24h von Finale Ligure 2009: im IBC TV ansehen

Ihr habt noch keinen Vorsatz für 2010 gefasst, der sich um das Thema Sport dreht? Ihr habt keine Lust mehr auf Streusalz, Handschuhe und laufende Nasen? Daisy hat euch die letzte Lust auf die weiße Pracht genommen und ihr wollt einfach nur noch Sommer, Sonne, Sonnenschein und eine gehörige Portion Sport aber mit Spaß? Dann könnte ein 24h Rennen etwas für euch sein.

Auf so ein Rennen kann man sich lange vorbereiten oder einfach so teilnehmen – wie beim gelaufenen (oder gekrochenen) Marathon auch merkt man das Ergebnis spätestens einen Tag später. So mixen sich im Starterfeld Spaßteams und übermotivierte Hobby-Rennfahrer, Freizeittourer auf neuem Terrain und alte Hasen, die es sich noch mal beweisen möchten. Wer 24h am Stück alleine Vollgas geben will, der muss schon ganz hart drauf sein… aber auch im Team heißt es beißen, beißen, beißen. Spätestens nach der Hälfte des Rennens, in den frühen Stunden des neuen Tages!

Wie so ein Rennen abläuft? Eigentlich ganz einfach. Start um 14 Uhr, Ende am nächsten Tag wieder um 14 Uhr. Dazwischen fahren, was Lunge, Muskeln und Geist hergeben. Gut, dass ist zu einfach. Aber lest einfach selbst, wie bei mir und meinem Team das 24h Rennen von Finale Ligure am 23./24. Mai 2009 zu einem doch erstaunlichen Erlebnis und Ergebnis geworden ist:

Langsam geht die Sonne unter; wir schauen verträumt auf’s Meer hinaus. Es sind keine 30 Stunden vergangen und doch fühlt es sich an, als hätten wir gemeinsam eine ganze Saison im Zeitraffer durchfahren. Noch immer sitzt der Dreck in allen Poren, die Duschen sind dem feinen, vom Schweiß aufgesogenen und eingetrockneten Staub nicht Herr geworden. Ebenso wenig die Lungen, die jetzt wissen, was Feinstaub wirklich ist. Aber wir sind glücklich!

Wir, dass ist das Team Lokomotive Stuttgart. Ein seltsamer Name? Keineswegs: Wer uns auf der Strecke schnaufen hört, wird verstehen, warum wir uns so genannt haben. Wir, wir sind ein Achterteam, das mit so wenig Aufwand wie möglich so viel als möglich erreichen will. So sitzen wir wenige Stunden vor Start des Rennens entspannt in der prallen Sonne vor unseren Aldizelten auf dem Boden. Keine Stühle, kein Sonnensegel. Aber wir sind ja auch nur zur Hälfte zum Urlauben da, die andere Hälfte will ein Rennen fahren.

