Einige Kommentare vorweg:
- Es soll, soweit es geht, auf Fachbegriffe verzichtet werden – diese werden aber in Klammern trotzdem erwähnt.
- Ja, technische Details sind häufig messbar und dadurch vergleichbar. Dennoch gibt es häufig kein schwarz-weißes richtig oder falsch: Lösung A hat häufig sowohl Vor- als auch Nachteile gegenüber Lösung B – dieses Wechselspiel soll in der Diskussion klar werden.
- Trotz technischer Korrektheit soll die Kolumne kurzweilig zu lesen sein – flotte Sprache und präziser Ausdruck müssen sich ja nicht ausschließen.
- Dreh-Momente erscheint jeden zweiten Dienstag, abwechselnd mit der weniger technischen Kolumne jeden zweiten Mittwoch.
Widmen wir uns aber dem heutigen Thema:
Wo sind eigentlich die echten Steckachsen hin?
Die Frage wird einige Leser verwundern, schließlich ist die Steckachse in den letzten Jahren auf einem unaufhaltsamen Siegeszug unterwegs gewesen, so möchte man meinen: Fand man sie bis vor einigen Jahren nur an Downhill- und Freeridebikes, hielten sie nach und nach am Enduro, am All-Mountain und schließlich am XC-Bike Einzug, finden sich inzwischen sogar an einigen Radcrossern und Rennrädern. Dennoch: Die echten Steckachsen sind weitestgehend verschwunden.

Die echten Steckachsen sind weitestgehend verschwunden.
Lasst mich erklären, was ich damit meine: Echt. Eine echte Steckachse ist für mich eine solche, die eben im Wortsinn nur gesteckt wird, technisch genauer: Eine Achse, die radial geklemmt wird. Radial, das bedeutet: In der Richtung des Radius, und damit im Unterschied zur Axial geklemmten Achse. Axial geklemmt wird z. B. durch Schnellspanner, diese dünnen 5 mm Teile, die durch eine 9 mm Achse am Vorderrad und eine 10 mm Achse am Hinterrad gesteckt werden. Dann wird nur noch der Schnellspanner umgelegt, und durch diesen (ein Exzenterspanner) werden Gabel/Rahmen und Nabe miteinander verspannt. Der Schnellspanner war dabei nur die schnellere und werkzeuglose Alternative zur Mutter oder Flügelmutter, wie sie seit den frühen Zeiten des Fahrrades verwendet wurde.

Schnellspanner – so sollte man meinen – sind an hochwertigen Mountainbikes seit einigen Jahren quasi verschwunden. Tatsächlich sind sie omnipräsent, sie tarnen sich nur als Steckachsen. Denn die allermeisten modernen Steckachsen sind bei genauer Betrachtung nicht anderes als dicke Schnellspanner, zumindest, wenn man der Definition der Klemmung und damit der Kraftübertragung folgt:
- Radial geklemmt = echte Steckachse. Kraftübertragung über die Mantelfläche der Achse.
- Axial geklemmt = Schnellspanner, pseudo Steckachse. Kraftübertragung über die Stirnseite der Achse.
Der Durchmesser der Achse ist dabei aus technischer Sicht egal, auch wenn sich in der Fahrradwelt eben die Begriffe „Schnellspanner“ für die 9 oder 10 mm Achsen und der Begriff „Steckachse“ für die 20, 15 und 12 mm Achsen durchgesetzt hat.
Pseudo vs. echte Steckachsen
Schauen wir uns aber einmal an, was der Markt an „Steckachsen“ hergibt und hergegeben hat:
Beidseitig radial geklemmt
Echter wird’s nicht: Achse durch geschlossene Ausfallenden einstecken, handfest eindrehen, und auf beiden Seiten des Rahmens oder der Federgabel festschrauben. Die Achse wird hierdurch in jeder Richtung fixiert, die gesamte Fläche zwischen Steckachse und Rahmen kann Kräfte und Momente übertragen – perfekt, um Rahmen oder Gabel zusätzlich zu versteifen. Haken an der Sache: Die Montage braucht bis zu 5 Schrauben, das dauert! Zu finden in der Ur-Form nur noch bei Gabeln wie Fox 40 oder BOS Idylle. Korrektur (5.02.2018): Auch bei der Fox 36 ist optional noch die echte Steckachse erhältlich: In 26” und in 29” gibt es Serienmodelle die von Haus aus mit dieser Lösung kommen, für 27.5” könnte man das Casting tauschen um die Steckachsenlösung zu bekommen. Was allerdings nicht funktioniert ist 110BOOST mit geschraubter Steckachse. Wenn jemand so einen Sonderwunsch (anderes Casting, …) hat, kann Fox Deutschland auch auf spezielle Kundenwünsche eingehen.
Die Rock Shox Boxxer und ihre Maxle DH erreicht das gleiche, braucht dafür aber nur 2 statt 5 Schrauben. Die Achse wird auf beiden Seiten von Innen durch einen Konus gespreizt. Die definierte Anzahl Klicks und eine Drehmomentangabe sichern die korrekte Fixierung. Kraft- und Momentenübertragung in alle Richtungen, Ausnutzung der vollen Zylinderflächen, dazu geschlossene (nicht geschlitzte) Ausfallenden – eine sehr elegante Lösung.

