Bold Cycles hatte vor dem Produktlaunch des neuen Linkin nach Biel in der Schweiz eingeladen. Wir sind der Einladung gefolgt, haben bei dem kleinen Hersteller einen Tag lang hinter die Kulissen geblickt, Vincenz Droux und Pascal Schmutz über die Schultern geschaut und natürlich auch die Hometrails genauestens auf ihre Eignung überprüft. Kommt mit und begleitet uns auf eine Tour hinter die Kulissen bei Bold Cycles!
Vor einem Besuch bei einer Marke bereitet man sich üblicherweise vor – besonders, wenn man direkt mit dem Gründer sprechen darf. Vorab hatte ich nicht viele Schnittpunkte mit Bold Cycles gehabt. Ich kenne die Produkte, bin aber zuvor noch nie eines gefahren. Ich weiß, dass Bold ein Enduro-Team unterstützt, weil ein Bekannter von mir in diesem Team fährt. Aber ansonsten war mir Bold nicht besonders bekannt. Schon bei der Recherche bin ich aber immer tiefer eingetaucht in eine spannende Marke, die trotz ihrer Größe auch abseits der Produkte in vielerlei Hinsicht mitreißen kann. Begleitet mich auf dem Weg, auf dem ich Bold Cycles dann kennengelernt habe.
8:20 Uhr morgens, ich fahre in der Grenchenstraße in Biel vor. Auf 9:00 habe ich mich mit Vincenz Droux, Gründer und Designer von Bold verabredet. Als ich im Auto gerade noch frühstücke, kommt Vinz mit seinem Camper an. 5 Minuten später bekomme ich noch den Kaffee ans Auto geliefert, im Anschluss ziehe ich den Rucksack aus dem Kofferraum und mache das erste Foto vom Firmengebäude in der Morgensonne. Noch weiß ich nicht, was mich heute erwartet, aber die Begrüßung war super. Kaffee zieht einfach immer!
Wenige Minuten später sitzen wir an der kleinen (Kaffee)-Bar, neben Vincenz ist jetzt auch Pascal Schmutz dabei, der bei Bold für den Verkauf und die Beratung zuständig ist. Ums Eck schrauben Marton und Beni bereits an Individualaufbauten rum – und das ist auch schon das gesamte Team von Bold Cycles in Biel.
Vom Start-up zum Award-Winner
Mit dem Linkin ging für Bold vor ein paar Jahren alles los. Ein paar Kilometer weiter die Jura-Bergkette entlang, werden Bike und Marke bei den Bike Days Solothurn erstmals vorgestellt. Das innovative Konzept zieht sofort viel Aufmerksamkeit auf sich. Aber erst mal gehen wir noch mal einen Schritt zurück – wie kam es überhaupt dazu? Vincenz hat bereits einige Erfahrung in der Fahrrad-Branche gesammelt, bevor er Bold Cycles mit seinem Vater gründet. Im Raum Biel, einem kleinen Epizentrum der Schweizer Fahrrad-Industrie, kann der Industriedesigner unter anderem an Projekten von DT Swiss mitwirken und sich in der Szene gut vernetzen.
Man sagt ja – gute Ideen kommen oft beim Duschen – so ähnlich ging es mir mit der Idee, den Dämpfer komplett zu integrieren.
Vincenz Droux
Dieses Netzwerk hilft dabei, das Projekt Bold zu realisieren und aus einer Idee ein erstes Produkt werden zu lassen. Ganz einfach ist es anfangs jedoch nicht – „sowas haben die Produzenten in Taiwan noch nie gesehen!“. Die im Rahmen integrierte Dämpfer-Aufhängung kann aber umgesetzt werden, sodass der cleane Rahmen 2015 erstmals der Öffentlichkeit präsentiert wird. Ein erstes Jahr, das Vincenz häufig auf Events verbringen wird – und das zahlt sich aus.
Frisch gegründet gewinnt die junge Marke mit dem Linkin direkt diverse Awards. Auch bei MTB-News.de sorgt das Bike für großes Interesse. Ex-Kollege Maxi Dickerhoff konnte dem Bold Linkin im ersten Test bereits einiges abgewinnen:
Das Bike bietet eine bestechend gute, sportlich spritzige Fahrdynamik und ein höchst effizientes Fahrwerk, womit dieses Erstlingswerk von Anfang an den Kampf mit so manchem Klassen-Primus nicht zu scheuen braucht.
