Zum zweiten Mal hat Jakob Breitwieser die Jugendgruppe, die er im Verein MTB-Freiburg trainiert, eingepackt und auf einen Ausflug mitgenommen – mit dem Bike, versteht sich. Nachdem letztes Jahr das sonnige Finale auf dem Plan stand, ging es dieses Jahr hochalpin zu: Es ging in die französischen Westalpen, wo seine Schützlinge lernen sollten, auch auf den höchsten Gipfeln die Nerven zu behalten. Und wie wir Jakob kennen, hat er uns darüber einen wunderbar amüsanten Bericht mitgebracht! Lest selbst.

Wir stehen 300 Höhenmeter unterhalb des Gipfels. Es sind wunderbar gedankenlose Stunden während des Aufstiegs. Plötzlich scheppert es, scheppert weit oben. Der Berg dröhnt. Ein hektisches Wenden der Köpfe nach rechts, hin zum Hang. Dumpfes Krachen mischt sich mit dem Zerbersten der Felsen. Links nur der Abgrund. Schockstarre. Mein Bruder schreit lauthals. Ruckartig kommt Bewegung in die Gruppe, als wir uns in den Staub werfen und die Steinlawine über uns poltert…

Westalpen - definitiv eine Reise wert
# Westalpen - definitiv eine Reise wert

So – oder so ähnlich, eventuell habe ich aus dramaturgischen Gründen etwas übertrieben – könnte man von unserer diesjährigen Jugendausfahrt in die Westalpen berichten. Hätte ich noch eine raue Erzählerstimme, könnten wir dann nächstes Jahr zur EOFT. Allerdings würden mir dann vermutlich nie wieder Eltern ihre Kinder anvertrauen.

Im Sommer 2017 stand doch etwas Besonderes an: sieben Jugendliche zwischen 15 – 17 Jahren an hochalpines Gelände gewöhnen. Nicht zu Fuß. Natürlich mit dem Bike. Gut, man muss dazu sagen, dass diese Jungs schon als sehr gute Biker bezeichnet werden können. Seit mittlerweile über drei Jahren trainieren wir als Jugendgruppe des Mountainbike Freiburg e. V.

Die dem vorpubertären Alter entsprechende intrinsische Motivation ist auch heute trotz Stimmbruch und Pickel immer noch voll gegeben – dank des ergiebigen Freiburger Nachtlebens haben wir nur die Wochenendtrainings auf den Nachmittag verschieben müssen. Aber gehört ja schließlich auch irgendwie dazu.

Wenn jemand zwei Minuten vor Abfahrt beschließt, seine Lager zu wechseln
# Wenn jemand zwei Minuten vor Abfahrt beschließt, seine Lager zu wechseln

Warum in die Berge gehen? Weil sie halt da sind…

Jetzt kann man sich fragen, ob das denn sein muss. Biken im Hochgebirge. Das ist doch gefährlich. Räder gehören da nicht hin. Theoretisch stimme ich dem sogar zu. Dennoch. Warum nicht? Einen wirklich sinnvollen Grund, in die Berge zu gehen, hatte weder Edmund Hillary noch sonst wer, es gab ihn einfach noch nie. Folglich kann man grad auch das Bike mitnehmen.

Wobei sich heute eine Begründung doch etwas leichter finden lässt: Viele mehr oder weniger sinnlose Stunden hocken wir in Westeuropa mittlerweile in Räumen herum – niemand muss mehr vor einem Säbelzahntiger wegrennen. Was dabei neben der Fitness unter anderem auf der Strecke bleibt, ist die Fähigkeit, sich selbst einzuschätzen. Youtube-Videos gucken ist ja ein ganz netter Anfang, doch sowohl seine individuellen Grenzen und Möglichkeiten als auch ein kooperatives Miteinander lernt man nun mal doch eher draußen als im Klassenzimmer oder auf dem Bürostuhl.

Wichtig - auf Fotos immer in die Ferne zeigen
# Wichtig - auf Fotos immer in die Ferne zeigen
Warten, bis die Pilger den Berg wieder freigeben - gibt schlimmeres
# Warten, bis die Pilger den Berg wieder freigeben - gibt schlimmeres

Ab und zu muss man sich auch außerhalb der Komfortzone bewegen, im Idealfall mit Gleichgesinnten. Bei erfolgreicher Bewältigung erwartet einen ein gestärktes Selbstwertgefühl, ein angenehmer Endorphinrausch und Freundschaften, die dank der bestandenen Abenteuer von Dauer sind.

Man lernt abzuwägen, sich einzuschätzen und somit auch sich selbst kennen. Und wie man mit anderen Menschen umgeht. Ich behaupte mal ganz dreist, dass dies Kompetenzen darstellt, die dann auch wieder „drinnen“ von Vorteil sind – nicht umsonst buchen Manager für sich und ihre Mitarbeiter irgendwelche Teambuilding-Maßnahmen im Wald.

