Seit zwei Stunden liege ich auf dem Rücken. Es fühlt sich aber eher nach 10 Stunden an. Sehe nur nach oben. Den Kopf kann ich nicht drehen. Der ist eingespannt in eine Nackenstütze. An der Decke über mir sehe ich kleine Blutspritzer. Nicht meine. Irgendwo neben mir piepst ein Kreislauflaufüberwachungssystem. Alle reden Spanisch und ich verstehe lediglich Bruchstücke. Ich habe keine Ahnung was jetzt passieren wird und ich versuche das Kribbeln in meinen Armen und die Schmerzen im Nacken nicht in meine Gedanken zu lassen.

Vor zwei Stunden bestieg ich ein Mountainbike. Auf dem Gipfel eines Berges irgendwo in Patagonien. Die Landschaft war atemberaubend. Den Weg nach oben hatten wir via Shuttle hinter uns gebracht. Nach einem verpassten Anschlussflug hatten wir einen Tag länger für die Anreise gebraucht und waren jetzt knapp dran für den Start der Rallye. Ich fuhr los zur ersten Stage. Überall Schotter und Geröll. Der lose Boden beunruhigte mich nicht. Bereits nach dem Bike-Setup hatte ich mich gut gefühlt und auch hier war die Verbindung zum Rad direkt da – ich machte Bunnyhops über Steine und Brocken. Entspanntes warm rollen bis zum eigentlichen Traileinstieg. Vor uns lag eine weitere Schotterhalde. Ich rollte, ohne mir ernsthafte Gedanken über den Untergrund zu machen, dahin. War ja nicht die erste Schotterhalde die ich hinunter fuhr.

Dann ging alles unfassbar schnell. Ohne Vorwarnung versank mein Vorderrad zwischen ein paar Steinen und mein Bike blieb sofort stehen. Ich nicht. Ich flog mit knapp 50 Sachen über den Lenker. „Nicht gut…“ War das Einzige, was in diesem Augenblick durch meinen Kopf ging. Im nächsten Moment tat es einen dumpfen Schlag, begleitet von Krachen und Kratzen als ich mit dem Kopf aufschlug, mich dann überschlug und zwischen Brocken und Steinen zum Liegen kam. Ich war wach – aber trotzdem wirkte alles plötzlich sehr still um mich herum. Was war passiert? Mir war schummrig. War ich verletzt? Plötzlich waren da andere Fahrer. Halb lag ich, halb saß ich. „Are you ok? Can you move?“ Ich bejahte – verwies aber auf tierische Nackenschmerzen und aufgeschlagene Schultern. Legte mich hin – fixierte meinen Kopf mit meinen Händen. „Is my helmet destroyed? I think I have a scratch behind my ear…“, „No worries…“ Ein anderer rief „MEDIC!“

Etwas Warmes tropfte von meinem Ohr herunter. Dann war da jemand der sagte er sei Nico der Rennarzt, er spülte etwas hinter meinem Ohr aus und legte mir eine Halskrause an. Ich wurde auf ein Brett gehoben und mit Bändern daran fixiert. Beim Hochheben in einen der Geländewagen sah ich aus dem Augenwinkel, wie jemand ungläubig meinen Helm in Händen hielt. Abfahrt. Ich lag in einem Geländewagen auf der Pritsche und der Fahrer gab sich alle Mühe den gröbsten Löchern auszuweichen. Nicht einfach auf einer unbefestigten Straße am Ende der Welt.

Bis wir eine befestigte Straße erreichten vergingen laut dem Arzt 45 Minuten. Lang. Unangenehm lang. Meine Schultern schmerzten und meine Arme kribbelten. Vom zweiten Einschlag auf die Schultern oder vom Nacken? Ich versuchte nicht negativ zu denken. Am besten gar nichts denken.

