… denn geil ist das neue normal. Meine Eltern durften es nicht wissen, sie hätten es mich nie wieder sehen lassen. Bruce und Bongo waren mit ihrem Video in den 80ern dafür verantwortlich, unseren Wortschatz um ein neues Wort zu bereichern. Denn danach war alles nur noch: „geil“. Cool war definitiv nicht mehr provokant genug. In den 90ern brachte Ingo Appelt uns das „Ficken“ und Pringles das „Poppen“ näher. Nach der Jahrtausendwende war alles nur noch: „Wack“ oder „Porno“. Heute verstehe ich gerne mal was falsch, weil ich nicht mehr „crispy“ bin. Da bin ich schon mal beleidigt, weil ich „rumoxidieren“ auf meinen körperlichen Verfall beziehe.

Zu allem Übel erklärt mir dann meine Tochter noch, dass ich nicht mehr ganz frisch wäre. Total egal, ich bin Oldschool, „krass“ ist für meinen Wortschatz „real“ genug. Und bevor mir der Nachwuchs nochmal erklärt, dass ich doch mein Leben schon gelebt habe, wird es nochmal Zeit für was richtig krasses, cooles, geiles. Warum? Ich will kein „Eckenkind“ sein. Ich geh dann mal mein Leben „aufbitchen“ damit es nicht „imba“ wird.

Zoon Cronje und Max Wussler
# Zoon Cronje und Max Wussler
Bestes Wetter mit bester Aussicht
# Bestes Wetter mit bester Aussicht

Rougemont/Schweiz, Talstation. Gleich soll es mit der Seilbahn von La Videmanette 1184m hoch in die Berge gehen. Meine Begleiter sind Daniel Gathof vom Team Centurion Vaude und Hielke Elferink vom Maloja Rocky Mountain Team. Könnte vielleicht eine winterliche Fatbike-Downhillveranstaltung genau das sein, was dem nicht ausgelasteten Adrenalin-Junkie gerade jetzt im Winter noch fehlt? Wäre das am Ende eine Alternative zum Skifahren. Wir gönnen uns einfach mal den Spaß, uns von einer Skipiste missbrauchen zu lassen. Ich, des Skifahrens unkundig, schaffe es somit doch einmal auf eine Skipiste.
Unter dem dem Motto „Heidenspaß statt Höllenqual“ legen wir mit 6m/s in neun Minuten Fahrtzeit die Strecke bis zur Bergstation zurück. Max Wussler, verantwortlich für das Snow Bike Festival in Gstaad und sein südafrikanischer Fotograf Zoon Cronje begleiten uns.

Nach dem ersten Steilhang
# Nach dem ersten Steilhang
Zurück zum Start
# Zurück zum Start

Es ist mal so richtig kalt, aber ich freue mich, wie der kleine Rotzbengel von nebenan nach einer Chinaböller-Attacke auf Mevrouw Ootemann, auf die bevorstehende Abfahrt nach Rougemont.

Der Blick in den Einstieg der Abfahrt lässt mich dann doch schlucken. Auf dem Bildschirm, vom Sofa aus betrachtet, sehen die alpinen Skipisten gar nicht so steil aus. In Natura ist die Steilheit des Geländes sehr beeindruckend. Die Herausforderung hat ihren Reiz und könnte ich Skifahren hätte ich es ja nicht nötig, eine Skipiste mit dem Rad herunter zu fahren. „Steil ist geil“ bekommt auf einer präparierten Skipiste jenseits der 30 %-Gefälle eine ganz neue Bedeutung. Generös lassen die beiden Profis mir den Vortritt.

Nach richtig steil folgt richtig scharf, auf den Schuss folgt die Kurve. Die erste Erkenntnis ist, dass kontrolliertes Fahren auf Schnee schwierig wird, sobald sie präpariert und steil wird. Zum Glück bin ich gut mit dicken langen Stollen meines NRTH45 Van Helga bestückt. Ich kriege so gerade noch die Kurve. Spikes wären hingegen die Wahl der Stunde, haben wir jedoch nicht. Hielke wird Opfer ihres zurückhaltenden Reifenprofils und versucht herauszufinden, warum Fangzäune am Streckenrand parken. Schnell ist klar, dass Fatbikereifen nicht gleich Fatbikereifen ist. Daniel steht daneben und versucht die gewonnenen Erkenntnisse zu verarbeiten. Er ist mit einem gewöhnlichen 29er unterwegs, was es keineswegs einfacher macht. Wir sind Wiederholungstäter! Weil das Intro so schön war und da Übung ja den Meister macht, nehmen wir den ersten Teilabschnitt von zwei Kilometern noch einige Male unter die Stollen. Nach einiger Zeit verliert der Schnee langsam seine Angst vor uns.

Daniel Gathof/Team Centurion Vaude
# Daniel Gathof/Team Centurion Vaude
Hielke Elferink, Craft Rocky Mountain Team
# Hielke Elferink, Craft Rocky Mountain Team

Bevor wir die restlichen acht Kilometer in Angriff nehmen, setzt sich dann auch die Erkenntnis durch, dass ein Gefälle nahe der 40% kein kontrolliertes Fahren mehr zulässt. Wir verlagern uns auf zwei Möglichkeiten der Problembewältigung. Entweder die Bremsen ignorieren und bei Geschwindigkeiten von weit über 60 km/h auf unsere Fahrkünste und den Gleichgewichtssinn zu vertrauen oder in den mehr oder minder kontrollierten Drift zu gehen. Der aber hat so seine Tücken, denn die Grenze vom fotogenen Drift zum kompromittierenden Fall ist fließend. Hat der Fahrer dann den Schneekontakt, wird es umso spannender. Die Schwerkraft und die vorhandene Schneeglätte sind dicke Kumpels und wollen unbedingt testen wer schneller unten ist, Rad oder Fahrer.