Viel Geschwafel, wenig Gebike. Stimmt schon, deswegen weiter im Programm

Mussten die Eltern im ersten Jahr noch überredet werden, uns ihre Zöglinge für die Testausfahrt nach Finale anzuvertrauen, reicht diesmal eine einfache Mail. Mein Bruder Matthias ist direkt als Betreuer und Mastermind der Tourenplanung am Start. Kirsten Sörries, seines Zeichens Kumpel und eigentlich Manager, der in seiner Freizeit recht professionell als Fotograf unterwegs ist, meldet ebenfalls einen Besuch an und verspricht, die Jungs mit Bildern zu versorgen. Denn sitzt man nicht gerade auf dem Rad, wird natürlich fleißig geinstagramt und gesnapchatted. Facebook ist nur noch für alte Loser. Kirstens Bilder sorgen so natürlich für extra Likes.

So macht Campen Spaß!
# So macht Campen Spaß!

Nach einem riesigen Einkauf sind unsere beiden Busse komplett vollgestopft. Die Autofahrt in Richtung Briancon wird dank der Mütter mit selbst gebackenem Kuchen versüßt. Leider hat der T4 meines Bruders gefühlt weniger PS als meine alte Simson. Vorteil: er kann nur innerorts geblitzt werden.

Nachteil: die Fahrt ist eine sehr zähe Geschichte. Neidlos muss ich allerdings die enorme Landkartenaffinität meines Bruders anerkennen: trotz seines deutlich gammligeren Busses kommt er dank besserer Streckenkenntnis 20 Minuten vor uns an. Böse Zungen munkeln, ich hätte mich verfahren. Dafür war ich dabei immerhin bestimmt sehr schnell.

Sportlernahrung
# Sportlernahrung

Wie gehabt schläft die ganze Bande in ihren Zelten, wir Erwachsene genießen den Komfort der Busse. Diesmal ist das besonders relevant, denn der August 2017 verwöhnt uns nicht gerade mit Sommer, Sonne, Sonnenschein. Dafür regnet, windet und schneit es. Wir parken als Wagenburg – bzw. eher einfach parallel und spannen eine Plane, um immerhin im Trockenen speisen zu können.

Dass deren Höhe einen in eine gebückte Haltung zwingt, tut der guten Stimmung keinen Abbruch. Die Einteilung in Spül- und Kochteams klappt auch in den Bergen hervorragend, bindet alle schön mit ein und fördert die Erkenntnis, dass Essen ohne Mama oder Dönerladen tatsächlich einen Haufen Arbeit bedeutet.

Bonjour, einmal füllen bitte
# Bonjour, einmal füllen bitte
Luxus braucht kein Mensch - hautpsache das Rad ist aus Carbon!
# Luxus braucht kein Mensch - hautpsache das Rad ist aus Carbon!
Schabernack muss sein - mal schnell das gesammelte Hab und Gut in den Baum hängen
# Schabernack muss sein - mal schnell das gesammelte Hab und Gut in den Baum hängen

Spontan beschließen wir, täglich den „Rider des Tages“ zu wählen. Kriterien sind u. a. herausragende Leistungen auf dem Rad oder im Verhalten. Dieser Held bekommt am Folgetag statt einem gleich zwei Schokocroissants und darüber hinaus die „Medaille-Volkswagen“, bestehend aus einem abgefallenem VW-Logo an einem Schnürsenkel hängend. Ehre, wem Ehre gebührt!

Das wunderschöne Gebiet in den Westalpen haben wir bewusst ausgesucht. Zum einen kennen wir dort jeden Pierre mit Vornamen (Achtung: frankophiler Wortwitz), zum anderen bietet es sich hervorragend dafür an, hohe Berge zu besteigen und wieder herunterzufahren – ohne so richtig garstig und gefährlich zu werden. Perfekt, um die Jungs ein ums andere Mal vor die Entscheidung zu stellen: Ist es schlau, hier jetzt herunterzufahren? Sollte ich es lieber bleiben lassen? Brauche ich Hilfe? Oder aber sich bewusst dazu entscheiden: Ich kann das! Ich mache das jetzt.

Wenn die Landschaft für die Mühen entlohnt
# Wenn die Landschaft für die Mühen entlohnt

Zugegebenermaßen: würde ich die Jungs nicht so gut kennen, würde ich mich mit einer Gruppe Pubertierender nicht in ein solches Gelände wagen.