Nach weiteren 30 Minuten erreichten wir das Spital. Ich hatte nicht vermutet, dass es hier überhaupt eines gab. Die Decke des Jeeps wurde ersetzt durch vergilbte Deckenplatten und Neonlichter. Mein Trikot wurde aufgeschnitten. Mehrere Leute hoben mich vom Brett auf etwas rollbares.

Dann lag ich im Zimmer mit den Blutspritzern.

Fran ist da. Sie ist Teil vom Organisatorenteam. Sie klärt mich auf Englisch auf was jetzt gemacht werden wird. Man schiebt mich in einen anderen Teil des Gebäudes. Deckenplatte, Neonlicht, Deckenplatte, Neonlicht, Deckenplatte…

Man hebt mich auf eine andere Unterlage. Mein Nacken schmerzt. Röhre. Ein CT wird durchgeführt. Zurückschieben in den Raum mit dem Blut. Warten… Lange warten… Nicht grübeln… Zeit vergeht in unterschiedlichen Geschwindigkeiten.

Ein Doktor kommt. „No fracture.‘ Im gleichen Moment nimmt man mir die Halsstütze ab. Fast möchte ich meinen Kopf mit beiden Händen festhalten aber er bleibt wo er ist. Viele Worte auf Spanisch und man dreht mich auf die Seite. Unangenehm. Ich fühle mich als hätte ich den kompletten gestrigen Tag mit extrem hartem Muskeltraining verbracht. Ein Tuch mit einer kleinen Öffnung wird über meinen Kopf gelegt. „Don’t touch!“ – so die kurze Ansage. Ich werde fünf mal gepiekst mit der Spritze mit für die Betäubung. Dann beginnt das Nähen. Direkt am Ohr höre ich wie sich Nadel und Faden durch die Kanten der Wunde ziehen und verknotet werden. 1,2,3,4,5,6,7… es will gar kein Ende nehmen, ganz im Gegensatz die Betäubung. Sie scheint nicht bis ans Ende des Cuts zu wirken. 8,9,10 und der unangenehme Elfte Stich, welcher an einer Seite durch meine Ohrmuschel gezogen wird.

Aufstehen. Klar kommen. Mit dem Schrecken davon gekommen. Am Schalter bezahle ich die Behandlung. Ich habe zum Glück eine gute Auslandskrankenversicherung.

Nach 20 Minuten Fahrt sind wir zurück im Basislager. Ich werde von den restlichen Fahrern und dem Team freudig aber überrascht begrüßt. Da steht mein Rad mit meinem Helm am Lenker. Ich nehme ihn in die Hand und mir wird mulmig in der Magengegend. An der Rückseite ist er nur leicht eingedellt. Vorne in der Mitte dagegen stark. Dort geht die Delle in einen Riss und dann in einen Spalt über. Selbst das MIPS ist zerschnitten. Welche Kräfte waren hierfür nötig frage ich mich. Der Cut hinter meinem Ohr ist die Fortsetzung dieses Schadens. Die Hauptenergie hat der Helm zu meinen Glück in sich aufgenommen. Mir wird klar warum die Anderen so überrascht waren mich aufrecht zu sehen. Ich dagegen spüre nichtmal Kopfschmerzen. Nur mein Nacken ist tierisch verspannt. Essen. Schlafen.

Um kurz vor 6 wache ich auf, streiche ums Lager, überall singen mir unbekannte Vögel. Pferde schnauben wohlig auf einer Koppel neben unserem Lager, während der Dunst sich langsam hebt. Ich genieße den Sonnenaufgang. Soweit fühle ich mich sehr gut, bis auf den Muskelkater im Nacken.

Niemand stürzt gerne und in der Regel fordert es niemand ernsthaft heraus. Manchmal addieren sich mehrere Faktoren zu einer ungünstigen Summe und man hat einfach Pech. Ich kann in diesem Fall nur dem Rettungsteam, der Orga (insbesondere Nico, Fran und Alexander) danken, schnell und richtig gehandelt zu haben. Nach einem Tag Pause war ich zwar noch etwas verspannt aber wieder auf dem Rad.

