Wiedereinstieg nach Unfall / Trauma

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Stralsund
Hallo! Meine Frau hatte vor drei Jahren einen selten schweren Fahrradunfall (in einer Baustellenumleitung auf Schotter weggerutscht), an dessen Folgen sie beinahe gestorben wäre (schwere Blutungen nach Mehrfachbruch im Oberschenkel), nach einer zweiten Operation, welche nötig wurde da die Knochen nicht gut zusammengewachsen sind, DÜRFTE sie nach heutigem Stand wieder Fahrrad fahren. Mit ihrer Therapeutin ist sie bereits eine Minirunde gefahren, allerdings auf dem Alltags Rad der Therapeutin. Es ging zwar, war aber kein Befreiungsschlag in dem Sinne, dass sie jetzt wieder normal fahren wollen würde. Sie denkt immer mal über Rad mit drei Rädern nach, aber die Lastenräder sind zu schwer und Therapieräder, naja sehen zu sehr nach Behindert aus. Ich rede mit ihr nicht viel darüber, da sie ihr eigenes Tempo finden soll, aber irgendwie geht es nicht voran.
Der Unfall ist mit einem selbst zusammengebauten 90er Jahre MTB passiert, recht sportliche Haltung, RockShox Julie Federgabel, Gripshift Schaltung und: beliebiger 0815 Stollenreifen, wurde eher nach Aussehen, denn nach Praktischem Nutzen gewählt..... Wir kannten uns damals noch nicht, ich kann also nichts über Fahrstil oder Druck auf den Reifen sagen. Sie ist eher der Ängstliche/Vorsichtige Typ. (umso verrückter dass ihr sowas passiert, wenn ich bedenke wie und wo ich schon gefahren bin....) Und natürlich kann ich nicht beurteilen inwieweit der Rad/Reifentyp überhaupt Auswirkungen hatte.
Meine Frage: hat jemand ähnliche Erfahrungen gemacht, also nach Unfall und Blockaden wieder angefangen zu fahren und hält die eine oder andere FAHRRADVARIANTE oder einen speziellen FAHRRADAUFBAU für Sinnvoll?
Oder meint ihr das die Form egal ist, wenn man erstmal mit dem Trauma fertig geworden ist?
Die Idee: ein sehr sicher zu fahrendes Stadtrad zusammenstellen - mit großen Reifen, ggf. niedrigem Druck, bequemen Einstieg, wo man auch schnell die Beine auf den Boden bekommt, entspannter Haltung, Nabenschaltung, zum wenig nachdenken müssen. Mir schwebt ein Cruiser vor. Bin ich selbst noch nie gefahren, könnte mir aber vorstellen dass es das bringt? Mein Ansinnen ist es, den Einstieg so bequem und sicher wie nur eben möglich zu gestallten, um Mut zu machen. Ich halte den Ansatz der Therapeutin meine Frau auf irgendein Baumarktrad mit XY Rahmenhöhe und Geometrie zu setzen für nicht sehr hilfreich.

Ich hoffe der lange Text ist trotz seiner länge verständlich, für uns ist das ein schwieriges Thema, ich will auch nicht drängeln oder sonstwie Druck machen, würde es aber sehr bedauern wenn sie nie wieder fährt, weil der Wiedereinstieg nicht klappt.
Freue mich auf Meinungen, Erfahrungen oder Tipps.

LG Olli
 

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Re: Wiedereinstieg nach Unfall / Trauma
Dumm gelaufen. Gute Besserung!
Trotz dem, was passiert ist, ist Fahrradfahren sicher keine schlechte Idee.
Auf Rollsplit ist allerdings der Reifen völlig egal. Das sind ja quasi "Wälzkörper", die zwischen Reifen und Untergrund rollen. Da gibt's nur 2 Möglichkeiten: Entweder vorher aus dem Sattel gehen, das kurveninnere Bein rausstellen, und auf das Wegrutschen gefasst machen. Oder vorher Bremsen und langsam um die Kurve fahren. Selbst Profis haben nur diese 2 Alternativen zur Auswahl.
Thema Sitzposition: Ein "bequemes" Rad ist weniger frontlastig als ein sportliches Rad. Das Problem (besonders bei Anfängern) ist aber, daß man in der Kurve zu wenig Gewicht auf dem Vorderrad hat. Deswegen ist ein sportliches Rad in Bezug auf diesen Aspekt sogar sicherer. Ein ausbrechendes Vorderrad ist viel gefährlicher als ein ausbrechendes Hinterrad. Bei sportlicher Sitzposition ist dafür die Überschlagsneigung größer. Stichwort Schreckbremsung: Man vergißt, sich dem Bremslastwechsel entgegenzustemmen, die Vorderradbremse packt zu, die Federgabel sackt ein, und schon liegt man auf der Nase. Da ist dann wiederum die gemütliche, zurückgelehnte Sitzposition sicherer.
Ich würde einfach das Rad nehmen, auf dem ich mich wohl fühle - ohne vorher schon eine feste Meinung zu haben.
 
