Israel 2010 oder der wärmste Winterpokalauftakt seit Beginn der Aufzeichnungen

Will67

Ist das CC?
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17. April 2005
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147
Ort
Berlin
Teil 1: Und jetzt! Auf Wunsch von Boerge die Gruppe Pur mit ihrem famosen Evergreen Abenteuerland! Enjoy!



Nunja;), alles beginnt mit einer Mogelpackung, denn bevor es nach Israel geht, ein letzter prokrastinatischer Akt der Zerstreuung und zugleich ein kleiner Rückblick auf eine wichtige und lehrreiche Inspiration aus dem Jahre 2009. In jenem Jahr, auf der Alpenüberquerung, hatte sich nämlich endgültig eine prägende Blaupause für gewisse Reiseprojekte etabliert, die ich einmal mit dem Wort „atemlos“ auf den Punkt bringen möchte. Die nur als Flucht korrekt zu charakterisierende Hast durch spektakuläre Orte und Landschaften war dabei nie Absicht, sondern schlicht und einfach das Ergebnis von Gröߟenwahn, ambitionierter Planung und Bauchgefühl. Es begann eigentlich wie immer mit dem Daumen auf der Landkarte, der Frage wie lang dieser italienische Stiefel eigentlich sei, setzte sich fort in dem Plan die verbliebenen 4 Tage Urlaub für eine Fahrt von Riva del Garda nach Rom zu nutzen und endete folgerichtig in reichlich epischen Etappen und der Ankunft in der ewigen Stadt zwei Stunden vor Abfahrt des Nachtzuges nach München.

Und so starteten an einem Septembermorgen, Schnegge und JPK in der JHB Riva zum Bahnhof Richtung Heimat und Eispickel und Will nach Rom. Das Vorhaben war so einfach wie verwegen: ein zügiger Transfer nach Siena um dort auf die Via Francigena zu treffen, den alten Pilgerweg von Canterbury nach Rom. Die ersten 70km führten auf der stark befahrenen Straߟe an der Ostseite des Gardasees enlang. Bereits am späten Vormittag verschwand der Gardasee im Rücken und es ging bei zunehmend unerträglicher Hitze Richtung Po-Ebene. Ohne Schatten, ohne Kurven ging es ereignislos immer am Kanal entlang. Die Gegend hatte inziwschen verblüffende ߄hnlichkeit mit dem Fläming Skate und sogar die Werbung am Straߟenrand hatte die brandenburgische Anmutung von ߜ40-Party-im-Festzelt-mit-Achim-Mentzel-Aufstellern in Schöna-Kolpien.

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Südliches Ende des Gardasees


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Richtung Mantova

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Ich fühl mich so Brandenburg

Unser Zwischenziel war der gefährlichste Ort Norditaliens, zumindestens vom Mittelalter bis Ende des vorigen Jahrhunderts: Mantova. Zur Verteidigung der Stadt hatte man den Minico aufgestaut und den strategisch wichtigen Ort durch einen malariaverseuchten Sumpfgürtel umgeben. Ein junger General mit dem Namen Napoleon vertrieb 1796, mit nicht unerheblicher Hilfe der Milliarden von Mücken, die ߖsterreicher. Wir kamen in Frieden, das Thermometer zeigte völlig irre 34 Grad im Schatten und weiter ging es Richtung Bologna, welches nach 230km nicht ganz erreicht wurde. Die Pizza des Abends wurde in San Giovanni in Persiceto gegessen. Nicht unerwähnt bleiben, sollten zwei reizende Töchter der Stadt, die uns bei der Suche nach einer Unterkunft behilflich waren, durch die Stadt führten, telefonierten, im Auto voraus lotsten um schlieߟlich einen Truckerstop am Stadtrand zu organisieren.

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Am nächsten Morgen ging es zunächst durch das nur 10km entfernte Bologna und nach einiger Wegeplanung im örtlichen Supermercado weiter Richtung Florenz. Es war später Sonntagvormittag, die ersten Toskanasteigungen wurden erklommen und die örtlichen Schwucken kam uns in groߟen Gruppen entgegen: Kleine Runde am Sonntagmorgen, wieder heim zu Mutti. Angeblich waren wir auf der schönsten Straߟe der Toskana, ein Ort mit dem Namen Chianti folgte auf den Nächsten, die Kurven waren perfekt konstruiert, die Landschaft ein Traum. Wären da nur nicht diese Motoradfahrer gewesen, alle 10 Sekunde ein Neuer, die auch ihren Spaߟ suchten und meinten jede Kurve hochtourig angreifen zu müssen. Das Maߟ war voll als eine Gruppe von geschätzt 100 historischen Ducatis und Moto Guzzis zum ߜberholen ansetzte. In diesem Augenblick war meine Entscheidung für den Terrorismus gefallen, ich hielt es nicht mehr aus! Mein Plan war so simpel wie genial: Die ߄lteren werden sich noch an die Knappheit der sogenannten DX-Lampen im Herbst 2009 erinnern. Sollte die Allierten je wieder Bologna bombardieren, so schwor ich mir im ohrenbetäubenden Lärm der schönsten und edelsten Motorräder dieser Erde, so würde ich mit Hilfe meiner gehorteten Lampenvorräte die Verdunkelung für die Garagen der Motorradbesitzer aufheben! Nicht nett, aber meine Lage war hoffnungslos, meine Verzweiflung unermeߟlich, die Wut gefährlich! Inzwischen kann ich für meine Besserung bürgen, meine Resozialisierung war in dem Augenblick perfekt, als ich einige Wochen später die Straߟe noch einmal, diesmal mit dem Motorrad, befuhr.

Eine Paߟ folgte auf den nächsten, es nahm kein Ende, wir sammelten einige Tausend Höhenmeter ein, insgesamt etwa 7000 um genau zu sein, von Riva nach Rom, und erreichten endlich Florenz. Der erste Blick auf Florenz ist spektakulär und umso beeindruckender, da er sich dergestalt, fast unverändert schon Renaissance-Reisenden dargeboten haben muss.


