Ich hatte mir vor einiger Zeit vorgenommen, mal so richtig fremd zu gehen. Das wäre ja nicht mein erstes Mal gewesen, schließlich hatte ich schon einige Erfahrungen und bin dabei auch schon mal erwischt worden. Nur hatte ich noch keine so richtig große Erfolge und mit den Ergebnissen ließ sich auch nicht so richtig prahlen. Meine Fremdgänge waren immer nur von Kurzweil, kleine Lückenfüller, mit der Garantie der schnellen Befriedigung von Bedürfnissen. Es war für mich immer ein leichtes Spiel, ob mit guter oder schlechter Figur, zum Ziel zu kommen. Auf einige meiner Fremdgänge greife ich heute noch gern zurück, wenn mir langweilig ist. Aber nie war eine Geschichte dabei die man später seinen Kindern auch noch nach Jahren erzählen würde. Es galt also alle Seitensprünge zu Toppen und ich hatte da auch eine ganz bestimmte im Auge. Immer wenn ich sie sah, kribbelt es mir in den Zehen, mein Herz schlug schneller, die will ich knacken! Ich war vor 15 Jahren schon einmal ganz dicht dran an ihr, nur war ich damals so aufgeregt, dass mein Körper streikte und ich sie aus den Augen verlor. Diesmal wollte ich sie ganz, ja und wenn man mich dabei erwischt, mir egal, meinetwegen können sie sogar Fotos davon schießen, die ganze Stadt kann es ruhig sehen. Diesmal sollte es kein kleiner Seitensprung sein, sondern ein Riesensprung - über genau 42,195km - nicht mit dem Rad sondern zu Fuß, per pedes, auf leisen Sohlen, im leichten Trab.
Und dann stand ich da nach 6 Monaten Vorbereitung und viel zu wenig Trainingskilometern in den Knien auf dem 17. Juni umringt von tausenden von Mitstreitern, die sich Punkt 9:00 Uhr die überflüssigen Kleider vom Leiber rissen und im hohen Bogen die am Rand stehenden Spanner bewarfen. Einige Ordner und Polizisten müssen sich gefühlt haben wie Rockstars, die mit BH und Slips auf der Bühne beworfen werden, nur waren es keine schönen Dessous sondern mehr alte Sweatshirts und zerbeulte Trainingshosen (so genannte Schnellfic.kerhosen) die sie sich vom dem Gesicht klauben konnten. Ich hatte mir vorsorglich die bekannte Drachenwichse Namens Finalgon auf die Knie geschmiert und wartete auf dessen Wirkung. Kurz bevor der letzte Startblock (H) auf die Strecke geschickt wurde, setzte die bekannte wärmende Wirkung ein und ging langsam in ein fieses Kribbeln über. Die Startblöcke A - G waren schon auf der Strecke, als der gesamte Block langsam vor zur Startlinie trottete. Inmitten der nach Starteröl riechenden Menge hörte man den Startschuss kaum und es dauerte ewig bis die Masse so langsam ins Rollen kam. Es war sehr zäh und mühsam in Tritt zu kommen, ständig wird man wieder gebremst, versucht sich an anderen vorbei zu schlängeln, muss aufpassen seine Ellenbogen nicht in den Gesichtern der anderen zu parken.
So versuchte ich mich die ersten Kilometer unfallfrei nach vorne zu arbeiten. Besonders gefährlich waren die Stellen an den Erfrischungspunkten. Die weggeworfenen Plastikbecher und die nasse Straße konnten schnell zu einer Rutschpartie werden. In der Torstraße stand meine "One and Only" und meine Eltern und reichten mir ein von mir vorbereitetes Dopingpräparat in flüssiger Form. Leider blieb die Wirkung des Afterburners aus, ich hätte doch Bier nehmen sollen. Die nächsten Kilometer durch Mitte und Kreuzberg bestanden nur aus Lücken suchen, um nach vorne zu kommen. Am Moritzplatz bekam ich wieder mein leider wirkungsloses Präparat. Großartige Wirkung erzielten aber die Zuschauer mit ihren Rufen und die Kapellen mit ihrer treibenden Musik - die einem eine Gänsehaut verursacht, die sich bis in auf die Fußsohlen ausbreitete. Je tiefer man in Kreuzberg vordrang, umso mehr Party war am Straßenrand. Teilweise stellten die Bewohner ihre Anlagen in die Fenster und beschallten die Straße - das war einfach nur geil!
