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In den letzten 3 Artikeln wurde geklärt, wo die Reise bei dem Enduro-Projekt hingehen soll und welche Problemstellungen die Jungs von 77Designz lösen wollen. Im heutigen Artikel geht es um die Entwurfsphase und die finale Kinematik. Viel Spaß bei der Lektüre und der anschließenden Diskussion!

Das Ziel ist es also, einen Rahmen zu entwickeln, der über einen virtuellen, weit vorne liegenden hohen Drehpunkt verfügt, um eine ideale Raderhebungskurve und einem sinnvollen Anti Rise zu bekommen (s.h. Artikel 3). Damit man den Anti Squat sinnvoll einstellen kann, gibt es eine Umlenkrolle. Durch diese gibt es noch mehr Freiheit bei der Wahl des Kettenblattes, da dieses den Anti Squat nur noch sehr wenig beeinflussen kann (s.h. Artikel 1).

Diashow: Teil 4+5: Entwurfsphase und finale Kinematik
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Das Ganze verpacken wir in ein modernes, langes und flaches Enduro mit Platz für einen Flaschenhalter zentral im Rahmen und lassen es auf 29“ Reifen rollen. Dieses Mal würden wir euch gerne gleich zwei Videos zeigen. Das erste behandelt die Entwurfsphase, in der wir immer wieder zwischen Linkage und Solidworks hin und her springen, um die aktuelle Kinematik mit dem zur Verfügung stehenden Bauraum und anderen Zielen abzugleichen. Kommt es hier zu Konflikten, müssen wir abwägen, wo unsere Prioritäten liegen und die Kinematik weiter anpassen. Oft lassen sich sehr ähnliche Ergebnisse auch mit leicht verschobenen Lagerpunkten erzielen, solange die Gesamtkomposition passt.

Film ab für Video 4:

Nun, da alle Konflikte aus unserer Sicht gelöst sind und wir wissen, dass es passt und genügend Platz für Rohre, Reifen, Gabel, Dämpfer, Kurbeln, Schaltwerk usw. gegeben ist, würden wir euch gerne in Video Nummer 5 die finale Kinematik vorstellen. Im Weiteren erklären wir zudem noch detailliert, warum wir so überzeugt von unserer Lösung sind.

Los geht es mit Video 5: 

Was macht die Kinematik also aus unserer Sicht so gut?

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# Kinematics3

Raderhebungskurve:

Die deutlich nach hinten zeigende Raderhebungskurve bietet eine optimale Ausweichrichtung, um Hindernisse leichter zu überrollen. Das sorgt dafür, dass man mit weniger Mühe schnell bleibt. Gerade im Vergleich mit konservativen 29ern, die deutlich nach vorne federn, wird der Vorteil deutlich.

Anti Rise:

Der Anti Rise ist für ein Rad mit hohem Drehpunkt ungewöhnlich niedrig. Dadurch bleibt der Hinterbau auf der Bremse sehr aktiv. Trotzdem ist der Anti Rise hoch genug, um effektive Geometrieveränderungen vorzubeugen. Genauer erklärt haben wir das ja schon im 3. Artikel.

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# 20-DATA

Anti Squat:

Wir haben es geschafft, unseren Anti Squat so zu gestalten, dass er selbst auf dem Klettergang recht hoch ist und man dadurch ohne Wippen auch steile Rampen hochradeln und beschleunigen kann. Im Verlauf wird er aber beim Herunterschalten in die härteren Gänge immer kleiner, bis er beim 10er Ritzel bei ca. 100% liegt – was sich in unserem Fall so anfühlt, als würde man ohne Kette fahren, denn es gibt keinen Pedalrückschlag mehr. Das ist für 100% Anti Squat sehr ungewöhnlich. Hier einige Screenshots aus Linkage die den Verlauf über die Gänge zeigen:

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Was noch ein sehr guter Trick ist, um viel Anti Squat im SAG Bereich anbieten zu können, ohne zu viel Pedal Kickback in Kauf nehmen zu müssen, ist ein durch den Federweg abfallender Anti Squat: Denn wirklich brauchen tut man die Unterstützung nur im Sag Bereich.

Dieses Video zeigt sehr schön, wie der Anti Squat nach dem SAG Bereich abfällt.