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Die Innenstadt von Florenz macht etwas ratlos, es ist eine einzige Touristenfalle: Hotels, Pizzarias und Handyläden blinken im Neonlicht um die Wette. Wäre nicht der Dom und das eine oder andere unsterbliche Kunstwerk könnte man sich fast genervt fühlen. Am nächsten Tag ging es weiter nach Siena, wo wieder keine Zeit blieb. Ein wenig verweilen auf dem Piazza del Campo, dem Platz des jährlich ausgetragenen Pferderennens Palio di Siena und dann begann auch schon die Suche nach dem Einstieg in die Via Francigena.

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Dom von Siena

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Stadtpalast und Bank von Siena. Ein gewisser Christoph Kolumbus ersuchte hier erfolglos um Risikokapital. Der Bailout erfolgte, wie bekannt, durch den spanischen Staat.

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Parkplatz Siena oder Investionsruine seit über 700 Jahren. Der geplante Anbau für den Dom von Siena. Ziel war der gröߟte Dom der Christenheit.

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Nach einiger Fahrt über Felder und durchs Gestrüpp überraschten wir schlieߟlich einen Bauern beim Mittagsschlaf, auf dessen Hof wir uns anscheinend verirrt hatten. Frau Bäuerin öffnete uns das elektrische Eisentor, entlieߟ uns in die Freiheit und nicht mehr lange und wir hatten endlich die staubigen Wege des Pilgerweges gefunden. Nun ging es endlich abseits der Straߟen, teilweise auf der L'Eroica-Strecke, immer weiter Richtung Süden. Eine unangenehme Eigenschaft von Pilgern im Auftrag des Herrn ist, dass sie kein Kloster am Wegesrand, gerne auch auf dem Berg, links liegen lassen können, so daߟ uns bereits der weit entfernte Anblick eines bedeutenden Bauwerks in der Landschaft, und sei es eine Ruine, verkündete, dass wir wohl wieder einen kleinen Umweg nehmen werden müssen. Es war inzwischen mal wieder dunkel geworden und im letzten Tageslicht machten wir uns auf dem Weg Richtung Montalcino, eine Festungsstadt, weit oben auf dem Berg. Zur Entschädigung aller Mühen des Tages ging glutrot der Mond auf, ein atemberaubendes Schauspiel auf dessen ߜbertreffung ich seither warte. All mein Streben gilt seither der Wiederholung dieses Augenblicks. Sad, i know.

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Sehr vernünftig aber oft nur für 5min: Pause zur Mittagszeit

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Umweg ahead!

Die nächste und für mich letzte Etappe führte uns an den Bolsenasee, 90km vor Rom. Schotterstraߟen, endlose Abfahrten, Hunde auf Verfolgungsjagd prägten diesen Tag. In Bolsena wurde eine Trennung beschlossen, mein Plan war zielstrebig nach Rom zu gelangen um wenigstens noch einige Stunden zu haben, EP wollte früh entspannt baden gehen, denn für ihn ging es nach Rom ja noch weiter.

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Ich scheiterte spektakulär bereits nach einigen Kilometern in Viterbo, der Stadt der Päpste, die ich mir zwei Stunden anschaute und so meinen Zeitplan gleich mal zerstörte. Eine kleine Pause nach der Besichtigung von Etruskerhöhlen am Straߟenrand führte so dann zu einer Begegnung, die ich als das gröߟte Comback seit dem 68er Elvis Special bezeichnen möchte, den plötzlich stand EP wieder vor mir und sagte Guten Tag. Er hatte mich wieder eingeholt und so wurde beschlossen, doch noch gemeinsam nach Rom zu fahren. Es verschlug uns die letzten Kilometer noch auf eine Autobahn oder zumindestens etwas, was man hierzulande Bundesstraߟe nennen würde. Das alles lag nicht zuletzt daran, dass die Beschilderung des Pilgerweges immer schlechter wurde und nachdem es zuletzt über eine Müllkippe ging, er schlieߟlich ganz verschwand. Dann also auf der Autobahn noch schnell über die letzten Hügel gedrückt und schon waren wir im irren Verkehr Roms. Als Pilger auf der Fährte des Herrn galt es natürlich den Petersplatz zu erreichen. Ich sage mal, es gibt schwierigere Aufgaben .... alle Wege führen nach .... usw.

Mir blieben noch 2 Stunden bis zur Abfahrt des Zuges und so wurde nach dem Petersdom noch das kleine Programm für Touristen abgespult. Eine halbe Stunde vor Abfahrt des Zuges gab es für mich noch einen Platten, nach über 1000km vom Brenner, über die Dolomiten bis nach Rom, der Erste: Aber Schlauch wechseln vor dem Kollosseum, es gibt Schlimmeres.

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Eine letzte Anekdote aus dem Zug noch: Der Nachtzug Rom-München verlangt zwar Geld für Fahrradreservierung und Transport hat allerdings keine Abstellmöglichkeit für Fahrräder zu bieten, also platzierte ich zusammen mit drei anderen Reisenden, die Fahrräder an das Ende des Wagens und zog mich in mein gemütliches Schlafabteil zurück. Am nächsten Morgen, eine Stunde vor München, erfuhr ich von zwei, mich entgeistert anblickenden Schwucken, den Rest der Geschichte. In Verona wurden Wagen aus Venedig an den Zug angekoppelt und so war der letzte Wagen auf einmal nicht mehr der Letzte und die Räder standen im Weg. Der Schaffner verlangte die Beseitigung dieses Umstandes und griff sodann zur Selbsthilfe. Er schob das Rad nicht etwa zeternd zur Seite! Nein, mit einem beherzten Griff warf er mein tapferes NOX drei Meter durch die Luft, wo es auf dem Oberrohr von zwei top ausgestatteten Carbon-Bianchis recht unsanft und unter Zurücklassung von Spuren landete. Ich weiߟ nicht, was in dem Kopf dieses Mannes vorging, und zumindestens ein Edelrenner war definitv hin, das NOX war soweit unversehrt. Ich musste mir glücklicherweise keine Klagen anhören, alle Wut kanalisierte sich auf den Schaffner, der allerdings nicht mehr an Bord war. Im Nachgang passierte in der Sache auch noch einiges, einige Schriftstücke wechselten den Besitzer. Aber das nur am Rande ...






Soviel also dazu. Die Gefahren im Hinblick auf Israel sind klar und benannt: Nimm Dir Zeit!

