Giacomo und Stefan von 77Designz haben Großes vor: Ihren eigenen Bikerahmen entwickeln. In dieser neuen Serie werden sie euch an allen ihren Ideen, Überlegungen und Fortschritten teilhaben lassen und diese mit euch diskutieren. Wöchentlich kommt ein neuer Teil. Viel Spaß mit dem Kick Off der Serie.

Wir entwickeln einen Fahrradrahmen

Es gibt mittlerweile recht viele Videos im Internet, die zeigen, wie ein Fahrradrahmen gebaut wird. Aber hast du jemals im Detail gesehen, was vorher geschah? Stefan und ich hatten letztes Jahr ein paar spannende Ideen für ein neues Enduro und dachten uns, dass es genial wäre, das ganze per Video zu dokumentieren. Wir wollen euch in dieser Videoserie Schritt für Schritt durch die Entwicklung führen; von der ersten Idee zur Geometrie, über die Kinematik zum Mock Up bis hin zum fertig konstruierten Rahmen. Und noch weiter.

Giaco von 77Designz …
# Giaco von 77Designz …
… und sein Kollege Stefan
# … und sein Kollege Stefan
Diashow: Teil 1: Die Idee
3-Wheel Path 29-28T
4-Anti-Squat-deviation
2-Wheel Path 27-30T
1-Wheel Path 26-32T
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Jetzt werden ein paar Schlaue sagen, das habt ihr doch alles schon auf Youtube gezeigt. Stimmt. Dennoch wollen wir euch hier auf MTB-News mit euch noch weitere Details teilen, um den ganzen Prozess noch greifbarer zu machen. Wir werden nun also wöchentlich ein Video aus unserer YouTube-Serie „Wir entwickeln einen Fahrradrahmen“ zeigen, alle Besonderheiten erklären und mit euch diskutieren. Rege Beteiligung eurerseits ist dabei natürlich sehr erwünscht!

Kinematik – immer ein Kompromiss

Wir haben uns in der Vergangenheit viele Mountainbikes angeschaut und deren Fahreigenschaften genauer analysiert. Da die Kinematik eines voll gefederten Fahrrades immer einen Kompromiss darstellt, hat jeder Rahmen Stärken und Schwächen.

So hat ein Rahmen mit einem geringen Anti-Squat (für eine Erklärung der Begrifflichkeiten „Anti-Squat“ und „Anti-Rise“ schaue man sich einfach die untenstehenden Videos an) eine offenere Federung, da sie nicht von der Kette am Einfedern gehindert wird. Und ein Rahmen mit wenig Anti-Rise wirkt zwar der Gewichtsverlagerung durch Massenträgheit beim Bremsen nicht so schön entgegen, liefert aber mehr Traktion beim Bremsen.

Am Ende geht es also immer darum, den für die entsprechende Zielgruppe optimalen Kompromiss zu finden. Und hier kommt schon das erste Video:

Wie im Video erklärt, gefallen uns bei bisher existierenden Rahmen vor allem drei Dinge nicht:

  • Die Anti-Squat-Abweichung bei verschiedenen Kettenblattgrößen
  • Die Anti-Rise-Werte
  • Die Raderhebungskurven

Anti Squat-Abweichungen

Hier möchten wir euch noch ein paar Grafiken zur Verfügung stellen. In denen könnt Ihr genauer erkennen, warum wir denken, dass hier noch Verbesserungspotenzial besteht. Dazu haben wir Eingelenker in allen drei Laufradgrößen erstellt, die bezüglich des Anti-Squats exakt gleich abgestimmt sind.

Links im Bild sieht man die Raderhebungskurve eines 26“-MTB mit 32er Kettenblatt auf 100% Anti-Squat optimiert. Über den gesamten Federweg betrachtet geht der Federweg um 5 mm nach vorne. Im wichtigen SAG-Bereich geht er, zumindest vereinfacht gesagt, vertikal nach oben. Die Ausweichbewegung, um Hindernisse zu überwinden, ist vorhanden, aber sehr gering. Dies ist nicht optimal. Aber zu wenig, um negativ aufzufallen – wir würden das als neutral beschreiben.

1-Wheel Path 26-32T
# 1-Wheel Path 26-32T

Mit den wachsenden Laufradgrößen verschlechtert sich die Raderhebungskurve allerdings. Bei diesem 650B-Modell geht der Federweg bei 160mm schon 13mm nach vorne und fängt mit dieser Richtung schon ab dem SAG-Bereich an. Wir nehmen hier an, das jemand, der am 26“ Rad ein 32er Kettenblatt gefahren ist, am 650B Bike nun 2 Zähne kleiner fahren würde. Zur Verschlechterung der Raderhebungskurve führen also zum einen das relativ zu den Radachsen abgesackte Tretlager und zum anderen das kleinere  Kettenblatt.

2-Wheel Path 27-30T
# 2-Wheel Path 27-30T

Beim nächsten Sprung auf 29“ braucht es nicht mehr viel zu erklären: Es passiert quasi dasselbe wie beim Sprung von 26“ auf 650B. Das Tretlager wandert, relativ zu den Achsen, noch weiter hinunter und das Kettenblatt wird noch kleiner. Um eine sinnvolle Kinematik zu konstruieren, muss die Raderhebungskurve deutlich nach vorne zeigen und weicht damit deutlich gegen das Hindernis aus. Das Ergebnis ist, dass die positiven Überrolleigenschaften vom größeren Laufrad durch die Verschlechterung der Raderhebungskurve teilweise wieder neutralisiert werden oder einfacher gesagt: Das Rad rollt nicht so schnell, wie es könnte und stolpert trotz großer Räder über Hindernisse.

