Ostertour mit gute Laune Garantie: Wie man die aktuellen Einschränkungen optimal zum Vorteile nutzt...

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27. September 2001
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1.449
Ort
Rünenberg, Schweiz
Was macht man bei derart gutem Osterwetter? Man geht auf Bike - Zelttour in die freie Natur. Nie war es einfacher, über Ostern freie (Bike-) Plätze in den Zügen zu finden wie aktuell, also rein in den nächsten Zug und ab Richtung Delémont - Glovelier im Schweizer Jura. Bei Einbruch der Dämmerung dann ab aufs Bike und den nächsten Berg hoch, die bepackten Bikes über einen Stacheldrahtzaun hieven und auf der Juraweide den Platz mit bester Aussicht und früher Morgensonne aussuchen, Zelt stellen, Isomatte aufblasen und rein in den Schlafsack. Entgegen sonstiger Gewohnheit haben wir uns schon vorher mit Falafel im Fladenbrot verpflegt, so packen wir den Benzinkocher erst zum Frühstück für Latte macchiato / Espresso und warmes Haferflockenmüesli aus...
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Hier wird die Milch zum Erhitzen eingefüllt...

Fortsetzung folgt
 
Auf fast leeren Waldwegen und Strassen ging es am Karfreitag hoch auf die Hochebene des Kantons Jura auf Höhen zwischen 900 und 1200 Meter. Keine Flugzeuge beschmutzten mit Kondensstreifen den blauen Himmel, die Sonne brannte, aber im Schatten war es des kühlen Windes wegen recht frisch. Da die meisten Brunnen, an denen man sonst Trinkwasser nachfüllen kann, abgestellt waren (vermutlich wegen der anhaltenden Trockenheit), holten wir unser Wasser auf Friedhöfen. Über Wanderwege, Karren- und Feldwege und ganz selten Teerstrassen fuhren wir über grosszügige Weiden, die mit für den Jura typischen Wettertannen (einzeln oder in Gruppen stehenden Fichten mit Ästen bis unten) bewachsen waren. Der Kanton Jura ist auch in normale Zeiten sehr weitläufig und schwach besiedelt und wenig von Touristen besucht - aktuell trotz Ostern hat man noch mehr Platz und hat in der Regel die Picknickplätze für sich, die im sehr freiheitsliebenden Kanton Jura, dem letzten Kanton der Schweiz, der sich erst im Jahr 1979 von Bern getrennt hat, nicht abgesperrt waren wir in einigen andern Kantonen.
Wir fanden nicht einen einzigen am Karfreitag geöffneten Laden, um unsere recht mageren Vorräte mit etwas Nahrhaftem aufzupeppen, dafür kauften wir in La Chaux de Breuleux, einem kleinen Weiler nahe La Breuleux und Saignelegier, einer Bäuerin einen typischen aromatischen Hartkäse der Region namens Tete de Moine ab. Auch in Saignelegier war alles geschlossen, also erklommen wir einen Hügel oberhalb Le Noirmont und stellten unser Zelt mit wunderschöner Aussicht in perfekter Position für frühe Morgensonne:
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Im Hintergrund rechts ist der breite Bergrücken des über 1600 Meter hohen "Chasseral" zu sehen. Auf dieser Tour begleitete uns mein etwa 20 Jahre altes "Lowland Trailrunner 3" Zelt, das trotz sehr häufigem Gebrauch noch sehr gut im Schuss ist, die Reissverschlüsse laufen besser als manche moderne Vertreter dieser Gattung.

Am Ostersamstag fuhren wir über die sanften Wellen der Gegend auf Feldwegen Richtung Les Bois und von dort in das enge Seitental des Doubs, das direkt hoch nach La Chaux de Fonds führt, einem der grössten Städte Mitteleuropas auf über 1000 Meter über Meer. Dummerweise sah der Wanderweg auf der Karte wesentlich weniger wellig aus als er sich in der Realität entpuppte. Es gab immer wieder kurze, unfahrbare Abschnitte über einige bis über 30 Stufen steil hoch und danach wieder runter fast bis zum sehr steinigen Bachbett (ohne Wasser). Nach einigen Kilometern schieben mit kurzen und immer länger werdeneden Fahrabschnitten kamen wir endlich in der breiten Hochebene kurz vor La Chaux de Fonds an, noch rechtzeitig, um unsere Essensvorräte für die nächsten 2 Tage zu ergänzen. Auch hier führte kein einzigen Brunnen, an welchen wir vorbeifuhren oder extra (be-) suchten, Wasser, so dass wir die Strasse und danach die Wege mit wenig Restwasser unter die Räder nahmen, hoch in die hügeligere Landschaft südwestlich von La Chaux de Fonds, wo wir auf einem Bauernhof nach Wasser fragten und unsere Behälter mit kühlem Nass auffüllen konnten. Auch wir hatten eine Wäsche nötig, um einen Teil des Staubs abzuwaschen. Nach einer anstrengenden steilen Schiebepassage kamen wir auf einem schönen Aussichtspunkt auf über 1200 Meter Höhe an und genossen das Panorama Richtung Frankreich:
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Auf schmalem Singletrail ging es über Wurzeln und Steine hinunter, wo wir wieder einmal einen traumhaft schönen Stellplatz fanden und unser Nachtlager aufschlugen:
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Im Hintergrund rechts ist eine der imposantesten Sehenswürdigkeiten der Gegend zu erahnen: Der Creux du Van, der gerade noch von der Abendsonne beschienen wird:
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Fortsetzung folgt...
 