Axial verspannt
Schnell zu lösende Steckachse – klingt gut, steht aber eigentlich für nicht mehr als einen dicken Schnellspanner. Denn: Die technisch aufwändigere Lösung mit geschlitzter Achse, die gespreizt wird, um Kräfte zu übertragen, ist komplett verschwunden. Stattdessen wird einfach nur noch axial verspannt. Die zylindrische Fläche im Ausfallende kann keine Kräfte und Drehmomente übertragen, trägt somit nicht zur Steifigkeit bei. Stattdessen werden die Kräfte über das Gewinde auf der einen Seite und die Stirnfläche auf der anderen Seite übertragen. Zu finden als Rock Shox Maxle Ultimate, Fox 15QR, DVO und Formula Federgabeln sowie an sehr vielen Rahmen (an beinahe allen mit nur einer Schraube auskommenden, die kein X-12 verwenden).

Auch die Suntour Q-Loc bietet eine rein axiale Verspannung. Das Alleinstellungsmerkmal: Ein feder-vorgespannter Konus fixiert die Achse axial, so muss nur eingesteckt und verspannt werden. Ein Einschrauben entfällt, dadurch besonders schnell. Das Focus RAT System geht einen ähnlichen Weg: Ebenfalls axial verspannt, aber ohne Gewinde. Ein Querbolzen wird durch 90°-Drehung verankert, dann der Schnellspanner umgelegt.
Einseitig verschraubt, einseitig radial geklemmt
Diese Achsen werden einseitig radial geklemmt, auf der anderen Seite im Gewinde fixiert. Die Kraft- und Momentenübertragung ist in alle Richtungen möglich – findet sich bei SR Suntour RUX und BOS Deville, es werden in der Regel zwei Schritte benötigt. Mit nur einem Hebel kommt Rock Shox Maxle aus: Die Achse wird eingesteckt und zunächst im gegenüberliegenden Ausfallende verschraubt. Dann wird der Hebel umgelegt, der die Achse aber nicht axial verspannt, sondern durch einen Kegel die geschlitzte Achse aufspreizt und dadurch von innen im Ausfallende verspannt. Auch hier wird die Achse auf beiden Seiten in jeder Richtung fixiert, was gut für die Steifigkeit ist. Rock Shox hat die ursprüngliche Maxle-Achse 3-Mal überarbeitet und mit Maxle 360 die Positionierung des Hebels verbessert sowie mit der Maxle Light einige Gramm gespart. Dann folgte die Variante „Ultimate“, die erstmals keine radiale Klemmung mehr aufweist (s. o.). Das Syntace X-12-System geht einen ähnlichen Weg – hier spreizt ein Konus auf der Achse den Bund gegen den Rahmen und klemmt ebenfalls vollflächig.

Axial verspannt, formschlüssige Verdrehsicherung
Einen interessanten eigenen Weg ging Manitou mit dem Hexlock-System: Der Schnellspanner arretiert zwar ebenfalls nur axial – durch eine sechseckige Form von Achse und Gabel kann dennoch die Steifigkeit gesteigert werden.