3-Wheel Path 29-28T
# 3-Wheel Path 29-28T

In der folgenden Grafik wollen wir euch zeigen, wie stark der Anti-Squat-Wert bei unterschiedlichen Kettenblättern abweichen kann. Das Kinematik Modell ist auf ein 30er Kettenblatt optimiert und hat hier einen Anti-Squat von 95,7% bei 30/24. Nun ist es interessant, dass der weniger trainierte Fahrer, der ein kleineres Kettenblatt braucht, um die Berge hochzukommen, diesen Umbau mit deutlich mehr Anti-Squat bezahlt. Und folglich auch mit einem höheren Pedalrückschlag. In diesem Kinematikmodell zum Glück noch in einem verträglichem Maß. Für einen fitteren Athleten sieht das leider anders aus: Er wird eher ein größeres Kettenblatt fahren wollen und wird dieses mit einem zu geringen Anti-Squat quittiert bekommen. Sein Fahrwerk wird also weniger effizient beschleunigen (Wippen), dafür aber in der Abfahrt recht frei arbeiten. Wie schon gesagt: Jede Medaille hat zwei Seiten und es gilt immer die für den Einsatzbereich passende Balance zu finden.

4-Anti-Squat-deviation
# 4-Anti-Squat-deviation

Um den für uns perfekten Kompromiss zu finden, planen wir ein Rad mit einem hohen Drehpunkt und einer Umlenkrolle. Hier gehen die Abweichungen durch verschiedene Kettenblattgrößen gegen null, da der Anti-Squat über die Umlenkrolle eingestellt wird.

Geplant ist ein Rad mit hohem Drehpunkt und einer Umlenkrolle
# Geplant ist ein Rad mit hohem Drehpunkt und einer Umlenkrolle

Anti-Rise-Werte

Oft wird fälschlicherweise angenommen, dass Eingelenker generell auf der Bremse verhärten und es zum „Bremsstempeln“ kommt. Das Vorurteil kommt unserer Meinung nach aus Zeiten, als Downhillbikes ein hohes Tretlager, 26“ und große Kettenblätter hatten. Um für solche Räder eine sinnvolle Kinematik bei einem Eingelenker zu entwickeln, muss der Drehpunkt recht hoch liegen. Ein hoher Drehpunkt resultiert dabei immer in einem hohen Anti-Rise. Moderne Eingelenker hingegen haben einen sehr angenehmen Anti-Rise um die 100%. Dies ist hoch genug, um die Geometrie beim Bremsen stabil zu halten und dennoch nicht zu einem übermäßigen Verhärten zu führen.

Viele VPP und Horst-Link-Konstruktionen haben Anti-Rise Werte um die 50%, die zwar viel Traktion beim Bremsen behalten, jedoch der Schwerpunktverlagerung durch Massenträgheit beim Bremsen nicht ausreichend entgegen wirken. Somit federt das Fahrwerk hinten beim Bremsen aus, was die Überschlagsgefahr in Steilstücken verstärken kann.

Eingelenker mit hohem Drehpunkt und Umlenkrolle haben dasselbe Problem wie der beschriebene Old School Downhiller. Der Anti-Rise Wert ist zu hoch und führt zu Bremsstempeln. Wie schon im Video erwähnt, sind die beschriebenen Probleme meist erst ab höheren Federwegen (150 mm +)  zu erfahren. Zum Thema Anti-Squat und Anti Rise haben wir auch noch ein Video gemacht für alle, die sich da gerne tiefer eindenken wollen:

Hierzu empfehlen wir auch die Videos zu Anti-Squat und Anti-Rise von Andre XTR auf YouTube.

Wir haben für diese drei Probleme Lösungen gefunden, die wir euch im Laufe der Serie näher erklären werden. Wir freuen uns sehr, hier alles mit euch zu diskutieren und sind sehr gespannt, welche Erfahrungen Ihr selbst habt, wie Ihr eure Räder beschreiben würdet und ob Ihr die von uns angesprochenen Aspekte und Problematiken ähnlich seht wie wir!


Alle Artikel zum 77designz-Projekt

  1. benutzerbild

    Scottchie

    dabei seit 07/2018

    ich sehe das wie @iceis
    An solch einem Radl gibt es wenig Grund keine 203er zu fahren.
    Doch. Einen: Ich will vorne 220mm fahren...
  2. benutzerbild

    haifechter

    dabei seit 09/2005

    Hallo Chiaco,
    welche Software nutzt ihr zur Rahmenauslegung und Berechnung und zur Konstruktion?

  3. benutzerbild

    iceis

    dabei seit 11/2010

    Doch. Einen: Ich will vorne 220mm fahren...

    bin ich eh mal gespannt wanns da ne SC gabel gibt mit scheibenfreigabe größer als 203
  4. benutzerbild

    trailterror

    dabei seit 11/2010

    Pro unterschiedliche steuerrohrlängen, nicht zu tiefe tretlager, keine zu kurzen sitzrohre....

  5. benutzerbild

    Deleted 451635

    dabei seit 12/2015

    Interessantes Konzept, sind auch n Haufen kompetenter Vorüberlegungen. Ich finde nur, für n Alu-Bike verkünstelt ihr euch am Hinterbau. Weniger Gelenke - größere Lager, ups ich schwärm schon wieder von Orange.
    Is nur ein laienhafter Eindruck, ohne Anspruch auf Expertise meinerseits.
    Ich verfolge Eure Entwicklung gespannt und wünsche Euch weiterhin viel Erfolg bei Eurem Projekt.

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