Es ist wieder so weit: Mit Trust Forks von Dave Weagle steht die Parallelogramm-Federgabel erneut im Rampenlicht. Aus gutem Grund? Oder sollte sie lieber in der Versenkung der Geschichte bleiben? Unser Technik-Redakteur Stefanus hat mal drüber nachgedacht.

Zunächst einmal ist die Idee der Parallelogramm-Federgabel nicht neu. Sie ist sogar ziemlich alt. In der gleichen Zeit, in der Viergelenk-Hinterbauten erfunden wurden, waren sie auch an der Front von Mountainbikes vertreten. Auch hier im Forum fahren noch einige der guten alten AMP-Gabeln rum, an denen Horst Leitner – Namensgeber des Horst-Links, also des Viergelenkers, also von FSR und allen anderen Hinterbauten mit anderen Namen, die man sich dafür noch hat einfallen lassen, maßgeblich beteiligt war.

AMP B4 F4BLT 1995 Large
# AMP B4 F4BLT 1995 Large - von Benutzer bundi

Und schon seit noch längerer Zeit wurden und werden motorisierte Zweiräder damit ausgestattet, teilweise millionenfach. Das Parallelogramm ist dabei nur eine von verschiedenen Ausprägungen, denn Alternativen zur Teleskop-Federgabel gibt es zahllose: Gezogene Schwinge, geschobene Schwinge; einarmig, zweiarmig, mit Bremsmomentabstützung, mit einem Linearlager kombiniert und noch viel mehr – irgendeinen Grund dafür muss es geben. Tatsächlich gibt es viele Gründe für Alternativen zur Teleskop-Federgabel. Fangen wir an zu sammeln und zu überlegen, ob sie sich durch Drehgelenke umgehen lassen.

Reibung

Reibung ist Freund und Feind des Mountainbikers, denn ohne Reibung auch kein Kurvengrip. Am Mountainbike dagegen ist sie – von Bremsbelägen mal abgesehen – vornehmlich Feind. Und die Gleitlager und Buchsen, die in Teleskopfedergabeln genutzt werden, neigen leider dazu, unter Biegebelastung (etwa beim Bremsen) eine erhöhte Reibung aufzuweisen. Bildlich gesprochen verkanten sie wie eine Schublade – da federt dann nichts mehr feinfühlig und schnell. Das lässt sich mit einer anderen Lagerung umgehen, so rollt beispielsweise eine Lefty auch unter Last sensibel. In den Federgabeln mit Drehgelenken sind es meist Kugellager, die unter Last potentiell wirklich leichter laufen, als es eine nicht mehr ganz frische und dann auch noch verkippte Buchse in der Teleskopfedergabel tut.  Der Punkt geht, potentiell, an die Parallelogramm-Federgabel. Wenn man dann aber hört, dass sich in einer Trust-Gabel satte 18 gedichtete Kugellager finden, bin ich mir plötzlich nicht mehr sicher, wie viel von diesem Vorteil bleibt – zumindest, wenn die Teleskopfedergabel mit sauberen Toleranzen, frischen Oberflächen und gutem Öl an den Start geht.

Die Trust Performance The Message will dem Nischenmarkt der Linkage-Federgabeln wieder neues Leben einhauchen. Helfen sollen viel Carbon, 130 mm Federweg und eine Anlenkung die von Federungs-Mastermind Dave Weagle ersonnen wurde
# Die Trust Performance The Message will dem Nischenmarkt der Linkage-Federgabeln wieder neues Leben einhauchen. Helfen sollen viel Carbon, 130 mm Federweg und eine Anlenkung die von Federungs-Mastermind Dave Weagle ersonnen wurde - mit einem Preisschild von 2.700 $ trotz Direktvertrieb wird sie wohl kaum den Massenmarkt erobern. Dafür soll sie bergauf so mancher XC-Gabel einheizen, ohne Abstriche in der Abfahrt machen zu müssen.

Radhebungskurve

Hier wird es richtig spannend. Eine Teleskopfedergabel bewegt sich in Richtung der Standrohre. Diese sind fast immer in der Richtung des Steuerrohrs ausgerichtet. Mit den immer flacher werdenden Lenkwinkeln ist auch die Federrichtung immer flacher. Die Hindernisse auf dem Trail sind aber gleich groß geblieben, und außerdem alle unterschiedlich. Wer mal mit 63° Lenkwinkel einen Bunnyhop macht, der wird schnell merken, dass die Teleskopgabel nur etwas  widerwillig einfedert, weil sie eben aus der falschen Richtung belastet wird. Sie biegt sich – teils sichtbar – nach oben. Dazu kommt: Während des Einfederns ändert sich der Lenkwinkel – und damit die Radhebungskurve. Je tiefer man eintaucht, desto steiler der Lenkwinkel, desto steiler die Richtung, in der das Vorderrad einfedern kann. Das ist auf keinen Fall gewollt, aber ist es schlimm?