Langsam wird die Strecke etwas freier. In Schöneberg joggt auf einmal ein älterer Herr mit Baseballkappe und Regencape neben mir und reicht mir mein Präparat. Es zeigt zwar wieder keine Wirkung, aber es motiviert, besonders als ich die neidischen Blicke der anderen über die persönliche Betreuung meinerseits spüre. Mittlerweile habe ich die Hälfte hinter mir und langsam fangen die Zipperlein an. Ab Kilometer 25 zeigt mir jeder Schritt deutlich, wo meine Fußsohlen sind - nämlich zwischen dem Rest meines Körpers und der Straße und wahrscheinlich wollen sie da nicht mehr sein. Ich gebe die Parole aus: Angehalten wird nur, wenn ein Bett mit einer halbnackter Masseurin am Rande steht. Am Wilden Eber komme ich leicht ins Stocken, als halbnackte Cheerleader am Rande stehen. Aber kein Bett ist zu sehen...
Mein Tempo ist mittlerweile nicht mehr das schnellste, ich habe jetzt Zeit mir mal meine Mitläufer genauer anzusehen. Neben den unterschiedlichsten Laufstilen sind die teilweise nicht zu überhörenden Atemtechniken am interessantesten. Angefangen von den Nervenden die einem in die eigenen Atmung nur durcheinander bringen, gibt es einen der wirklich auf dem letzten Loch pfiff und von allen schon ganz ängstlich angeschaut wird. Mal so 'ne Frage am Rande: Gab dieses Jahr eigentlich wieder einen Toten?
Kilometer 28: Die blöden Perser, warum haben die nur damals verloren? Hätten sie gewonnen, würde ich mir hier nicht die Füße wund laufen.
Kilometer 30: Ich will auch Sterben wie dieser blöde Grieche...
Kilometer 32: Jetzt hat diese Schei$$-Kapelle am Olivaer-Platz meine Atmung durcheinander gebracht. Seitenstechen bis zum Wittenbergplatz. Ich hasse das Dorf Marathon!
Kilometer 35: Ich habe Halluzinationen und höre "RIFLI!" "RIFLI!" "RIFLI!". Neee doch nicht! Da stehen G-Punkt, PDa nebst Frauen und haben mich doch glatt entdeckt - gleich 1,25km/h schneller geworden.
Kilometer 37: Potsdamer Platz, das Brandenburger Tor ist Luftlinie nur 500m weg. Ich sinniere über das Wort Abkürzung - leider macht es die Beine und die Gedanken schwer.
Kilometer 39: der letzte Erfrischungspunkt, ich kann nicht anhalten, meine Beine laufen zwar langsam aber von alleine weiter, ich bekomme gerade so ein Becher mit Tee zu fassen.
Ich biege von der Spandauer Straße in die Karl-Liebknecht-Straße ein und befinde mich auf der rund 2km langen Zielgerade. Meine Beine sind wie Stöcke mit zwei dicken schmerzenden Klumpen unten dran. Jeder Schritt prägt sich nein brennt sich ins Gehirn. Die Zuschauer stehen dicht gedrängt hinter Absperrgitter an der Strecke - wo bleibt das versprochene Adrenalin?!? Trotz Jubel, Pfiffen, Musik und Gejohle kommt der letzte Kick nicht, kein Adrenalinschub der mich die letzten Kilometer begleitet. Der Schmerz in den Füßen und in den Knien überwiegt. Ich quere die Friedrichstraße, versuche im Anblick des Brandenburger Tores meine Geschwindigkeit zu steigern, aber mehr als ein mühsames Schlurfen kommt nicht zu Stande. Selbst der der Durchlauf durch das Tor ist nicht mit einem erhabenen Gefühl verbunden - ein letzter Lichtblick - ich kann das Ziel sehen. Mit jedem Schritt wird auch die Zeitanzeige deutlicher, sie steht bei 3:59:40 (Bruttozeit). Ich versuche die letzten 150m zu sprinten, 3:59:55 es sind noch gut 50m bis zur Ziellinie. In einem sinnlosen Kraftakt versuche ich die 50m in unter 5 Sekunden abzureißen und versage kläglich - mit wenigen Sekunden über der 4h Bruttozeitmarke stolpere ich ins Ziel. Geschafft - Nettozeit unter 4 Stunden - ich könnte heulen, wenn mich jetzt jemand ansprechen würde, würden Bäche fließen.
In diesem Moment weiß ich nur eins: NIE WIEDER gehe ich fremd!
