Bin ich bei der 2015 Ausgabe der deutschen Meisterschaften im 24h Rennen am Alfsee noch völlig entkoppelt vom eigentlichen Renngeschehen mit meinem Singlespeed mein Rennen gefahren, so ist das in diesem Jahr vorbei. Sich ganz unaufgeregt das Rennen aus einer mitfahrenden Zuschauerperspektive zu betrachten und sich dann über einen guten Platz in der Gesamtwertung zu freuen, ist Vergangenheit. Der Sinn vom Unsinn ergibt dieses Jahr keinen Sinn für mich. Dieses Jahr will ich da mitfahren, wo meine Kanonenkugel auf zwei Rädern hin gehört, ganz vorne. Am Ende aber stehe ich nur ganz vorne am Zaun der Strecke und darf mir mal ein 24h Rennen aus der Zuschauerperspektive anschauen.
Nicht nur die Anzahl der Gänge ist an meinem Focus Raven gewachsen, sondern auch die Teilnehmerzahl im Starterfeld. Verteilten sich letztes Jahr noch beschauliche 700 Fahrer auf dem 12 km-Rundkurs, so sind 2016 über 1.000 Fahrer am Start. Der Alfsee unendliche Weiten… was macht die Alfsee-Runde so anders als die Runden bei anderen 24h-Rennen? Zum einen hat sie weniger Höhenmeter als alle anderen 24h Rennen in Deutschland, aber diese konzentrieren sich auf eklig fiese Deichanstiege. Zum anderen gibt es in Rieste bei Osnabrück diese endlosen langen Passagen auf und neben den Deichanlagen, die so richtig interessant werden, wenn der Gegenwind zum Windschattenfahren einlädt. Gerade dieses Zeitfahren über die langen Geraden, mal den Diesel anwerfen und laufen zu lassen, ist ein nötiger Kontrast zu den qualvollen Schüttelshaker Wiesenstücken und ein Alleinstellungsmerkmal unter den 24h Rennen.
Mit der Idee, Chancengleichheit durch ein Verbot eben dieses Windschattenfahrens zu schaffen, sorgte der Organisator im Vorfeld für viel Diskussionsstoff. Am Ende jedoch verwarf man diese Idee, zu groß war das negative Echo aus dem Fahrerfeld gewesen. Auch ohne eine volle Tüte Höhenmeter gehört der Rundkurs um den Alfsee zu den anspruchsvollen Kursen. Die Wiesen und die Steilanstiege hinterlassen über die Zeit mit Nachdruck Spuren beim Fahrer, besonders bei denen mit Starrgabel. Man munkelt, dass so mancher Solofahrer nach dem Rennen den Zahnarzt aufsuchen musste, um verloren gegangene Plomben zu ersetzen. Der Alfsee lebt von der Zermürbungstaktik seiner Wiesenstücke. Im Ausgleich entschädigt der See mit einem wunderbaren Blick auf das große Ganze, zumindest solange der Geist noch zur Aufnahme von Eindrücken fähig ist.
Wem der Kurs am Alfsee zu unspektakulär oder zu zermürbend ist und trotzdem wiederkommt, tut dies aus einem anderen guten Grund, die Infrastruktur ist fantastisch. Start und Ziel, das Fahrerlager, die Expo und die Möglichkeiten zur Übernachtung, der Alfsee-Camping und Erholungspark bietet alles was das Herz begehrt und die Verpflegung der Fahrer während des Rennens darf als legendär bezeichnet werden. Natürlich gibt es auch Schatten, wo Licht ist. Organisatorische Mängel gehören zum Alfsee genauso dazu wie die jährliche Bereitschaft, daraus zu lernen und im Folgejahr wieder einen Schritt nach vorne zu tun.
Deutschland im Unwetterrausch, Sturzfluten und Überschwemmungen, ein Rock am Ring Festival das in einer Unwetterkatastrophe versinkt und Norddeutschland tut so, als gäbe es nur Sonnenschein. Nach dem nasskalten Wetter des letzten Jahres haben wir nun tropische Verhältnisse mit 28 Grad und abdampfenden Böden. Am Gepäck erkennt man, woher die Fahrer kommen. Jeder Teilnehmer, der den 52ten Breitengrad von Süden her übertritt, hat sich auf eine Regen- und Schlammorgie eingestellt und wird durch bestes Wetter enttäuscht. Die Ersten stöhnen unter der nicht einkalkulierten Schwüle und dies nicht erst nach dem Start. Das Feld quält sich mit dem Startschuss um 14 Uhr in der Hoffnung auf sinkende Temperaturen der Dämmerung entgegen. Regenwolken am Himmel bringen nicht die erhoffte Erleichterung. Ein paar murmelgroße Regentropfen lassen auf Abkühlung hoffen und zeigen den Fahren dann eine lange Nase. Die Hoffnung ist alles was bleibt beim kurzen Grummeln in weiter Ferne, bevor die Sauna wieder zum nächsten Aufguss einlädt.