Hallo Dani
Toller Bericht und tolle Bilder!
Wie viel Wasser habt ihr pro Person so dabei? Wie lange reicht das dann bis wieder "getankt" werden muss?
 
In der Regel füllen wir so kurz wie möglich vor dem ungefähren Tagesziel unsere Wasservorräte auf: Drei Edelstahlflaschen mit je 8dl Inhalt, eine mit 1.2 Liter und eine mit 1.9 Liter Inhalt. Ferner einen Faltbeutel mit 2 Liter Inhalt, zusammen also etwa 7.5 Liter. Den endgültigen Schlafplatz entscheiden wir meist sehr spontan und suchen ihn nach folgenden Kriterien aus: Schöne Aussicht, ungestört (nicht Nahe stärker befahrener Strassen), frühe Morgensonne, relativ ebener Untergrund, keine unangenehmen Gerüche. Falls es uns angebracht erscheint, fragen wir in einem nahe gelegenen Hof oder Haus nach Erlaubnis. Mit diesem Wasser waschen wir uns, dazu braucht es nur wenige Deziliter. Danach wird gekocht und mit wenig Wasser abgewaschen. Auf Tour kochen wir ohne Öl, die Reinigung von Geschirr und Pfanne geht so schneller und meist ohne Abwaschmittel.
Ich trinke nachts meist noch etwa einen halben Liter Wasser. Morgens gibt es Haferflocken mit Rosinen, Apfelstücken, Zimt, rohen Kakaonibs, Anis und warmem Wasser, meine Lebenspartnerin trinkt einen Latte macchiato, ich Bialetti espresso und Wasser. Nach dem Abwasch hat es meist noch etwa 1-3 Liter Wasser, mit denen wir dann losfahren und nach Bedarf wieder teilweise auffüllen. Tagsüber füllen wir meist nur je eine bis zwei 8 dl Flaschen auf. Wasser haben wir bis jetzt noch immer bekommen, bei Bedarf läuten wir auch bei Häusern, was aber selten nötig ist.
 
