Dies ist eine Ode an die Langeweile, eine Empfehlung zur Selbstfindung und des Überschreitens der Demarkationslinie „Gesegnete Weihnacht“.

Ein paar Tage noch und dann hat die Tortur ein Ende. Vom Vorweihnachtsstress über den Adventsstress werden wir dann unser Nervenkostüm im finalen Weihnachtsstress testen können. Das Finale besteht daraus, die Familie rund um die Familie zu organisieren, damit auch gar keiner zu kurz kommt. Neben dem alltäglichen Drumherum müssen im Zieleinlauf noch die besorgten Nahrungsmittel zur Fressorgie versorgt werden, die Unmengen an Weihnachtsgeschenken verpackt und die Bude auf Hochglanz gebracht werden.

Die Kinder reden nur noch von Geschenken, was eigentlich Weihnachten bedeutet, haben sie schon lange verdrängt. Neben den tausenden von WhatsApp-Weihnachtsvideos mit spärlich bedeckten Körperteilen gehen die kleinen Präsente für die Großfamilie fast unter, die auch noch zu organisieren sind. Man verspricht sich ja schon seit Jahren nichts mehr zu schenken, nur hält sich niemand daran. Will man dann auch noch die Christmette besuchen, muss dies strategisch geplant sein, zwischen dem finalen Showdown mit der maronenbefüllten Gans im Ofen und dem Hol- und Bringservice von Oma Oli.

Bescherung vor oder nach dem Essen? Mit welch tiefgründigen Fragen sich seit Jahrzehnten Generationen von Familienoberhäuptern zum Erhalt des Familienfriedens beschäftigen müssen. Der schiere Überfluss, der bei der familiären Großveranstaltung „Heiliger Abend“ organisiert werden muss, führt nicht selten zum Weihnachtsburnout bei den familiären Amtsträgern. Seinen Anfang findet der Endkampf um das schönste Weihnachtsfest spätestens mit dem ersten Erklingen der Weihnachtshymne „Last Christmas“.

Der finale Showdown zelebriert sich dann selber beim Klang der Glöckchen, wenn eine Horde Kinder sich wegbahnend zu den Geschenken kämpft. Wer sich Besinn- und Beschaulichkeit zum Weihnachtsfest gewünscht hat, wird nun auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Bevor das eine Geschenk ganz ausgepackt ist, wird schon zum nächsten gegriffen und nach einem schnellen Riss am Geschenkpapier hat die Brut schon das übernächste im Visier. Das ist der Moment, wo sich Eltern fragen, warum sich niemand in der Familie eigentlich an die Absprachen hält, den Kindern mehr zu schenken als eine Reizüberflutung. Massive Gebäudeschäden durch Stirnschlag können dann nur noch durch den Griff zur Whiskeyflasche gemildert werden.

Spätestens am ersten Weihnachtstag wünschen sich viele hinein in den Januar, weil er so schön ereignislos besinnlich ist. Das Auto wird morgens um acht gepackt und auf geht es in den Weihnachtsstau zu Oma Hilde und Tante Frida, bevor am zweiten Tourneetag auf dem Rückweg noch schnell die Patentante und Opa auf dem Friedhof besucht wird. Spätestens zwischen den Tagen braucht es dann Maßnahmen der Entspannung, die uns aus dem permanenten Zustand der Anspannung heraus lösen. Yoga, autogenes Training, seinen Namen unter Anleitung im Kreis tanzen, oder einfach mit dem Bike in den Wald, alles Möglichkeiten der Entspannung. Dabei war gefühlt früher irgendwie alles besser, da gab es Entspannung noch einfacher.

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Wer wünscht sich manchmal nicht zurück nach Damals, als es Langeweile noch im Plural gab. Einfach mal wieder eine Energiesparkerze sein. Ganz handyfrei und computerlos auf dem Bett bei gepflegter Musik die Hormone in eine Art Ruhestarre versetzen und dem Ende des Tages entgegendämmern. Damals, als Langeweile noch bedeutungsschwer unser Leben mitgestaltete, weil niemand immer und überall erreichbar war und wir irgendwann aus lauter Belanglosigkeit heraus auf dem Rad gedankenbefreit durch den Wald geradelt sind?