Am Alfsee dauert es etwas länger, bevor sich die einzeln gestarteten Kategorien durch Überrundungen miteinander vermischen, jedoch ist auch dann die lange Runde um den See nicht wirklich überfüllt. Überall gibt es Gelegenheiten, langsamere Fahrer zu überrunden, aber auch die Möglichkeit festzustellen, wie Breitensport zelebriert wird. Vom lethargischen Hobbyfahrer bis zum adrenalingeschwängerten Leistungssportler, hier ist alles vertreten, was den Mountainbikesport ausmacht. Auch beim gefahrenen Material spiegelt sich dies wider: Vom Mountainbike aus den Anfängen unseres Sports über Crosser, Trekkingräder und sogar Tretroller – viele verschiedene Renner nehmen den Kampf mit der Zeit auf. Apropos Tretroller: 24h Fahrer sind hartgesotten und einiges gewohnt, aber die Tretrollerjungs sind der Knaller. Ein Solofahrer und ein 4er Team haben sich mit ihren Tretrollern angemeldet. Ist man als Singlespeedfahrer schon genötigt viele Anstiege zu laufen, müssen Roller-Chauffeure auch noch die Abfahrten laufen. 24 Stunden auf dem Roller stehen, bei regelmässigem Wechsel des Standbeins, nötigen jedem im Feld den höchsten Respekt für diese Leistung ab.
Als die Sonne sich anschickt im Alfsee zu versinken, nimmt sie zwar die Schwüle mit, aber dafür randalieren nun Myriaden von kleinen Insekten auf der Strecke. Das Fliegzeug sammelt sich in großen Wolken am See und penetriert Fahrer wie Zuschauer. Da heißt es Kopf nach unten und durch. Ein Blick nach oben und ein proteinhaltiger Abendsnack ist garantiert.
Verzichten konnten die meisten auch auf abgerissene Ketten, Schaltwerke und gebrochene Schaltaugen. Selten bin ich ein Rennen gefahren, indem man so viele Ketten auf der Strecke hat liegen sehen. Das mag zum einen an mangelnder Wartung liegen, aber ganz sicher auch an diesen furunkeligen Anstiegen. Viele knallen ohne Sinn und Ziel im falschen Gang in den Deich und kurz bevor sie zum Stillstand kommen, wird da nochmal über drei Gänge geschaltet. Das hält die beste Kette nicht aus. Dementsprechend müssen sich alle an dieser Stelle nochmal im Namen aller Opfer der Strecke bei Adam und Reinhard von Connex bedanken. Was die zwei in den 24h an Ketten und Schaltwerken gewechselt haben, ist beachtlich. Sie selber sagen, dass sie noch nie ein Event betreut haben, bei dem mehr Ketten geschrottet wurden als 2016 am Alfsee.
Nachdem die Nacht ihre Opfer gefordert hat, und diese waren dieses Jahr zahlreich, ging es auf zum finalen Leiden. Die Sonne hatte sich dazu entschieden, sehr zeitig nochmal 2 Grad zum Vortag nachzulegen. Besonders bei den Solofahrern und den Viererteams war noch lange nichts entschieden und das war wohl für die meisten da vorne im Feld der Ansporn, die letzten Kräfte zu mobilisieren und sich mit eisernem Willen über die Mittagshitze zu retten.
Fritz Geers von den Bad Bikers und Thorsten Weber von 24h Team Voreifel lieferten sich ein Kopf an Kopf Rennen, bevor Astronautennahrung über den Eifler Starrsinn gesiegt hatte. Gut sahen beide seit Stunden nicht mehr aus. Man fragte sich teilweise, wer wohl als erster vom Rad kippt. Thorsten hatte das Nachsehen. Er lebte Runden lang als Amöbe auf Alpha Centauri und manchmal hatte man das Gefühl, dass er zubeißt, wenn man ihn anfeuert.
Der Drittplatzierte Peter Gabor vom RSC Plettenberg, er möge mir das Catweazle verzeihen, ließ sich gar nicht mehr ansprechen. Mit starrem Blick und Grinsen im Gesicht hatte er nur Augen für seine Frau oder für die Verpflegung in ihrer Hand, man weiß es nicht mehr so genau.
Sven Hielscher (Sven, du darfst jetzt atmen) von Nutrixxion, Felix Pembaur (Du grinst noch, gib mal Gas) vom Team Campana und David Habryka (Hier Maschine, trinkt mal Bier) vom Essener RG gaben sich über Stunden einen Showdown um die Holzmedaille, den Svenny gewann.
Bei den Teams gab es auch viele enge Entscheidungen, besonders in der 4er Wertung. Speziell hervorheben muss man Teams wie Team2Beat, Radon Jentschura und MSV Steele , die in mehreren Teamwertungen auf dem Podest standen. Alles in allem wieder mal ein schönes Event und die Einladung an alle, die jetzt Lust bekommen haben, 2017 mal Richtung Osnabrück zu fahren.
In diesem Sinne, Think Pink – Eure Muschi
3 Kommentare