Ostersonntag: Nach Frühstück wie üblich wurde ein kleiner Osterhase verspiesen. Es ging dann los auf den Grand Sommartel (1338m), wo wir nebst Tausenden von Krokussen auch schon erste erblühte Enziane entdeckten. Die Aussicht war grandios.
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Weiter fuhren wir auf der Jura Bike Etappe 3 Richtung Sibirien der Schweiz (La Brévine), wo die tiefste Temperatur schweizweit gemessen wurde. Der Rekord liegt bei minus 41.8 Grad.
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Kurz vor der Abfahrt in dieses Rekordtal zweite die Route westlich ab. Über weitere Höhen, Täler und Wälder machten wir auf der Crêt du Sapel unsere Mittagsrast. Aus Südwesten zogen unheimlich dunkle Wolken auf, es wurde kalt und im Hochtal von La Sagne (nein, die Lasagne wurde nicht dort erfunden) regnete es. Wir zogen für die Abfahrt unsere Daunenjacken und die sensationell warmen, 3D gestrickten, super leichten und klein verpackbaren langen Unterhosen von Brubeck mit 38 % Wolleanteil an, eines der funktionellsten Kleidungsstücke, das ich je besass. Wir trugen auch das entsprechende Langarmshirt unter der Daunenjacke.
Bald schon entdeckten wir einen spassigen Singletrail, der einige Kurven der Teerstrasse nach Couvet abkürzte. In Couvet liefen zu unserem Erstaunen sämtliche Brunnen - wir füllten ein wenig Wasser nach. Hier wird Absinth gebrannt, ein hochprozentiger Anisschnaps. Wir sahen, dass das Strassenschild mit Aufschrift "Creux du Van" durchgestrichen war, eine weitere Massnahme, um die unmündigen Bewohner dieses Landes davon abzuhalten, sich an diesem so schönen Ort zu nahe zu kommen und sich anzustecken. Wie viel Vertrauen in die Bewohner dieses Landes hat doch unsere Regierung...
Das gab für uns den Ausschlag, genau jetzt diesen Ort zu besuchen, denn wann hat man schon die Gelegenheit, bei schönstem Wetter ohne Touristenrummel einen so spektakulären Ort für sich zu haben? Mit dem Bike hat man viele Möglichkeiten, an einen bestimmten Ort zu kommen und wir waren uns sicher, den Creux du Van auf unseren Bikes zu erreichen, ohne ein Verbot zu missachten, denn Schleichwege gibt es überall... Noch aber trennten uns mindestens 700 Höhenmeter von unserem Ziel. Im Nachbardorf Môtiers führte eine Bikeroute (für Autos gesperrt) auf den Jurahauptkamm, an dem auch der Creux du Van liegt. Oben auf der Höhestrasse kehrten einige wenige Autos, die trotz Verbot hochgefahren waren, an einer Teilsperre der Strasse um, andere kapitulierten an Schneefeldern, welche die Strasse noch teilweise bedeckten. Wir nahmen kleine Waldwege ohne jegliche Verbote und kamen wenig unterhalb der Stichstrasse zum Felsenkessel auf die (von unten gesperrte) Verbindungsstrasse. Bei einem Hof, wo wir nach Wasser fragten, wurde uns ein Zimmer angeboten und wir wurden darüber informiert, dass die Polizei am Nachmittag patroulliert wäre. Mittlerweile war es nach 17 Uhr. Wir wollten noch am Ostertag hoch zur Felskante und lehnten das nette Zimmerangebot dankend ab. Weiter oben war die Stichstrasse gesperrt, unsere Karte zeigte aber weiter nordöstlich einen Jarrenwrg, der dann wir auch tatsächlich ohne Verbotsschilder antrafen und befuhren. Über Wiesen und Weiden kamen wir weiter oben auf die (weiter unten gesperrte) Strasse, die das Val de Travers mit dem Neuenburgersee verbindet und fuhren darauf weiter Richtung Ostende des Felsabbruchs. Ein Feldweg mir allgemeinem Fahrverbot (in der Regel für Bikes erlaubt, wenn durchgängig Lastwagentauglich nach Schweizer Waldgesetz, ähnlich der 2 Meter Regel) führte uns hoch bis an die Kante,

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wo ein Verbotsschild das Betreten mit Hunden, das Entfachen von Feuer, das Pflücken von Pflanzen und noch etwas, was uns auch nicht betraf (ich weiss nicht mehr was) untersagte.
Kaum oben angekommen, sahen wir, dass auch ein junges Paar den Weg hierhin gefunden hatte, wir aber ansonsten die Einzigen waren.
Wenige Momente später tauchte gemütlich und furchtlos folgendes Tier auf:
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Der Steinbock zottelte im einer Seelenruhe an den zwei tanzenden Jungen vorbei, gefolgt von 2 Steingeissen und gesellte sich zu einer Gruppe anderer Steinböcke auf der Wiese um zu grasen. Von Angst oder Flucht war keine Spur...
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Fortsetzung folgt...
 
Ja, es war in der Tat eine aussergewöhnlich schöne und erlebnisreiche Tour...
Am Ostermontag dann standen wir vor der Sonne auf, ein Steinbock und 2 Steingeissen grasten etwa 10- 15 m neben dem Zelt
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Wir machten weitere Photos und wollten zu Fuss der Abbruchkante entlang auf die andere Kante des Creux du Van gehen, als die Steinböcke durch irgendwas irritiert wurden und schnurstracks ein steiles Couloir zwischen den Felswänden hinuntersprangen, mit einer unglaublichen Sicherheit. 5 Minuten später tauchte der Wildhüter auf und fragte uns, ob das unser Zelt sei. Wir bejahten und er befahl uns, dass wir sofort unsere Siebensachenzu zu zu packen haben und von hier zu verschwinden hätten. Da ist es besser, ja zu sagen und zu verschwinden....
Wir fanden einen Kilometer weg mit Sicht auf den Neuenburgersee eine schöne Stelle, wo wir in Ruhe frühstückten (leider ohne Bild). Auf einem steilen Singletrail fuhren wir einen Teil der fast 1000 Höhenmeter runter zum See und dann noch nach Yverdon, wo wir mit der Bahn nach Hause fuhren. Wir reservierten nicht für unsere Velos, obwohl diese Zugverbindung normalerweise reservierungspflichtig ist. Aber zu Zeiten Coronas ist das alles viel einfacher. Einfach rein in den Zug, es kontrolliert sowieso keiner und niemand meckert, wenn mehr als die 3 Fahrradplätze besetzt sind. Wie auch schon auf der Anfahrt, waren die Abteile nur schwach besetzt und wir konnten ein 4 er Abteil für uns haben.

In diesem Sinn: Jede schwierige Situation bringt ihre guten Seiten mit, es gilt sie zu finden und auszunutzen.

Bleibt gesund und fröhlich
 
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