Für das Projekt Israel wurden 10 Tage freigeräumt und der Norden gecancelt. Auf dem Programm stand also eine reine Wüstentour, zuerst von Tel Aviv nach Jerusalem, dann durchs Westjordanland ans Tote Meer, durch die Wüste Negev zum Machtesch Ramon-Krater und schlieߟlich weiter zum Roten Meer; Badestops am Mittelmeer, Toten und Roten Meer, ansonsten wenig bis kein Wasser. Und mit all diesen Pflichtterminen wurde der Plan schon wieder ambitioniert ... mal schauen.



Morgen folgt Teil 2, bisher noch nicht geschrieben, aber der Arbeitstitel steht: Jerusalem oder her mit den kleinen Japanerinnen!


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... jetzt aber wirklich: Jerusalem.
 
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Das ist ja fies... Bei dem Wetterchen was wir hier gerade haben:heul:

Im Winter über den Sommer zu schreiben ist wie damals auf dem Schulfest mit Bianca aus der C-Klasse ewig lange auf der leeren Tanzfläche rumzuknutschen. Man findet's geil aber macht sich nur Feinde.:daumen:


Geht noch nicht weiter ....

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Tegel. Die Frisur sitzt.
 
Teil 2: Worin noch nicht viel passiert, aber viel von Autobahnen die Rede ist und bis an ein Kliff vor Jerusalem gefahren wird!

Bisher passierte folgendes: Am Anfang wurde das Universum erschaffen. Was allenthalben als Schritt in die falsche Richtung angesehen wurde. Der anschlieߟende Flug ab Tegel gestaltete sich recht ereignislos. Die Sandwich-Frage "€žThunfisch, Huhn oder Koscher" sollte man auf keinen Fall mit "€žKoscher! Wenn die Maschine von Arabern entführt wird, habe ich es so wenigstens als Erster hinter mir." beantworten. Ist nicht witzig. Ich weiߟ übrigens gar nicht, was das alles mit dem Nahost-Konflikt soll. Im Gegenteil, ich erlebte es im Vorfeld sehr verbindend: Einige Anrufe aus ungewöhnlichen Ecken gehabt, die beste denkbare Familienzusammenführung. Besonders rührend war Groߟ-(oder Groߟgroߟ-)Tante Waltraud, 92 Jahre Lebenserfahrung, aus dem schönen Hinterzarten im Schwarzwald.

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NOX, never lost!

Es ging ohne Probleme durch Paߟkontrolle/Zoll und pünklich zum Sonnenuntergang spie uns der Flughafen Ben Gurion dem heiligen Land vor die Füߟe. "€žWeit entfernt vom Mittelmeer zu leben, ist ein Irrtum." so vermerkte es E.M. Cioran und da er neben seiner Pariser Zeit auch einige Jahre in Berlin verbringen musste, kann man ihm gewisse Kernkompetenzen nicht absprechen. Berlin, das Tel Aviv Deutschlands, verabschiedete uns mit Schneeregen und hier herrschten an diesem Novembernachmittag äuߟerst angenehme 25 Grad. Die nächsten 9 Tage sollte keine Jacke und keine lange Kleidung mehr vonnöten sein.

Nun galt es, einen Weg nach Tel Aviv zu finden, der nicht über die Autobahn führte. Der erste Versuch führte uns in einem groߟen Bogen, eine halbe Stunde später wieder zurück zum Flughafen. Bevor sich das zu einer Variation des beliebten „Und täglich grüߟt das Murmeltier"-Motivs auswachsen würde, fügten wir uns und nahmen einfach die Autobahn nach Tel Aviv; der Standstreifen war breit und der Verkehr auch einigermaߟen ruhig. Immerhin. Spannend waren die häufigen Ein- und Ausfahrten und das Kreuzen mehrerer Spuren um die Richtung zu halten. Hin und wieder wurde nett gehupt und so langsam wurde es dunkel.

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Wir fahr'n fahr'n fahr'n auf der Autobahn fahr'n fahr'n fahr'n auf der Autobahn

Dann bekamen wir sogar Gesellschaft und überholten einen Hippie auf einem Trekkingrad, mit dem wir bei einem späteren Halt, zum Anbau der Lichttechnik, auch ins Gespräch kamen. Das Gespräch startete in Englisch, es ging um den richtigen Weg ins Zentrum, bis die Frage auftauchte „Ihr sprecht doch deutsch miteinander?" und sich der Hippie als Weltenbummler aus Brixen herausstellte. Er war seit August auf dem Landweg unterwegs und kurz vor seinem Ziel Jerusalem. Sehr sympathisch war das dicke Stativ, auf dem ansonsten gar nicht mal so eng bepackten Gepäckträger; da setzte noch jemand die richtigen Prioritäten. Zu erzählen hatte er noch so einiges und für die Nacht suchte er ein Franziskanerkloster auߟerhalb von Tel Aviv, in dem man wohl günstig unterkommen würde. Gute Reise wünschend verlieߟen wir die Autobahn und suchten den richtigen Weg ins Zentrum oder ans Meer, je nachdem was zuerst kam. Die Autobahn lag hinter uns und wir waren am Ziel: Tel Aviv. Das Zeitgefühl spielte etwas verrückt, es war sommerlich warm und dunkel, was sich wie 22.00 Uhr anfühlte, obwohl es doch noch nicht einmal Sechs Uhr abends war.

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Der sich darbietende Straߟenverkehr ist reichlich irre, im Zweifelfall wird gehupt und draufgehalten und als Fahrradfahrer führt mein kein, ich wiederhole, kein Licht mit. Mit unseren Lumenschleudern waren wir sofort als Touristen zu erkennen.