Spielt die Steckachse eine Rolle?
Die Frage bleibt natürlich: Spielt das alles eine Rolle? Klares Ja! Durch eine feste Verbindung von linkem und rechten Ausfallende kann die Steifigkeit der Gabel oder des Hinterbaus gesteigert werden. Bei einem Verwinden des Rahmens müssen sich nämlich auch die Ausfallenden zueinander verdrehen – wenn das verhindert wird, steigt die Systemsteifigkeit. Auch beim Bremsen und Lenken gilt: Je steifer linkes und rechtes Gabelende miteinander verbunden sind, desto steifer das gesamte System. Axial verspannte Systeme benötigen eine höhere Vorspannung um die Steifigkeit zu steigern. Das kann man sich vorstellen, als würde man versuchen einige Bücher aus dem Bücherregal anzuheben – erst wenn man die Bücher zusammendrückt („vorspannt“), wird das gelingen. Besonders anschaulich wird das bei der Rock Shox RS-1 – zur Steigerung der Steifigkeit der Upside-Down-Gabel verwendet sie im Inneren der Nabe eine dickere Achse mit größerer Anlagefläche zur Gabel. So wird weniger Bewegung zwischen den Gabelenden ermöglich.
Zeigt sich der Trend weg von der echten Steckachse hin zur Pseudo-Steckachse auch in der Steifigkeit der Federgabeln? Eine Rock Shox Lyrik 160 von 2008/9 mit Tapered Steuerrohr, 35 mm Standrohre und echter 20 mm Steckachse weist eine Verdrehsteifigkeit von 31,2 Nm/° auf (BIKE 04/09). Anschaulich: Wird mit 31,2 Nm gelenkt, verdreht sich der Schaft um 1° gegenüber der Achse. Sieben Jahre später: Die Rock Shox Pike 160 2017 fährt ebenfalls mit Tapered Steuerrohr und 35 mm Steuerrohr vor. Ihre Steckachse überträgt aber auf viel kleinerer Fläche Drehmomente, müsste also weniger steif sein. Das Ergebnis: 36,2 Nm/° Verdrehsteifigkeit (BIKE 07/17). Das sind 16 % mehr Steifigkeit trotz längeren Castings und etwa 12 % weniger Gewicht. Entweder ist der Einfluss der Achse nicht so groß, oder er wird durch Fortschritte bei Casting, Schaft, Krone, Buchsen und Standrohren überkompensiert.
Trotz „Pseudo-Steckachse“ ist die Pike 16 % steifer und 12 % leichter als die alte Lyrik.
Beim Blick auf die Steifigkeit anderer Federgabelmodelle lässt sich ein Trend erkennen: Die Steifigkeit nimmt seit einigen Jahren kaum mehr zu, das Gewicht sinkt. Der Einfluss von Standrohr- und Schaftdurchmesser auf die Verdrehsteifigkeit ist deutlich. Ob aber die Steckachse 15 mm oder 20 mm Durchmesser hat, und wie sie fixiert ist, spielt tatsächlich eher eine geringe Rolle (Ausnahme: Upside-Down-Gabeln!). Im Alltag dagegen wichtiger: Wie gut die Achse zu bedienen ist. Am Hinterbau gibt es aber doch ein echtes Argument für echte Steckachsen: Die geringere axiale Vorspannung lässt einige Freiläufe (abhängig von der Bauart der Nabe) leichter laufen. Aber: Außer X-12 gibt es aber leider quasi keine auch radial klemmenden Achsen am Hinterrad mehr.
Fazit
Radial, axial, teilweise doch egal? Man mag es engstirnig nennen, den meisten modernen Steckachsen den Status der Steckachse abzusprechen – aber es ist eine beispielhafte Entwicklung von einer simplen Lösung über eine technisch bessere Lösung hin zu einer einfachen und funktionalen Lösung.
Was denkt ihr von den modernen Steckachsen? Oder fragt ihr euch gerade nur, wie man so viel zu einem so kleinen Thema schreiben kann?
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94 Kommentare
» Alle Kommentare im ForumNaja, beim Maxlesystem mit Spanner ists aber doch eher so, 20mm top, 12mm Flop. Je kleiner der Durchmesser, desto weniger kann man sich drauf verlassen.
15mm ist halt noch ausreichend funktionabel, bzw. Note 4
Bei Fox gibt auch die 15mm Steckachse volles Vertrauen. Also eher eine Systemsache, als eine Durchmessersache. Auch wenn 20mm immer steifer zu konstruieren ist als 15mm. Kommt halt drauf an was gewollt ist.
G.
So hatte ich es ja auch geschrieben, aber Welten sind das nicht!
Deine 2,15Nm ergeben bei M12x1,5 nämlich 1300N Vorspannkraft....
In meinen ca. 24 Jahren in der Radbranche kann ich mich jetzt nicht an einen abgerissenen Schnellspanner erinnern,
abgerissene Maxle fällt mir aber sofort ein (Fahrer wiegt < 65 kg). Auch weil da das Gewinde (Kerbwirkung, das war/ist das Problem)
vom Rahmen noch in die Nabe rein ragt.
Stell dir vor das Durchgangsloch für die Steckachse (gegenüber dem Gewinde) ist viel zu groß ...
Was passiert bei hoher Belastung? Die Steckachse wird sich bewegen können.
Bei einer "echten" Steckachse hast du einen Formschluß, da kann sich nix bewegen.
Der Vorteil der Steckachsen mit den Scheibenbremsen kommt ja eher von den Naben die jetzt keine Gewindeachsen haben wo die Abschlußmutter taumeln kann und von den größeren Durchmesser / Abmessungen samt besseren Passungen zw. Ausfallende - Steckachse.
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