Ritzelflitzer
Hier meine kleine Prahlecke:
7851. von 36.193 Läufern
Zeit: 3:41:42
5km: 0:23:42
10km: 0:47:27 / 0:23:45
15km: 1:11:37 / 0:24:10
20km: 1:36:32 / 0:24:56
25km: 2:02:43 / 0:26:11
30km: 2:30:13 / 0:27:31
35km: 2:58:32 / 0:28:19
40km: 3:25:42 / 0:30:11
Zeit pro km 05:15
Geschwindigkeit: 11,42km/h
Das Schwerste am Marathon war nach dem Zieleinlauf den Chip vom Schuh zu bekommen. Aus ungelogen 1,96m hinab auf den Grund des Bodens, dort mit klammen Fingern an den Schnürsenkeln nesteln und nach einigen Fastkrämpfen der ewig dauernde Aufstieg auf wieder fast 2m. Ich glaube ich hatte leicht Anflüge der Höhenkrankheit, ansonsten kann ich mir nicht das Schwarze mit den blitzenden Punkten vor meinen Augen erklären.
Und dann stand ich da nach 6 Monaten Vorbereitung und viel zu wenig Trainingskilometern in den Knien auf dem 17. Juni umringt von tausenden von Mitstreitern, die sich Punkt 9:00 Uhr die überflüssigen Kleider vom Leiber rissen und im hohen Bogen die am Rand stehenden Spanner bewarfen. Einige Ordner und Polizisten müssen sich gefühlt haben wie Rockstars, die mit BH und Slips auf der Bühne beworfen werden, nur waren es keine schönen Dessous sondern mehr alte Sweatshirts und zerbeulte Trainingshosen (so genannte Schnellfic.kerhosen) die sie sich vom dem Gesicht klauben konnten. Ich hatte mir vorsorglich die bekannte Drachenwichse Namens Finalgon auf die Knie geschmiert und wartete auf dessen Wirkung. Kurz bevor der letzte Startblock (H) auf die Strecke geschickt wurde, setzte die bekannte wärmende Wirkung ein und ging langsam in ein fieses Kribbeln über. Die Startblöcke A - G waren schon auf der Strecke, als der gesamte Block langsam vor zur Startlinie trottete. Inmitten der nach Starteröl riechenden Menge hörte man den Startschuss kaum und es dauerte ewig bis die Masse so langsam ins Rollen kam. Es war sehr zäh und mühsam in Tritt zu kommen, ständig wird man wieder gebremst, versucht sich an anderen vorbei zu schlängeln, muss aufpassen seine Ellenbogen nicht in den Gesichtern der anderen zu parken.
So versuchte ich mich die ersten Kilometer unfallfrei nach vorne zu arbeiten. Besonders gefährlich waren die Stellen an den Erfrischungspunkten. Die weggeworfenen Plastikbecher und die nasse Straße konnten schnell zu einer Rutschpartie werden. In der Torstraße stand meine "One and Only" und meine Eltern und reichten mir ein von mir vorbereitetes Dopingpräparat in flüssiger Form. Leider blieb die Wirkung des Afterburners aus, ich hätte doch Bier nehmen sollen. Die nächsten Kilometer durch Mitte und Kreuzberg bestanden nur aus Lücken suchen, um nach vorne zu kommen. Am Moritzplatz bekam ich wieder mein leider wirkungsloses Präparat. Großartige Wirkung erzielten aber die Zuschauer mit ihren Rufen und die Kapellen mit ihrer treibenden Musik - die einem eine Gänsehaut verursacht, die sich bis in auf die Fußsohlen ausbreitete. Je tiefer man in Kreuzberg vordrang, umso mehr Party war am Straßenrand. Teilweise stellten die Bewohner ihre Anlagen in die Fenster und beschallten die Straße - das war einfach nur geil!
Langsam wird die Strecke etwas freier. In Schöneberg joggt auf einmal ein älterer Herr mit Baseballkappe und Regencape neben mir und reicht mir mein Präparat. Es zeigt zwar wieder keine Wirkung, aber es motiviert, besonders als ich die neidischen Blicke der anderen über die persönliche Betreuung meinerseits spüre. Mittlerweile habe ich die Hälfte hinter mir und langsam fangen die Zipperlein an. Ab Kilometer 25 zeigt mir jeder Schritt deutlich, wo meine Fußsohlen sind - nämlich zwischen dem Rest meines Körpers und der Straße und wahrscheinlich wollen sie da nicht mehr sein. Ich gebe die Parole aus: Angehalten wird nur, wenn ein Bett mit einer halbnackter Masseurin am Rande steht. Am Wilden Eber komme ich leicht ins Stocken, als halbnackte Cheerleader am Rande stehen. Aber kein Bett ist zu sehen...