Ein angenehmer Nebeneffekt des mediterranen Verkehrschaoses ist in dem Wegbrechen aller Hierarchien zu sehen. Noch das kleinste Fahrzeug hupt selbstbewuߟt den von rechts kommenden groߟen Bus an und zwängt sich energisch in die nicht existierende Lücke. Jeder, wirklich jeder rechnet mit einer völlig irren Aktion seines Gegenübers und am Ende fügt sich alles irgendwie zusammen. Nicht immer harmonisch und streߟfrei, aber es funktioniert und wenn man an dieser Stelle eine politische Analogie aufmachen könnte wäre der Nahe Osten beruhigt. Aber so einfach ist es dann doch nicht und trotzdem würde ich lieber in Tel Aviv denn in Berlin zur Arbeit fahren. Was Berliner Autofahrer wohl vermissen würden, wäre mein distanziert-verstörter "€žHey!? Arsch!?"-Blick, den ich beim ܜberqueren einer grünbeampelten Straߟe in dem Augenblick aussende, in dem rechtsabbiegende Autos für mich bremsen. Zwei Blicke treffen sich und an keiner anderen Stelle im öffentlichen Raum sind Selbssicherheit und Unsicherheit, Angst und Rechthaben, Panik, Ego und Aggression in einem kurzen Augenblick so sehr an einem Punkt versammelt.

Auch gar nicht so einfach ist es, ein Hotel zu finden, wenn man den Schriftzeichen überhaupt keinen Sinn zu entlocken vermag. Ein wenig waren wir wohl auch noch im falschen Teil der Stadt und so wurde die erstbeste Blondine auf einer Bank angesprochen, die sich als Immobilienmaklerin mit südafrikanischem Hintergrund herausstellte. Nach dem Austausch unserer Lebensgeschichten (boy meets girls, girl comes to Tel Aviv, girl divorces boy, girl stays, Tel Aviv rulez!) startete sie einige Telefonanrufe und gab eine Richtung vor. Wir nahmen die Richtung und waren auch bald in den richtigen Vierteln, die Hotels und Pensionen sahen inzwischen auch so aus, Angebote wurde eingeholt und das Beste gewann die Auschreibung. Mit einem Stadtplan ausgestattet ging es sodann Richtung Meer und Altstadt: Essen abfassen und Baden im Mittelmeer standen auf dem Programm. Das geschäftig urbane Treiben an der Strandpromenade und die russisch-orthodoxe Kirche verdienen besondere Erwähnung.

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Essen fassen in der Altstadt

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Strandpromenade

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Die Immobilienblase in Tel Aviv

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Nun, wesentlich interessanter war das unterwegs nicht. Oder mir war zum Fotografieren zu heiߟ.


Am nächsten Morgen klingelte der Wecker eine Stunde zu spät, denn wer kümmert sich in der Ferne schon um die Stunde Zeitverschiebung, EP suchte einen Fahrradladen und gegen 11.00 Uhr startete endgültig die Fahrt Richtung Jerusalem, welches 70km entfernt auch mal eben 1000 Meter höher liegt. Es war mindestens mantovaheiߟ und teilweise richtig steil. Von Waldgeist hatten wir einen Kontakt in Jerusalem bekommen, der allerdings nur bis 16.00 Uhr erreichbar sein würde. Eine Zeitvorgabe, die im Verlauf der Etappe immer unrealistischer wurde. Einmal fuhren wir noch einen falschen Hügel hoch, was uns, so berichtete eine freundliche Passantin, in eine Sackgasse in ein Nebental führen würde und dann kamen die folgenschweren Worte, dass wir wieder einmal die Autobahn nehmen müssten und dass wir unbedingt vorsichtig sein sollten.

Ein Rat, dessen groߟe Weisheit sich alsbald offenbaren sollte, denn die Autobahn nach Jerusalem war, im Gegensatz zum Erlebnis am Vortag, schon von anderem Kaliber: Sehr stark befahren, drei bis vierspurig, jeder nötige Spurwechsel bei Ein- und Ausfahrten war ein kleines Abenteuer und das linksseitige Kreuzen zweier Spuren um nicht vorzeitig abfahren zu müssen, konnte man schon unter Kamikaze verbuchen. Aber all diese Aktionen führten uns wenigstens irgendwann wieder auf den rettenden Standstreifen zurück! Immerhin.

Im Mittelalter gab es für Mutige und Entdecker die ins Heilige Land wollten oder davon träumten die beliebte Reiselektüre "Die Reisen des Jehan de Mandeville", ein reichlich verwegenes Buch voller Wunder und ܜbertreibungen. Aber das sich anschlieߟende Schauspiel, die unglaublichen Gefahren und Abenteuer, hätte selbst die Fantasie eines schlitzohrigen, charmanten, mittelalterlichen Schelmes übefordert:

Something was about to happen, something big, wie Axl zu sagen pflegt.


Cliffhanger!
 
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Mein Favorit an eingestreuten Nebensächlichkeiten bisher: "Bisher passierte folgendes: Am Anfang wurde das Universum erschaffen. Was allenthalben als Schritt in die falsche Richtung angesehen wurde." Und die Sache mit Bianca aus der C-Klasse.

Twobeers
 
Teil 3: Worin von einem Mann berichtet wird, der während des Fluges versuchte auszusteigen und als dies nicht ging, dem Piloten mitteilen wollte, das Flugzeug fliege zu tief.

Jenen unglücklichen Reisenden hatte der wahnhafte Gedanke befallen, er könne einen Absturz nur durch eine Liebeserklärung abwenden. Er wurde in die Business Class versetzt. Hier könnte die Schelmengeschichte mit einem Lächeln enden, günstiger kommt man nicht an eine Aufbettung, wenn er sich nicht wenig später abermals auf dem Weg zum Cockpit gemacht hätte, um die Liebeserklärung über Lautsprecher durchzugeben.

Reisen gefährdet eben entgegen landläufiger Meinung nicht nur Leib und Leben. Auch psychische Probleme treten unterwegs viel häufiger auf. Reisen ist hochgefährlich. Ganz abgesehen von den gesundheitlichen Risiken, den Unfallgefahren, der Möglichkeit, einem Bombenattentat zum Opfer zu fallen oder entführt zu werden, um Tantchen Waltraud an dieser Stelle auch einmal zu Wort kommen zu lassen, neben all diesen Risiken setzt sich der Reisende einer hohen und weithin unterschätzten Wahrscheinlichkeit aus, verrückt zu werden. Und kein Ort der Welt ist dafür geeigneter als Jerusalem.

