Rumble in the Jungle – oder lahmer Pseudo-Downhill mit maximal weiter Anreise für einen Großteil des Fahrerfeldes? Der Downhill-Weltcup 2016 im australischen Cairns ist Geschichte und das Rennen hinterlässt einen zumindest gewöhnungsbedürftigen Nachgeschmack. Wieso, weshalb, warum – wir präsentieren euch die Lehren vom Downhill-Weltcup #2 in Australien!
Unterschiedlicher hätten der Saisonauftakt im französischen Lourdes und das zweite Rennen des Jahres im australischen Cairns kaum sein können. Das lag nicht nur an den fast 16.000 Kilometern Luftlinie, die zwischen dem Wallfahrtsort in den Pyrenäen und dem Touristen-Hotspot im tropischen Nordosten Australiens befinden. Im Gegensatz zum Rennen in Lourdes wurde der Rumble in the Jungle nicht durch Stürze und technische Defekte, sondern in erster Linie durch einen 15-sekündigen Schlusssprint entschieden. Oder etwa nicht?
Die kleinen Feinheiten machen den Unterschied
Um 16:22 Uhr und 54 Sekunden australischer Ortszeit stand fest, dass Loïc Bruni tatsächlich den ersten Downhill-Weltcup seiner Karriere gewonnen hat – mit einem Vorsprung von lächerlich geringen 0,493 Sekunden. Das entspricht am Ende der knapp 2 Kilometer langen Strecke einem Rückstand von etwa 5 Metern, den der Australier Troy Brosnan auf den jungen Franzosen hatte. Bei der letzten Zwischenzeit von Troy, der als Schnellster der Qualifikation und somit als letzter Starter des Tages auf die Strecke ging, sah es noch so aus, als ob der Australier tatsächlich den Sieg einfahren würde. Zwei Zehntelsekunden Vorsprung vor den finalen 16 Sekunden – was soll da noch schief gehen? Aber Pustekuchen: Im finalen Zielsprint verlor er satte 0,7 Sekunden auf Loïc Bruni und musste sich mit dem undankbaren zweiten Platz begnügen. Direkt dahinter folgte der Lokalmatador Mick „Sik Mik“ Hannah, ebenfalls mit mehr als geringem Rückstand. Insgesamt lagen die Top 10 innerhalb von 4,5 Sekunden – so knapp wie in Cairns war es lange nicht mehr.
Da ist es klar, dass die kleinen Feinheiten über Sieg und Niederlage unterscheiden. Und hier hat sich das Risiko, das Loïc Bruni eingegangen ist, definitiv ausgezahlt. Der offene und ehrliche Weltmeister war nicht verlegen darum, immer wieder zu betonen, dass ihm die Strecke eigentlich eher nicht liegen würde. Schon beim Track Walk war klar, dass diese Strecke wohl am ehesten Troy Brosnan in die Karten spielen dürfte. Mit seiner Entscheidung, im letzten Trainingslauf vor dem Finale einen Semislick-Hinterreifen aufzuziehen, lag Loïc Bruni allerdings goldrichtig. Das Risiko, das Loïc Bruni mit seiner Reifenwahl eingegangen ist, war der Schlüssel zum ersten Weltcup-Sieg seiner Karriere. Gut möglich, dass Troy Brosnan im Nachhinein ärgert, nicht auch eine mutigere Reifenwahl getroffen zu haben. Das Sein oder Nicht-Sein der Mittelstollen hat letzten Endes diesen Weltcup entschieden.
Die Top 3 sind schon jetzt außer Reichweite
Klar ist: Nach dem Auftakt in Lourdes bereits endgültige Schlüsse über den weiteren Saisonverlauf zu ziehen, ist definitiv zu früh. Und auch nach dem Rennen in Cairns liegen noch fünf Downhill-Weltcups sowie die Weltmeisterschaft vor uns. Es fällt jedoch auf, dass mit Loïc Bruni, Aaron Gwin und Troy Brosnan bereits jetzt ein Trio dem restlichen Fahrerfeld davonfährt. 28 Punkte im Gesamtranking trennen Gwin (370) von Troy Brosnan (342); dazwischen liegt Loïc Bruni (357), der mit dem Sieg in Cairns seinen Sturz in Lourdes ausmerzen konnte. Und dahinter? Danny Hart auf Platz 4 des Gesamtweltcups hat bereits jetzt schon fast 150 Punkte Rückstand auf Gwin und auf Platz 5 respektive 6 liegen mit Mick Hannah und Steve Smith, die beide jeweils schon ein starkes Resultat, aber eben auch einen Rennlauf zum Vergessen hatten.