Diese Konfrontation zu umgehen setzt Geistesgegenwart voraus, indem man sich im Angesicht des bevorstehenden Falls schnellstmöglich Zugriff auf sein Rad verschafft. Wir drei würden lügen, wenn uns diese Erfahrung nicht auch einen gewissen Erlebnischarakter verschaffen würde. Ob aufrecht sitzend oder flach liegend zaubert uns der Nachmittag kontinuierlich ein fettes Grinsen ins Gesicht.

Im Wald...
# Im Wald...

Für mich als Bildschirmskifahrer erscheinen nun plötzlich die Leistungen von Skifahrern nochmal in einem ganz anderen Licht. Wir stehen vor einem Abschnitt der Piste, bei dem wir uns nur noch die Augen reiben können. Erschienen uns die Prozente einiger Abschnitte der Piste schon kurz vor ungenießbar, wächst nun die Ehrfurcht in ungeahnte Höhen. Ein vereister Steilhang kurz vor Strohrum-Prozenten lässt uns die Fragezeichen im Gesicht gefrieren. Wie kommen wir da lebend runter? Die nun normalerweise einsetzende gedankliche Auseinandersetzung mit der aufkeimenden Angst und dem Misstrauen in die eigenen Fähigkeiten wird einfach durch Ignoranz umgangen. Wer nicht viel denkt, hat mehr Zeit zum Experimentieren. Das Unvermeidliche beschert mir die ersten blauen Flecken des Tages und die Gewissheit, dass solche Prozente heute für mich unverdaulich bleiben.

Der Fotograf und sein Motiv
# Der Fotograf und sein Motiv
Ab geht's!
# Ab geht's!
#10 Snow Bike Festival Gstaad captured by Zoon Cronje
# #10 Snow Bike Festival Gstaad captured by Zoon Cronje

Downhill Skipiste Rougemont von muschiMehr Mountainbike-Videos

Die Piste taucht ein in den Wald. Ab und an kann man einen Blick ins Tal erhaschen. Die Strecke wird netter. Immer noch steil und schnell flattert die Popelbremse im Wind und mein Botoxgrinsen findet in den Gesichtern von Hielke und Daniel ein Spiegelbild, während Zoon uns rücklings sitzend auf einen Schneemobil fotografierend begleitet. Max zeigt uns nebenher, wie man auf Skiern richtig mit der Piste umgeht.

Das stark komprimierte Schneeband sollte aber nie unterschätzt werden. Es hat auf der zehn Kilometer langen Distanz immer neue Überraschungen parat. In einem Moment freut man sich noch über den Grip unter dem Reifen, der zum Gas geben einlädt und im nächsten Moment fehlt eben jener und es haut einen auf den Eisplatten auf die Goschen. Ganz lustig wird es, wenn man, aus welchen Gründen auch immer, die Piste verlässt und im Tiefschnee landet. Schneller bremsen geht nimmer, wenn sich Fatbikereifen mit voller Geschwindigkeit in den Schnee fräsen und zum Überschlag einladen.

Die spätnachmittägliche Sonne taucht das Tal in ein wundervolles Licht. Zu meinem Glück fehlt mir jetzt nur noch ein tollwütiger Pyromane, der uns mit Feuer, Knall und Bums begleitet. Dann würde ich mich fühlen wie damals, als wir fasziniert waren von Willy Bogners Verfilmung von „Fire and Ice“. Verdammt, wo ist meine pinkfarbene EHLO-Jacke? Aber dann wäre ich sehr wahrscheinlich wieder „kontrageil“ oder „endmadig“, während alle anderen „swag“ sind.

Sundowner
# Sundowner

In diesem Sinne, Think Pink – Eure Muschi

Anmerkung: Für den Inhalt der Artikel aus der Serie “Muschi am Mittwoch” ist der benannte Autor verantwortlich. Die in den Artikeln vertretenen Ansichten und Meinungen spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider. Für Anregungen und Kritik steht der Autor hier themenbezogen in den Kommentaren und allgemein per privater Nachricht zur Verfügung.

Fotos: Zoon Cronje
  1. benutzerbild

    Kyuss1975

    dabei seit 03/2014

    Na Prima, tolle Aussage , geiles Niveau.........smilie
    Erzähls deinem Friseur. smilie
  2. benutzerbild

    edwardje

    dabei seit 11/2009

    20171202_105900.jpg 20180117_202812.jpg Was soll da gestört sein??? Für mich sind dass 5 Monaten im Jahr Normalo....
  3. benutzerbild

    Pete04

    dabei seit 12/2008

    Feinste Nahtoderfahrung! smilie Mal mit dem Enduro am Weißen Stein versuchen dürfen,
    alle bis dahin gesammelten Erfahrungswerte für die Katz'!
    Danach sah' der Zossen aus wie Zeitfahrspezialist weil der komplette Innenreifen
    vorn wie hinten schneegefüllt war - Gaudi wie Hulle ist's allemal...
    Feiner Ausritt!

  4. benutzerbild

    edwardje

    dabei seit 11/2009

    Enduro im Schnee ist auch fein, fatbike aber unschlagbar!

  5. benutzerbild

    Kyuss1975

    dabei seit 03/2014

    Ich war ein bisserl auf einer Loipe unterwegs. Kein Stress, alles sehr positiv verlaufen, viele nette Leute smilie
    Ist aber auch ein winziges Skigebiet.WP_20180123_11_52_43_Pro.jpg

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