Etwa 200 Besucher der Stadt erkranken jedes Jahr an einer Jerusalem Syndrom genannten Psychose, die sich unter anderem in Wahnvorstellungen äuߟert: Der oder die Betroffene identifiziert sich vollständig mit einer heiligen Person aus dem Alten oder Neuen Testament. Um das Jahr 2000 beherbergte die geschlossene Psychiatrie Jerusalems drei Jungfrauen Maria auf einmal. Pythonesk wird es, wenn ein Messias zu einem anderen aufs Zimmer gelegt wird. Dann wird sich gegenseitig des Betrugs bezichtigt.

Ich hatte mir also vorgenommen, wachsam zu sein. Was würde das bitte auch für einen Eindruck machen, wenn ich nackt auf den Mauern der Altstadt tanzte, um den verdorrten Boden Israel zu befruchten. Aber der Wahnsinn ist ein listiger Geselle, er lauert in unerwarteten Ecken und damit geht es wieder zurück auf die Autobahn: Der Verkehr hatte inzwischen Rush Hour Berliner Ring-Qualitäten erreicht und Spaߟ machte mir das alles längst nicht mehr. Und dann blies auch schon der fünfte Engel seine Posaune. Ich sah einen Stern, der vom Himmel auf die Erde gefallen war; und mir wurde der Schlüssel zu dem Schacht gegeben, der in den Abgrund führt. Und ich öffnete den Schacht des Abgrunds. Da stieg Rauch aus dem Schacht auf, wie aus einem groߟen Ofen, und Sonne und Luft wurden verfinstert durch den Rauch aus dem Schacht.

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Da geht er dahin, mein Standstreifen ...

Was war passiert? Der Standstreifen endete plötzlich, einfach so, weg! Das Verstecken auf dem, zunehmend schmaler gewordenen, Radwegersatz war nicht mehr. Und es ging flott ins Tal. Die Geschwindigkeit erreichte mühlelos 60 km/h und mehr. Hinter mir drückte ein LKW, ein Toyota überholte links, das Amüsements der Insassen wäre nur dadurch zu übertreffen gewesen, das ich sie überholt hatte. Aber vielleicht hatte EP das längst erledigt, der, längst ausser Sicht, Richtung Felsendom schoss. Und das alles ist nur die Zustandsbeschreibung einer einzigen Sekunde, denn der Verkehr floss zügig und wir waren mittdrin. Auf Fahrrädern, Himmel und Hergott nochmal! Das war nicht der Falzarego Pass, denn man alleine in Angriff nahm, jede Serpentine in aller Ruhe anbremsend, nein, wir steckten mitten im hektischen Berufsverkehr einer Groߟstadt. EP erzählte später, unbestätigt aber glaubhaft, etwas von 80 km/h, die der Tacho anzeigte, was praktischerweise auch die erlaubte Höchstgeschwindigkeit war, nicht auszudenken, wenn wir auch noch eine Geschwindigkeitsübertretung begangen hätten, bei besagten 80 km/h setzte er zum ߜberholen eines LKWs an, überlegte es sich dann aber wohl doch noch einmal anders. Ich zeterte derweil im hinteren Feld, ob ich slapstickhaft laut schrie wird gefragt, ich glaube nicht, antworte ich ehrlich, möchte es aber auch nicht völlig ausschlieߟen. Eines ist sicher, mir war das alles zuviel, hatte ich also endlich doch meinen kleinen Nervenzusammenbruch? Aber ich fühlte mich so gar nicht neutestamentlich. Um meine Lage zu verstehen, müssen wir den Fokus der Erzählung kurz in eine andere Weltstadt verlegen. Wir sind gleich wieder zurück.

In der der japanischen Botschaft in Paris steht ein rotes Telefon welches einige Dutzend Mal im Jahr klingelt. Grund des Notrufs sind Nervenzusammenbrüche, vorwiegend weiblicher, Parisbesucher zwischen 25 und 35 Jahren. Die Risikogruppe junger Frauen reist mit ungewöhnlich hohen Erwartungen und romantischen Vorstellungen an und trifft auf ein Paris, welches dann doch nur eine gewöhnliche, nicht immer ganz saubere, chaotische Groߟstadt mit gehetzten bis unfreundlichen Menschen ist. Ein Moloch, der so gar nichts mit dem Klischee der Stadt der Liebe zu tun hat. Und so zerfällt die Meg Ryan-Paris-Fantasie kleiner Japanerinnen: Kevin Kline gibt nur den Otto aus "€žA Fish Called Wanda"€œ und nicht den romatischen Liebhaber aus "€žFrench Kiss"€œ, alles ist ganz furchtbar und eine hysterische Episode, das Paris Syndrom, ist das Ergebnis.

Und auch ich, wieder auf der Autobahn nach Jerusalem, hatte mir das alles ganz andes vorgestellt. Ich sah mich bisher immer im Kugelhagel meiner Feinde, beim Durchsteigen der Eigner Nordwand oder minimal beim Einfädeln auf dem Groߟen Stern sterben, aber das sinnlose Verrecken im Fahrradsattel auf einer Autobahn war bisher in meine Lebensplanung nicht integrierbar. Als ich EP -grinsend am Straߟenrand- wiedertraf zog ich erst einmal richtig vom Leder und beruhigte mich nur langsam. Wer nicht dabei war, hat etwas verpasst, denn mein gewöhnlich ausgeglichenes Wesen liefert nicht oft den Anblick eines solchen Schauspiels!



In den nächsten Teilen kann ich endlich auch mehr Bilder sprechen lassen, keine Angst ....
 
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Teil 4: Nike-Schuhe !!! Ab 20 Schekel !!!

Das Durchfahren der Vororte von Jerusalem gestattete es mir, mich langsam zu beruhigen. Das enorme Verkehrsaufkommen zuvor erklärte sich auch schnell von selbst; alles wollte vor dem Feierabend noch schnell nach Hause und inzwischen war der Verkehr fast vollständig zum Erliegen gekommen. Abgesehen von einigen Taxis fuhr nichts mehr. Es war Freitag und mit dem Sonnenuntergang beginnt der Schabbat, der erst am Sonnabend auch mit dem Sonnenuntergang endet.