Greg Minnaar und Josh Bryceland vom Santa Cruz Syndicate kommen bislang noch nicht so richtig in Schwung. Auch Gee Atherton fehlen zumindest aktuell die letzten Prozent, um zur Spitze aufzuschließen. Nach knapp einem Drittel der Saison spricht sehr vieles dafür, dass diese Saison auf einen spannenden Dreikampf zwischen Aaron Gwin, Loïc Bruni und Troy Brosnan hinauslaufen wird. Während Gwin und Bruni prinzipiell bei jedem Rennen für den Tagessieg in Frage kommen, spricht die Konstanz für Troy Brosnan: Beim Rennen in Lourdes sammelte er die drittmeisten Punkte, beim Rennen in Cairns die zweitmeisten Punkte – und als nächstes steht mit Fort William ein Rennen auf dem Programm, bei dem Brosnan den ersten und bislang einzigen Weltcup-Sieg seiner Karriere feiern konnte. Ein Omen?
Den Heimvorteil gibt es auch Down Under
Stichwort Fort William: Über dieses Rennen wird ja oft behauptet, dass die Briten dort einen nicht zu unterschätzenden Heimvorteil haben. Das wirkt sich für gewöhnlich zwar weniger auf die absoluten Spitzenergebnisse aus. Es ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass die Briten jedes Jahr aufs Neue bei ihrem Heimrennen besonders stark sind. Aber: So ist des eben. Auch in Cairns hatten die australischen Fahrer einen nicht zu unterschätzenden Heimvorteil, genauso wie die Franzosen beim Saisonauftakt in Lourdes sehr stark waren.
Sinnbildlich dafür steht Joshua Button, der das letzte Mal vor einer gefühlten Ewigkeit auf sich aufmerksam machen konnte und vom Schirm der meisten Downhill-Fans bis zum vergangenen Wochenende verschwunden war. Mit einem überragenden Lauf konnte sich der Australier letzten Endes auf dem fünften Rang und somit dem Podium platzieren – eine Leistung, die gar nicht hoch genug zu bewerten ist. Auch Graeme Mudd auf Platz 8 fuhr ein extrem starkes Rennen, das beim Mini-Hype um Joshua Button sogar etwas unterging. Insgesamt konnten sich vier Australier in den Top 10 platzieren, drei davon auf dem Podium. Und auch wenn nur Mick Hannah tatsächlich aus der Gegend rund um Cairns kommt, war es für die Aussies mit Sicherheit ein gewichtiger Vorteil, mit den lokalen Gegebenheiten, den wechselnden Bodenverhältnissen und dem Wetter gut umgehen zu können. Die Strecke wurde während des Trainings immer wieder von heftigen Regenschauern in eine Rutschpartie verwandelt und trocknete erst zum Finale ab. Hier spielte es den Australiern und Neuseeländern definitiv in die Karten, dass sie solche Wetter- und Bodenverhältnisse wie aus der Westentasche kennen. Aber: Solch einen Heimvorteil gibt es bei den anderen Rennen des Weltcup-Kalenders natürlich auch. Hut ab vor den Rennläufen von Mick Hannah, Joshua Button und den restlichen Australiern!
Rachel Atherton wäre in die Top 80 gefahren
Unmittelbar nach der Qualifikation unterhielten sich einige Engländer über ihre Ergebnisse. „You got chicked!“ musste sich einer der Jungs, der die Quali nicht geschafft hat, anhören, gefolgt von Gelächter, gefolgt von anerkennendem Nicken ob der Leistung von Alphachick Rachel Atherton. „You got chicked!“ – eine Frau war schneller als du. Und auch im Finale wäre Rachel Atherton mit ihrer Zeit bei den Männern nicht abgeschlagene letzte geworden, sondern hätte sich um den 75. Rang platziert.
Um das mal etwas in Perspektive zu setzen: In Deutschland gibt es aktuell mit Johannes Fischbach, Benny Strasser und Jasper Jauch drei (männliche) Fahrer, die sich realistisch betrachtet für ein Weltcup-Finale qualifizieren. Fischi fuhr in Cairns auf einen starken 24. Platz, Benny und Jasper gingen es im Finale etwas verhaltener an und landeten im Mittelfeld. Nach den Dreien folgen national eine Handvoll weitere Fahrer, die momentan die vorderen Ränge im German Downhill Cup belegen. Wer die Geschwindigkeit der Topfahrer beim GDC gesehen hat kann ungefähr einschätzen, wie wahnsinnig schnell die Jungs unterwegs sind – und auf solch einem Niveau fahren aktuell die schnellsten Downhillerinnen der Welt. Klar: Die Übertragung des Damenrennens sieht im Vergleich zum Rennen der Männer oft langsamer und bei weitem nicht so spektakulär aus – was auch daran liegt, dass ein Großteil der Läufe der Männer nicht mehr übetragen wird. Dennoch sind die Leistungen von Rachel Atherton, Tracey Hannah und Co. gar nicht hoch genug zu bewerten!