Wenn Deine Frau zum "zaghaften" Neuanfang schon einen Therapeuten braucht, bringt der Fokus auf das optimale Rad (welches auch immer) wahrscheinlich überhaupt nichts. Bin kein Psychologe aber ich denke, du mußt die Psyche "knacken". Das geht im Prinzip mit jedem Rad (allerdings hab ich den Eindruck, daß viele Frauen die Rücktrittbremse brauchen). Ich würd das Neuerlernen mit schönen Erlebnissen in der Natur auf unproblematischen einsamen (und erstmal asphaltierten) Wegen ohne größere Steigungen verbinden. Also z.B. mal nen Kurzurlaub mit guten Mieträdern an MacPom´s Seenplatte o.ä. oder anderen Gegenden, wo es Ziele gibt, die sich Deine Frau gern anschauen würde, wo man aber am Besten überhaupt nur mit dem Rad gut hinkommt und wo sie ohne Stress die Landschaft geniessen kann, ohne ständig an eventuelle Probleme mit dem Bike denken zu müssen. Ich glaube, wenn ich sie wäre, würde mich allein die Anwesenheit meines Therapeuten schon wieder an den Unfall denken lassen.
Wünsch Dir viel Glück und vor allem Geduld.
 
Man sollte nix erzwingen. Wenn die Bedenken so groß sind, dann sollte man es lassen. Angst ist manchmal auch ein guter Ratgeber.

Wenn sein soll, dann mal am Wochenende ne leichte Radtour auf breiten und geraden Waldwegen. Das Rad ist egal.
 
...Ich halte den Ansatz der Therapeutin meine Frau auf irgendein Baumarktrad mit XY Rahmenhöhe und Geometrie zu setzen für nicht sehr hilfreich.

Ich hingegen halte das für sehr sinnvoll. Das Problem Deiner Frau ist nicht das Fahrrad sondern der Kopf. Sie ist in der Therapie erstmal besser aufgehoben, als in jedem Fahrradladen dieser Welt.

Du schreibst zwar mehrmals, dass Du sie nicht drängen willst, bist hier aber gerade dabei, ihr ein Fahrrad zusammenzudenken obwohl sie noch nichtmal weiss, ob sie jemals wieder fahren möchte? Nicht Dein Ernst, oder?
 
Hatte letztes Jahr einige Unfälle gehabt. Auch nen üblen Autounfall, was im Nachhinein auch verdammt glimpflich für mich ausging. Bin nach dem ersten Schock 2 Tage später gleich wieder vorsichtig draufgegangen. Das ist alles eine Kopfsache! Ich denke jetzt noch drüber nach! Das ist aber keine Angst, sondern eher Respekt. Angst blockiert einen, Respekt macht einen noch aufmerksammer. Meiner Meinung nach ;-)
Wen sie selbst Lust zum fahren hat, ist es okay. Wenn sie Angst hat, würde ich ein Dreirad gar nicht so falsch finden. Sie kommt wieder rein und ist sicher unterwegs. Da würde ich es mal mit der Krankenkasse abklären ob sie nicht eintretet. Kann. Sich dran zu beteiligen oder sowas wie ein Leihrad. Ist doch in dem Fall erstmal scheißegal wie es aussieht! Sonst würde ich ein neueres Damenrad nehme. Mit einem tiefen Einstieg und den Sattel nicht zu weit rausfahren.
 
Hi Olli,

vom Rad her würde ich nichts allzu spezielles nehmen. Am besten einfach nen Hardtail mit gutmütiger Geometrie (sowas wird manchmal als Allmountain-/Enduro oder Freeride Hardtail verkauft), ausreichend kleinem Rahmen (damit Sie sicher stehen kann) und aufrechterer Sitzposition.

Das Problem ist ja eher die Psyche als das Fahrrad. Evtl. mal die Bücher von Petra Müssig (http://www.sport-im-kopf.de/) lesen, oder auch mal über ein Coaching bei Ihr nachdenken.

Grüße,
Jan
 
Radikal anderer Ansatz: wie wärs mit einem Liegerad?

