Entschuldigt die etwas drastische Überschrift, aber genau so ist es doch. Wenn es einen Spielverderber bei unserem Lieblingssport gibt, ist es die satte Bodenprobe, im schlechtesten Fall mit fieser Verletzungsfolge. Jeder kennt die Highsider, Saltos und Schlüsselbein-Klatscher. Warum ist das eigentlich so? Wie lang braucht man wieder, um fit zu werden? Und warum gelingt es mal besser, mal schlechter? Eine Meinung zum Thema Stürzen.
Krankenhaus
Eine Woche im Frühjahr. Ich sitze mittlerweile seit vier Stunden in der Notaufnahme und warte, bis ich aufgerufen werde. Gefühlt sitzt gerade die halbe Stadt hier im Warteraum: Einer mit einem grotesk angeschwollenen Oberarm, eine hat sich mit einem Rührgerät die Hand verstaucht. Ein humpelnder Mann kommt mit blutendem Fuß herein, eine Kiste sei auf seinen Zeh gefallen. Ich bin der einzige, der etwas verstaubt nach Sport aussieht, inklusive Radklamotten und Knieschonern. Kurze Zeit später wird jemand reanimiert, man hört die Hektik aus dem Schockraum selbst bis zu uns. Ein gutes Gefühl hat man in der Notaufnahme nie.
Bei mir ist es zwar nicht ganz so wild – nichts gebrochen, keine inneren Verletzungen – aber ich bin ordentlich mit dem Haupt voran in den Waldboden eingestaucht, habe Kopfschmerzen und möchte meinen dröhnenden, schwindelnden Schädel gerne untersuchen lassen. Helm kaputt, Laufrad auch. In diesen Momenten frage ich mich immer: Warum spielst du nicht Curling? Schwimmst durch Wasserbecken? Bogenschießen ist auch olympisch, warum eigentlich nicht? So nen Pfeil kriegst du schon irgendwie abgeschossen, ist doch entspannter, als sich selber abzuschießen. Einfach irgendeinen Sport, bei dem man sich nicht bei Kontrollverlust mit einem rollenden Gerät aus Metall verknotet und in der Folge nicht nur in den Boden einstampft, sondern auch noch das durch die Luft fliegende Ding abbekommt – samt Pedalen, die während des Sturzes abstrakte Gemälde in Schienbeine schnitzen.
Würde man wenigstens auf Gummi, Schaumstoff oder meinetwegen Holzschnitzeln fahren! Aber nö: Herausstehende Wurzeln, messerscharfe Steine oder noch besser Schotter, Endboss jeder Wundversorgung, sorgen für saftige, bleibende Erinnerungen, wenn es einen so richtig schmeißt. Und werden obendrein noch zu schmerzhaften Überbleibseln, an die man sich noch wochenlang erinnert, weil man doch mal wieder an Tisch- oder Türkante hängenbleibt.
Kopfkino
Na, rattert schon das Kopfkino? Diese Momente kennt fast jeder MTB-Begeisterte. Und dennoch verändert sich die Ansicht auf einen Sturz über die Jahre. Spule ich im Gedächtnis mal 20 Jahre zurück, haben wir stundenlange Sessions im Skatepark verbracht, sind ständig auf Hintern, Knie oder Schultern gefallen, haben uns den Staub abgeklopft und sind wieder die Quarterpipe oder den Starthügel hoch. Auch im Wald wurden Stürze mehrheitlich johlend gefeiert und die Arme hochgereckt, als wäre man wie Wade Simmons in den roten Rampage-Staub eingekratert.
Spule ich wieder in die Gegenwart und auf Mitte 30 vor, ist mein Blick auf Verletzungen mittlerweile ein anderer. Man kommt vielleicht nicht mehr täglich zum Fahren und hat möglicherweise sogar einen Job, bei dem eine Verletzung eher ungünstig wäre. Also wird man vorsichtiger, aber gleichzeitig erfahrener – grundsätzlich gar keine so schlechte Kombination, um möglichst sturzfrei, aber dennoch adäquat schnell und kontrolliert Trails hinabzufräsen.
Dennoch: Je mehr eigene Stürze ich einspeichere, desto größer wird mein Katalog der möglichen Konsequenzen im Kopf. Einfach, weil ich weiß, was passieren könnte. Psychisch eher ungünstig. Früher gab es diese Sturz-Angst bei mir eher vor Mutproben, Drops und voraussehbar wilden Aktionen. Mit Mitte 30 habe ich auf Mutproben mittlerweile keine Lust mehr. Daher ist diese Sturz-Angst mittlerweile mehr einem unterschwelligen Gefühl gewichen, was je nach Schwierigkeitsgrad eines Trails mal mehr, mal weniger unterbewusst mitfährt. In 99 % der Fälle passiert nichts. Aber wenn es dann doch mal so ist, macht der Kopf intern einen Haken dran, als wollte er sagen: „Siehste? Hab ich es doch gesagt. Ist doch scheißgefährlich, was du da machst!“
Fotos und Videos von Profis, die sagenhaft einkratern (Video: The Knife Edge: Gee Athertons härtester Sturz), können das Kopfkino da noch weiter verstärken. Fail-Videos auf YouTube, in denen sich Umstehende hysterisch lachend an schlimmen Missgeschicken ergötzen, schaue ich seit vielen Jahren nicht mehr an.