Und das soll eine weltcuptaugliche Strecke sein?
Wenn man nur den (Live)Stream aus Cairns gesehen hat, dürfte sich wahrscheinlich mehrmals diese Frage gestellt haben. Gezeigt wurde ein Steinfeld (sah ruppig aus), der Alien Tree (sah etwas komisch aus), ein paar Sprünge in einer schnellen Sektion (sahen klein aus) und anschließend ganz, ganz viele langsame Kurven (sahen aus wie ganz, ganz viele langsame Kurven) und ein quälend langer Zielsprint. Gepaart mit extrem wenigen Zuschauern an der Strecke und einem sehr unspektakulären Zielbereich stellt sich tatsächlich die Frage, wieso ausgerechnet auf dieser Strecke am anderen Ende der Welt ein Downhill-Weltcup ausgetragen wird.
Was leider nicht oder nur mangelhaft übertragen wurde war, wie lang und anspruchsvoll das Steinfeld tatsächlich war, wie schnell die Fahrer über die riesigen Sprünge in der mittleren Sektion flogen – und die spektakulären Whoops wurden in der Übertragung gänzlich ausgelassen. Stattdessen wurde ein Großteil des letzten Drittels gezeigt, das eher flach und technisch durch den dichten Dschungel führte. Wieso die Übertragung so aussah, ist wohl mehreren Faktoren geschuldet: Nach den Vorkommnissen von 2014, als unter anderem ein betrunkener Fan auf dem Rad vom kurz vorher gestürzten Adam Brayton während der Übertragung in die Whoops fuhrt und dort so heftig verunglückte, dass das Finale des Rennens nicht übertragen werden konnte, durfte sich der Ausrichter in diesem Jahr keine Fehler mehr erlauben, geschweige denn die Fans zu nah an die Strecke lassen.
Wo vor zwei Jahren noch die Massen bis in den tiefsten Dschungel standen und die Fahrer lautstark bejubelten, waren dieses Jahr keine Fans mehr zugelassen. Nur rund um das Steinfeld tummelten sich zahlreiche Zuschauer und sorgten dort für eine grandiose Stimmung. Davon abgesehen ist es – bedingt durch den extrem dichten Dschungel und den Mangel an Fußwegen rund um die Strecke – auch extrem schwierig gewesen, überhaupt gute Kameraperspektiven für den Stream zu finden. Trotzdem bleibt natürlich ein fader Beigeschmack, wenn sich im Zielbereich fast keine Zuschauer befinden, von der Stimmung an der Strecke fast nichts rüberkommt und die wirklich spannenden Passagen in der Übertragung kaum gezeigt werden. Das Feedback der Fahrer jedenfalls war komplett anders: Über das Tretstück am Ende beschwerte sich niemand und nahezu allen Fahrern machte die Strecke sehr viel Spaß. Ob das in der Übertragung rüberkam, darf zumindest bezweifelt werden.
Wird die WM nächstes Jahr auf einem Enduro-Bike gewonnen?
In den Kommentaren zum Preview-Artikel für das Rennen in Cairns wurde noch gemutmaßt, Gwin würde das Rennen womöglich auf seinem Enduro-Bike statt auf einem Downhiller bestreiten. Nach dem Track Walk war klar: Nein, auf gar keinen Fall – die Strecke in Cairns hat es in sich, die Sprünge sind riesig, das Waschbrett bringt das Material ans Limit und spätestens im Steinfeld würde ein Fahrrad mit wenig(er) Federweg versagen.
Nicht zuletzt jedoch die Tatsache, dass Loïc Bruni auf einem Semislick das Rennen gewonnen hat, dürfte zumindest einige Fahrer ins Grübeln gebracht haben: Hätte man auf dieser Strecke nicht doch vielleicht zu einem Enduro-Rad greifen können? Die Zeit, die man in den oberen, ruppigen Sektionen verliert, könnte man mit Sicherheit wieder im flachen letzten Drittel mitsamt Zielsprint ausgleichen. Oder? Voraussetzung dafür ist, dass man absolut sauber und perfekt auf den Punkt fährt – auf einer Hochgeschwindigkeitsstrecke wie in Cairns kein leichtes Unterfangen. Dennoch dürfte die Weltmeisterschaft 2017 in Cairns diese Diskussion erneut befeuern. Eine der größten Herausforderungen bei diesem Unterfangen wäre wohl die Logistik: Wenn jedes Kilogramm Übergepäck mit etwa 60 € zu Buche schlägt und die meisten Fluggesellschaften, die Cairns anfliegen, keine Sondertarife für Fahrräder anbieten, werden sich die Teams natürlich gut überlegen, ob man die Transportkosten für ein zusätzliches Fahrrad in Kauf nimmt. Gerade aber bei einer WM wie im nächsten Jahr dürfte aber auch in diese Richtung experimentiert werden.
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