Zugegebenermaßen: würde ich die Jungs nicht so gut kennen, würde ich mich mit einer Gruppe Pubertierender nicht in ein solches Gelände wagen. Denn entstehende Gruppendynamiken bringen (insbesondere männliche) Menschen teilweise zu seltsamen Entscheidungen. Ein Haufen übermotivierter Jugendlicher, denen der Saft schier aus den Ohren tropft, kann hier, glaube ich, durchaus als Risikogruppe gezählt werden.

Doch trotz pubertären Humors ist hier beeindruckend zu sehen, wie die Gruppe über die Jahre zusammengewachsen ist. Stets wird unterstützt, jedoch nie überredet. Was Sozialkompetenzen und Empathievermögen angeht, könnten sich so manche Erwachsenengruppen hier eine Scheibe abschneiden – von den Radskills mal ganz zu schweigen.

Wir Trainer überlassen die Entscheidungen den Buben und greifen nur bei in unseren Augen absoluten Fehleinschätzungen ein. An einem von Locals zusammengezimmertem Drop beschließt etwa einer der Jungs als einziger, nicht zu springen. Diese Entscheidung verdient höchsten Respekt – und wird natürlich mit dem „Rider des Tages“ geehrt.

Nur kein Druck - aber SPRING SPRING SPRING
# Nur kein Druck - aber SPRING SPRING SPRING

Nun sollten wir langsam mal wieder auf die Einleitung zurückkommen. Eine große Gefahr in den Bergen ist der Steinschlag. Gerade ein rutschendes Hinterrad lässt doch den ein oder anderen Brocken mal gen Tal rollen. Klingt jetzt für einen 16-Jährigen nicht besonders gefährlich. Und selbst wenn, weicht man halt aus. Ganz klar, genau so wie man ja vor einer Lawine einfach mit dem Ski davon fahren kann. Dass noch andere Partien oftmals am Berg unterwegs sind, verstehen immerhin alle als Grund zur besonderen Vorsichtsmaßnahme. Als wir uns im letzten Stück eines Aufstiegs befinden, kommt uns eine italienische Pilgergruppe in dem steinigen Gelände entgegen.

Kurvendiskussionen - wo geht es am besten
# Kurvendiskussionen - wo geht es am besten
In die Kurve stellen und blöd daher reden - eine meiner Lieblingsbeschäftigungen
# In die Kurve stellen und blöd daher reden - eine meiner Lieblingsbeschäftigungen
Jugendlichen muss gezeigt werden, wo es lang geht!
# Jugendlichen muss gezeigt werden, wo es lang geht!
Springen muss man der Jugend nicht mehr beibringen
# Springen muss man der Jugend nicht mehr beibringen

Einige der gottesfürchtigen Rotsocken sind zu Fuß allerdings deutlich wackliger unterwegs als man es sein sollte, und dann passiert es tatsächlich: Oberhalb von uns tritt ein Wanderer einen Stein los. Nur ein paar Meter neben uns rauscht eine kleine Steinlawine vorbei. Nach einem ganz kurzen Herzstillstand freue ich mich über diese Situation, verdeutlicht sie doch allen konkret die Ernsthaftigkeit unserer Ansagen. Zum Glück ohne, dass jemand einen Kratzer davon trägt. Danach und die folgenden Tage bewegen sich oberhalb der Baumgrenze alle wie auf rohen Eiern, um ja nichts loszufahren. Quasi ein pädagogisch sehr wertvolles Erlebnis, auch wenn die Geschichte in der Einleitung oben deutlich cooler klang.

Dekorativ in der Landschaft rumstehen - auch das will gelernt sein
# Dekorativ in der Landschaft rumstehen - auch das will gelernt sein

Die nächsten Tage genießen wir die alpine Landschaft mit einigen der besten Trails, die ich kenne. Tagsüber sonnig, wird es abends ungemütlich kalt und nass, einmal müssen wir sogar nachts die Pforten unserer Busse öffnen, um den hilfesuchenden Jungs Schutz vor Gewitter zu gewähren. Der ein oder andere hat klugerweise seine komplette Reisegarnitur draußen gelassen. Zum Glück habe ich noch ein paar Ersatzklamotten dabei – danke an Vaude!

"Sommer" - zumindest etwas Schutz unter den letzten Bäumen
# "Sommer" - zumindest etwas Schutz unter den letzten Bäumen
Linie vorfahren, der Rest folgt
# Linie vorfahren, der Rest folgt
Stein und Regen = rutschig
# Stein und Regen = rutschig
Max lässt es fliegen
# Max lässt es fliegen

Das ist das tolle an den Jugendausfahrten: man meint, wirklich viele Aspekte bedacht zu haben. Und dann wird man immer wieder überrascht.