Das Structure SCW 1 ist das wohl verrückteste Mountainbike, das wir dieses Jahr gesehen haben
# Das Structure SCW 1 ist das wohl verrückteste Mountainbike, das wir dieses Jahr gesehen haben - es bietet eine integrierte Parallelogramm-Federgabel und ist für zirka 7.800–9.660 € ab Mitte des Jahres erhältlich.

Bei einer Federgabel mit Umlenkhebel lässt sich die Radhebungskurve vom Entwickler festlegen und ist nicht direkt an den Lenkwinkel gebunden – Pluspunkt für die Paralellogramm-Gabel. Es bleibt bloß die Frage, wie eigentlich die optimale Radhebungskurve am Vorderrad aussieht, denn sie verändert gleichzeitig den Nachlauf, den Radstand, die Länge des Front-Centers … wir sind heute an das Verhalten der Teleskopgabeln gewöhnt. Optimal ist es sicher nicht, aber die beste Lösung zu finden ist ebenso sicher eine Herausforderung.

Trust Performance Message Parallelogramm-Gabel in Slow-Motion von FreesoulMehr Mountainbike-Videos

Nachlauf

Als Nachlauf wird die Strecke zwischen Radaufstandspunkt und Durchstoßpunkt des Lenkwinkels und der Fahrbahn bezeichnet. Sie sorgt dafür, dass ein Fahrrad über Laufruhe verfügt und sich stabilisieren kann. Je mehr Nachlauf, desto laufruhiger das Fahrrad. Beim Einfedern der Teleskopgabel wird der Lenkwinkel steiler und der Nachlauf kürzer, das Fahrrad wird also beim Einfedern nervöser. Das ist auf keinen Fall gewollt und vermittelt garantiert keine Sicherheit. Auch das lässt sich durch die Lage der Drehpunkte an der Parallelogramm-Gabel einstellen, ein klarer Vorteil. Der Effekt steht aber wieder in Wechselwirkung mit Radstand, Radhebungskurve und Bremsnicken – hier gilt es, den richtigen Kompromiss zu finden! Potentiell wird das Fahrverhalten durch einen konstanteren Nachlauf vorhersehbarer, Stoppies wären einfacher – das klingt gut!

Die Links bestehen ebenso wie das Casting und der Gabelschaft aus Carbon
# Die Links bestehen ebenso wie das Casting und der Gabelschaft aus Carbon - kein Wunder, schließlich gründete Miteigner Jason Schiers bereits den amerikanischen Carbon-Hersteller Enve mit.

Bremsnicken

Als Bremsnicken bezeichnet man das Einfedern der Federgabel beim Bremsen, was dazu führt, dass die Front absinkt – das Fahrrad „nickt“. Grund ist die Dynamische Radlastverschiebung – der Schwerpunkt des Fahrradfahrers liegt über der Fahrbahn, eine Verzögerung führt zu einer größeren Last am Vorderrad, weshalb die Federgabel einfedert. In Folge dessen steht weniger Federweg zur Verfügung, der Nachlauf wird reduziert, die Front sinkt ab … alles nicht gewünscht, spricht alles nicht für die Teleskopfedergabel. Wir bei einem Hinterbau auch können die Drehpunkte des Umlenkhebels, an dem der Bremssattel montiert ist, nun so ausgelegt werden, dass es ein entgegen gerichtetes Drehmoment am Radträger gibt. Im Idealfall heben sich diese beiden Effekte nun auf, und trotzt Abbremsen nickt das Fahrrad nicht ein. BMW hat dieses Konzept bei seinen Paralever- und Telelever-Lösungen an Motorrädern umgesetzt und verkauft die Lösung immer noch jedes Jahr tausendfach. Allein die Möglichkeit, hier einzuwirken, spricht für die Alternativen zur Teleskopfedergabel. Ob ein 100 %-iger Bremsnickausgleich aber wirklich erstrebenswert ist, wage ich zu bezweifeln – sehr interessant ist dieser Aspekt aber allemal. Am Motorrad wird inzwischen vermehrt auch bei Teleskopgabeln ein solcher Effekt erzielt, etwa indem eine aktive Dämpfung elektronisch das Abbremsen detektiert und die Druckstufe entsprechend justiert.