Heute ticken unsere Uhren schneller. Das Internet, das Fernsehen, das Handy, die Informationsflut, den wenigsten gelingt es ihre Welt perfekt zu kanalisieren, damit sowas wie Langeweile noch Platz in unserem Leben finden kann. Denn die Langeweile ist vom Aussterben bedroht. In meinen Augen ist kein Lebensgefühl im Moment schützenswerter als die Langeweile. Langeweile macht glücklich. Nicht sofort, aber als entspannende vorbereitende Maßnahme für die Momente, die unsere volle Aufmerksamkeit fordern.

Heute, wo jeder kleinste Ansatz von Langeweile mit dem Griff zum Handy zunichte gemacht werden kann, ist es wichtiger denn je, sich der Wichtigkeit einer gepflegten Langeweile bewusst zu werden. Einfach mal beim Klogang nicht zum Handy zu greifen wäre ein Anfang. So könnte man die Zeit nutzen sich zu überlegen, ob man sich wirklich den Barcode einer Bierflasche auf den Arm tätowieren lassen will, bevor man einen Getränkeautomaten fistet.

Früher war Langeweile ein kreativer Zustand. Heute führt er häufig zu nonverbaler Diarrhö auf dem Display. Langeweile ist ein kostbares Gut. Sie gehört gepflegt zum Wohle der Gesellschaft, weil eine gepflegte Langeweile eine Gelassenheit generieren kann, die uns allen zu Gute kommt.

Meine Langeweile hat mich übers Weihnachtsfest nachdenken lassen und was mir daran wichtig ist. Weihnachten ist ja mehr als Geschenke und die Verkündigung der Frohen Botschaft. Aus Essig wird Essenz, wenn man begreift, dass WIR Weihnachten sind und Wir dieses Fest mit all dem füllen können, was UNS wichtig ist. Wir schauen uns kitschige Weihnachtsfilme an und schmelzen dahin im gespielten Idyll, dabei ist es doch an uns, dieses Idyll lebendig werden zu lassen.

Ich für meine Wenigkeit habe diese Essenz früher schon mal in Händen gehalten und nun wiedergefunden. Glück und Harmonie wird genährt durch Freundschaft und Zuneigung zu Menschen, die man liebt. Lasst uns darum weniger planen, machen und tun. Lasst die Gans fliegen, festliche Fresserei macht nur fett. Ich konnte Tante Klaudia und Onkel Hugo sowieso noch nie leiden und den unwichtigen Rest sehe ich früh genug beim nächsten Familienfest wieder. Lasst uns trinken und biken gehen mit den wirklich wichtigen Menschen und uns auch ein wenig langweilen für ein entspanntes Beisammensein.

Danach macht es für viele vielleicht auch mal Sinn, einen Neujahrsputz im Oberstübchen durchzuführen und nebenbei die Synapsen neu zu sortieren. Das hat dann den gleichen Effekt wie die Hausrunde mal anders herum zu fahren. Der Effekt der veränderten Wahrnehmung kann Wunder bewirken.

In diesem Sinne wünsche ich euch allen eine andere Weihnacht. Gehet hin in Frieden und langweilt euch,

eure Muschi

Anmerkung: Für den Inhalt der Artikel aus der Serie “Muschi am Mittwoch” ist der benannte Autor verantwortlich. Die in den Artikeln vertretenen Ansichten und Meinungen spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider. Für Anregungen und Kritik steht der Autor hier themenbezogen in den Kommentaren und allgemein per privater Nachricht zur Verfügung.

  1. benutzerbild

    Enrico_Palazzo

    dabei seit 05/2017

    die gümasiasten-lauchs gehen mir derbe auf den sack
    Na und? Kann ja keiner was für deine Minderbildung.
  2. benutzerbild

    Don Stefano

    dabei seit 04/2003

    Jungs, ihr seid klasse! Endlich hat die Diskussion über die Kolumne das Niveau erreicht, was sie verdient hat.

    mobil gesendet

  3. benutzerbild

    muschi

    dabei seit 03/2011

    Da bin ich. Was gibt’s?
    Zusammenfassung, bitte.smilie

    Immer schön ergebnisoffen bleibensmiliesmiliesmilie
  4. benutzerbild

    crack_MC

    dabei seit 01/2010

    ...der MIMIMI Fred müßte ja eigentlich schon kollabieren...

    smilie smilie smilie

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