Und ein letzter, nicht ganz unwichtiger Punkt, der eher den Körper betrifft: Je älter man wird, desto länger braucht es für die Heilung. Ich humpele mittlerweile tagelang herum, wenn ich mir den Knöchel angehauen habe. Plage mich wochenlang mit aufgehauenen Waden, die aussehen, als hätte ein Tiger Lust auf ein paar Tatzenschläge gehabt. Mittlerweile dauert es physisch und psychisch nach Stürzen länger als früher, um wieder auf Betriebstempo zu kommen. Auch der aktuelle Sturz hat mich noch eine Weile über die Situation nachdenken lassen. Bist du nicht doch komisch abgesprungen? Warum ist das Vorderrad kollabiert? Wirst du diese Passage, die du eigentlich blind fahren könntest, irgendwann wieder so gelassen fahren können wie früher?
Restart
Das galt es auszuprobieren. Nach besagtem Sturz habe ich zwei, drei Wochen gebraucht, um mich mal wieder aufzuraffen, ebenjenen Trail mit dem gleichen Bike, diesmal mit repariertem Laufrad, erneut unter die Stollen zu nehmen. Die Diagnose aus dem Krankenhaus hieß übrigens schlicht Schleudertrauma samt multiplen Abschürfungen und war daher nicht wirklich etwas Lebensbedrohliches, aber auch nichts, womit man am nächsten Tag wieder auf das Bike steigen sollte. Ungewohnt angespannt war demnach auch die erste Tour. Eigentlich ist Biken für mich immer Entspannung pur, Entkopplung vom stressigen Tag. Für dieses Gefühl war es zwei Wochen nach dem Sturz allerdings noch nicht so weit, sodass ich die Tour zwar sturzfrei, aber mit ungutem Gefühl in der Bauchgegend beendete. Eine weitere Woche später war das Wetter wunderbar, ich hatte richtig Bock. Auf geht’s! Und siehe da: Das Radgefühl kam langsam zurück, ich rollte langsam wieder Richtung Grundgeschwindigkeit und auch die Sturzpassage zog ich mit angemessenem Speed durch.
Kommt Zeit, kommt Radgefühl. So kann man es vielleicht beschreiben, wenn man einen harten Sturz hinter sich hat. Es braucht eine Weile, bis sich der Kopf wieder sortiert hat und die Möglichkeit eines Sturzes so in den Hintergrund drängt, dass man wieder sorgenfrei fahren kann. So geht es mir, ein paar weitere Wochen nach dem Sturz, mittlerweile wieder richtig gut, was Biken angeht. Das Vertrauen in mein Arbeitsgerät und meine Fahrfähigkeiten ist vollständig zurückgekehrt und auch wenn das Gefühl im Hinterkopf nie weggehen wird, so fühle ich mich bei und besonders nach jeder Ausfahrt gut, entspannt und stürze mich mit Freude in technische Passagen.
Prävention
Ganz ohne Stürze findet Mountainbiken nie statt. Grip-Verlust, Fahrfehler, Hängen- oder Steckenbleiben sind ständige Begleiter bei unserem Lieblingshobby und werden es auch bleiben. Dennoch kann man Prävention betreiben, um das Verletzungsrisiko im Ernstfall bestmöglich zu minimieren – durch Fitness und mittlerweile sogar technische Hilfsmittel wie GPS-Geräte und Helme, die dank integrierter Sensoren nach Stürzen Nachrichten an Notfall-Kontakte schicken. Aber nochmal zum Fitness-Aspekt:
Unser Körper hat ganz schön viele Muskeln. Diese Muskeln eignen sich vorzüglich, um als Schutzpanzer für den Körper zu dienen. Ein trainierter, stabiler Körper mit höherem Muskelanteil bietet schlicht einen höheren Schutz gegen Einschläge – schaut euch Andreu Lacondeguy an! Gerade als Vorbereitung auf eine neue Saison kann es also nie schaden, den Körper entsprechend aufzubauen (wie das funktionieren kann, haben wir euch zu Beginn des Jahres zusammen mit Tobi Woggon und Fred Abbou gezeigt: MTB-News Bootcamp powered by Praep: Wir machen dich fit für die Sommer-Saison!) Unmittelbar vor der Tour sollte man sich zusätzlich aufwärmen! Mach euch schon auf dem Parkplatz fit, besonders dann, wenn die Tour mit einer Abfahrt beginnt.
Auch Erfahrungen in anderen Sportarten können Stürze glimpflich ausgehen lassen – speziell Kampfsportler haben hier öfter einen Vorteil. Mit flüssigen Bewegungen wie der Judorolle lassen sich harte Stürze teilweise erheblich minimieren – nicht umsonst beherrschen beispielsweise Slopestyle-Biker nach missglückten Tricks diesen Abgang perfekt.
Sollte es dann doch mal passieren, solltet ihr wissen, was zu tun ist. Mein Kollege Jakob hat das im Kapitel „Gefahren beim Mountainbiken“ des Einsteiger-Guides schon einmal zusammengefasst. Und ist dann wirklich ein Sturz mit Verletzungsfolge passiert, hat Brook Macdonald Rat – in einer Red Bull-Kolumne verrät Bulldog, was die häufigsten MTB-Verletzungen sind und wie man sie behandelt.
Fazit
Es ist, wie es ist: Mountainbiken ohne Stürzen gibt es nicht, wir betreiben einfach eine Risikosportart. Wir haben keine Knautschzone und sind viel zu gerne in wildem Gelände voller Äste, Steine und Abhänge unterwegs, als dass wir die Gefahr völlig ausklammern können. Mich lehrt die Erfahrung, dass Regeneration Zeit braucht. Physisch als auch geistig. Zu früh wieder auf das Bike zu steigen, tut weder Kopf noch Körper gut. Passiert es also doch mal, nehmt euch zurück und die Zeit, sich wieder alles sortieren zu lassen – die Zeit, frei über die Trails zu düsen, wird wieder kommen.
Wie lang braucht ihr, um nach harten Stürzen wieder auf das Bike zu kommen?
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