22.07. 17:45 Camp im Geisterdorf Cha, 3900m
Auf gehts zum zweiten Teil der Zanskar-Durchquerung: Von Padum nach Süden über den "Shingo La" und drüben tief hinab bis zur Hauptstraße in Darcha. Es steht also eigentlich nur noch ein einziger Pass im Weg, allerdings mit über hundert Kilometer "Anfahrt" durch ein elendiglich langes Tal. Fängt allerdings recht schmal und hübsch an, das passt schon.
Wie in Zanskar üblich, ist die Straße im Prinzip eine ewig lange Sackgasse. Autoverkehr ist also keiner, bis auf ein bis drei Taxis am Tag für die verstreuten kleinen Dörfer weiter hintem im Tal.
Das wird sich allerdings bald ändern: BRO ist auch hier schwer am werkeln. Die "Border Roads Organisation" hat sich dem Fortschritt verschrieben, die neue Piste zwischen Padum und Darcha ist fast fertiggestellt. Es fehlen wohl nur noch zehn Kilometer, dann kommt man mit dem Auto durch. Freilich, das fehlende Stück ist schwierig zu bauen. Aus dem "one more year"-Zitat was ich allenthalben höre, könnten genau so gut drei oder fünf Jahre werden, oder noch mehr. Aber wenn die Verbindung dann mal steht, wird sich die Fahrzeit vom indischen Tiefland nach Padum um zwei bis drei Tage(!) verkürzen. Dann ist's jedenfalls vorbei mit der Ruhe und dem Trekking in diesem Tal.
Ich bin jedenfalls erst mal ganz froh über den Straßenbau und die damit einhergehenden Brücken. Die seitlich herabstürzenden Bergbäche führen doch eine ganze Menge übles Wasser, auf einem schmalen Trekkingwegerl wären da wohl Probleme garantiert.
Nach vierzig Kilometern relativ anstrengender Holperpiste gibt's erst mal ein heisses Schokipicknick. Zu essen hab ich quasi nix dabei, angeblich kann man sich in den Dörfern unterwegs prima bekochen lassen. Nix dagegen einzuwenden, hab sowie erst mal die Nase voll von Fertignudeln und Tütensuppen.
Zehn Kilometer weiter und kurz vor dem Ort "Cha": Die Piste endet hier, mehr oder weniger mitten in der Pampa. Hätte vielleicht schon vorher auf einen Fußweg abzweigen sollen... oder sehr viel weiter vorher im letzten Ort die Flussseite wechsen hinüber zur Trekkingroute. Hätte hätte Fahrradkette: beides nicht gemacht. Zurück will ich aber auch nicht, das kommt immer so uncool. Also würge ich mich ein wenig unbeholfen auf schmalfelsigen und selten begangenen Kletterpfaden am Steilufer entlang.
Trotzdem geil. Meistens wenigstens.
Mein Ziel ist diese Brücke hier bei "Zamdang", keine dreihundert Meter mehr entfernt. Aber so sehr ich auch gucke und suche, ich sehe sie einfach nirgends. Muss wohl daran liegen, dass sie nicht mehr vorhanden ist. Eine andere Erklärung fällt mir nicht ein. Nunja... relativ unangenehm... bedeutet es doch einen Umweg von wenigstens fünf Stunden, hinauf in ein Seitental linkerhand, dort über eine hoffentlich noch vorhandene Brücke, dann irgendwann drüben wieder runter. Freilich kommt man dabei am relativ bekannten Kloster "Phuktal" vorbei, also ist's nicht ganz so dramatisch. Wollte mir das eigentlich schenken, hab schon zu viele davon gesehen. Aber die Option gibt's jetzt nicht mehr, das Kloster gewinnt.
Das ist allerdings ein Problem für morgen. Die heutige Schwierigkeit scheint eher die Übernachtung im Dorf "Cha" zu werden.
So sehr ich auch suche und rufe, es ist einfach KEIN MENSCH HIER. Alles zu und verrammelt, komme mir vor wie in einer Geisterstadt.
Und wer koch mir jetzt mein Essen?!
Ich streife eine Weile durch den verlassenen Ort, klopfe an einige Türen, rufe immer wieder. Schlussendlich sehe ich neben einer riesigen Gebetstrommel sitzend eine uralte Frau. Sie dreht und dreht und dreht an dem Ding rum und würdigt mich keines Blickes, geschweige denn einer anderen Reaktion. Als sie irgendwann endlich mit ihrem Drehwurm aufhört, folge ich ihr einfach ungefragt. Wir erreichen ein Hausmit recht viel Yakmist auf dem Dach. Ein gutes Zeichen, vielleicht von Reichtum?
Im inneren befindet sich zu meiner Erleichterung die 14-jährige Enkelin, derzeit auf Sommerferien-Besuch im Heimatdorf aus der zwei Tagesmärsche entfernten Schule. Engslischkenntnisse vorhanden, Kochkenntnisse ebenfalls, Abendessen und Frühstück sind gerettet. Und eine Erklärung für das Geisterdorf bekomme ich ebenfalls: Natürlich sind gerade ALLE Bewohner unten in Padum beim Dalai Lama und lassen sich zwei Tage lang belehren. Ein tolles Timing hab ich da, für meinen Homestay-Plan-Ohne-Nudel-Schlepperei. Aber was solls, heute hat's ja schon mal geklappt, wenn auch mit ein paar Schwierigkeiten. Und in spätestens zwei Tagen bin ich durch Zanskar durch. Weiter oben im Tal werden schon noch ein paar Leute und ein bisserl Essen übrig sein. Mahlzeit jedenfalls...
...und gute Nacht.