// Edit
Oder ein Tandem zum wieder dran gewöhnen?
Bei uns in der Gruppe fährt öfters eins mit, man glaubt gar nicht, was die beiden alles fahren können. :eek:
 
Ich glaube auch nicht, daß das Fahrrad an sich irgendwas ändert. Nach so einem Unfall ist eher wichtig, langsam wieder positive Erfahrungen beim Radfahren zu sammeln und damit langsam das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten wieder zu stärken. Aber so unvoreingenommen wie vorher wird es wahrscheinlich nicht mehr werden.
Ich meine, das ist auch gut so.
 
Ich hingegen halte das für sehr sinnvoll. Das Problem Deiner Frau ist nicht das Fahrrad sondern der Kopf.

Ein sicheres Fahrrad kann dem Kopf aber schon beim Abschalten helfen.
Im Ursprungsposting wurde 90er jahre MTB genannt. Da denke ich dann mal 1,9" Reifen mit 4 bar Druck - damit würde man in *jeder* Schotterkurve wegfliegen.
Ich weiss auch nicht, wieso es jetzt ein Rad mit tiefem Einstieg sein soll - oder kann sie verletzungsbedingt das Bein nicht mehr so hoch heben?
Um überhaupt wieder mit dem fahren einsteigen zu können, halte ich den Stadtverkehr als denkbar ungünstig, weil zuviel Aufmerksamkeit für andere Verkehrsteilnehmer aufgewendet werden muss. Wenn man sich aufs eigene Rad konzentrieren will/muss, stört das nur.

Die Kernfrage ist aber, ob sie es überhaupt *selbst will* oder ob du es ihr schmackhaft machen möchtest. Im letzteren Fall wird das nichts:(
 
Wer fährt denn absichtlich im Stadtverkehr, wenn's nicht unbedingt sein muss? Ich hab' Angst vor Leuten, die freiwillig auf der Straße fahren...
:eek:
 
Die strampeln sich ab und kommen trotzdem nicht weg von der Straße. Eine Schande für so ein reiches Land.
 
Du kannst ihr Trauma nicht lösen indem Du ihr ein passendes Fahrrad hinstellst. Wenn ihr Kopf wieder frei ist geht das von ganz allein. Natürlich ist ein ordentliches Bike immer eine Erleichterung als ne Gurke.
Die Frage ist erstmal ob sie überhaupt wieder fahren will. Motorrad und Fahrrad sind halt nunmal gefährlicher als Autofahren. Wenn dann jemand nach so nem schlimmen Unfall sagt.... das war´s für mich..... muss man das auch akzeptieren können.
 
Ich glaube nicht, dass du ihr hilfst, in dem du ihr das passende Rad aussuchst. Der Wille muss von ihr kommen. Jeder kennt das nach dem Unfall, dass man erstmal Kopfblockade hat, die kann aber nur sie für sich überwinden und das brauch je nach Einstellung eben Zeit! Gerade bei dieser schwere des Unfalles und da sie das Thema MTB/FAhrrad nicht so intensiv als Hobby betreibt wie viele hier (entnehme ich deiner Schilderung), würde ich ihr einfach den Raum geben, das zu verarbeiten. Über kurz oder lang muss sie irgendwann mal anfangen, natürlich nur wenn SIE auch will. Den ersten Schritt hat sie ja schon mit ihrer Therapeutin gemacht.

Wenn sie mit dem Wunsch nach einem Fahrrad kommt, kann man sich immer noch Gedanken machen. Grundsätzlich tut es denk ich ein Rad mit entspannter Sitzposition, dicken Reifen und breitem Lenker...
 
Es geht hier nicht um das Bike, das Du Dir für Deine Frau vorstellst. Sondern um Deine Frau. Es ehrt Dich aber, daß Du versuchst, Ihr was Gutes zu tun. Tust Du aber nicht. Nicht so.
In der Traumatherapie ist es wichtig, den Patienten aus der Hilflosigkeit/Ohnmacht herauszufühgren und wieder ins Handeln, in die aktive Position zu bringen. Das braucht Zeit. Und die mußt Du Deiner Frau gönnen. Laß sie machen, so lange sie will. Und geh ihr nicht mit irgendwelchen Bikes auf den Keks. Und wenn Du nicht weißt, was Du ihr Gutes tun kannst, dann frag sie.
Es kann auch sein, daß sie nie wieder was mit Bikes zu tun haben will. Schau mal, wie das für Dich wäre. Gib Leine.
 
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