Video: 

77designz sc von opossumMehr Mountainbike-Videos

Erläuterung: Anti Squat

Für alle, die es interessiert, gibt es hier noch eine allgemeine Erklärung dazu, was Anti Squat eigentlich ist:

Bei der Beschleunigung eines Fahrrad will der Körperschwerpunkt, bedingt durch die Massenträgheit, immer zurück bleiben und beschleunigt nur verzögert. Das führt zu einem ungewolltem Einfedern des Hinterbaus. Dieser Effekt nennt sich Squat, was übersetzt so viel wie „Hocken“ bedeutet. Dazu kommen noch die schwellende Lasten durch das Pedalieren und die wechselnde Gewichtsverteilung, die den Effekt weiter verstärken (= „Pedal Bob“). In der Fahrwerksentwicklung versucht man diesen Effekten mit Kettenzug entgegenzuwirken (Anti Squat).

Zieht die Kette den Hinterbau weiter auseinander als notwendig, um die Geometrie aufrecht zu erhalten, spricht man von einem Anti Squat Wert größer als 100%. Hält der Kettenzug die Geometrie stabil, ist das System im Gleichgewicht und der Anti Squat liegt bei 100%. Zieht die Kette den Hinterbau zu wenig auseinander, um ein Gleichgewicht der Kräfte herzustellen, liegt der Anti Squat Wert unter 100%.

Bei der Entwicklung muss man sich darüber im Klaren sein, ob einem Traktion oder Pedaliereffizienz wichtiger sind. Denn wie so oft stehen sich die beiden gegenüber und es gilt, den richtigen Kompromiss zu finden. In der Industrie hat es sich durchgesetzt, den Anti Squat Wert zwischen 100 und 150% zu legen. Das sorgt für einen guten Support bei akzeptablem Pedalrückschlag.  Dabei gilt zu beachten, dass große Fahrer durch den höheren Schwerpunkt eher mehr Anti Squat brauchen, um Effizient unterwegs zu sein. Außerdem wandert der Anti Squat Wert meist mit dem Federweg. Darum ist es immer wichtig genau zu bestimmen, wo der Wert im SAG Bereich liegt, denn das ist der Bereich, in dem man pedaliert.

Was sagt ihr zur finalen Kinematik?


Alle Artikel zum 77Designz-Projekt

  1. benutzerbild

    Oldie-Paul

    dabei seit 08/2011

    Anhang anzeigen 806441
    Der Schwerpunkt schiebt sich mit Abheben des Vorderrades etwas nach vorne...
    Sieht überzeugend aus, trifft aber nicht zu. Der schwerpunkt, besser massenmittelpunkt ist fest mit dem bike verbunden. Bezüglich des bikes bleibt er immer am selben ort, solange sich die massenverteilung nicht ändert. Die skizze suggeriert, dass sich der sp gegenüber dem bike verschiebt. Laut definition kann er das gar nicht. Er verschiebt sich im ruhenden system (umwelt) gegenüber seiner bisherigen linearen bewegung. (Änderung der orientierung des bikes im raum) Hier ist der aktuelle drehpunkt aber der momentane aufstandspunkt des rades. Und damit verschiebt sich der sp auf dem entsprechenden drehkreis nach hinten bezüglich der bisherigen linearbewegung.
  2. benutzerbild

    DrFlow

    dabei seit 04/2013

    Ich würde sagen, ihr meint beide das gleiche, Oldie-Paul hat es nur ausformuliert. Der MMP verschiebt sich in Relation zum Radaufstandspunkt nach vorne, das stabilisierende Moment durch die Gewichtskraft erhöht sich.

  3. benutzerbild

    Oldie-Paul

    dabei seit 08/2011

    Ich würde sagen, ihr meint beide das gleiche, Oldie-Paul hat es nur ausformuliert. Der MMP verschiebt sich in Relation zum Radaufstandspunkt nach vorne, das stabilisierende Moment durch die Gewichtskraft erhöht sich.
    Eigentlich wollte ich das gegenteil beweisen, musste aber erkennen, dass die aussage stimmt. smilie
  4. benutzerbild

    Joey12345

    dabei seit 05/2014

    [Bild]

    Welches bike ist das denn?
    Edit: Auflösung durch mich: forbidden Prototyp

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