Seit „27,5+“, „650-Plus“, „B+“ oder einfach nur „Plus“ auf dem Markt angeboten werden, wird die Laufradgröße, die eigentlich eine Reifengröße ist, auch als Konversionsmodell angepriesen. Zahlreiche Bikes bieten die Möglichkeit, 29“- oder 27,5+ zu verbauen. Realistisch betrachtet ist diese Lösung aber nicht praktikabel – stattdessen entsprechen 27,5+ auf dem Trail ziemlich genau 27,5″ – außer Ibis hat das nur scheinbar keiner gemerkt.

27,5" und Plus im Vergleich
# 27,5" und Plus im Vergleich - durch das zusätzliche Volumen wirkt der Unterschied mächtiger, als er wirklich ist.

Tatsächlich sammelten auch wir unsere ersten „Plus“-Erfahrungen auf umgebauten 29“-Bikes. Die Idee ist verlockend: Ein Bike, zwei verschiedene Charaktere. Im Winter mit den dicken Reifen trainieren, im Sommer mit den schmalen, großen beim Rennen antreten; die Varianten sind unendlich. Stets war die Botschaft aber: Egal welche Laufradgröße, die Geometrie ändert sich (fast) nicht, allein die Reifenbreite und das Fahrverhalten. Dann kam Ibis auf den Plan und stellte sein Mojo HD-3 vor. Die Kalifornier propagierten nun: 27,5“ sind mit 27,5+ austauschbar, ohne dass sich die Geometrie ändern würde. Ab da war klar, es gibt drei Möglichkeiten: Ibis liegt richtig, der Rest der Branche liegt richtig, oder die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen.

Plus und konventionelle Reifen lassen sich im gleichen Bike fahren
# Plus und konventionelle Reifen lassen sich im gleichen Bike fahren - es ist aber nicht die 29/27,5+ - Kombination, die viele erwartet hatten. Stattdessen entspricht 27,5+ effektiv auch nur 27,5".

Dass es diese Verwirrung gibt, liegt zunächst einmal an unterschiedlichen Herangehensweisen: Als 650+ vorgestellt wurde, wurde zunächst über den Außendurchmesser gesprochen, und über die Breite. Verständlich, schließlich sollten die dicken Reifen irgendwie durch Rahmen und Gabel passen. Betrachtet man den – unbelasteten – Außendurchmesser, so liegen Reifen mit 2,8“ – 3,25“ auf einer 584 mm Felge (das sind die sogenannten 27,5“) bei etwa 710 – 730 mm. Die Unterschiede sind tatsächlich erheblich, weil die Reifen (mal wieder) wahnsinnig unterschiedlich breit ausfallen und zusätzlich mit ziemlich unterschiedlich breiten Felgen kombiniert werden. Damit reichen die Reifen beinahe an 29“ heran, hier werden typischerweise 2,2“ – 2,4“ Reifen auf einer 622 mm Felge verwendet, was dann wiederum 730 – 740 mm Außendurchmesser ergibt. Hier setzt die Logik an: Ein dicker 27,5+ erreicht unbelastet den Außendurchmesser eines dünnen 29“ Reifen, solange also eine ausreichende Reifenfreiheit vorhanden ist, passt beides! Von diesem Umstand haben übrigens die Federgabelhersteller besonders fleißig Gebrauch gemacht, aber dazu später mehr.

Inzwischen sind aber zwei Dinge offensichtlich geworden:

  • Kaum einer fährt die dicksten Plus-Reifen, stattdessen haben sich 2,8“ als das beliebteste Kaliber etabliert.
  • Die dicken Reifen werden mit deutlich geringerem Druck gefahren, wodurch sie mehr walken als schmalere Reifen.
27,5" und Plus nebeneinander
# 27,5" und Plus nebeneinander - durch die weitgehende Akzeptanz von Plus als 2,8" ist der Unterschied ohnehin geringer geworden.

Hier setzt Ibis an, argumentiert: Der Durchmesserunterschied im unbelasteten Zustand wird durch das unterschiedliche Walken genau kompensiert. Damit wäre die Höhe des Tretlagers, ja, die gesamte Geometrie im Fahrbetrieb, dieselbe, egal ob man 27,5“ oder 27,5+ fährt. Das würde aber auch bedeuten, dass beim Wechsel von 27,5+ auf 29“ sehr wohl ein Unterschied auftreten müsste, und zwar einer, der genau so groß ist, wie bei 27,5“ zu 29“. Kein Mensch würde auf die Idee kommen, in einem 29“-Bike 27,5“ Räder zu fahren (es sei denn, es ist Matsch bei der Megavalanche, aber das ist eine andere Geschichte). Der Grund ist klar: Der Unterschied zwischen den Raddurchmessern beträgt 38 mm, die Tretlagerhöhe ändert sich um fast 2 cm, das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht oder: Der Unterschied zwischen Pedalierflow und Kurbelaufsetzstakkato.

