Seit Jahren entwickeln sich Mountainbikes und Mountainbike-Geometrien in nur eine Richtung: länger, flacher, schneller. Mehr Sicherheit, mehr Geschwindigkeit, schon verstanden. Aber, gewagte Frage: Bleibt da nicht der Fahrspaß auf der Strecke? Und warum sind sich die Bikes alle so ähnlich?
Ich möchte es gleich vorweg sagen: Ich möchte mein 2021er Mountainbike nicht gegen mein Mountainbike von 2011 tauschen. Mein neues Rad ist komfortabler, liegt satter, schneller und macht dadurch meistens mehr Spaß. Aber: Vor drei Jahren, vor fünf Jahren, da hatte man – zumindest gefühlt – mehr Auswahl: Es gab bereits Bikes, die auf Geschwindigkeit optimiert waren. Gleichzeitig – alternativ – gab es aber auch Bikes, die auf Verspieltheit optimiert waren. Letztere sterben aus – und das ist ein Verlust für den Mountainbike-Sport. Das merke ich zum Beispiel jedes Mal, wenn ich auf mein 26″ Carver ICB von 2013 steige.
Beispielhaft für diese Kategorie Spaßbike waren Modelle wie das Santa Cruz 5010. Recht wenig Federweg, recht wenig Radstand, recht kleine Räder – dafür extrem viel Fahrspaß. Der Fahrspaß resultierte daraus, dass sich das Bike leichter aufs Hinterrad ziehen und leichter Bunny-Hops machen ließ, aber eben auch mehr Schläge durchgereicht hat. Das Fahrwerk mit ordentlich Progression schlug nicht durch, aber in Ermangelung von Federweg schepperte es eben schneller mal.
Nun gibt es auch heute noch kurzhubige Trailbikes – teilweise sogar mit kleineren 27,5″-Rädern. Zum Beispiel von Raaw (Raaw Jibb-Test), von Nicolai (Nicolai Saturn 14 ST-Test) und auch Santa Cruz hat das 5010 noch im Sortiment (hier der aktuelle Santa Cruz 5010-Test). Mir drängt sich aber ein wenig das Gefühl auf, dass auch sie sich heute an einen Punkt entwickelt haben, an dem sie für 80 % Geschwindigkeit und nur noch 20 % Verspieltheit stehen. Die Frage ist doch immer: Was mache ich auf dem Trail, was erwarte ich mir von meinem Fahrrad? Soll es den Trail möglichst verschlingen? Oder soll es kleine Unebenheiten zu Sprungschanzen machen? In dieser Hinsicht sind auch die gerade genannten Vertreter noch spaßig unterwegs. 140 mm Federweg bleiben 140 mm Federweg. Auch die Laufradgröße ist nicht der Haken. Ausstattung und Geometrie greifen aber Hand in Hand und nehmen viel von der Leichtigkeit und Verspieltheit raus: Der Reach wird verlängert, der Lenkwinkel flacher. Es resultiert ein mächtiger Radstand, der Geschwindigkeiten ermöglicht, die nach schweren Reifen mit weichem Gummi verlangen. In Summe stehen wir dann vor einem Enduro mit reduziertem Federweg. Das ist noch „ein wenig spritziger“ als das echte Enduro – die richtige Formulierung wäre aber eher: nicht ganz so träge!
Denn Enduro und – nennen wir es einfach Shorttravel-Enduro – trennen eben nur 2 cm Federweg und vielleicht eine Laufradgröße. Aber beide werden nur von sehr fähigen Fahrern zu Spielereien am Wegesrand bewegt. Eine 180°-Drehung auf dem Vorderrad hier, ein Backwheel-Hop da – das fällt alles einfacher, je kleiner das Fahrrad ist und je weniger es im Federweg versackt. Ich weiß schon: Kollege Breitwieser macht das alles auch mit 160 mm Federweg. Props dafür! Aber auch er übt erst mal mit dem Trialbike, also mit: kleinen Rädern, wenig Radstand, keinem Federweg.
In den vergangenen Monaten bin ich das aktuelle Santa Cruz 5010 gefahren. Sein Vorgänger war mir als unfassbar spaßig in Erinnerung: handliche Geometrie, leicht aber robust und mit wenig Federweg, den man trotzdem nicht durchschlagen konnte. Ein geniales Rezept! Das neue Modell ist zweifelsohne ein tolles Fahrrad: viel Traktion, viel Laufruhe, damit traust du dich quasi alles. Es ist sicher auch verspielter als beispielsweise sein großer Bruder Megatower mit 29″-Rädern und mehr Federweg (Santa Cruz Megatower-Test). Aber ist es noch ein verspieltes Bike? In den Händen von absoluten Könnern macht das Fahrrad immer noch alle möglichen, wilden Drehungen – das zeigt Danny MacAskill ja dauernd.
In meinen Händen ist es aber irgendwie immer noch ganz schön viel Fahrrad mit ganz schön schweren, schlecht rollenden Reifen. Ich habe die Reifen dann gegen welche getauscht, die mit Geometrie und Fahrwerk bei Weitem nicht mithalten können: Schwalbe Nobby Nic mit „Zeitungspapier-Karkasse“. Ein erklärungsbedürftiger, aber in meinen Augen guter Tausch: Das Rad rollt schneller und verspringt leichter. Das ist schlecht, wenn man schnell sein will. Aber wenn man einfache Trails zum Spielen nutzen will, dann ist es goldrichtig. Wenn es jetzt noch etwas kürzer wäre …
Werde ich langsam sentimental? Klingt das nach Boomer?
Oder wäre es doch schlicht und ergreifend eine Bereicherung, wenn nicht alle Bikes schneller, laufruhiger und komfortabler würden? Mehr echt unterschiedliche Arten von Fahrrädern, statt XC-Bikes, die wie Trailbikes daher kommen, und Trailbikes, die wie Enduro-Bikes daher kommen, und Enduro-Bikes, die wie Freerider daher kommen?
Da fällt mir auf: Nachdem verspielte Fahrer wie Aaron Chase oder Jeff Lenosky eine Weile lang fast ausgestorben schienen, gibt es ja aus Richtung Trial wieder jede Menge Botschafter des verspielten Fahrstils. Kommen damit auch wieder Bikes in Mode, die nicht schneller machen, aber durch bloßes Zucken des Handgelenks aufs Hinterrad gehen? Mich würd’s freuen!
Geht’s euch auch so? Oder seht ihr die Unterschiede zwischen den angebotenen Bikes als völlig ausreichend?
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