Mein Tempo ist mittlerweile nicht mehr das schnellste, ich habe jetzt Zeit mir mal meine Mitläufer genauer anzusehen. Neben den unterschiedlichsten Laufstilen sind die teilweise nicht zu überhörenden Atemtechniken am interessantesten. Angefangen von den Nervenden die einem in die eigenen Atmung nur durcheinander bringen, gibt es einen der wirklich auf dem letzten Loch pfiff und von allen schon ganz ängstlich angeschaut wird. Mal so 'ne Frage am Rande: Gab dieses Jahr eigentlich wieder einen Toten?
Kilometer 28: Die blöden Perser, warum haben die nur damals verloren? Hätten sie gewonnen, würde ich mir hier nicht die Füße wund laufen.
Kilometer 30: Ich will auch Sterben wie dieser blöde Grieche...
Kilometer 32: Jetzt hat diese Schei$$-Kapelle am Olivaer-Platz meine Atmung durcheinander gebracht. Seitenstechen bis zum Wittenbergplatz. Ich hasse das Dorf Marathon!
Kilometer 35: Ich habe Halluzinationen und höre "RIFLI!" "RIFLI!" "RIFLI!". Neee doch nicht! Da stehen G-Punkt, PDa nebst Frauen und haben mich doch glatt entdeckt - gleich 1,25km/h schneller geworden.
Kilometer 37: Potsdamer Platz, das Brandenburger Tor ist Luftlinie nur 500m weg. Ich sinniere über das Wort Abkürzung - leider macht es die Beine und die Gedanken schwer.
Kilometer 39: der letzte Erfrischungspunkt, ich kann nicht anhalten, meine Beine laufen zwar langsam aber von alleine weiter, ich bekomme gerade so ein Becher mit Tee zu fassen.
Ich biege von der Spandauer Straße in die Karl-Liebknecht-Straße ein und befinde mich auf der rund 2km langen Zielgerade. Meine Beine sind wie Stöcke mit zwei dicken schmerzenden Klumpen unten dran. Jeder Schritt prägt sich nein brennt sich ins Gehirn. Die Zuschauer stehen dicht gedrängt hinter Absperrgitter an der Strecke - wo bleibt das versprochene Adrenalin?!? Trotz Jubel, Pfiffen, Musik und Gejohle kommt der letzte Kick nicht, kein Adrenalinschub der mich die letzten Kilometer begleitet. Der Schmerz in den Füßen und in den Knien überwiegt. Ich quere die Friedrichstraße, versuche im Anblick des Brandenburger Tores meine Geschwindigkeit zu steigern, aber mehr als ein mühsames Schlurfen kommt nicht zu Stande. Selbst der der Durchlauf durch das Tor ist nicht mit einem erhabenen Gefühl verbunden - ein letzter Lichtblick - ich kann das Ziel sehen. Mit jedem Schritt wird auch die Zeitanzeige deutlicher, sie steht bei 3:59:40 (Bruttozeit). Ich versuche die letzten 150m zu sprinten, 3:59:55 es sind noch gut 50m bis zur Ziellinie. In einem sinnlosen Kraftakt versuche ich die 50m in unter 5 Sekunden abzureißen und versage kläglich - mit wenigen Sekunden über der 4h Bruttozeitmarke stolpere ich ins Ziel. Geschafft - Nettozeit unter 4 Stunden - ich könnte heulen, wenn mich jetzt jemand ansprechen würde, würden Bäche fließen.
In diesem Moment weiß ich nur eins: NIE WIEDER gehe ich fremd!
Ritzelflitzer
Hier meine kleine Prahlecke:
7851. von 36.193 Läufern
Zeit: 3:41:42
5km: 0:23:42
10km: 0:47:27 / 0:23:45
15km: 1:11:37 / 0:24:10
20km: 1:36:32 / 0:24:56
25km: 2:02:43 / 0:26:11
30km: 2:30:13 / 0:27:31
35km: 2:58:32 / 0:28:19
40km: 3:25:42 / 0:30:11
Zeit pro km 05:15
Geschwindigkeit: 11,42km/h
Das Schwerste am Marathon war nach dem Zieleinlauf den Chip vom Schuh zu bekommen. Aus ungelogen 1,96m hinab auf den Grund des Bodens, dort mit klammen Fingern an den Schnürsenkeln nesteln und nach einigen Fastkrämpfen der ewig dauernde Aufstieg auf wieder fast 2m. Ich glaube ich hatte leicht Anflüge der Höhenkrankheit, ansonsten kann ich mir nicht das Schwarze mit den blitzenden Punkten vor meinen Augen erklären.