Im Durchmesser kommen je nach Reifen 10-20 mm Differenz zusammen
# Im Durchmesser kommen je nach Reifen 10-20 mm Differenz zusammen - für die Geometrie ist aber nicht der Durchmesser, sondern der Radius maßgeblich.

Um die Sachlage zu klären, haben wir eben dieses Ibis Mojo HD-3 rangeschafft, mit zwei Laufradsätzen, und haben nachgemessen. Das Messen der Tretlagerhöhe mit Fahrer auf Fahrrad ist keine ganz leichte Übung, schließlich ändert sie sich abhängig von der Fahrerposition und dem Untergrund, aber: Wir haben Ergebnisse, denen wir auf +/-2 mm trauen; eine genauere Angabe wäre nur mit großem Aufwand möglich, aber auch für die eigentliche Aussage nicht nötig. Wir verwendeten die Luftdrücke, die wir auch tatsächlich mit den jeweiligen Reifengrößen fahren: 0,95/1,05 Bar bei den 2,8″-Reifen und 1,3/1,4 Bar bei den 2,35″-Reifen.

Unbelastet messen wir hier 6 mm Differenz zwischen den Radachsen
# Unbelastet messen wir hier 6 mm Differenz zwischen den Radachsen - ein ohnehin eher geringer Unterschied, der durch das unterschiedliche Walkverhalten vollständig kompensiert wird.

Das Ergebnis: Im unbelasteten Zustand beträgt der Unterschied der Tretlagerhöhen 6 mm. Das wäre ein spürbarer Unterschied, aber kein gravierender. Mit Fahrergewicht belastet verschwindet dieser Unterschied vollständig, die Tretlagerhöhe liegt bei jeweils 279 mm. Das bedeutet: 27,5“ und 27,5+ sind ohne Geometrieänderung austauschbar, wenn folgende Bedingungen gelten: Ähnliche Felgenbreite und eher schmale Plus-Reifen. Konkret haben wir jeweils Schwalbe Nobby Nic in 2,35“ und 2,8“ verwendet, mit dem jeweils sinnvollen Reifendruck und dem identischen Druck in den Federelementen. Die Dämpfung der Federelemente passen wir beim Wechsel von Plus auf Nicht-Plus an, dies wirkt sich aber auf den Sag im statischen Zustand gar nicht und während der Fahrt so gut wie gar nicht aus, da es sich hier wirklich um Feinheiten handelt.

Bei sitzender Fahrhaltung liegt das Innenlager mit Plus-Reifen sogar niedriger
# Bei sitzender Fahrhaltung liegt das Innenlager mit Plus-Reifen sogar niedriger - das liegt daran, dass die Innenlagerhöhe stärker vom effektiven Durchmesser des Hinterrades beeinflusst wird.
Bei stehender Fahrerhaltung liegen die Innenlagerhöhen gleichauf
# Bei stehender Fahrerhaltung liegen die Innenlagerhöhen gleichauf - das veranschaulicht: 27,5" und 27,5+ führen zu identischer Geometrie.

Gibt es überhaupt einen Fall, in dem 27,5+ und 29“ ohne Geometrieänderung austauschbar sind? In der Praxis nicht. Zwar sind bezüglich des belasteten Außendurchmessers 29“ x 1,9“ fast identisch zu 27,5“ x 3,0“; aber wer würde diese beiden, extrem unterschiedlichen Radgrößen fahren wollen? Klar ist auch, dass sich mit der Felge spielen lässt, hier kann aber kaum ein Unterschied größer als wenige Millimeter entstehen. Folglich ist die Verwendung von 27,5+ in 29“ Bikes nicht sinnvoll, es sei denn, man ist genau auf die Geometrieänderung aus; etwa, weil man einen 29-er mit zu hohem Tretlager gern tieferlegen würde…

Hier dürften sich jetzt die Besitzer von Bikes, die für 27,5+ und 29“ beworben werden, fragen: Was soll der Quatsch? Tatsächlich kann man natürlich in solchen Bikes beide Laufradmaße fahren, nur eben mit unterschiedlichen Geometrien. Wenn beide Spaß machen: Super! Aber höchstwahrscheinlich setzt man mit den dickeren Reifen viel häufiger auf.

Die Grenzen zwischen Plus und konventionellen Reifen verschwimmen
# Die Grenzen zwischen Plus und konventionellen Reifen verschwimmen - nur: 27,5+ und 29" haben bezüglich der effektiven Innenlagerhöhe wenig miteinander zu tun!

Die große Frage ist aber auch: Wer tauscht denn überhaupt seine Laufräder? Der Wechsel ist entweder teuer, weil man tatsächlich zwei vollständige Laufradsätze mit Bremsscheiben und Kassette besitzt, oder zeitaufwändig: Neben dem eigentlichen Rad Ein- und Ausbau müssen dann auch noch die Bremsscheiben und die Kassette gewechselt werden, häufig müssen sogar die Bremsen neu ausgerichtet werden, weil auch die Naben Toleranzen aufweisen. Und auch hier könnte man die Ibis-Lösung bevorzugen: Wenn sich der Felgendurchmesser nicht ändert, werden gar keine zwei Laufradsätze benötigt – der Wechsel zwischen „Plus“ und „Normal“ wird hiermit zum einfachen Reifenwechel, der nur im Falle von Tubeless etwas unangenehm laufen kann.