Motion France zeigt diese außergewöhnliche Blattfeder-Parallelogrammgabel
# Motion France zeigt diese außergewöhnliche Blattfeder-Parallelogrammgabel - Die Dämpfung ist im Steuerohr versteckt...

Steifigkeit und Gewicht

Steifigkeit und Gewicht lassen sich nicht getrennt voneinander betrachten, denn in den allermeisten Fällen lässt sich durch Gewicht Steifigkeit „kaufen“. Je nachdem, wo die Gelenke einer Parallelogrammgabel liegen, ist die Bauweise aber grundsätzlich günstig: Bei der „Message“ von Trust wird beispielsweise der voluminöse „Rahmen“ bis fast zur Achse einteilig ausgeführt. Damit sind große Querschnitte an den höchstbelasteten Stellen nahe des Steuerrohrs möglich. Der Vorteil ist der gleiche wie bei Upside-Down-Gabeln. Auch der Verzicht auf ineinander drehbare Rohre in der Lenkachse spielt ihr in die Karten. Ersetzt wird all das aber durch eine Vielzahl von Gelenken, die als Hebel fungieren – und so teilweise die auftretenden Kräfte vergrößern. Das Übersetzungsverhältnis in der Trust-Federgabel sorgt dafür, dass teils die 2,5-fachen Kräfte auftreten und aufgenommen werden wollen, die Belastungszustände aus Bremsen, Federn und Lenken sind vielfältig. Kein Wunder, dass die Trust-Gabel trotz Vollcarbon-Ansatz 2000 g auf die Waage bringt. Gleichzeitig soll sie aber auch deutlich verdreh- und bremssteifer sein als vergleichbare Teleskopfedergabeln. Einen Pluspunkt für das Parallelogramm-Konzept kann man hier aber wahrscheinlich dennoch nicht geben.

Neben den beiden Luftfedern kommt ein ebenfalls versteckter Twin-Tube-Thru-Shaft-Dämpfer zum Einsatz
# Neben den beiden Luftfedern kommt ein ebenfalls versteckter Twin-Tube-Thru-Shaft-Dämpfer zum Einsatz - dieser wurde von Trust Performance eigens für die Federgabel entwickelt.

Wartung

Konzeptbedingt verschleißen bei Teleskopfedergabeln die Linearführungen, bei einer Parallelogrammgabel die Kugellager. Ich denke, dass Kugellager für den Endkunden etwas einfacher zu tauschen sind. Nachdem aber die wenigsten Biker hier wirklich selbst Hand anlegen, ist diese Frage eigentlich zu vernachlässigen – vorausgesetzt die Häufigkeit der Wartung ist identisch. Trust gibt ein Intervall von 250 Betriebsstunden für die „Message“ vor. Einer Rock Shox-Federgabel sollte man alle 200 h einen Service von Federung und Dämpfung verpassen, die Gleitlager im Casting sollen sogar alle 50 h einen kleinen „Lower leg Service“ erhalten. Das macht deutlich: Die Kugellager bedürfen zumindest auf dem Papier wesentlich weniger Pflege als die Gleitlager.

Kennlinie und Übersetzungsverhältnis

Genau wie ein Hinterbau auch hat jede Hebel-basierte Federgabel ein variierendes Übersetzungsverhältnis. Wo die Teleskopgabel von Anfang bis Ende des Federwegs direkt, also 1:1 übersetzt ist, variiert das Hebelverhältnis, mit dem Feder und Dämpfer angelenkt werden. In aller Regel wird sich das Rad weiter bewegen als das Federbein, was die Abstimmung etwas empfindlicher bezüglich kleiner Änderungen macht. Andererseits könnte beispielsweise die Progression über den Federwegsverlauf zusätzlich zur Luftkammergröße beeinflusst werden.

Fazit

Warum haben sich – Stand heute – Teleskopgabeln durchgesetzt, obwohl aus Ingenieurssicht viele Argumente für eine Parallelogrammgabel zu sprechen scheinen? Ein großes Problem ist, dass die angesprochenen Effekte sich quasi alle gegenseitig beeinflussen – das macht es schwer, ein gesamtheitlich besseres Produkt zu entwickeln. Es kann also gut sein, dass eine Parallelogramm-Federgabel sich durch den konstanteren Nachlauf vorhersehbarer anfühlt. Gleichzeitig könnte es aber sein, dass sich ihr Bremsverhalten zumindest ungewohnt anfühlt – was die Akzeptanz erschwert.