Bold Cycles ist das gelungen, was nur den wenigsten Neueinsteigern gelingt: Ein innovatives Produkt auf den Markt zu bringen, das ab Stunde 1 auf ganzer Linie überzeugen kann. Die Frage, ob es dafür ein neuartiges Fahrwerkskonzept braucht, stellt sich demnach nicht, vielmehr ist es eine Frage des persönlichen Geschmacks: Möchte ich in dieser Leistungsklasse ein Bike wie jedes andere, oder bin ich bereit, für ein bestechend schönes und vor allem ungewöhnliches Konzept ein paar Scheine mehr über den Tresen, bzw. den Webshop zu schieben?
Maxi Dickerhoff
Szenenah und individuell
Für ein Erfolgskonzept braucht es nicht nur ein funktionierendes Produkt, sondern viel mehr. Und dieses „viel mehr“ deckt Bold von der ersten Minute ab: Direktvertrieb und ein umfassendes Individualisierungs-Konzept zeichnen den Shop in Biel bis heute aus. Ein Bold kaufen kann inzwischen einfach sein: Mit dem neuen Linkin gibt es auch zwei Komplettbikes im Angebot. Aber ein Bold kaufen kann auch ein komplettes Erlebnis sein: Vom Konfigurator auf der Website und dem Zusammenbau eines individuellen Traums bis hin zur Live-Konfiguration im Showroom in Biel – Bolds Vertriebsweg im Bieler Shop ist so außergewöhnlich wie die Marke selbst.
Kundennähe wird hier großgeschrieben, wenn man will. Und hier kommt dann auch zum ersten Mal Pascal ins Spiel. Er kümmert sich um den Verkauf und die Kundenbetreuung, hilft bei Fragen am Telefon, per E-Mail oder konfiguriert das Bike direkt am Standort Biel. Mit einem Kaffee ausgerüstet darf der Kunde auf einer gemütlichen Couch Platz nehmen, während im Konfigurator die verschiedenen Optionen durchgespielt werden. Cool dabei: Alles, was im Konfigurator verfügbar ist, kann man auch direkt in die Hand nehmen. Dazu sind im großen Showroom alle Rahmen in allen Größen und Farben verfügbar – man kann sich das Traum-Bike also nicht nur ausdenken, sondern direkt auch Komponenten begutachten, zusammenstellen und einen umfassenden Eindruck von dem bekommen, was man ein paar Wochen später selbst in Händen halten wird.
Neben dieser Erfahrung ist Bold auch weiterhin auf vielen Events präsent und greifbar, man kann (teilweise sogar mit Vinz und Pascal) den Bold Hometrail-Ride durchführen, außerdem engagiert sich die Marke mit einem Rennteam und als Sponsor einer Enduro-Rennserie.
Evolution des Portfolios – wir bauen, worauf wir Bock haben
Innovation betreibt Bold bisher nicht nur mit den eigenständigen Lösungen. Auch die Evolution von Bolds Produktpalette ist etwas anders gelaufen, als wir das von anderen Herstellern kennen. Nach dem Linkin, das zwischenzeitlich unter als „Linkin Classic“ läuft, und dem Linkin Classic LT wurden als zweite Produktreihe die beiden Unplugged-Modelle V1 und V2 auf den Markt gebracht. Parallelen gibt es nicht nur im Design, auch beim Federweg sind sich Linkin Classic und Unplugged V2 sowie LT und V1 ähnlich. Massive Unterschiede gibt es dafür bei der Geometrie – das Linkin würde heutzutage in einem Test als konservativ beschrieben, während das Unplugged sehr fortschrittlich ist.
Bei Bold entscheidest du dich erst für eine Geometrie und dann erst für den Federweg.