Kommen wir nochmals auf die Federgabeln zurück: Als 27,5+ vorgestellt wurde, ließen die passenden Gabeln mit Boost-Standard nicht lange auf sich warten. Aber: Es handelte sich dabei um ein einzelnes Modell, welches für 27,5+ und 29“ passte. Meist blieb die schmalere 29“-Gabel mit 100 mm Einbaubreite noch im Programm. Jetzt, 2017, werden neue Gabelgenerationen vorgestellt. Bei Rock Shox sind die 100 mm / 29“ Varianten jetzt aus dem Sortiment geflogen, stattdessen gibt es die folgenden zwei Varianten: 27,5“ und 29“. Welche davon ist für 27,5+ gedacht? Es ist die 27,5“-Gabel. Zufall? Kaum – es hat einfach nur etwas gedauert, bis die Sache mit dem „+“ realistisch betrachtet wurde.

Fazit:

Wer Plus und konventionelle Reifen in einem Bike fahren möchte, verwendet am besten einen 27,5″ Laufradsatz  mit breiter Felge. Das ist nicht nur billiger, sondern auch hinsichtlich der Geometrie die bessere Entscheidung. Das bedeutet übrigens auch: Mixen ausdrücklich ohne große Konsequenzen möglich!

  1. benutzerbild

    k0p3

    dabei seit 09/2020

    Warum habe ich da bloß sofort an die Typen von "New Kids Turbo" gedacht? smilie

  2. benutzerbild

    Raze

    dabei seit 02/2005

    Kann man anhand der Geometriedaten erkennen, ob der Rahmen ursprünglich eher für 27(+) oder 29 Zoll gefertigt wurde.

    Wie macht sich eine Erhöhung des Tretlagers um 2cm im Fahrverhalten bei einem XC Rahmen bemerkbar ?
    Hallo, hat Jemand eine Antwort oder Info zum Nachlesen?
  3. benutzerbild

    Geisterfahrer

    dabei seit 02/2004

    [Bild]

    Für manche ist es auch besser, sie tragen einen Helm smilie
    Wenn man gut genug fährt, wird man doch auch mit 80er Jahre Waschmaschinenmechanikerlook mit Seehundschnauzer ernst genommen: https://www.mtb-news.de/forum/t/joe-barnes-bringing-the-tight-enge-trails-neu-definiert.938064/ smilie

    Hallo, hat Jemand eine Antwort oder Info zum Nachlesen?
    Wird schwierig, alleine anhand der nachgemessenen Geometriedaten verbindlich festzulegen, was sich der Konstrukteur bezüglich der Laufradgröße gedacht hat.

    Es gibt ja keine fixen Regeln, auf welcher Höhe etwa das Tretlager bei welcher Laufradgröße zu sitzen hat. Je nach Hersteller und je nach Modelljahr kann das ja ganz schön variieren, und zwar so stark, dass eine saubere Abgrenzung zwischen den Laufradgrößen nicht mehr möglich ist.

    M. E. ließe allenfalls eine große Reifenfreiheit an der Stelle, an der der B+-Reifen seine dicke Ausbuchtung hätte, darauf schließen, dass wohl eher B+ angedacht war. Insofern würde ich einfach mal einen B+-LRS reinhängen und schauen, wie es aussieht.

    Höheres Tretlager bedeutet im positiven Sinne, dass man mehr Bodenfreiheit hat und nicht so schnell aufsetzt. Negativ ist, dass man nicht so zentriert im Rad sitzt und eher Überschlagsgefühle aufkommen.

    Wie stark sich das bemerkbar macht, hängt wohl wiederum vom eigenen Empfinden und befahrenen Terrain ab.
  4. benutzerbild

    Affekopp

    dabei seit 11/2005

    Jetzt wärmen wir die Suppe einmal auf smilie. Der Artikel war für mich sehr hilfreich smilie

    Jetzt habe ich eine Frage: Kann man anhand der Geometriedaten erkennen, ob der Rahmen ursprünglich eher für 27(+) oder 29 Zoll gefertigt wurde.

    Wie macht sich eine Erhöhung des Tretlagers um 2cm im Fahrverhalten bei einem XC Rahmen bemerkbar ?

    Lässt sich pauschal schwer sagen.

    Da spielt viel rein (BB-Drop/-Höhe, Sitz- und Lenkwinkel, etc.). Aber wenn der Rahmen dafür ausgelegt ist, wird kein Maß ins extreme abdriften und somit wird es schwierig herauszufinden was sich der Erfinder dabei gedacht hat.

    Um welchen Rahmen geht es? Kannst du mal die Geotabelle und/oder den Herstellerlink posten?

    Hallo, hat Jemand eine Antwort oder Info zum Nachlesen?

    ... wegen dem beschriebenem wird es hierzu auch keine allgemeine Literatur geben. Es hängt an dem individuell gefertigten Rahmen.

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