Wir, das sind Chris, Chris (Kurt), Flo, Hanne, Henning, Thorsten, Tobi und Tobi (nuts). Die Devise lautet ganz klar Vollgas, doch bevor es das gibt, stellt die Praxis uns einige Probleme. Als bunter Mix aus Studenten der Uni Stuttgart (daher der zweite Teil des Namens) und einem Zuvieldienstleistenden vom Bodensee erst spät angereist, machen wir uns daran die fehlende Beschattung für unseren Zeltplatz zu entwickeln und präsentieren einige Versuche und 50 Meter Schnur später unsere selbst tragende, frei schwebende Sonnensegelkonstruktion. Fast jedenfalls. Vielleicht wäre ein passender Teamname auch „No-Budget-Team“ gewesen, denn an allen Ecken und Enden fehlt irgendwas. Vielleicht ist es aber auch gerade die hemdsärmelige Atmosphäre, die uns junge Wilde so sympathisch macht und so viel Freude bereitet. Aus den Vorjahren bei den Organisatoren bestens bekannt ist das Team ein gern gesehener Gast und wie bislang jedes Jahr finden sich unter den acht Fahrern auch einige neue Gesichter – so zum Beispiel ich. Eigentlich bin ich ein Mountainbiker, der sich auf Downhill und 4x Strecken am wohlsten fühlt und doch konnte ich mich den grandiosen Beschreibungen nicht widersetzen. Geile Trails, Rennaction, grandiose Aussicht und das alles 24 Stunden lang… hat man da eine Wahl? Bei mir gibt es zwar weder rasierte Beine, noch Klickies aber damit bin ich glücklicherweise nicht der einzige Starter. Um in dem bunten Haufen, der sich über den Campingplatz schiebt, aufzufallen, bedarf es schon einer ganz besonderen Verkleidung. Ein zum Pferd dekoriertes Bike könnte das sein. Oder ein Tandem mit Fahrern im Römerlook. Hier scheint alles vertreten zu sein. Immerhin ist mein Bike vergleichsweise unkonventionell aufgebaut, denn ein breiter Lenker mit kurzem Vorbau und die Flatpedals sieht man im Starterfeld doch eher selten. Das wird dominiert von unendlich leicht scheinenden Kunsttoffrädern oder aber dicken Freeridern, die die Downhillpassagen richtig mitnehmen wollen und ansonsten eher die gemütliche Tour fahren. Fest steht: Die Strecke in Finale Ligure hat es in sich und wird im Laufe des Rennens nicht nur so manchen Fahrer, sondern auch so manches Rad in die Knie zwingen.

Größtenteils über fein bestaubte Singletrails führend schlängelt sie sich durch die Berge oberhalb von Finale und neben knackigen Anstiegen durch mehr oder minder loses Geröll gibt es vor allem eine immer wieder kehrende, grandiose Aussicht zu genießen! Riccardo, einer der Organisatoren wird später sagen, dass die Strecke alles von Finale Ligure vereine und im Nachhinein denke ich, dass er damit ganz Recht hat – in den drei Wochen nach dem Rennen habe ich mich nicht von Finale lösen können und wir haben noch einige Trails, dann aber Downhill-lastig, unter die Reifen genommen. Downhill-lastig zeigt sich auch das Ende der Runde vor Start/Ziel. Eng zirkeln die Fahrer hier zwischen den Bäumen hindurch und mehr und mehr denke ich, dass mein Bike vielleicht doch genau das richtige für diese Strecke ist und ich als Nicht-CC-Fahrer vielleicht doch eine Chance auf schnelle Runden habe. Wenn ich nicht zu sehr abgelenkt werden sollte. Diese Aussicht…

14:00:00 Uhr. Samstagmittag. Die Sonne brennt auf uns nieder, als wir gemeinsam am Start stehen, um Tobi, unseren ersten und schnellsten Fahrer, zu unterstützen. Die ersten Meter werden im Stile des wohl größten 24h-Rennen der Welt, den 24h von Le Mans, gerannt bevor sich die wilde Meute auf ihre Bikes hechtet und wie ein endloser Wurm auf die Strecke geht. Und dieser Wurm hat es in sich. Die wenigen Zentimeter Strecke werden von den verschiedensten Fahrertypen beansprucht und wer ein gewisses Tempo überschreitet, der bekommt Probleme. So auch wir. Nicht die Polizei, sondern das zum Überholen genutzte Unterholz bremst unseren Startfahrer schon gleich in der ersten Runde mit einem Plattfuß aus… Aber das Rennen ist lang, sehr lang.