Mit Nadav hatten wir uns am Markt verabredet, welcher ebenfalls abgebaut und nahezu ausgestorben war. Die Wartezeit konnte man sich mit dem Studium der orthodoxen Kleiderordnung vertreiben, von dunklen Pelzmützen bis zu weiܟen Gewändern reicht das Spektrum. Unser ausgesprochen sympathischer Kontakt hatte wenig Mühe uns zu erkennen und so folgte auf eine kleine Stadtrundfahrt ein Empfang in der Wohnung wo es WaÜer und die wichtige Karte für das Westjordanland gab. Auf hebräisch zwar, aber EP meinte, Bauchgefühl würde die fehlenden Informationen schon ersetzen. Und da es in der Wüste, wie wir später feststellen sollten, keine Wegweiser mit Ortsnamen oder Entfernungsangaben sondern höchstens farbige Markierungen gibt, sollte dieses Wagnis auch beinahe aufgehen. Zweimal hat es uns vom Kurs geweht, aber dazu später. Als Quartier schwebte uns eine standesgemäܟe Unterkunft in der Altstadt vor und so ging es zuerst einmal Richtung Weltkulturerbe.

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Calling Nadav ...

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1917 brach der Widerstand der -von deutschen Befehlshabern unterstützten- Osmanischen Truppen in Palästina zusammen. Edmund Allenby, Kommandeur der britischen Truppen in ܄gypten, kam 1917 als Eroberer nach Jerusalem. Bei seinem Einzug durch das Jaffator stieg er vom Pferd ab, so wie es die Pilger seit Jahrhunderten taten. 20 Jahre früher lies man für Kaiser Wilhelm II. zwar nicht, hier irrt die Anekdote, eine Bresche in die Stadtmauer schlagen, aber es wurden einige Erdarbeiten durchgeführt damit seine Majestät auf dem Pferde, nicht mit dem Preuܟenpickel am Torbogen hängen blieb. Letztendlich auch nur eine moderne, auf Insignien der Macht gemünzte, Interpretation des biblischen "€žEher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als daÜ ein Reicher in das Reich Gottes gelangt"€œ-Motivs. Nach so mancher Deutung bezieht sich dieses Bild auf eine enge GaÜe in Jerusalem mit einem kleinen Tor am Ende, welches ein Kamel nur paÜieren kann, wenn es kniet und nicht mit zu vielen Gütern beladen ist. Wir reisten sowieso mit leichten Gepäck, konnten unsere Herkunft aber nicht leugnen, nahmen uns also am letzten Deutschen Kaiser ein Beispiel: und so fuhren Eispickel und Will ebenfalls hoch zu Roܟ durch das Jaffator in die Altstadt von Jerusalem!

Bei den Franziskanern gab es keine Unterkunft mehr, aber der Knights Palace, ein Gästehaus des Lateinischen Patriarchats von Jerusalem, Oberhaupt der römischen Katholiken in Israel und den Palästinensergebieten, bot eine Unterkunft.Der Preis war zwar über dem Durchschnitt, aber angesichts des gebotenen Standards in Ordnung. Die Fundamente des maÜiven Gebäudes reichen zurück bis in die Zeit des Königreiches Jerusalem, des Kreuzfahrerstaates aus der Zeit des Ersten Kreuzzuges, ein Ausbau im 19. Jahrhundert bot groܟe Räume und höchsten Komfort. "€žHoly Land TV"€œ hatte sein Fernsehstudio im Keller und in jeder Ecke standen, an jeder verfügbaren Wand hingen, prachtvolle Rüstungen, Throne, Gemälde und Statuen, mit einer Beiläufigkeit, die wirklich geschichtsträchtigen Orten nun einmal eigen ist.

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Die Erkundung der Altstadt begann im arabischen Viertel wo reger Handel betrieben wurde, während das jüdische Viertel jedes Anzeichens von Leben beraubt war. Ein mit militärischem Nachdruck gerufenes "€žSTOP"€œ lies mich kurz erschrecken, aber die beiden stark bewaffneten Posten der israelischen Armee wollten nur Preis und Verfügbarkeit der Lampen erfragen. Die vielen arabischen Kinder und Jugendlichen empfingen uns beinahe wie Helden, kommentierten unser Erscheinen lautstark. Als wir allerdings in eine SackgaÜe gerieten, wurde aus einer Traube von einem Dutzend Kinder und Jugendlicher bis hinunter ins Kleinkinderalter, plötzlich eine aggreÜive Bettlertruppe, der man sich mit sanftem Nachdruck wieder entziehen muÜte. Die Klagemauer steuerten wir mit unser reichlich respektlosen Kleidung erst gar nicht an und ansonsten war wie immer zu wenig Zeit, aber das Gefühl, an einem besonderen Ort gewesen zu sein, stellte sich ohne Probleme ein.

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Ein wertvoller Tip des Hotel-Portiers, der unser nächstes Ziel Bethlehem intereÜiert registrierte, war der, nicht per Rad sondern im Bus die Grenze nach Ost-Jerusalem zu paÜieren, da sich damit die Zahl der Kontrollen erheblich verringern würde. Am nächsten Morgen wurde der Busbahnhof gesucht und erst einmal vor dem Damaskus-Tor der groܟe Schuhmarkt bewundert: Markenschuhe aller Art wurden hier lautstark von einem arabischen Marktschreier via Megaphon feilgeboten. Die Frage nach dem Bus nach Bethlehem, was wieder einmal völlig anders ausgesprochen werden muÜte, führte bald zum Erfolg und als letzte Aktion in Jerusalem sprach mich noch ein ernst dreinblickender Muslim an: er wollte mir eine Schrift zum Islam übereichen. Ich nahm dankend an, denn ich hatte sofort die richtige Idee und für das Tote Meer groܟe Pläne.

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Schuhladen. Beste Lage. Alle Marken.

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Eine halbe Stunde später waren wir in Bethlehem, Stadt im Westjordanland, in den Palästinensischen Autonomiegebieten und nach christlicher ܜberlieferung Geburtsort Jesus Christus.
 
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Blick von Bethlehem nach Ost-Jerusalem. Auf dem Hügel thront Har Choma, eine stark umstrittene israelische Siedlung mit inzwischen 20.000 Enwohnern. Streitpunkt zweier UNO-Sicherheitsratsbeschlüsse, und durch die angekündigte Erweiterung um 1.300 Siedler auch Debattenstoff in jüngster Vergangenheit zwischen Barak Obama und Benjamin Netanjahu.