Vincenz Droux
Als Hintergrundgedanke dient die Idee, sich erst für eine Geometrie zu entscheiden. Deutlich wird das sogar Team-intern: Während Pascal als ehemaliger XC-Profi mit dem Classic LT und der kompakten Geometrie sehr zufrieden ist, wünschte sich Vinz ein Bike zum Ballern – und baute das Unplugged. Die Produkte der Marke sind auch immer durch Passion getrieben, das Portfolio ist noch klein, deckt aber genau das ab, was das Team fährt. Räder zum Selbsttreten, die gut bergauf gehen und flott bergab sind. Räder, auf die Bold Bock hat.
Mit der Passion für das Mountainbiken in seiner ursprünglichen Form, also selbst bergauf treten und Singletrails bergab fahren, deckt die Marke mit nur zwei Plattformen ein breites Spektrum ab und kann eigentlich fast jede Vorliebe bedienen. Hat man sich für kompakt oder lang entschieden, bekommt man dann noch die Wahl beim Federweg. Trail-Bike oder Enduro? Als Kunde hat man hier die Wahl.
Übernahme durch Scott
Im Jahr 2019 wurde bekannt, dass Bold durch Scott übernommen wurde – und mittlerweile ist auch sehr klar, was mit dieser Übernahme bezweckt wurde. Primär stand ein Technologie-Transfer im Raum, der im neuen Scott Spark 2022 gipfelte und der Bold-Technik zwischenzeitlich den Weltmeistertitel im Cross Country durch keinen Geringeren als Nino Schurter bescherte. Während das für uns Außenstehende für eine kleine Sensation (und viel Material für Steilvorlagen) sorgte, war dieser Schritt für Vinz und sein Team schon länger absehbar.
Umso spannender war nach dem Spark-Launch aber: Was passiert jetzt mit Bold? Die kleine Marke agiert weiterhin mit eigenständigem Engineering und den bestehenden Strukturen, bekommt vom Riesen aber natürlich auch Unterstützung. Marketing und Vertrieb sowie die Montage der neuen Linkin-Komplettbikes übernimmt die Dachmarke in enger Zusammenarbeit mit dem Kern-Team in Biel. In Biel konnten damit Kapazitäten umverteilt werden – die Vincenz Droux direkt genutzt hat, um die Marke weiterzuentwickeln und neue Produkte zu schaffen – das nächste Kapitel für Bold.
Bold 2.0 – Weiterentwicklung einer Marke und ihrer Produkte
Nach den Kapitel „Übernahme“ und „Technologie-Transfer“ stand für Bold natürlich eine gewisse Challenge im Raum. Vincenz wollte die Marke und die Produkte von Scott abheben. Bold soll Bold bleiben, die Konsequenz war eine Weiterentwicklung. Dabei sollten die Produkte aber weiterhin auf dem Fundament stehen, das Bold gegossen hat: Integration, Innovation, gute Bikes mit dem gewissen Etwas. Für die Marke gilt es weiterhin, den Service-Gedanken, die Nähe zu Kunden und Szene zu bewahren und die Leidenschaft und Flexiblität der kleinen Firma zu erhalten. Aber auch coole Bikes zu bauen. Während meinem Besuch stand das neue Linkin im Zentrum – zwar noch hinter den Kulissen, aber mir wurde im Detail vorgestellt, welche Schritte die Produktentwicklung macht.
Als Erstes brauchst du natürlich mal eine Idee, bevor du anfangen kannst.
Vincez Droux
Nach dem Unplugged und der fortschrittlichen Geometrie, dem alten Linkin und der Technologie-Übernahme durch Scott waren es gleich mehrere Gründe, die für eine neue Plattform sprachen. Und so wurde das neue Bold Linkin 2022 entwickelt – zurück zu einem etwas kompakteren, verspielten Fahrverhalten, weniger Federweg und der neuen Technik, die das Bike von Scott distanzieren sollte.
Neben den Design-Grundlagen, die die bisherigen Produkte mitbrachten, standen aber noch weitere Ziele im Lastenheft von Vinz. Neben einem tiefen Schwerpunkt sollte mehr Platz für den Dämpfer geschaffen werden, damit der Kunde hier flexibler sein kann. Außerdem sollte durch On-Bike-Storage Lösungen ein absolut sorgloser Tourer herauskommen, mit dem man auch bei Defekten nicht aufgeschmissen inmitten vom Nirgendwo stehen bleibt.