Als ich auf meine erste Runde gehe, haben wir uns schon wieder einige Plätze nach vorn gearbeitet und ohnehin verliert man im regen Getümmel schnell den Überblick, wo man eigentlich steht. Laut der Organisation sind 223 Teams oder Einzelfahrer auf der Strecke unterwegs und was das bedeutet, weiß ich nach 8,38km und gut 200Hm genau: Stau. Bis in die Nacht hinein wird jeder von uns bis zu 50 Fahrer pro Runde überholen und fast jedes Mal wird es dabei eng, sehr eng. Gerade bei mir, denn als eigentlicher Abfahrer bin ich am schnellsten, wenn die Strecke am schmalsten ist. Während auf der breiten Forstpiste im Mittelteile manche genüsslich mit 44 auf 12 den Berg hinauf stampfen, fliegen bei mir in den Kurven die Fetzen – zumindest so lange kein langsamerer Fahrer die Ideallinie blockiert. Eine Alternative wäre das Unterholz aber wo schon ein Kleinkind die Finger von lassen würde, will auch kein Reifen hinein gefahren werden.

Aber es läuft gut für uns. Wir saugen uns von Fahrer zu Fahrer immer weiter nach vorne und als es in die Nacht geht, schlägt unsere Stunde. In ähnlicher Zusammensetzung ist das Team im Vorjahr auf dem siebten Gesamtplatz gefahren und malt sich für dieses Jahr zumindest ähnliche Chancen aus. Tobi und Flo haben bereits mit Zeiten deutlich unter 26 Minuten pro Runde gezeigt, was in ihnen steckt und auch der Rest des Teams fährt deutlich unter 30 Minuten pro Runde, was einem Durchschnitt von bis zu 20km/h entspricht.

Jetzt kommt es darauf an, diese Zeiten über die Nacht nicht einbrechen zu lassen und hier komme ich ins Spiel: Kurz vor dem Rennen habe ich mit Wolf-Dieter Koch von Lupine Kontakt aufgenommen und ihm von unserem Vorhaben erzählt – keine Woche später steht ein riesiges Paket mit feinster Lampentechnik aus dem Hause Lupine vor meiner Türe und jetzt im Rennen trauen wir unseren Augen kaum. Wie bei Tag brennen wir uns mit jeweils einer Lupine Wilma als Helmlampe und einer nochmals helleren Betty am Lenker durch die Nacht und wer das Pech hat vor uns zu fahren, sieht nicht mehr als seinen eigenen Schatten. Unabhängig davon, was er selbst für eine Lampe verwendet. So viel Licht ist schon wirklich beeindruckend und ich zolle jedem Respekt, der mit einer strombetriebenen Kerze das Rennen in Angriff genommen hat. Mehr Spaß macht es aber doch mit mehr Licht – keine Runde ist so schön gewesen wie die am frühen Morgen bei beginnendem Sonnenaufgang! Hinzu kommt, dass in der Nacht etwas weniger Verkehr herrscht, alles ein bisschen weniger staubig ist und die Lungen sich nicht nur darüber, sondern auch über die gesunkenen Temperaturen freuen.

So laufen wir in der Nacht zur Höchstform auf und als wir aus dem Wachkoma der Nacht erwachen, trauen wir unseren Augen kaum: Mittlerweile haben wir uns auf den fünften Platz in der Gesamtwertung nach vorne gearbeitet und sind in Schlagdistanz zu den Viertplatzierten. Obwohl wir nie wussten, wer von uns als nächster fahren würde und uns auch sonst recht wenig um uns gekümmert haben, legen wir nun richtig los. Flo und Tobi haben immerhin ein bisschen schlafen und auch die anderen haben trotz Schlafentzug neuen Saft getankt, um noch mal richtig zu attackieren. Dennoch ist es unglaublich, wie viel Kraft der Schlafentzug kostet. Jede Runde für sich ist konditionell machbar aber so viele in Folge zeigen ungeahnte Anstrengungen.

Nach 24 Stunden und quälenden 11 Minuten in der Mittagshitze ist es dann soweit – wir sind im und am Ziel. Und fix und fertig. Unsere letzten Fahrer haben alles aus sich herausgeholt und im Klassement sind wir auf den vierten Gesamtrang nach vorne gefahren. Nur 8 Minuten trennen uns am Ende vom dritten Platz. Aufs Podest dürfen wir trotzdem, denn in der Teamwertung sind wir das drittschnellste Achterteam gewesen und lassen uns erschlagen und dreckverschmiert auf der Bühne feiern.