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Altstadt von Bethlehem (rechts).


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... sehr beeindruckend und interessant eure Tour, obwohl es nicht so meine Ecke ist. Da wären die schönen Gegenden Italiens am Anfang dieses Threads schon eher was für mich. :D

Vielen Dank für die Mühe der kunstvollen Berichterstattung mit den sehr aussagekräftigen, schönen Fotos und dem Geschichtsunterricht. :daumen:

Werde eure Reise gespannt weiter verfolgen !

Viele liebe Grüße von sprotte. :winken:
 
Teil 5: Worin ein Mann des Glaubens mich als seine gröߟte Enttäuschung bezeichnet


Es war die Zeit von The Cure, Depeche Mode und ein streng behütetes "€žMaster Of Puppets"€œ-T-Shirt trug ich auch sehr oft; die Zeit von Begriffen wie Tschernobyl, XI. Parteitag und CAD/CAM, eine Parallelwelt zur Generation Golf, in der zwei oder dreimal in der Woche, ich habe es längst vergeßen, nachmittags der Ranzen in die Ecke flog, das 24er Rennrad geschultert und ins Gemeindehaus geradelt wurde. Dort traf sich ein Dutzend Gleichgesinnter oder zumindestens ein bunter Haufen, der Bßcher wie "€žDas laufende Wort"€œ las, Bibelzitate durchging, mit ersten Drogen in flüssiger Form experimentierte und im Aufenthaltsraum Musikinstrumente malträtierte.

Es war aber auch die Zeit eines epischen Kräftemeßens, in dem ich mich mit allen Mitteln der anstehenden Konfirmation zu entziehen versuchte. "€žDu bist meine gröߟte Enttäuschung, Matthias!"€œ so sprach der Pfarrer nicht nur einmal im Laufe der langen Gespräche mit dem fßr und wieder des Eintritts in das kirchliche Erwachsenenleben. Und ich wollte nicht etwa ein gröߟeres Fahrrad oder eine Simson, und damit eine Jugendweihe, sondern ich wollte erst einmal nicht konfirmiert werden, denn das war mir alles nix. Ein wenig differenzierter mag ich sicher argumentiert haben.

Gründe warum ich doch jede Woche wiederkam, war neben Oma, die diesem Staatsphänomen das sich östlicherseits an die BRD anschmiegte sehr skeptisch gegenßberstand, ein Gefßhl, das aktenkundig auf Gegenseitigkeit beruhte, und die ein kirchliches Engagement des Enkels als eine Art Rßckversicherung fßr noch schlechtere Zeiten sah, war auch der Pfarrer, den ich doch aber so enttäuschte. Ich blieb, weil das Bier auf den Festen nichts kostete und neben all dem furchtbar banalen Auseinanderpflßcken von Bibelstellen und dem Gelerne von Heiligen, er über Geschichte und biblische Orte mit einer Kundigkeit, Leidenschaft und einem spirituellen Leuchten in den Augen reden konnte, den man in all dem sonstigen blutleeren evangelischen Mittelbau, dem nicht ganz zufällig eine gewißer Manfred Stolpe als Konsistorialpräsident vorstand, nicht vermutet hätte. Jerusalem, Bethlehem und Jericho, das waren magische Orte, die so viel versprachen und so unendlich fern schienen und die er zum Leben erweckte. Ich hab 1987 sicher nicht damit gerechnet jemals vor der Geburtskirche Jesu Christi zu stehen, an deren Bild im Flur ich mich ßberdeutlich erinnere, noch wird Jßrgen, what a name for a priest!, eine Chance gesehen haben. Was wohl aus ihm geworden ist, fragte ich mich, als wir leibhaftig davorstanden.

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Der Bus hatte uns an einem belebten Platz in Bethlehem abgesetzt, ein Schwarm williger Taxifahrer bildete sich sofort um uns. Jede Frage nach dem Weg erhielt die Antwort, doch bitte einzusteigen. Wer sich ßbrigens gewundert hat, was aus dem Grege-Mobil geworden ist, der schaue sich doch einmal im Westjordanland um. Die 80er Jahre Ikone, die Mercedes Benz W124 Reihe, scheint hier ihren zweiten Frühling zu erleben. Etwas dick um die Hßften ist sie geworden, denn als erstes wird anscheinend eine Flex auf die Karoßerie losgelaßen und so dann eine fünfte und sechste Tür eingebaut. Derart verlängert, dem langen Arm des TܜV bisher noch entzogen, wünschen wir den Palästinensergebieten diese Art von Normalität wirklich?, schwirren unzählige Stretch-Taxis als dominierender Verkehr über die staubigen Straߟen.


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Nach Besichtigung der bis zu acht Meter hohen israelischen Sperranlage ging es hoch zur Kirche und dem entsprechenden Gegenstück, wir sind schlieߟlich im Heiligen Land, wo mehrere Weltreligionen ihren Platz an der Sonne suchen, der gegenüberliegenden Omar-Moschee welche mit einen Arafat-Transparent bespannt war. Jaßir Arafat, Freiheitskämpfer, Terrorist, Fatah-Gründer, Guerillakämpfer und schlieߟlich Präsident war in Souvenirshops, Buchläden und Beflaggungen allgegenwärtig. Leider wußte im Gebäude der Palästinensischen Autonomiebehörde niemand Rat wie es denn nun zum Toten Meer ginge und unsere hebräische Karte war auch keine Hilfe. Ach und die Toiletten funktionierten nicht! Es sind immer die Kleinigkeiten! Irgendwas ist immer!