Vom Lastenheft ging es dann in die Konzeptions- und Designphase, in der Vinz viel am Rechner saß. Mehrere Monate dauerte es, bis aus den ursprünglichen Gedanken und Zielen ein Produkt entstand, das vom 3D-Drucker in ein visuelles und greifbares Modell gebracht werden konnte. In unzähligen kleinen Iterationsstufen wurden Kinematik, Geometrie, Bauraum und die weiteren Parameter ausgelotet, bis alles passte. Am 3D-gedruckten Modell fanden erste Funktionsprüfungen statt, verschiedene Kabelführungen wurden getestet und teils auch noch maßgebliche Dinge in der Rahmenkonstruktion verändert. Oft sind es mehrere 3D-Drucke, bis es zum Design-Freeze kommt und die anderen Rahmengrößen verwirklicht werden.
Parallel liefen weitere Prozesse im Hintergrund – im Falle des Linkin vor allem die On-Bike-Storage-Lösung. Den nach unten geöffneten Rahmen setzte Bold schon vor Specialized ein, allerdings aus ganz anderen Motiven. Mit dem neuen Design ist nun auch bei Bold zusätzlicher Platz für die Mitnahme von Ersatzteilen und Werkzeugen gegeben. All das versteckt sich unter der Abdeckung, unter der sich auch der Dämpfer befindet. Verschiedenste Entwicklungsstufen des „Save the Day“-Auszugs wurden getestet, unterschiedliche Materialien und Bauweisen ausprobiert, bis man am Ende zufrieden war. An einem Magneten ist außerdem ein Multitool direkt am Rahmen fixiert.
Apropos Magnet – Bolds integrierte Bauweise bringt natürlich auch Herausforderungen beim Setup mit sich. In der Vergangenheit gab es dafür smarte Helferlein und SAG-Indikatoren – dieses Feature durfte natürlich auch am neuen Bike nicht fehlen. Um den aufwändigen Tretlagerbereich, der die Tretlagerhülse und den Drehpunkt beherbergt, wurde zusätzlich noch ein Neodym-Magnet eingesetzt, der beim SAG-ablesen hilft. Auch hier wurde getestet und probiert, bis man mit dem Ergebnis zufrieden war.
Nach der Prototypen-Phase, wenn alle Rahmengrößen fertig sind, wird es ernst – gibt es keine notwendigen Änderungen mehr, wird der erste Produktionslauf gestartet. In Summe zieht also einiges an Zeit ins Land, um ein so komplexes Produkt von der ersten Idee bis zur Serienreife zu treiben.
Das Trail-Bike ist in zwei verschiedenen Ausführungen und erstmals in vier Rahmengrößen von S bis XL verfügbar. Auch diesmal baut Bold auf die zwei Federwegsklassen in einem Geometrie-Paket und bringt ein 135 mm Bike und eines mit 150 mm Federweg. Mein erster Eindruck auf den Bieler Hometrails war sehr gelungen – und hat mein Bild von der sympathischen Firma weiter gefestigt. Vinz oder Pascal kennen hier fast jeden, sind sofort am Quatschen und man merkt, dass sie und Bold hier in Biel zwischenzeitlich eine feste und beliebte Größe sind. Ich sage Danke und ich kann jedem, der an den Bikes interessiert ist, den Besuch in Biel nur ans Herz legen. Bis bald!
Ausblick – was kommt als Nächstes?
Auf meine Frage, wo es für Bold in Zukunft hingeht, welche Produkte für die Schweizer am Horizont stehen, reagiert Vincenz nur mit vergnügtem Schweigen. Ein bisschen nachgehakt, ein bisschen seine Vergangenheit und Erfahrung im Bereich E-Bike angesprochen, kann ich ihm aber doch noch etwas entlocken. „Wie ein Bold E-, oder Downhill-Bike aussehen würde? Das interessiert mich auch.“ Konkrete Pläne für diese Produktkategorien gibt es bisher noch nicht – wir sind aber gespannt, was Vincenz und sein Team in der Pipeline haben!
Was sagt ihr zum neuen Bold Linkin und wie findet ihr das Konzept der Schweizer Marke?
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