I have a Dream
Ich radle auf der feinstaubbelasteten Landsberger Allee dem Arbeitsplatz entgegen, träumt der Wüstenreisende. Es ist ein perfekter schneeregnerischer Dienstagmorgen im November: bei 2 Grad Außentemperatur drängen sich räudige Wintertauben auf der Ampel Ecke Danziger und gurren Sympathy For The Devil. Bei Netto sind Sportsocken und Olivenöl im Angebot und auf Radio1 läuft ein Titel von Arcade Fire.
Alles, was man vergessen hat, schreit im Traum um Hilfe, denke ich mir, als ich hochschrecke. Geweckt wurden wir von einem unverkennbaren Geräusch: Einige Minuten lang, tröpfelte es schwach, aber unverkennbar auf das Dach unseres Nachtlagers. Bezeugen können wir den Regen nicht, vielleicht wollte Rachel uns auch nur eine Freude machen und hatte den Gartenschlauch rausgeholt.
Am Vorabend hatten wir das Konzept des Deja-Vu erfolgreich abgeschlossen und nach der Pizza zielstrebig ein weiteres Mal Rachels Haus angesteuert. Dort wurde, mit exakt den selben Worten vom Vortag, die Begrüßung und Frage nach der Unterkunft noch einmal aufgeführt. Sie enttäuschte nicht, war nur kurz verwirrt und stieg sofort auf den Gag ein. Wir hatten wieder eine Unterkunft: Arad, Nacht 2.
Eine der anspruchsvolleren Kulturtechniken ist es, Gastfreundschaft und Großzügigkeit entsprechend zu würdigen und anzunehmen. Rachel hatte eine Waschmaschine befüllt, uns den ganzen Abend bespaßt und für das Frühstück hatten wir den Inhalt des gesamten Kühlschranks angeboten bekommen. Natürlich fand gerade mal ein Appel und nen Ei (literally!) den Weg in unseren Reiseproviant. Wir verabschiedeten uns ein weiteres Mal, verewigten uns noch pathetisch im Gästebuch, und der nächste Versuch, Arad zu verlassen, konnte starten. Diesmal sollte es per Bus nach Maktesch Ramon gehen. Der richtige Bus war schnell ausbaldowert, wir würden nur einmal umsteigen müssen.
Mitzpe Ramon, ein sehr verschlafenes Nest, mit einigen Tausend Einwohnern, war nach einigen Stunden erreicht. Unser Kontakt war Jocelyne, die uns mehr oder weniger erwartete und dank des Bustransfers, stimmte sogar der anvisierte Tag. Ihr Name, und dass das Haus nicht zu verfehlen sein würde, waren die einzigen Informationen die uns zur Verfügung standen. Wen wundert es, dass wir uns erst einmal eine Stunde im Verfehlen übten. Es war noch früher Nachmittag, sogar noch hell, und wir waren ausnahmsweise schon an unserem Tagesziel angekommen. Diesen unglaublichen Einzelfall galt es auszunutzen, der Krater wartete.
Dieser war, mit 40km Länge, 10km Breite und 500m Tiefe, nun wirklich nicht zu übersehen. Des Superlativs, allergrößter Erosionskrater der Welt, bedarf es gar nicht, der majetätische Anblick kann neben allen Naturwundern dieser Welt problemlos bestehen. Und während sich am Grand Canyon, die Stative der Hobbyfotografen wie eine Pressemeute am Roten Teppich aufbauen, waren wir nahezu allein. Höchstens ein Dutzend anderer Besucher kreuzte unseren Weg. Das Städtchen Mitzpe ist nur eine Zwischenstation, niemand bleibt hier länger, die Ruhe wird nur gelegentlich durch tieffliegende F16 gestört. Durch den Krater führt eine Straße, welche sich am Ende der Stadt hinunterwindet, diverse Trails gehen an einigen Stellen ab, offiziell schrauben sich, startetend vom umzäunten Besucherzentrum, mehrere Wege variierender Schwierigkeiten in den Abgrund. Wir schätzten schon einmal, etwas zu ausführlich, die Lage für den nächsten Tag ab und ließen uns prompt einschließen. Der überaus unfreundliche Hausmeister brabbelte auf Russisch "Selber Schuld" und ging nach Hause. Wir kletterten, latent der Gefahr des Absturzes für Mann und Fahrrad ausgesetzt, zurück über den Zaun, den es wäre sicher unklug gewesen, zu dieser Tageszeit noch eine Abfahrt zu starten.
Nun wurden Stative aufgebaut, wir sind halt Touristen, aber wir schleppen unsere Fotoausrüstung immerhin auf unseren Rücken durch die Wüste, und für die nächsten 2 Stunden wurde sehr entspannt der Sonnenuntergang gewürdigt. Ein eher ereignisloser Tag gab zum Abschied noch eimal alles!