FEM
Nun geht es an die Berechnung, um Wandstärken und Layup zu bestimmen.
Einiges zum Thema Finite-Elemente-Methode habe ich bei meinem Enduro schon erläutert (
Link) und in meinem Corona-Hilfspaket gibt es auch ein paar interessante Beiträge zu dem Thema:
Aus dem Nähkästchen geplaudert #1: Wie genau ist eine FE-Berechnung?
Aus dem Nähkästchen geplaudert #2: Lebensdauer auf 900% gesteigert – oder doch nur 899%?
Aus dem Nähkästchen geplaudert #3: Vernetzung
Aus dem Nähkästchen geplaudert #4: Schweißnähte
Deshalb picke ich mir hier nur ein Detail heraus, das in der Praxis gerne schief geht: den Steuerrohrbereich.
Über die Gabel werden sehr hohe Biegemomente eingeleitet. Bei der Landung nach einem Sprung biegt sich die Gabel nach vorn, bei einer Vollbremsung nach hinten. Das bewirkt im Unterrohr am Übergang zum Steuerrohr hohe Zug- bzw. Druckspannungen. Auf dem Prüfstand wird die Belastung simuliert, indem an der Vorderachse eine wechselnde Kraft senkrecht zur Lenkachse eingeleitet wird.
Ich muss gestehen, dass ich mich da nicht so sklavisch an die Prüfbedingungen halte. Für den Bremslastfall versuche ich eher, die realen Verhältnisse möglichst genau nachzubilden. Hier berücksichtige ich zusätzlich zur Bremskraft auch die Radaufstandskraft. Der Biegemomentenverlauf ist dadurch etwas anders, das maximale Moment hinter dem Steuersatz ist aber sehr ähnlich.
Bei Aluminium-Rahmen ist der Steuerkopfbereich immer kritisch und meist sind Verstärkungen nötig, um die Anforderungen zu erfüllen. Hauptproblem ist dabei, dass die ertragbaren Spannungen in der Schweißnaht deutlich schlechter als im Grundmaterial sind. Eine aufgeschweißte Verstärkung kann also die Situation sogar „verschlimmbessern“.
Carbon ist in dieser Beziehung wesentlich pflegeleichter. Lokale Verstärkungen werden durch zusätzliche Lagen realisiert, ohne Einbußen bei der Festigkeit. Man muss nur bedenken, dass die Kraftumleitung in die zusätzlichen Schichten über das Harz erfolgt - und die Festigkeit im Harz zwischen den Schichten (interlaminare Festigkeit) liegt deutlich unter der Festigkeit in der Schicht. Eine genügend große Überlappung ist nötig. Und ein allmählicher Anstieg der Wandstärke (Schäftung) ist von Vorteil, denn Steifigkeitssprünge sind auch bei Carbon Ursache von Spannungsspitzen.
Bei meinem Fatbike-Rahmen ist durch das Design (bzw. die breite Gabel) ein Knick im Unterohr vorgegeben und hier konzentrieren sich natürlich die Spannungen. Das Querschnittsbild zeigt die Verstärkung in den unteren Ecken. Hier wird zusätzlich unidirektionales Material eingelegt, um die Biegespannungen aufzunehmen.
Im folgenden Bild ist die Materialausnutzung für den Bremslastfall dargestellt. Die Verstärkung reduziert die Belastung in diesem Bereich deutlich - ohne Verstärkung gäbe es hier eine Überlastung.
Ein sehr spezielles Thema bei meinem Bike sind die Sitzstreben: die direkte Dämpferanlenkung erfordert in dieser Konstellation eine große Verformung der Sitzstreben, da sonst die Kennlinie des Rahmens degressiv wird. Und jetzt wird es fies: die Sitzstreben werden beim Einfedern um fast 30mm aufgebogen! Ein Alu-Rahmen wäre unter gleichen Bedingungen nach dem ersten Einfedern Schrott und selbst bei Carbon ist das nicht so ohne.
Die üblichen Tests decken dieses Problem nicht ab, denn obwohl Radlasten und Wiegetritt dynamisch geprüft werden, wird dabei meist ein starrer Dämpfer-Dummy eingesetzt. Ich habe die Zwangsverformung der Sitzstreben in einem separaten Rechenmodell untersucht und damit Geometrie und Lagenaufbau optimiert.
Die Verformung ist auf diesem Bild 1:1 dargestellt (also nicht hochskaliert, wie das sonst oft für die Visualisierung gemacht wird). Die Verformung passiert in der Realität wirklich so wie sie hier abgebildet ist. Wie oben schon erwähnt würde ein Alu-Rahmen unter gleichen Bedingungen das Einfedern nicht überleben, denn es wäre die Streckgrenze schon überschritten. An Dauerfestigkeit wäre da nicht zu denken.
Wie schafft man das mit Faserverbund? Ok, Carbon kann schon eine Menge, aber das? Der Trick ist hier, an den entscheidenden Stellen Glasfasern mit einzusetzen. Glasfasern sind eigentlich für Fahrradrahmen nicht interessant: die Steifigkeit pro Gewicht ist zu gering. Aber die hohe zulässige Dehnung ermöglicht z.B. den Einsatz in Blattfedern für Schienen- und Nutzfahrzeuge. Oder eben in den stark federnden Sitzrohren eines Fatbike-Rahmens.