Anmerkung der Redaktion: Unser Redakteur Jens „van Gogh“ Staudt war bis vor kurzem in Patagonien im Rahmen des Endurorennens „Rally of Aysén-Patagonia“ unterwegs. Ein Bericht zum Event sowie die Vorstellung und einen Fahrbericht eines dort vorgestellten Bikes lest ihr in den nächsten Tagen hier. Jens ist die Rally an den folgenden Tagen mitgefahren und befindet sich derzeit ohne weitere Verletzungen auf dem Heimweg nach Deutschland. Gute Reise!

  1. benutzerbild

    Alumini

    dabei seit 04/2015

    Ein Gewinner-Thread in jeglicher Hinsicht. Herzlichen Glückwunsch!

  2. benutzerbild

    beeer

    dabei seit 02/2010

    Wow, Gott sei Dank haben deine Halswirbel nichts abbekommen!

  3. benutzerbild

    Barcode

    dabei seit 05/2011

    Krasse Geschichte und riesig Glück gehabt.

    Ich habe mir letzten September den rechten Ellbogen gebrochen, aber den größten Schaden hat mein Kopf genommen. Wo ich nach 8 Wochen wieder Radln konnte war ich einfach nicht der selbe. Irgndwie noch ein wenig ängstlich auf dem Bike.

    Starke Sache wenn man nach so einem Abflug einen Tag später wieder auf dem Bike sitzt smilie

  4. benutzerbild

    hellmono

    dabei seit 04/2013

    Jens, wunderbar dass es nicht schlimmer ausgegangen ist. Großartiger Artikel, der hoffentlich einige zum Nachdenken anregt. Helm auf der Rübe ist einfach das Mindeste, was beim Radfahren dazugehört.

    Ich hatte 2012 leider etwas weniger Glück. Der Helm hat den Schädel gut geschützt, beim Einschlag in den Baum hat die Schulter aber ordentlich was mitgekriegt. OP, 3 Monate Reha und erst nach ca. 9-12 Monaten weitestgehend wieder hergestellt. Also immer schön schützen und nicht Übertreiben. smilie
    [Bild]

  5. benutzerbild

    boblike

    dabei seit 03/2012

    Habe letzte Woche eine Freund verloren und ich bin mir sicher hätte er einen Helm getragen wäre er jetzt noch da.
    Vllt. hat einer von euch die Schlagzeile "E-bike-Fahrer in Kleinrinderfeld tödlich verunglückt" gelesen.
    Wir wissen immer noch nicht was genau passiert ist, nur das er Samstag Abend ohne Helm einen Bordstein berührt hat und gestürzt ist.

    Und bitte kommt mir jetzt nicht mit E-Bike Hetze, er fuhr schnell bergab und denke daher ohne Unterstützung.

    Ich bin letztes Jahr ein echt steiles Northshore Teil runter und habe dabei eine so hohe Geschwindigkeit bekommen, dass ich die nächste Kurve nicht schafte und frontal in einen Baum bin.
    Voll mit dem Kopf gegen den Baum, Helm war Matsch und Kopf war heil.
    Hatte nicht einmal Kopf- oder Nackenschmerzen.
    Nie wieder ohne!

    Überlege mir den King Carapax zu kaufen, in der Hoffnung den auch auf Touren tragen zu können ohne zu sehr zu schwitzen.
    Die Geschichte mit meinem Freund zeigt mir, dass man nicht nur im Bikepark guten Schutz gebrauchen kann.
    Ich habe eine sehr aggressive Fahrweise und nutze gerne jede Möglichkeit am Wegrand um Spaß zu haben.

Was meinst du?

Wir laden dich ein, jeden Artikel bei uns im Forum zu kommentieren und diskutieren. Schau dir die bisherige Diskussion an oder kommentiere einfach im folgenden Formular:

Verpasse keine Neuheit – trag dich für den MTB-News-Newsletter ein!