Nach dem Plattfuß gleich in der ersten Runde haben wir glücklicherweise keine weiteren technischen Probleme gehabt und auch andere Kleinigkeiten konnten uns nicht aus dem Konzept bringen. Ein Start ohne Transponder am Bein? Kein Problem. Viel zu wenig gegessen und getrunken? Kein Problem. Glücklich auch, dass wir ohne größere Stürze über die Runden gekommen sind. Ich durfte gleich in meiner ersten Runde Bekanntschaft mit dem harten Boden machen, als ich beim Überholen in einer Steilkurve von dem Fahrer, den ich eigentlich überholen wollte, abgeschossen wurde – das 4x-Racing steckt mir einfach noch zu sehr in den Knochen. Doch auch bei den anderen Fahrern wie Hannes oder Henning (der mit 14cm Rohloff-Fully am Start und trotzdem sauschnell unterwegs war) verliefen die Reibereien auf und mit der Strecke ohne bleibende Schäden und so sitzen wir am Sonntagabend noch lange gemütlich am Feuer, während der Zeltplatz um uns rum in gespenstiger Stille versinkt. Weg ist sie, die rasende Geschäftigkeit der letzten 24 Stunden. Der Mond scheint und manch einer von uns fragt sich, ob er wirklich am nächsten Morgen schon wieder in Stuttgart sein würde, um zu erfahren, was er alles verpasst habe.

Die Antwort lautet ohnehin: Nichts. Dieses Rennen sollte man erlebt haben, egal ob CC-Racer, Alpentourer, Enduropilot oder Downhillmaschine. Nur das Sonnensegel sollte man nicht vergessen.

Tobi

P.S.: Weitere Infos (Anmeldung für 2010) und Bilder finden sich auf der Homepage des Rennens: www.24hfinale.com

  1. benutzerbild

    Thomas

    dabei seit 09/2000

    Tobi, mal wieder Klasse geschrieben. Das Event klingt sehr verlockend!

  2. benutzerbild

    StephanR1

    dabei seit 03/2005

    Super Bericht und toll geschrieben besten fand ich die Stelle "ich zolle jedem Respekt, der mit einer strombetriebenen Kerze das Rennen in Angriff genommen hat" smilie
    Allein die Vorstellung so ein Rennen zu fahren ruft bei mir Muskelkater hervor smilie

  3. benutzerbild

    `Smubob´

    dabei seit 09/2005

    Top Bericht, meine Beine und Lungen schmertzen schon nur vom lesen.
    Allein die Vorstellung so ein Rennen zu fahren ruft bei mir Muskelkater hervor smilie
    Ich stelle hier einen neuen Trend zum fremd-leiden fest smilie


    @ Tobi: schöner Bericht über sicherlich einzigartige Erinnerungen smilie Das Video gefällt auch!
  4. benutzerbild

    124davos.ch

    dabei seit 03/2006

    wau - du hast mir aus dem herzen geschrieben. wir waren zu viert am start letzten frühling und es war, sehr lang - aber schön!!

  5. benutzerbild

    Hoppser

    dabei seit 02/2008

    Hi Tobi,

    super Video, ganz toller und wirklich sehr anschaulicher Bericht und somit auch vielen Dank, dass du uns an eurem Erlebnis teilhaben läßt.
    Tolle Eindrücke, tolle Bilder.. einwandfrei!!

    Habe auch gleich meine Sportfreunde, hierüber in Kentniss gesetzt.
    Ja bin nun auch versucht es in Angriff zu nehmen...

    Ebenfalls Gratulation, zur hervorragenden Platzierungsmilie


    Ciao, Volker

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