Damit kommen wir zum zweiten Problem: Vielleicht ist es gar nicht möglich, eine bessere Parallelogramm-Federgabel zu entwickeln, so lange sie in einen für Teleskopfedergabeln konzipierten Rahmen gesteckt wird. Vielleicht braucht es für den Durchbruch einer anderen Gabel auch einen anderen Rahmen. Das sieht beispielsweise beim Structure SCW1, bei dem Rahmen und Gabel als Einheit zu betrachten sind – und auch hier muss man sagen: Ausprobieren, mehrmals hinschauen und dann eine Meinung bilden!


Alle Artikel der Dreh-Momente-Reihe

  1. benutzerbild

    Hammer-Ali

    dabei seit 11/2016

    Ali c und Kendall Weed bewerben sie stark. Für YouTube scheint sie schon Mal gut zu sein. 8-)
    Jetzt mal Butter bei die Fische:
    Wenn ein Hersteller mit ner Parallelogrammgabel Erfolg haben will, sollte er zusehen daß diese in einem Rennen sich bewährt und sich gegen die gute alte Federgabel durchsetzt. Solange sie das nicht tut wird sie zurecht ne Randerscheinung bleiben.

    Oder verbieten die Regularien den Einsatz solcher Gabeln z. B. in Endurorennen?
  2. benutzerbild

    Holzmichl

    dabei seit 05/2005

    ...die einfachheit einer teleskopgabel überwiegt die meisten nachteile... genauso wie sich getriebeboxen (noch) nicht gegen das standard schaltwerk durchsetzen konnten... wieso rs/fox noch keine nadelgelagerten gabeln ala cannondale bauen ist mir jedoch ein rätsel (keine lefties, nur die gleitbuchsen ersetzen)
    Hat Cannondale nicht noch immer das Patentrecht auf die Liniearführung einer Gabel mit Nadellagern? (und Verbaut das ja auch nicht nur in der Lefty, sondern auch in den Headshok-Gabeln und früher in der Moto FR...)
  3. benutzerbild

    Hammer-Ali

    dabei seit 11/2016

    Mein Punkt ist: Eine kraftraubende, aber dafür schnelle/traktionsstärkere Gabel im Trailsegment ist eine Nische, die es nicht gibt oder die zumindest sehr klein ist.

    Denn wer soll das fahren? Casual Biker, also normale Trailbiker, sind eher mittel trainiert und wollen daher mehr Komfort. Und die besser trainierten und fähigen Racer wollen keine Trailgabel, sondern Enduro- oder XC-Modelle, je nach Sportart.

    Die Frage ist also: Existiert da ein Markt, den ich nicht sehe? Hat sich Trust verkalkuliert bei der Marktanalyse? Oder haben sie einfach nicht mehr Komfort reinbekommen?
    Ich denke daß ist eher eine Abstimmungssache und hat eher wenig mit dem grundsätzlichen Unterschieden zwischen den beiden Federungssystemen fürs Vorderrad zu tun.
  4. benutzerbild

    flowgeek

    dabei seit 06/2013

    Hat Cannondale nicht noch immer das Patentrecht auf die Liniearführung einer Gabel mit Nadellagern? (und Verbaut das ja auch nicht nur in der Lefty, sondern auch in den Headshok-Gabeln und früher in der Moto FR...)
    guter punkt - mal schnell recherchiert: das headshok patent ist 2011 abgelaufen:
    https://patents.google.com/patent/U...ee=cannondale&oq=cannondale+patent+suspension
    und so wies (für mich als patent halb-laien) aussieht gilt das auch für das lefty patent:
    https://patents.google.com/patent/U...ee=cannondale&oq=cannondale+patent+suspension
    (das scheint nur eine erweiterung/präzisierung des headshok patents darzustellen...)
  5. benutzerbild

    Becak

    dabei seit 08/2017

    Äußerst interessant und die Argumente Pro/Contra dieser Bauform sind nachvollziehbar.

    Hier noch was für den historischen Rückblick, Federgabeln gab es schon mindestens an Fahrrädern seit den 1910er Jahren...

    http://www.fahrradsammler.de/files/haef_restaurierung.pdf
    federgabel1.jpg federgabel2.jpg federgabel3.jpg federgabel4.jpg federgabel5.jpg federgabel6.jpg federgabel7.jpg

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