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Ein Name Za€™tara kristallisierte sich als Fixpunkt heraus und wir nahmen Fahrt auf, denn wie immer herrschte Zeitdruck. Vorbei an Putzkolonnen augenscheinlich christlich US-amerikanischer Jugendgruppen, imposanten Villen und netten Reihenhäusern verlieߟen wir Bethlehem stetig Richtung Niemandsland. Gelegentlich ßberholte noch ein vollbesetzter Kleinbus in atemberaubender Geschwindigkeit, am Straߟenrand waren plötzlich Wachtßrme, Absperrungen taten sich auf, umzäunte Siedlungen positionierten sich gegen slumähnliche Hßttenkomplexe, die ganze Zerrißenheit des Siedlungsgebietes wurde schlagartig sichtbar. Meinen ersten Platten der Reise durfte ich zu Fuߟe eines Rohbaus, was sicher ein kulturelles Miߟverständnis ist, denn erstaunlich viele Häuser sehen unfertig aus, flicken, auf deßen Dach sich augenblicklich ein Dutzend Kinder versammelte. Auch ein Greis stand eine Weile dabei und murmelte höflich leise, in Lautstärke und Sprache unverständlich; sicher nur die üßblichen sarkastischen Bemerkungen, die sich jeder Schlauchwechsler schon einmal anhören mußte. Einmal vertrauten wir EPs Bauchgefßhl, verlieߟen die Straߟe und erreichten tatsächlich Za€™tara.

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Nachdem wir seit Bethlehem einige Höhemeter geschafft hatten, ging es nun zügig bergab durch den Ort. An den kargen Hängen klammerten sich halbfertige Häuser, groߟe Gruppen von Menschen standen auf den Straߟen und ehe ich noch überrascht "€žDas macht man aber nicht!"€œ rufen konnte, wurde in einer Gruppe Jugendlicher ein Stein gehoben und nach mir geworfen. Ein Stein einer Gröߟe, deßen Wurf den Körper eines Teenagers schon fordert, ein Gewicht, deßsen ballistische Auswirkungen ich auf meinem Körper nicht spßren möchte, und ein Stein der sein Ziel, mich, nur knapp verfehlte. Ich möchte dieses Pfeifen des knappen Verfehlens gar nicht weiter thematisieren, diesen nächsten groߟen Schrecken der Reise. Wßnschen wir diesem palästinensischen Jungen, daß sein sozio-ökonomischer Status es ihm bald erlauben wird, im Internet zu surfen und bei Facebook Freunde zu finden, aber auch diese Zeilen zu lesen und über sein Tun zu reflektieren.;)

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Ein letzter kleiner Hügel wurde überquert und der sich bietende Anblick machte das Programm für die nächste Woche klar. Ein Geologe mag uns erzählen, dass wir schon die ganze Zeit in der Wüste waren, aber jetzt sah es auch endlich so aus!

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Ich werde mal das Tempo anziehen, verquatsch mich sonst völlig.:p





Teil 6: Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!


Die Straße begleitete uns noch etwa einen Kilometer, bis genau vor die örtliche Müllkippe, welche leicht brannte.

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Dann waren wir auf uns gestellt, es gab einen mehr oder weniger deutlich erkennbaren Weg und alle paar Kilometer stand mal ein Stein mit blauer oder grüner Markierung im Weg. Etwa 30 Kilometer lagen vor uns.

Gestartet waren wir bei einer Höhe von 800m. Auf Berlin-Höhe müssten wir zum ersten Mal das Tote Meer sehen können. Bis auf 400 Meter unter dem Meeresspiegel würde es hinabgehen, der tiefste Ort der Welt halt.

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Sind wir schon da?

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Nein!

Die immer wiederkehrende Frage der nächsten Stunden "€žSind wir schon da!?"€œ bezog sich immer zuerst auf Berlin bzw. die Höhe, wann würden wir endlich den Rand des Plateaus erreichen. Bei 50m über Null gab es immer wieder Sichtungen, die Farben der Steine wechselten unablässig ihre Sandtöne von braun zu grau zu gelb zu rot, trügerische Ebenen täuschten folgende Abgründe vor, doch dann war es endlich geschafft. Der Blick auf das Tote Meer war freigegeben!

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Na das hat sich aber mal wirklich gelohnt ... und wie geht es nun weiter?
 
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Die Abfahrt

Der technische Anspruch und das Panorama muss sich hinter keiner Dolomiten-, Gardasee- oder La Palma-Geröllrutsche verstecken. Gut, es handelt sich nur um rund 400 Höhenmeter und die Abfahrt startet bei knapp über Null. Und ich fürchte, die Bergrettung ist nichtexistent. Und an einigen Stellen hatte sichtlich noch keine Totem den Weg freigeräumt, man sollte die Frequentierung der Route nicht überschätzen;), das war dann was für Trialer.

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Wir endeten zu Füßen einer Baumschule und hatten nun noch 30km Straße vor uns. Das Kibutz En Gedi, wieder auf israelischem Territorium, war unser Ziel. Die Sonne ging unter, das Licht wurde montiert und nach Passierung einer palästinensischen Straßenkontrolle erreichten wir im Dunkeln, recht unspektakulär, unser Ziel.

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Danger! Forbidden! Beginnend eine Stunde vor Sonnenuntergang, das traf zu.

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Die Jugendherberge war belegt, zwei Mädels empfahlen uns am Strand zu schlafen, wir fuhren aber noch zu einer Field School und bekamen dort einen Bungalow.

Morgen wird gebadet, oder vielmehr gefloatet!
 
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Ein weiteres Kleinod herausragender Bike-Erlebnis-Berichte, dazu noch wunderbar fotografiert. :daumen:

Ein wenig schade, dass es im "Berlin und Umgebung" Unterforum ein wenig ein Schattendasein fristet - aber wie dem auch sei: bitte weitermachen - ick freu mir! (oder so ähnlich) :)
 
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... ick'hätt am Strand jeschlafen, wären bestimmt noch die Mädels jekomm !!! :lol:

Sonst wie immer, super Erlebnisse, super kommentiert und bebildert !!! :daumen:

Beeindruckende Abfahrt !!! :eek:

Nun weiter bitte, will euch noch uf'm toten Meer liegen sehen. :D

Viele liebe Grüße von sprotte. :winken:
 
Hehe Sprotte mein Freund... ich bin mir ziemlich sicher, dass wenn Du dabei gewesen wärst, die Mädels ganz bestimmt auch direkt bei uns im Bungalow vorbeigekommen wären ;)

Aber mal ehrlich, nach diesem Tag hatte zumindest ich nicht die geringste Lust im besten Falle irgendwo auf einer harten Strandliege unter freiem Himmel zu verbringen. Ein Bett musste her... !!!

Deinen Wunsch nach Wasser und Meer wird Bademeister Will ganz bestimmt demnächst irgendwann befriedigen :winken:
 
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