein Tetraeder-Netz gibt es auf Knopfdruck (zumindest wenn man einen sauber modellierten Solid-Körper als Basis hat).
- Die importierte 3D-Geometrie
- Ein automatisch erzeugtes Tetraeder-Netz. Bei einigen Freiformflächen bildet das Netz die Geometrie nicht sauber ab.
- Jetzt wird manuell nachgeregelt: auf Kurven oder Flächen wird die Elementanzahl und damit die Genauigkeit erhöht. Bis zu einer gewissen Größe geht das sogar „live“, d.h. mit jedem Klick wird das Netz neu aufgebaut und man sieht gleich, ob es passt.
- Das fertige Netz für den Rocker hat ca. 80.000 Elemente und bildet die Freiformflächen recht genau ab. Ggf. wird in hochbelasteten Bereichen noch feiner vernetzt.
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Ein kritischer Punkt ist die Netzgröße. Bei 1D- und 2D-Elementen ist das nicht ganz so wild. Aber bei 3D-Elementen kommt man sehr schnell in eine Größenordnung, die den Rechner lahm legt. Eigentlich möchte man sehr fein vernetzen, um eine hohe Genauigkeit zu erreichen. Aber pauschal eine kleine Elementkantenlänge festzulegen kann schnell zu Modellen mit 1 Mio. Elementen und mehr führen. Irgendwann sieht man nur noch die Sanduhr.
Wie findet man die richtige Elementgröße? Ein paar Tipps:
- In einem kritischen Radius sollten 5-6 Elemente über 90° vorhanden sein.
- Wenn man die Ergebnisse mit verschiedenen Einstellungen für die Mittelung darstellt (Mittelwert / Maximum) sollten sich die Farbwerte nicht mehr stark ändern.
- Ein Netz „konvergiert“, wenn sich die Ergebnisse bei noch feinerer Vernetzung nicht mehr wesentlich ändern.
Plate-Elemente (2D) mit modifizierter Dicke
Wann nehme ich 2D-, wann 3D-Elemente? Eigentlich klar, aber es gibt Bauteile, die einem die Entscheidung doch schwer machen. Die „Brücke“ vom Kavenz ist so ein Teil. In der Hauptsache ein schalenförmiges Teil. Aber es gibt Bereiche mit lokaler Verstärkung, außerdem einige T-Stöße mit Verrundungen innen und außen.
Ich habe mit Tetraeder-Netzen experimentiert – für die dickwandigen Bereiche ok, für die dünnwandigen eher nicht. Mit mehreren Schichten war ich bei 1,5 Mio. Elementen. Also doch lieber 2D!
- Die importierte 3D-Geometrie
- Das Mittelflächenmodell wurde im CAD-Programm erzeugt, denn hier ist doch etwas mehr „Handarbeit“ gefragt.
- Die fertige Vernetzung basierend auf dem Mittelflächenmodell.
- Jetzt der Trick: im FE-Programm wird zusätzlich zum Mittelflächenmodell das Solid-Modell geladen und mit speziellen Funktionen ist es möglich, für jedes Element automatisch Dicke und Offset an ein Solid-Modell anzupassen.
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Eine recoursensparende Methode und bei kleineren Änderungen (Wandstärken, lokale Verstärkungen) lässt sich das Rechenmodell schnell anpassen.
Connectoren
Meist hat man es nicht mit Einzelteilen, sondern mit (Schweiß-)Baugruppen zu tun. Jedes Einzelteil bringt sein eigenen Netz mit und diese Netze müssen miteinander verbunden werden.
- Die „Old-School“-Variante: beim durchgehenden Rohr wird das Netz unterbrochen und an das angesetzte Rohr angepasst. Die beiden Netze haben an der Nahtstelle identische Knoten und werden dadurch verbunden.
- „New-School“: das durchgängige Rohr wird gleichmäßig vernetzt und weiß erst einmal nichts von dem angesetzten Rohr.
- Jetzt werden Connectoren (Verbinder) gesetzt. Das durchgängige Rohr erhält eine flächige Verbindungsregion (rot), das angesetzte Rohr eine kurvenbasierte Verbindungsregion (grün). Die beiden Regionen werden mit einem Connector „verklebt“.
- Nach der Berechnung kann die Verbindung geprüft werden, indem man die „Total Glue Force“ anzeigt.
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Der Vorteil von Connectoren? Die Vernetzung ist wesentlich einfacher und die Netze werden gleichmäßiger. Außerdem können die Connectoren geometriebasierend festgelegt werden und sind damit unabhängig vom Netz. Man kann also z.B. ein Bauteil feiner vernetzen und trotzdem bleibt die Verbindung bestehen.
Ok, das war jetzt etwas trocken. Das nächste Mal wird es um Schweißnähte gehen – ein heißes Thema
Viele Grüße
Onkel_Bob