An einem Morgen allerdings sieht einer der Jungs gar nicht gut aus. Trotz seiner Behauptung, topfit zu sein, wird er mit jedem Meter Uphill grüner und nimmt langsam die Farbe eines Orks an. Und zwar nicht so ein dunkler Ork, sondern dieser weißgrüne aus dem Hobbit-Film. Zeit für eine Pause, die auch reichlich genutzt wird, um das Frühstück strahlweise wieder loszuwerden. Danach sieht er gleich wieder besser aus und es stellt sich heraus: nicht die Pains au chocolat waren schlecht. Er hat seine Kaffeemilch, die er zum Frühstücken liebt, einfach in seinem Zelt gelagert. Dass diese ungekühlt nach drei, vier Tagen ständigen Erwärmens und Abkühlens verderben könnte, daran hat er allerdings nicht gedacht.

Etwas geschwächt, aber wieder fit und mit großem Willen geht es weiter. Klarer Fall – er wird „Rider of the day“! Das ist das Tolle an den Jugendausfahrten: man meint, wirklich viele Aspekte bedacht zu haben. Und dann wird man immer wieder überrascht. Immerhin wissen mittlerweile alle, dass man vor und während einer 1800 Hm Tour etwas essen sollte und dass Sonne tatsächlich zu Sonnenbrand führen kann – ein schönes Gefühl, wenn man merkt, dass bei den Ausfahrten und Trainings tatsächlich gelernt wird.

Juhuuu Uphill - keine Ahnung, warum ich so lache
# Juhuuu Uphill - keine Ahnung, warum ich so lache
Pause 1 - auch käsige Bikerkörper brauchen mal Sonne
# Pause 1 - auch käsige Bikerkörper brauchen mal Sonne
Pause 2 - so lässt es sich leben
# Pause 2 - so lässt es sich leben
Einmal 10 Colas bitte
# Einmal 10 Colas bitte
Max hat auch im abschüssigem Gelände eher weniger Probleme
# Max hat auch im abschüssigem Gelände eher weniger Probleme

Und die Lehre der Geschichte?

Auch wenn ein Blick in die Medien teilweise anderes suggeriert, so ist unsere heutige westliche Welt doch recht komfortabel und sicher geworden. Das Essen bringt der Lieferdienst, kein Bär will mich mehr fressen und selbst der Blick aus dem Fenster wird unnötig, denn die Wetter-App zeigt ja alles an. Da der Mensch schließlich von Haus aus faul und aufs Überleben bedacht ist, eine tolle Entwicklung. Über heroische Taten von Wikinger zu lesen reicht mir vollkommen. Zu froh bin ich, dass mir keiner eine Riesenaxt über den Schädel ziehen möchte. Meinen Arm kann ich einfach betäuben lassen, wenn ich mal wieder hingefallen bin. Angenehme und hilfreiche Entwicklungen.

Falki geht steil
# Falki geht steil
Fotokulisse - Paul F
# Fotokulisse - Paul F

Dennoch, irgendwas geht dabei verloren und so kommen wir wieder zum Biken. Es gibt quasi keine andere Möglichkeit mehr als Sport, um sich – im Idealfall bewusst – in Risiko zu begeben, sich so selbst besser kennen zu lernen und als erfolgreich zu erleben. Von den geförderten sozialen Kompetenzen einer solchen gemeinsamen Ausfahrt mal ganz zu schweigen. Und je früher das beginnt, desto besser. Wenn man dies gleichzeitig mit dem Kennenlernen anderer Menschen, anderer Länder und wunderschöner Berglandschaften verbinden kann, noch besser! Dies ist der Grund, warum ich mit meiner Jugendgruppe in die Alpen fahre. Das sollte der Grund sein, warum wir alle biken. Von einem schön trainierten Hintern mal abgesehen.

Auf über 3000 Meter - warum auch nicht
# Auf über 3000 Meter - warum auch nicht

Ein großer Dank geht an Matthias, Kirsten, den Mtb-Freiburg e. V., die Eltern und natürlich an die ganze Bande!

Fotos: Kirsten Sörries, privat
  1. benutzerbild

    spümco

    dabei seit 04/2004

    Starke Sache!

  2. benutzerbild

    Der_Graue

    dabei seit 05/2010

    Prima, weiter so!

  3. benutzerbild

    el pisote

    dabei seit 06/2007

    upload_2018-4-12_12-27-41.gif Warum habt ihr das nicht schon vor 20 Jahren angeboten?smilie
  4. benutzerbild

    DocLV

    dabei seit 05/2014

    Sehr schöner Bericht!!
    Gute Bilder!!
    Ach meno, da möchte man auch wieder jung sein smilie.
    Euch weiterhin viel Spaß und tolle Ausfahrtensmilie

  5. benutzerbild

    opossum

    dabei seit 08/2006

    Danke an alle für das nette Feedback! Das freut einen smilie

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